Retro-Check: Auf der Suche nach einem Kaiser

Vorbemerkung: Gerade in meinen DSA-Anfangszeiten war ich ein ausgesprochen enthusiastischer Spieler und habe alle Hintergrundinformationen zu Aventurien geradezu verschlungen. Seit jenen Tagen gehören auch und gerade Soloabenteuer zu meinen liebsten Zeitvertreiben. Einer jedoch hat es damals geschafft, dieses innige Liebesverhältnis auf eine harte Probe zu stellen: ein Mann namens Karl-Heinz Witzko. Damals (die grauen Vorzeiten, in denen ein häuslicher Internetanschluss noch pure Fantasie war) wusste ich nichts über diesen Mann, kannte ihn eben nur aus den Klappentexten zweier Soloabenteuer, Straßenballade und Auf der Suche nach einem Kaiser. Beide Abenteuer haben mein etwa 14jähriges Ich bis zum Anschlag malträtiert, das Durchspielen hinterließ mich in gewisser Fassungslosigkeit: War ich intellektuell nicht in der Lage zu folgen oder waren es schlichtweg schlechte Abenteuer? Ich verstand kaum, worum es jeweils ging, kam mit den Figuren nicht klar und hatte – im Gegensatz zu den meisten anderen Solos – überhaupt keinen Spaß. Lange habe ich es dabei belassen, die Witzko-Bände einfach als schlechte Abenteuer abzutun, obwohl mein ebenfalls DSA-begeisterter Bruder nie müde wird, dies als meinen größten Irrtum das Rollenspiel betreffend zu bezeichnen. Damit soll nun Schluss sein: Die Lust auf einen Retro-Check hat mich mal wieder befallen und dabei fiel mir nun beim Griff ins Regal Auf der Suche nach einem Kaiser in die Hände.

In Zahlen:

– 55 Seiten

– 412 Abschnitte

– Erschienen 1994

I. Aufbau und Inhalt

Das Abenteuer beginnt mit einer kurzen Vorstellung des Protagonisten, dem die Biografie eines Söldners gegeben wird, der aber just das Pech hatte, dass seine Fähigkeiten als Krieger nicht gefragt waren, sondern er sich stattdessen als Vorleser für einen almadanischen Adeligen verdingen muss und sich somit anstelle von Schurkengesindel und Orkmarodeuren mit Ratgebern über höfische Etikette herumschlagen muss. Eingangs des Abenteuers hat dieses Dasein aber endlich ein Ende, als der Baron ihm einen wahrhaft spektakulären Auftrag gibt: Der Söldling soll niemand geringes als den verschollenen Kaiser Hal finden. Ein erster Anhaltspunkt dazu sei in der bornischen Hauptstadt Festum zu finden.

Somit ist Auf der Suche nach einem Kaiser lange Zeit ein Reiseabenteuer, indem die einzelnen Reisetappen bis Festum ausgespielt werden. Auffällig ist dabei, dass der Weg fast immer variabel gestaltet wird, z.B. hat man mehrfach die Wahl, seine Reiseoptionen individuell zu gestalten: Wer eine Etappe mit einer Kutsche oder einer Gruppe anderer Söldlinge angeht, der wird im Regelfall etwas gänzlich anderes erleben als derjenige, der zu Fuß alleine unterwegs ist. Auch gibt es wenige Abschnitte, die einfach nur eine lineare Weiterleitung vorsehen, fast immer gibt es Wahlmöglichkeiten, die gänzlich andere Erlebnisse verursachen. Der Band hat dementsprechend mit 412 Einzeltexten überdurchschnittlich viele Abschnitte.

Inhaltlich wirkt die Spielwelt etwas anders als bei den meisten Autoren: Die Figuren, denen man begegnet, sind fast durchweg kauzige und skurrile Gestalten, deren Verhalten und Aussagen oft schwer auslegbar sind. Gerade gegen Ende des Abenteuers verstärkt sich dies noch, ist doch ein wichtiger Schauplatz ein Noionitenkloster, teilweise verschwimmen zudem die Ebenen von Realität und Einbildung oder gar Wahnvorstellungen.

II. Kritik

Ganz gleich, wie man das Spielerlebnis letztlich individuell bewertet, eines erscheint mir doch sicher: Karl-Heinz Witzko ist sicherlich einer der ungewöhnlichsten Autoren, die je für DSA geschrieben haben. Das fällt einerseits an dem Erzählstil mit ironischer Distanz auf, sprachlich eindeutig den meisten anderen DSA-Autoren überlegen und dazu mit einer Fantasie ausgestattet, die keinesfalls der angeblich so DSA-typischen Hotzenplotzigkeit entspricht. Das liegt weniger an einem großformatigen Geschehen (so entpuppt sich der Hintergrund des Abenteuers als weit weniger staatstragend als ursprünglich erwartet), sondern daran, dass sich die Erzählweise dem einfach weitgehend entzieht. Die skurrilen Figuren wirken schlicht zu rätselhaft und mysteriös, als dass man sie als normal einstufen würde. Bei jeder Figur, der mein Held begegnet, frage ich mich, ob es sich wirklich um einen einfachen Bauern oder Händler handelt oder eben doch um eine Illusion, einen Attentäter oder Agenten und bei jedem Ort, ob er wirklich real ist oder eine Art Kulisse oder doch ein Trugbild.

Die Handlung wirkt ebenso doppelbödig: Einerseits kann man gerade am Anfang einen sehr konkreten Reiseweg nachverfolgen, andererseits ist gerade der Endteil derart surreal gestaltet, dass hier viele Fragen offenbleiben und Hintergründe bewusst mit viel Interpretationsraum gestaltet wurden. Beispielsweise ist mir am Ende immer noch völlig unklar, ob mein Handeln überhaupt irgendeine positive Konsequenz hatte oder ob ich vielleicht doch Großes geleistet habe.

Tatsächlich habe ich mittlerweile den Eindruck, dass der komplett negativer Eindruck aus meiner Jugendzeit wohl in erster Linie meinem jugendlichen Alter geschuldet war: Zum einen fehlte mir damals tatsächlich einiges an notwendigem Hintergrundwissen über Geschehnisse wie die Unruhen nach Hals Verschwinden oder nostrisch-andergast’sche Konflikte oder maraskanische Eigenheiten. Und zum anderen dürfte sich einiges im Humorbereich sowie so manch eine irdische Anspielung meinem Verständnis entzogen haben, was mir heute umgekehrt gut geläufig ist. In den genannten Bereichen erweist sich Karl-Heinz Witzko als kenntnis- und facettenreicher Erzähler.

Ein weiterer Grund für meinen damaligen Frust war zudem recht simpel: Das Abenteuer weist schlichtweg einen offenbar vom Autor nicht verschuldeten Verweisfehler auf, der in internetfreien Zeiten Mitte der 90er Jahre schwer aufzuklären war: Hat man das Ende erreicht, findet sich dort fatalerweise nicht der eigentlich korrekte Verweis auf den abschließenden Rapport, sondern ausgerechnet auf den damals in allem Solos berüchtigten Abschnitt, der den Weg in Borons Hallen darstellte. Da aber der finale Teil mit seiner fiebertraumartigen Erzählweise möglichweise wirklich in diese Richtung weisen konnte, war ich anscheinend nicht der einzige, der dieses frustrierende Ende für bare Münze nahm und sich maßlos ärgerte, dass alle weiteren Spielversuche stets das gleiche Resultat erbracht, bis irgendwann ein Aventurischer Bote den Irrtum aufklärte, leider aber eben zu einem Zeitpunkt, als das Abenteuer für mich gewissermaßen verbrannt war.

Trotzdem gelingt es mir aus einem einfachen Grund nicht komplett, meinen Frieden mit Auf der Suche nach einem Kaiser zu machen: Hier werden schlichtweg zu viele Elemente aufgegriffen, die mir als Spieler und Leser einfach nicht liegen, ich bin beispielsweise einfach kein Freund von Traumsequenzen und weiß zwar skurrile Figuren durchaus zu schätzen, nicht aber deren gehäuftes Auftreten, so dass man Schwierigkeiten hat, dies als Realität anzunehmen. Letztlich also eher eine persönliche Geschmacksfrage, mitnichten eine der Qualität.

III. Fazit

Auf der Suche nach einem Kaiser ist ein gut und aufwendig konstruiertes Abenteuer mit viel Sinn für Details, stilistisch hervorragend geschrieben. Allerdings muss man bereit sein, sich auf skurrile Charaktere und einige surreal anmutende Szenen einzulassen, die von den üblichen Soloabenteuern mit eher gradliniger Erzählweise stark abweichen.

Bewertung: Retro-Faktor befriedigend (wer den vom Autor gepflegten Humor teilt, kann getrost noch eine Kategorie höher greifen)

10 Kommentare

  1. Mich hat der Verweisfehler damals auch sehr verwirrt, so dass ich mir – ich weiß nicht mehr wie – die Adresse des Autors organisiert und ihn direkt angeschrieben habe. Karli hat auch geantwortet.

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    1. Darauf wär ich damals nie im Leben gekommen, coole Idee. Aus lauter Verzweiflung bin ich irgendwann – aber erst nach mehreren vergeblichen Anläufen – dazu übergangen, alle 412 Abschnitte nach ihren Verweisen zu durchsuchen. Dabei hab ich dann gemerkt, dass keiner davon zum finalen Abschnitt führt. Zwar war dann klar, dass irgendwo ein Fehler ist, aber eben nicht, wo genau. Als ich es dann später im Boten gelesen habe, hatte ich dann damals keine Lust mehr auf einen weiteren Anlauf. Das ist jetzt aber umgekehrt das schöne, wenn ich die alten Solos wieder spiele: Die Erinnerungen sind nach teils über 20 Jahren so lückenhaft, dass es wieder fast neu ist.

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  2. Es klingt so durch, als wüsstest du nach all den Jahren noch immer nicht so recht, wofür die Marke Karli Witzko steht. Zumindest wird das dem Leser suggeriert auch bei der Notenfindung suggeriert.
    Auch ich habe damals in jungen Jahren nicht alles verstanden bei diesem Band oder auch dem Maraskan-Zweiteiler. Aber gerade der Irrenhausbackground dieses Solos macht es doch auch in sich geschlossen und relativ greifbar.

    Für mich damals wie heute mit die besten Solos.

    Und der Esprit solcher Werke ist leider genau das, was den heute so durchschnittlich wirkenden Texten von Ulisses fehlt.

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    1. Naja, ich denke schon, dass wohl jeder irgendwie ein Recht auf individuelle Vorlieben hat. Aber du kannst selbstverständlich gerne für dich in Anspruch nehmen, dass du die Dinge besser als andere verstehst…

      Sorry, es nervt mich maßlos, wenn man so auf seinen eigenen Maßstäben besteht. Ich hab meine Meinung und ich suggeriere gar nichts, jedem steht es frei, sich selbst seine Meinung zu bilden, die meinige jedenfalls steht für sich selbst und ich verlange von niemandem, davon irgendwas zu übernehmen. In dem konkreten Fall ist es einfach nicht mein Sujet, das bedeutet nicht – wenn man mal genau lesen würde – dass ich das Abenteuer nicht für sehr gut geschrieben halten würde.

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  3. Ich halte Witzko für den besten DSA-Autor, den das Spiel bislang kannte. Ich habe oft auch den Eindruck, dass Kritik an der vermeintlichen Verschrobenheit oder Skurrilität seiner Texte mit einer eher geringen Bereitschaft einhergeht, sich auf das Besondere seiner Ideen wirklich einzulassen. „Auf der Suche nach einem Kaiser“ ist aber leider als Solo-Abenteuer in meinen Augen völlig misslungen und einer der ganz wenigen Fälle (neben seinem viel späteren Handy-Solo), in denen seine Ideen für mich überhaupt nicht funktionieren – nicht nur wegen des Verweisfehlers. Mag sein, dass es etwas damit zu tun hat, dass er hier außerhalb seiner Kerngebiete gearbeitet hat. Wie auch immer. Wenn man Witzko in Top-Form erleben will, sollte man m.E. die Solo-Kampagne „Am Rande der Nacht“ / „Die Ungeschlagenen“ spielen, idealerweise noch mit dem Quasi-Prolog „Straßenballade“ vorweg. Mich würde sehr interessieren, was Du zu diesen Abenteuern zu sagen hast.

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  4. Straßenballade hatte ich zuvor gespielt und genauso wenig Spaß gehabt. Wie gesagt, ich glaube, dass das auch eine Alterfrage ist, mit 14 hatte ich wohl auch ein ganz anderes Verständnis von vielen Dingen. Ich glaube aber auch, dass es eine Geschmackssache sein dürfte, ich bin eher ein Freund von gradlinigen Geschichten und kann mit irrational angelegten Figuren nur wenig anfangen. Du bist ja auch ein Fan von Maraskan als Setting, das ja sehr von KHW gepägt wurde, während ich damit nie etwas anfangen konnte. Straßenballade wird aber sicher irgendwann auch eine zweite Chance erhalten.

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  5. Irgendjemand hatte mich damals sogar angerufen und auf den Verweisfehler angesprochen, von dem ich damit zum ersten Mal hörte. Ich bin dann voller Panik zu Karstadt geeilt, wo damals die DSA-Abentuer noch geführt wurden, und hab es gekauft, nur um festzustellen, dass der Anrufer tatsächlich recht hatte.

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  6. Ich war damals unfassbar sauer, weil es wirklich etwas schwierig zu kapieren war, dass da wirklich ein Fehler war. Ich hab wochenlang echt gedacht, dass das die Auflösung wäre, dass man in einer Endlosschleife gefangen ist.

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