Rezension: Tyrannenmord

Vorbemerkung: Immer mehr kristallisiert sich die Heldenwerk-Reihe als eine gute Möglichkeit dar, viel an aventurischer Breite aufzuzeigen, vor allem was die Vielfalt an Schauplätzen quer über den ganzen Kontinent verteilt angeht. Keine Ausnahme bietet hier die neueste Ausgabe Tyrannenmord von Christian Jeub, das einen der eher raren Ausflüge in die Randzone der Khom bietet, wo man sich im Khoramgebirge eines verschwundenen jungen Beys annehmen soll. Der Titel lässt zudem auf eine durchaus epische Handlung schließen, was mich grundsätzlich beim schmalen Heldenwerk-Format immer etwas skeptisch stimmt, haben sich doch meiner Meinung nach die kleinen Plots als besser zu handhaben erwiesen, weil sie weniger Seiten benötigen.

In Zahlen:

– Heldenwerk Nr. 18

– 15 Seiten

– erschienen am 11.6. 2018 (zusammen mit dem Aventurischen Boten Nr. 189)

I. Aufbau und Inhalt

Tatsächlich zeigt sich recht deutlich, dass das Abenteuer eher personenzentriert angelegt ist, werden doch gleich drei Seiten auf die Vorstellung der fünf zentralen Figuren verwendet, während Handlungs- und Ortsbeschreibungen vergleichsweise reduziert ausfallen. Schauplatz des Einstiegs ist das kleine Sandschak (das Äquivalent einer Baronie) Al`Khomaney, dessen Bey kürzlich verstorben ist. Nachdem sein Sohn und Erbe Omar mutmaßlich auf einer Handelsreise im Khoramgebirge verschwunden ist, regiert aktuell der Wesir Abdul, Omars Onkel. Nachdem die Helden jedoch bei der Rettung von Omars Verlobten Sheranbila ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen konnten, bittet er diese, sich auf die gefahrvolle Suche nach seinem Neffen zu begeben, der allem Anschein nach in die Gefangenschaft des blutrünstigen Ferkina-Stammes der Ban Kharbui geraten ist.

An dieser Stelle setzt eine kleine Reisepassage ein, während der man sich mit den Widrigkeiten des Ferkinalandes auseinandersetzen muss, wobei sowohl Flora als auch Fauna ihre Herausforderungen bieten. An der Wohnstatt der Ban Kharbui angekommen, gilt es zum einen Omar zu finden und zudem einen geeigneten Plan zu entwickeln, um diesen zu befreien, was vor allem durch den finster wirkenden Anführer des Stammes, Behl-Shar-Uzur erschwert wird. Allerdings bietet gerade dieser Teil der Handlung einige überraschende Wendungen, so dass auch die Rückkehr nach Al´Khomaney ein veritables Abenteuer darstellt.

II. Figuren

Wie weiter oben schon erwähnt, ist die Handlung sehr zentriert auf ein Quintett von Hauptfiguren, die auf den ersten Blick eine relativ klassische Personenkonstellation ergeben: Da findet man in dem Wesir Abdul einen eher gemütlich wirkenden Auftraggeber, der aus Sorge um seinen Neffen agiert, welcher wiederum den fast prototypischen übermütigen Jüngling darstellt, der in die ihm zugedachte verantwortungsvolle Aufgabe noch hineinwachsen muss. Als Antagonist fungiert ein blutgieriger Stammesführer, der sich in einer Festung verschanzt hat, umgeben von ihm treu ergebenen Fanatikern. Dazu kommt der eher wortkarge Führer Kasim, der seine Rolle als Fährtensucher aber kompetent ausführt und dazu auch im Kampf durchaus hilfreich ist. Zuletzt gibt es mit Sheranbila noch die junge Braut, die sich auf eine ungewisse Ehe einlassen soll und sich nur sehr unwillig in dieses Klischee pressen lässt. Interessant an dieser Kombination ist aber tatsächlich erst das zweite Hinsehen, das dafür sorgt, dass sich im Laufe der Ereignisse die Perspektiven auf gewisse Figuren massiv verschieben können.

III. Kritik

Nach wie vor ist es aktuell fast schon ein Pluspunkt, sich dem aventurischen Süden zu widmen, bleibt es doch dabei, dass Ausflüge in diese Gefilde aktuell eher rar gesät sind. Die Grundkonstellation ist dabei ja sehr klassisch, geht es doch um eine fast schon typische Geschichte um einen lokalen Würdenträger, der in der eher unwirtlichen Region von einem Stamm Wilder entführt wurde. Mit dem Plan der Stammeszuflucht gibt es ein passend erstelltes Areal, in das es einzudringen gilt, wobei hier die Helden ausgesprochen frei in ihrem Vorgehen sind. Auch die weiteren Zutaten sind regionaltypisch stimmig, mit einem Karawanenüberfall im Einstieg, einem festlichen Empfang im Palast des Beys, einer Konfrontation mit den Gefahren des Randwüsten-Gebiets.

Seinen Reiz gewinnt das Abenteuer in dem Moment, in dem die Helden die Scharade durchschauen, in die sie – bislang unwissentlich – involviert sind und die eigentliche Aufteilung von Gut und Böse sich teilweise in das vollkommene Gegenteil umkehrt. Somit kommt ein gewisser Epikfaktor hinzu, geht es doch plötzlich um eine veritable Palastintrige und darum, einem Herrscher zu seinem rechtmäßigen Erbe zu verhelfen, was immerhin mit dem Sturm eines Palastes verbunden ist.

Das ist grundsätzlich ein guter Abenteuerstoff, freilich sind aber auch einige Logiklücken erkennbar: Warum z.B. sollte die Helden Kasim uneingeweiht begleiten, stellen sie somit doch ein zusätzliches denkbares Hindernis für seinen Auftrag dar. Hier wäre es doch eigentlich viel wahrscheinlicher, ihn von willfährigen Schergen eskortieren zu lassen, die ihn bei seinem Unterfangen entsprechend unterstützen. Genauso stellt sich die Frage, warum die Ban Kharbui Gefangene stets fliehen lassen, anstatt Kontakte nach außen generell zu vermeiden und sich sich zu verbergen. Somit ist es doch nur eine Frage der Zeit, bis Feinde anrücken, die dem blutgierigen Stamm den Garaus machen wollen.

Sehr modern gibt sich das Abenteuer in der Darstellung einer Figur, die Merkmale beider Geschlechter in sich vereint, meines Wissens nach erstmalig in einem Abenteuer in Aventurien (für Myranor gibt es das bereits). Das gelingt vorurteilsfrei und angemessen, führt zudem zu einer der angesprochenen Wendungen.

Grundsätzlich muss aber betont werden, dass es sich in vielen Bereichen wirklich eher um eine Abenteuerskizze als um ein spielfertiges Szenario handelt, stellenweise muss der Spielleiter noch viel Arbeit zur Ausgestaltung investieren. Das gilt vor allem für das Finale, z.B. existiert nur eine grobe Karte des gesamten Areals, der Palast selber muss eine Eigenregie gestaltet werden, insgesamt nimmt dieser Bereich im Heft nicht einmal eine ganze Seite ein. Ebenfalls gibt es außer den fünf angesprochenen Figuren keine weiteren NSCs, z.B. müssen alle anderen Palastbewohner und alle Angehörigen der Ban Kharbui außer Behl-Shar-Uzur selbst kreiert werden. Die Reise lässt sich zwar mit dem zur Verfügung gestellten Material nicht völlig ausgestalten, allerdings existieren einige exemplarische Szenen.

Hier werden wieder die Grenzen eines Heldenwerks deutlich. Die Autoren müssen immer die Grundsatzentscheidung treffen, ob sie eine kleinformatige Handlung in sehr engen Grenzen (wenig Orte, wenige Figuren) wählen, die sich gut ausgestalten lässt oder ein großformatiges Geschehen, bei dem mehr Dramatik aufkommt, man sich aber darauf beschränken muss, nur ein grobes Handlungsgerüst zu liefern. Beides ist durchaus legitim, man muss aber mit den genannten Einschränkungen Vorlieb nehmen.

IV. Fazit

Tyrannenmord ist ein überwiegend gelungenes Intrigen- und Reiseabenteuer, das mit einer interessanten Figurenriege aufwartet, die nach und nach einige überraschende Wendungen bedingt und eine abwechslungsreiche Handlung ermöglicht. Das ist nicht immer völlig logisch nachvollziehbar, bedarf zudem einiger Zusatzarbeit für den Spielleiter, der insbesondere das Finale und dessen Schauplatz weitgehend selbst gestalten muss, da in vielen Bereichen nur eine sehr grobe Handlungsskizzierung existiert.

Bewertung: 4 von 6 Punkten

2 Kommentare

  1. Ja, ich bin an anderer Stelle schon darauf hingewiesen worden, dass es wohl kein absolutes Novum darstellt. Ist aber auch schon eine Ewigkeit her, dass ich Strandgut gelesen habe.

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