Ein Blick in Ilaris

Vorbemerkung: Unlängst wurde an verschiedenen Stellen eine Diskussion über die Vielfalt innerhalb der DSA-Fanszene geführt, an der auch ich mich beteiligt habe, vornehmlich mit der These, dass eine solche Vielfalt durchaus existiert, allerdings wenig gebündelt und sich wegverschiebend von „traditionellen“ Sammelorten. Ich möchte aus diesem Anlass hier im Blog zukünftig neben den offiziellen Publikationen in Zukunft hin und wieder genau solche Fanwerke etwas mehr in den Fokus nehmen. Schließlich ist das die Essenz einer lebendigen Spielwelt, wenn es genug Menschen gibt, die stetig dafür sorgen, dass neue Impulse eingefügt werden.

Aktuell ist dabei besonders Ilaris bemerkenswert: Nach langer Vorbereitungsphase (begleitet durch ein eigenes Blog) würde vor wenigen Tagen ein über 160 Seiten starkes alternatives Regelwerk zu DSA5 veröffentlicht. Anspruch der Erschaffer um Lukas „Curthan“ Schafzahl ist es, hiermit ein deutlich schlankeres Regelwerk mit einfacheren Mechanismen zu kreieren.

In Zahlen:

– 164 Seiten

– Preis: kostenlos (Download hier und hier möglich)

– Erschienen am 7.7. 2017

I. Aufbau und Inhalt  

Ilaris versteht sich als reines Regelwerk, der gesamte Hintergrund der DSA-Welten (primär der Aventurien-Bezug) wird übernommen und beim Leser auch als bekannt vorausgesetzt, sprich es erfolgen keinerlei Hintergrund-Erläuterungen zur Spielwelt. Einzige Ausnahme sind gelegentlich kurze Ingame-Texte, um in ein neues Kapitel einzuführen.

Zur Einführung wird der grundlegende Probenmechanismus erklärt. Ilaris verwendet die 3W20 Probe als Median, sprich es wird der mittlere Wurf wird als Resultat gewertet und folgend mit den relevanten Modifikatoren verrechnet. „Schnelle“ Aktionen wie Kämpfe werden allerdings mit dem üblichen, einfachen Wurf abgehandelt. Allerdings werden die Resultate anders als im offiziellen DSA ausgelesen, hohe Würfe stellen positive Resultate dar, niedrige Würfe sind negativ. Somit ist beispielsweise die geworfene 1 bei Ilaris ein Patzer. Auch Gruppenproben werden anders verwendet, indem der Spieler, dessen Figur die logischste Wahl darstellt, stellvertretend für die gesamte Gruppe würfelt.

Das Kapitel „Charakter“ widmet sich den Grundlagen der Charaktererschaffung, z.B. den Parametern der Hintergrundgebung unter Aspekten wie Status und Herkunft und den wichtigen Eigenheiten (gemeint sind Stärken und Schwächen), die auch regeltechnische Auswirkungen haben, indem Schicksalspunkte erworben werden können. Besonders konkret werden auch Werte und Steigerungsmodalitäten erläutert. Grundlage hierfür sind die Erfahrungspunkte, die man sowohl zur erstmaligen Generierung als auch zur späteren Steigerung verwendet.

Auch Ilaris basiert auf 8 basalen Attributen (Mut, Klugheit etc.), aus denen sich noch weitere Werte ableiten (Magieresistenz usw.). Talente werden in Ilaris nicht individuell behandelt, sondern es existieren Fertigkeiten als Oberbegriffe (eben mit den Talenten als Teilgebiete), die in drei Stufen der Beherrschung eingeteilt sind. Die entsprechenden Werte geben die Wahrscheinlichkeit an, mit denen ein Einsatz einer bestimmten Eigenschaft bzw. eines Talentes gelingt, im Prinzip ist somit oftmals vorgesehen, dass gar nicht erst gewürfelt werden muss, sondern der Spielleiter entscheiden kann, ob eine Probe gelingt oder nicht. Ilaris verwendet ebenfalls Vor- und Nachteile, oft verknüpft mit Eigenschaftswerten. Beispielsweise kann man sehr detailliert auswählen wie stark die magischen Fähigkeiten einer Figur ausgeprägt sind.

Das Kapitel „Gesundheit“ beinhaltet eine weitere Besonderheit von Ilaris. Zwar gibt es auch hier Lebenspunkte und eine Regeneration, für Kämpfe entscheidend ist aber eine stufig aufgebaute Wundtabelle (mit 8 Stufen). Der Kampf selbst wird im 1W20-Modus abgehandelt, wobei ein besonderes Charakteristikum ansagbare Manöver sind, mit denen man seine Kampfhandlungen aufwerten kann. Unterschieden wird zwischen Basismanövern und aufbauenden Manövern. Außerdem finden sich hier Waffenlisten mit allen relevanten Werten.

Ungewohnt muten die Kapitelüberschriften „Konflikte“ und „Handwerk“ an. Unter Konflikten werden Vergleichsproben verstanden für solche Situationen, in denen man sich in einer wie auch immer gearteten Konfrontation befindet, z.B. in einer Verfolgungsjagd. Solche Situationen werden zudem von weiteren Faktoren beeinflusst, z.B. in welchem Verhältnis die Kontrahenten zueinander stehen. „Handwerk“ deckt zunächst Schaffensprozesse ab, z.B. Regeln zum Erstellen von Waffen oder anderen Gegenständen, außerdem werden hier Regeln für Alchemieerzeugnisse, Jagden, Recherche oder Forschung vorgestellt.

Im Kapitel „Magie“ findet sich alles zum Thema Zauberei. Der Mechanismus funktioniert hier wie im Bereich Fertigkeiten/Talente: Für die Zauberfertigkeiten gibt es Obergruppen, zu denen die einzelnen Zauber als Teilgebiete gehören und dann eben nicht mehr gesteigert, sondern nur noch freigeschaltet/erworben werden müssen. Karmales Wirken ist in vielen Bereichen ähnlich gestaltet, mit Unterschieden in der Regeneration und natürlich sind hier die beherrschbaren Gebiete durch die Wahl der Gottheit eingeschränkt. Allerdings fehlen aus dem Pantheon der Zwölfe noch Tsa, Travia und Rahja, dafür sind auch Ifirn, Nandus und Swafnir enthalten. Folgend nehmen die Beschreibungen der einzelnen Zauber und Liturgien einen vergleichsweise großen Raum innerhalb des Regelwerks ein. Die Wirkungsbeschreibungen werden hier allerdings sehr knapp gehalten, handelt es sich doch um dieselben Zauber- und Liturgien wie im offiziellen DSA.

Vornehmlich an den Spielleiter richtet sich das Kapitel „Kreaturen“. Zunächst werden hier Besonderheiten beschrieben, z.B. der Kampf gegen besonders große Kreaturen (wobei zusätzlich aus dem Computerspielbereich der Begriff „Endgegner entlehnt wurde) oder Schwärme. Zusätzlich sind Regeln für Paktierer und Beschwörer enthlaten, anschließend folgt ein exemplarisches Bestiarium mit konkreten Kreaturenwerten (etwas weiter gefasst als üblich, z.B. finden sich hier auch Orks und menschliche Gegner wie Ritter oder Söldner).

Zuletzt sorgt ein umfangreicher Index für eine gewisse Übersichtlichtkeit.

II. Kritik

Schon der erste Blick auf das Cover, aber auch die Betrachtung des Layouts und der Innenillustrationen lassen erkennen, dass hier unheimlich viel Zeit, Sorgfalt aber vor allem auch Hingabe in die Entwicklung von Ilaris geflossen sind. Für eine kostenfreie Fanpublikation ist hier ein sehr hoher Standard zu erkennen, die lange Schaffenszeit und die planvolle Umsicht sind überall sichtbar, die Illustrationen von Bernhard Eisner können sich zudem wirklich sehen lassen. In dieser Hinsicht überzeugt Ilaris vollkommen.

Genauso ist ein großes Bemühen um eine Übersichtlichkeit über das trotz seiner über 160 Seiten sehr kompakt gehaltene Regelwerk ersichtlich. Allerdings ist dies nicht in jeder Hinsicht von Erfolg gekrönt, stellenweise finden sich hier Probleme, die die Orientierung erschweren. So ist die Anordnung der einzelnen Abschnitte in ihrer Abfolge nicht immer logisch, z.B. finden sich solch basale Aspekte wie die grundlegenden Attribute erst nach komplexen Erläuterungen über die Probemechamismen. Dazu werden erst Regeln zur Magie vorgestellt, denen sich das Kapitel „Karma“ anschließt und dann folgen wieder Kapitel zu den Zaubersprüchen und den Liturgien. Hier wäre es eventuell einfacher gewesen, beide Bereiche deutlicher voneinander zu trennen, statt eine solche Vermischung vorzunehmen. Ebenso sind manche Überschriften z.T. irreführend. Rechercheregeln existieren im Kapitel „Handwerk“, das Kapitel „Kreaturen“ beginnt mit Regeln zum Führen eines Paktierers, menschliche Gegner und echte Kreaturen werden einfach zusammengefasst. Zum Teil besteht ohnehin ein gehöriger Bedarf an Hin- und Herblättern.

Inhaltlich fällt mir als Spieler mit einer gehörigen Distanz zum Thema Regeln die Einordnung zum Teil nicht leicht. Denn: Wer sich auf Ilaris einlassen möchte, muss sich der Tatsache bewusst sein, dass durch die Auslassung von fast jeglicher Hintergrunderläuterung die Konzentration ausschließlich auf sehr zahlenhaltiger Regelbeschreibung liegt. Ilaris ist in meinen Augen keine Einsteigersache, sondern setzt solide Kenntnisse der Spielwelt und auch gewisser Regelmechanismen klar voraus, z.B. werden viele Begrifflichkeiten als bekannt behandelt, d.h. dementsprechende Erläuterungen fallen eher knapp aus.

Der Anspruch, DSA im Regelbereich zu verknappen bzw. zu verschlanken ist für mich absolut erkennbar, z.B. in der Zusammenfassung von Talenten unter dem Oberbegriff der Fertigkeiten oder durch die Wundregeln im Kampf. Natürlich muss man sich auf gewisse Aspekte ein wenig einlassen können, z.B. ist es nach Jahrzehnten DSA nicht ganz einfach, sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass eine gewürfelte 1 keine positiv herausragendes Ergebnis ist, sondern vielmehr eine kapitale und mitunter folgenreichende Fehlleistung. Die Median-Probe mag mathematisch durchaus sinnvoll sein, mir scheint nur der Gedanke etwas merkwürdig, dass quasi zwei meiner Würfe umsonst sind, weil sie ignoriert werden. Allerdings ist die Lektüre alles andere als leichte Kost, vielmehr werden auf den 164 Seiten viele komplexe Bereiche angesprochen. In dieser Hinsicht wäre stellenweise etwas mehr Anschaulichkeit durch mehr Beispiele hilfreich gewesen. Somit ist die Verschlankung eher auf die Menge an Regeln zu konstatieren, nicht auf die Komplexität im Allgemeinen.

Ilaris ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vollständig, z.B. fehlen noch einige Geweihte, die noch nicht spielbar sind, genauso sind die Zauber- und Liturgielisten noch längst nicht komplett, manche Sonderbereiche sind maximal rudimentär enthalten (z.B. der waffenlose Kampf oder Regeln für den Seekampf). Allerdings sind die grundlegenden Mechanismen im Rahmen des Fanwerks so erläutert, dass man diese auch selbst erstellen kann, so man denn die Arbeit investieren möchte.

III. Fazit

Ilaris ist ein ausgesprochen liebevoll erstelltes Fan-Regelwerk, gerade in Sachen Präsentation ist hier ganze Arbeit geleistet worden. Die Übersichtlichkeit bzw. der Aufbau des Werkes können in dieser Hinsicht nicht mithalten, hier sind einige Schwierigkeiten in der Handhabung erkennbar. Inhaltlich ist ein Ansatz der Verschlankung von Regeln konsequent verfolgt worden, allerdings geht dies nicht unbedingt mit einer Reduzierung von Komplexität einher, hier verlangt Ilaris dem Leser einiges an Verständnis- und Vernetzungsleistung ab. Wer den Gedanken reizvoll findet, alle wichtigen Regeln in einem Band zur Verfügung zu haben, dürfte hier durchaus eine interessante Adresse gefunden haben.

6 Kommentare

  1. Wobei beim Waffenlosen Kampf gerne übersehen wird, dass „Unbewaffnet“ eine regeltechnische Nahkampfwaffe wie alle anderen ist und sich damit auch für eigentlich alle Kampfstile qualifiziert solange die anderen Voraussetzungen gegeben sind.
    Soll heißen, dass der Waldmenschen Jäger seinem Gegner nach wie vor mit gezielten Tritten und später auch einem Zat (Todesstoß im Stil Schneller Kampf) zusetzen kann, genauso wie der Thorwaler Boxer seinen Gegner mit einem gepfefferten Schmetterschlag (Hammerschlag im Stil Kraftvoller Kampf) auf die Bretter schicken kann. Mit den Vorteilen „Zerstörerisch“ kann man auch immernoch abbilden, wie er mit bloßen Fäusten Bretter zerschlägt,
    Der Waffenlose Kampf hat somit keinen eigenen Stil, sondern greift wie alle Waffen auf die allgemeinen Kampfstile zurück und hat damit sogar mehr als einen Stil, die er sich halt mit anderen Waffen teilt..
    Dazu ist natürlich zu sagen, dass „Unbewaffnet“ nicht die beste Waffe ist. Das soll sie auch nicht sein.
    Aber dafür muss man auch nicht parallel 2 Stile kaufen, um mit einer Waffe und Waffenlos kämpfen zu können, schlimmstenfalls 2 Fertigkeiten.
    Der Sprung dahin, das „Unbewaffnet“ eine „Waffe“ ist, ist aber etwas unintuitiv, da müsste man sich echt noch was überlegen.

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    1. Prinzipiell natürlich richtig und so auch durchaus sinnvoll – für mich hakt es nur ein wenig daran, dass es bisher keine Möglichkeit gibt, Zerbrechlich loszuwerden. Im eigenen Angriff mit einer beträchtlichen Wahrscheinlichkeit selbst Schaden zu erhalten ist nicht nur „nicht die beste Waffe“, sondern für mich ein (Achtung, der kommt tief:) KO-Kriterium.

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  2. Jap, das ist absolut richtig, aber auch gewollt. Wenn man in ein Schwert schlägt muss man damit rechnen dass man sich verletzt.
    Ilaris sieht nicht vor, dass ein Waffenloser Angriff gleichwertig ist mit einem Waffenangriff ist. Oder ein Messer zu einem Schwert. In dem Punkt sollte es realisitsch sein. Das kann man natürlich mögen oder aber auch nicht, aber es war in dem Fall die Design Entscheidung. Der DnD Mönch ist mit Ilaris so nicht möglich.
    Wenn man in der Gruppe so einen spielen möchte, würde ich empfehlen beim Kampfvorteil „Waffenloser Kampf“ hinzuzufügen, dass „zerbrechlich“ wegfällt.
    Ist von unserer Seite aus nicht vorgesehen, aber ich verteufel niemanden, der es so macht.
    Wenn die Gruppe spass am waffenlosen Kämpfer hat der sich im Nahkampf dem Schwertkämpfer mit (halbwegs) guten Chancen stellen kann…. go for it.
    Die Regeln sind Wachs in euren Händen 🙂

    Wenn man sich nicht von den Regeln entfernen möchte gibt es natürlich im High End Bereich immer die Möglichkeit in Absprache mit dem SL auf der 4. Stufe der Kampfstile einen entsprechenden Vorteil zu kaufen, also auch zerbrechlich loszuwerden.

    Aber soweit ich es bisher mitbekommen habe hat sich bei uns bisher keiner dafür ausgesprochen, zerbrechlich regulär wegkaufbar zu machen. Ich denke also, dass es so auch nicht kommen wird, offiziell.

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  3. Danke für deine Rezension! Ilaris versteht sich tatsächlich nicht als Werk für Einsteiger – die Zielgruppe sind Spieler, die Aventurien schon kennen und Rollenspiele schon gespielt haben. Rückblickend hätte es dennoch an einigen Stellen mehr Erklärungen und Beispiele gebraucht, um die eigentlich recht simplen Mechanismen noch besser erklären und leichter zugänglich zu machen. Das wird es sicher auch noch geben, gemeinsam mit der Einarbeitung aller bisher gefundener Fehler.

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