Retro- Check: Mehr als 1000 Oger

Vorbemerkung: Dank des seit 30 Jahren immer fleißig weitergesponnenen Metaplots ist die jüngere aventurische Geschichte nicht gerade höhepunktarm. Das erste Ereignis von großflächiger Bedeutung allerdings fällt in das Jahr 1988, als ein erstes Mal eine Bedrohung im großen Stil aufmarschierte, um das so standhafte Mittelreich in seinen Grundfesten zu erschüttern: der Zug der 1000 Oger. Heute werden solche Großereignisse im Regelfall in unheimlich seitenstarken Kampagnen ausgefochten, damals musste noch ein kleiner Band von nicht ganz 30 Seiten herhalten, um die Helden in die Schlacht und deren Begleiterscheinungen zu führen.

In Zahlen:
– Band Nr. 9
– 28 Seiten
– Erschienen 1988

I. Aufbau und Inhalt
Das Abenteuer beginnt gänzlich schnörkellos, in einer Taverne sitzend erhalten die Helden von einem Beilunker Reiter eine Depesche von Kaiser Hal persönlich, der sie in einer dringenden Angelegenheit sofort bittet, sich nach Wehrheim zu Helme Haffax zu begeben. Feudalerweise erhalten die Helden als Reisemöglichkeit eine Ferrara- Kutsche. Auf dem Weg nach Wehrheim bemerken sie schnell, dass die Situation in der Tat sehr ernst ist, treffen sie doch immer wieder auf bewaffnete Einheiten, die ihnen den Grund für den Aufmarsch berichten: Ysilia wurde von einer Armee von mehr als 1000 Ogern zerstört, die sich nun auf den Weg nach Gareth begeben haben.

An einer Fährstation müssen die Helden eine Rast einlegen, bevor sie ihren Weg fortsetzen können. Die Kette der Fähre über den Dergel wurde zerstört und zudem noch ein Botenreiter ermordet. Von den Soldaten, die dort ebenfalls übernachten müssen, erfahren sie von einem Streit zwischen Hal und seinem Hofmagier Galotta, der durch Nahema verursacht wurde und eine missglückte Dämonenbeschwörung zur Folge hatte. Nach einer demütigenden und ihn entstellenden Bestrafung wurde der Magus verbannt. Während am nächsten Morgen die gerissene Kette der Fähre geborgen und repariert werden muss, wird der Fährhof von einer Vorhut der Oger angegriffen, womit die Helden den furchterregenden hünenhaften Kreaturen ein erstes Mal begegnen.

Nach gewonnenem Kampf erhalten die Helden eine zweite Nachricht, die ihnen offenbart, dass es anscheinend einen Drahtzieher hinter dem Ogerzug gibt, der diese zu ihren völlig untypisch koordinierten Aktionen befähigt. Hier kann die Gruppe die Entscheidung treffen, statt zum Heeresaufmarsch nach Wehrheim weiterzuziehen, stattdessen die Spur der Botschaft aufnehmen, die dem toten Boten entwendet wurde.

Entscheiden sich die Helden für den heldenhaften Weg in die Schlacht, so ziehen sie mit dem Heer in die Trollzacken, wo sich die Armee des Mittelreichs den Ogern stellt. Die Schlacht wird dabei in Form eines Brettspiels (ein Plan und Spielmarken liegen dem Band bei) abgehandelt. Ziel ist es dabei, die Oger von bestimmten Punkten fernzuhalten. Besondere Bedeutung fällt dabei einem gewaltigen Katapult zu, dem sogenannten Ogerlöffel, der wegen seiner furchtbaren Durchschlagskraft nach Möglichkeit zerstört werden soll.

Deutlich detaillierter wird hingegen das Aufspüren des eigentlichen Kriegstreibers ausgeführt. Hier müssen die Helden die Spur des Attentäters Hodaki aufnehmen. Anhand einer Tabelle kann die Aufholjagd gestaltet werden, denn immerhin hat Hodaki einen beträchtlichen Vorsprung. Gelingt es den Helden schließlich, die Botschaft in ihre Gewalt zu bringen, erfahren sie, dass der Drahtzieher sich in der Gegend um das Ochsenwasser zurückgezogen hat. Dabei handelt es sich um niemand anderen als Galotta selbst, der auf einer Insel haust, die von Kalecken, affenartigen Wesen, bewacht wird. Gelingt es, diese zu überwinden, finden die Helden am Ende nur noch einen toten Galotta vor, der sich offenbar im Angesicht seiner Niederlage aus dem Fenster seines Turms gestürzt hat. Mithilfe von Galottas Dienern lässt sich nachvollziehen, wie es dem Magier durch eine bestimmte Sternenkonstellation gelingen konnte, die Oger unter seine Kontrolle zu bringen, um sich für die erlittene Schmach zu rächen.

II. Figuren
Selten wohl kam ein Abenteuer mit so wenig Charakterbeschreibungen aus. Keine der wichtigen Figuren erhält auch nur eine echte Beschreibung: Auftraggeber Hal wird nur als Briefschreiber in Szene gesetzt, selbst eine Begegnung im Heereslager ist nicht vorgesehen. Genauso sieht es mit dem Antagonisten Galotta aus, der bereits vermeintlich tot ist, als die Helden in seine Räumlichkeiten vordringen, Informationen erhält man über ihn nur aus den Erzählungen anderer Figuren. Überhaupt trifft man nur auf Nebenfiguren, aber sogar auf auch diese nur eventuell, so kann auch der Attentäter Hodaki unter Umständen schon selbst gemeuchelt worden sein, wenn man ihn endlich eingeholt hat. Am Ende ist tatsächlich auch nur ein gemeinsamer Wertekasten für Personen im Heerlager und in der Schlacht enthalten, allerdings ohne jegliche Zusatzinformationen.

III. Kritik
Es ist zwar irgendwie billig, an dieser Stelle direkt die ausgelutschte Geschichte mit dem Cover auszupacken, aber es passt halt: Zeichner Ugurcan Yüce (dessen Cover ich überwiegend immer noch großartig finde und die mein Bild von DSA maßgeblich geprägt haben) hatte keine Ahnung, was genau eigentlich Oger sein sollen und hatte sich diese offenbar als menschenähnliche Riesen vorgestellt und einfach ein paar seiner muskelbepackten Standardfiguren in groß gezeichnet.

Und genauso misslungen wie das Cover präsentiert sich auch der Inhalt des Bandes: Was hätte das für eine tolle, epische Story ergeben können, 1000 damals noch recht fremde Monster marschieren auf Gareth zu, die Menschen sind verzweifelt und erste Versuche, sich den marodierenden Horden in den Weg zu stellen, scheitern. Zudem kann niemand erklären, welche mysteriöse Kraft hinter den für eine echte Strategie eigentlich viel zu tumben Ogern steht.

Stattdessen bietet der Band für mich vor allem eines: Langeweile und Konfusion. Im Prinzip sind die Helden hauptsächlich unterwegs, wobei die Schwerpunkte kaum nachvollziehbar gesetzt wurden. Es herrscht der erste spielbare Krieg im noch jungen Aventurien und ein beträchtlicher Teil des Abenteuers spielt in einer unspektakulären Fährstation. Kommen die Helden, die von Hal persönlich angeschrieben wurden, im Heerlager an, wird keine Begegnung mit dem Kaiser, Haffax und seinem Stab inszeniert, sondern ein namenloser Offizier soll die Helden stattdessen briefen. Und Charakterbeschreibungen, mittels denen man solche Situationen selbst kreieren könnte, fehlen vollständig.

Die Ausführung der Schlacht selbst ist vollkommen misslungen, auf mageren drei Seiten wird das Spielprinzip erläutert, das Strategie- Spiel ist zudem ziemlich mau, vor allem fehlt mit dieser banalen Abhandlung völlig eine Atmosphäre.

Natürlich hätte dafür auch für sich gesehen die Enttarnung des Drahtziehers ein gelungenes Abenteuer darstellen können. Aber auch hier ist die Gestaltung schwach. Ein mächtiger Magier wie Galotta haust auf einer Insel, auf der er als Schutz eine Affensippe(!) angesiedelt hat. Keine Untoten, keine Dämonen, nicht einmal ein Söldnerhaufen, sondern Affen! Und als Krönung werden die Helden am Ende auch noch um einen echten Endkampf betrogen, da der Antagonist bei ihrem Eindringen anscheinend bereits den Freitod gewählt hat.

Das ist insofern schade, weil in Ansätzen ja die knapp geschilderte Hintergrundgeschichte Galottas Potential für echte Tiefe und vor allem Tragik geboten hätte, ist doch eine Antriebsfeder die erlittene Demütigung, womit man in einem gewissen Rahmen durchaus sogar Verständnis für seinen Rachewunsch aufbringen könnte.

Hier die Helden eine Schlacht erleben zu lassen, die sie nur knapp mit der Ausschaltung des Ogerlöffels überleben, hätte der Auftakt zu einem furiosen Finale sein können. In der Gewissheit einer zweiten Angriffswelle die Helden zu entsenden, um nun den tobenden Magier auszuschalten, während Hal und sein dezimiertes Heer ihnen den Rücken freihalten, das hätte wahre Dramatik geboten, vor allem, wenn die Helden eventuell sogar noch den Versuch anbringen, Galotta in einem flammenden Appell von seinem Tun abzubringen, während sie sich durch seine Leibwache aus untoten Ogern kämpfen müssen. Dabei hätte ich einem solchen Abenteuer bei entsprechenden tollen Szenen viel Gradlinigkeit überhaupt nicht übelgenommen, aber diese Chance nimmt das Abenteuer nicht im Ansatz wahr, sondern verliert sich leider in Banalitäten.

Natürlich kann man entschuldigend anführen, dass es immer schwierig ist, Neuland zu betreten, die meisten Abenteuer zuvor hatten einen deutlich begrenzteren Rahmen mit ihren einfachen Dungeons oder relativ gradlinige gehaltenen Rechercheaufgaben, eine so umfassende Bedrohung, die auch noch das Ausspielen einer großen Schlacht beinhaltet, existierte zuvor nicht. Und Epik und Bombast allein sind natürlich auch nicht zwingend Garanten für ein großartiges Abenteuer, dafür gibt es gerade bei DSA genügend Gegenbeispiele.

Trotzdem sehe ich dann in der Ausgestaltung leider eine ganze Reihe von Fehlentscheidungen, die dazu führen, dass aus einer interessanten Grundidee ein Abenteuer wird, das sich in einer eklatanten Beliebigkeit verliert. Zudem reicht auch der Platz mit nicht einmal 30 Seiten nicht im Ansatz dazu aus, den Anforderungen einer viel epischeren Grundidee gerecht zu werden. Das ist meiner Meinung nach auch nicht mit dem Alter des Bandes zu erklären, gab es doch zuvor auch schon Publikationen mit einer deutlich höheren Seitenzahl.

So muss der arme Galotta schon bei seinem ersten Auftritt damit leben, dass sein unheimlich facettenreicher und tragischer Charakter unter Wert verkauft wird, was sich leider fortsetzen sollte, steht er doch auch im Zentrum des vollkommen missglückten Bandes „Tal der Finsternis“ und nimmt die Hauptrolle bei der umstrittenen „Schlacht in den Wolken“ ein.

IV. Fazit
Leider ist „Mehr als 1000 Oger“ unterm Strich eine herbe Enttäuschung und bleibt deutlich unter den Erwartungen, die man an eine erste echt epische Geschichte in der DSA- Historie stellen konnte, schlichtweg, weil sich das Abenteuer in Nebensächlichkeiten verliert und nie den Fokus auf das richtet, was an wahrem Potential in der Ogerbedrohung und ihrem Urheber liegt.

Bewertung: Retro- Faktor mangelhaft

3 Kommentare

  1. Bei den Affen stimme ich Dir nicht zu. Untote, Dämonen & Söldnerhaufen, das ist ja so was von „heute“ und absoluter Standard! 🙂 Da finde ich Affen wahrlich viel interessanter, noch dazu sind das echte Großkaliber gewesen! Guck Dir mal die Trefferpunkte an! Und dann erinnere Dich, dass LP ausschließlich nach dem Abenteuer regenerierten, falls nicht gerade ein Heiltrank verfügbar war. Nein, die Kalecken waren unheimlich, gefährlich und eben etwas Besonderes.

    Auch, dass Galotta am Ende tot im Abseits lag – dorthin zu kommen, war schließlich nicht einfach, hat letztlich die Tür für seine Rückkehr in späteren Publikationen geöffnet. Schwierig genug fand ich die Inselsache ohnehin, da kann man auf einen sehr hochstufigen Magier, der mindestens einen der Helden mit ins Grab nehmen wird, eigtl auch verzichten. Aber wir waren 1988 ohnehin noch nicht auf „Endkampf“ getrimmt. Hauptsache, es gab Schätze und AP.

    Wir haben damals übrigens beide Stränge gespielt. Wir waren jung, und die 30 Seiten wollten komplett gespielt werden. 🙂

    Und ach: Im Eingangskapitel wird der „Aventurische Bote“ eingangs erwähnt. Das wurde von uns mit großem Staunen bedacht. Obwohl es sich meiner Erinnerung nach um eine Fußnote handelte, beschlossen wir damals nach einigem Überlegen, dass es sich hierbei bestimmt um ein rein innerweltliches Detail handeln müsse. 🙂 Es dauerte glaube ich noch ein volles Jahr, bis ich wirklich wusste, dass man das Teil beziehen konnte. Der Bote kostete ja auch was, 2 DM, und der Preis war als „Schutzgebühr“ oben rechts vermerkt. „Schutzgeühr“ wiederum hörte sich für mich jungen Stopfen so phantastisch an, dass schließlich auch die Vedes-Verkäuferin davon ausging, dass es sich um einen Spielbegriff handeln müsse, weshalb ich meinen allerersten Boten gratis im Vedes bekam! 🙂

    Ich stimme Dir aber grundsätzlich in der Bewertung zu.

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  2. Da sind unsere Geschmäcker doch etwas verschieden, ich fand die Affen an der Stelle total schräg und unpassend, aber es stimmt, von den TP her haben die ordentlich Bums.
    Galotta überleben zu lassen, finde ich vollkommen richtig. Nur fehlt mir da wenigstens ein Teilerfolg, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stehen und ihn mit letzter Kraft direkt an seinem Tun hindern zu können, bevor er wutentbrannt/mit letzter Mühe das Weite sucht. Ist mir allemal lieber, als da reinzustürmen und nix mehr vorzufinden, da fehlt mir ein echtes Finale.

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