Rezension: Blutnacht – Das Blut der Castesier I

Vorbemerkung: Mehrteilige Romanreihen bei DSA sind ein sehr spezielles Thema, immerhin sind einige ambitionierte Projekte in der Vergangenheit unvollendet geblieben, zuletzt beispielsweise die Romanumsetzung des Schicksals von Leonardo dem Mechanicus und dessen Agrimoth-Splitters. Umso erstaunlicher, dass jetzt mit Das Blut der Castesier sogar eine 6-bändige Reihe ihren Anfang genommen hat. Allerdings scheint hier die Gefahr eines vorzeitigen Endes gebannt zu sein, ist doch laut Ulisses Spiele der Fortschritt der gesamten Reihe schon sehr weit. Dementsprechend kam die Ankündigung eines solch umfangreichen Projektes sehr überraschend, hat Autor Daniel Jödemann doch schon längere Zeit daran gearbeitet. Zudem wird hier mit den Dunklen Zeiten etwas aufgegriffen, was seit dem Editionswechsel eher wenig Beachtung gefunden hat. Ein Vorteil dieser Epoche liegt natürlich darin, dass die damaligen Ereignisse eher skizzenhaft ausgeführt sind, was es auch ermöglicht – vom eng definierten Metaplot der aventurischen Jetztzeit losgelöst – epischere Geschichten zu erzählen. Der erste Roman Blutnacht hat nun natürlich vor allem die Aufgabe, Hintergrundgestaltung und Figurenexposition zu leisten.

In Zahlen:

– 352 Seiten

– 3 Erzählfiguren

– Preis: 14,95 Euro

– Erschienen am 26.6. 2019

I. Aufbau und Inhalt

Der Roman beginnt mit einer Exposition, die die Ausgangslage skizziert: Zu Beginn der Amtszeit von Yarum-Horas fallen einige hochrangige Adelsfamilien in Ungnade und werden im Zuge der titelgebenden Blutnacht gnadenlos ausgelöscht. Eines dieser Adelsgeschlechter ist das der Castesier. Hier allerdings gelingt es drei Kindern, das staatlich angeordnete Mordkomplott zu überleben. Die junge Livia befindet sich zum entsprechenden Zeitpunkt bei einer befreundeten Adelsfamilie und wird von diesen versteckt und fortan als eigenes Kind ausgegeben, womit sie den Namen Lucia annimmt. Ihre beiden jüngeren Geschwister Sabella und Valerius können hingegen in letzter Sekunde von einem Sklaven in Sicherheit gebracht werden, wobei sich die Zwillinge allerdings aus den Augen verlieren. Somit wachsen die drei Geschwister auf, ohne vom Schicksal der anderen zu wissen.

Nach einem Zeitsprung setzt der Roman nun da an, wenn sie im Erwachsenenalter angekommen sind. Dabei wird abwechselnd kapitelweise die Perspektive Lucias, Sabellas und Valerius aufgenommen.

Lucia hat als Teil der Adelsfamilie der Arponier weiterhin einen privilegierten Platz innerhalb der Gesellschaft eingenommen und wird just zu Beginn des Romans zur Optia (ein hoher Unteroffizierrang) befördert. Ihre Laufbahn beginnt sie dabei als Stellvertreterin des Centurios Prospero in der berüchtigten Legio Coverna, die in der jüngeren Vergangenheit durch den Verlust des Feldzeichens eher zweifelhaften Ruhm erlangt hat. Als feldunerfahrene Offizierin hat sie zunächst einen sehr schweren Stand bei den ruppigen Legionären. Zudem erhält die Legion einen sehr gefährlichen Auftrag, zieht sie doch gen Süden, um dort gegen Elem zu kämpfen.

Valerius hingegen lebt in Puninum, wo er sich mehr schlecht als recht als Dieb und Fassadenkletterer verdingt. Als er die wohlhabende Ariana kennenlernt, ändert sich für ihn vieles, will er ihr doch eine Perspektive anbieten. Dies kann aber nur gelingen, wenn er auf seine bisherigen kleinen Diebestouren zur bloßen Existenzsicherung verzichtet und sich stattdessen mit den großen Untergrundbanden einlässt. Schnell muss er dabei aber auch feststellen, dass mit dem größeren Profit auch einhergeht, dass man in Kauf nehmen muss, die eigenen Moralvorstellungen zu verletzen.

Sabella zuletzt ist als Schülerin des Magiers Andronicus aufgewachsen. Der alternde Nekromant hat seine besten Jahre eigentlich hinter sich, erreicht es aber wider Erwarten, noch einmal als Lehrmeister in der Akademie von Puninum aufgenommen zu werden. Dort ist es vor allem Sabellas Bestreben, endlich ihre Abschlussprüfung ablegen zu können, was ihr Meister allerdings nicht befürwortet. Zudem zeigt sich, dass sie trotz ihrer jungen Jahre bereits vieles über Nekromantie und Dämonologie gelernt hat.

Im Verlauf der Handlung kreuzen sich die Lebenswege der Geschwister noch nicht direkt, allerdings gelangen alle drei an wichtige Scheidewege, die ihnen moralisch schwere Entscheidungen abverlangen.

II. Figuren

Neben den drei oben angesprochenen Erzählfiguren wird natürlich auch eine breite Figurenriege vorgestellt, wobei es sich zunächst um das nähe Umfeld der drei Geschwister handelt.

In Lucias Fall ist es vor allem ihre ehrgeizige Pflegemutter Fastidia, die viel für sie geopfert hat, dafür aber auch klare Vorstellungen hat, was Lucia aus ihrem Leben machen soll. In der Legion fungiert zunächst ihr Centurio Prospero als Vorbild, allerdings ist es vor allem der Legionär Rufus Pulcher, der ihr in seiner hartgesottenen Veteranen-Art vermittelt, worauf es ankommt, um als Offizierin von ihren Untergebenen akzeptiert zu werden.

Valerius erscheint zunächst als leichtlebiger Charakter, allerdings leitet das Verhältnis zu Ariana einen Wandelprozess ein, zeigt sich die junge Adelige ihm gegenüber doch gleichermaßen selbstbewusst als auch fasziniert von seinem Leben als Dieb. Großen Einfluss auf seine Entwicklung nimmt zudem Tacitus, der als Vermittler von Bandenaufträgen fungiert und in dem Fassadenkletterer ein hoffnungsloses Talent sieht.

Sabella ist in vielerlei Hinsicht an Andronicus gebunden, dem sie vollends verpflichtet ist, seit er sie als Kind in einem Waisenheim erworben hat. Der alternde Magus wirkt zunächst völlig perspektivlos, verdingt er sich doch mit kleinen Aufträgen und frönt sonst seiner Alkoholsucht und anderen Lastern. Die Aufnahme an der Akademie löst aber anscheinend einen Wandel aus und lässt ihn wieder seine Höchstform erreichen. Sabella begegnet er meistens kalt und belehrend.

III. Kritik

Die Dunklen Zeiten sind in der Tat vor allem deswegen reizvoll, weil man merkt, dass den Autoren hier die Hände kaum gebunden sind, gibt es doch abseits von wenigen Eckdaten kaum Festlegungen, wohingegen die aventurische Gegenwart extrem dicht beschreiben ist und der Kreativität schnell offizielle Setzungen Grenzen setzen. Dafür begibt man sich hier auf ein dünnes Eis, dass es auf den Leser so wirken kann, dass man simpel einen römisch angehauchten Historienroman schreibt, den man nur dem Namen nach nach Aventurien verlegt hat. Das jedoch gelingt Daniel Jödemann ausgesprochen gut: Die Vorlage des römischen Reiches für das bosparanische Reich ist natürlich in vielen Aspekten zu erkennen, aber trotzdem verspürt man jederzeit, dass man sich auf einem Fantasykontinent in einer wahrhaft dunklen Epoche befindet. Die Anwesenheit von Untoten erscheint fast eine Selbstverständlichkeit, gerade im Handlungsstrang um Sabella ist zudem Magiewirken allgegenwärtig, z.B. in Form vieler verwendeter Zaubersprüche (die aber auch für Leser, die wenig mit DSA vertraut sind, gut erläutert werden), bei Lucia und Valerius ist außerdem die Verbundenheit zu den Göttern Shinxir und Feqz für ihren Charakter bestimmend. Das Nebeneinander von Göttern und Dämonen, die offen verehrt werden, die dekadente Gesellschaft und die engen Reichsgrenzen, hinter denen das unbekannte Barbaricum beginnt, unterstreichen zudem den ungeordneten Charakter, der diese Epoche vom modernen und vertrauten Aventurien abhebt.

Für den Leser interessant gestalten auch die höchst unterschiedlichen Charaktere den Roman, denen zunächst nur das harte Kindheitsschicksal gemeinsam ist: Der selbstsichere Valerius steht am unteren Ende der Hierarchie und beginnt erst langsam zu durchblicken, welche Mächte eigentlich die Unterwelt Puninums steuern. Lucia hingegen mag zwar als Mitglied eines Adelsgeschlechts privilegierter wirken, ist aber im Prinzip kaum Herrin ihrer Entscheidungen, sondern wird von den Wünschen und Anordnungen ihrer Familie und ihrer Vorgesetzten gelenkt und lernt erst langsam, sich gegen diese zu behaupten. Sabella zuletzt ist sicherlich der ambivalenteste Charakter, ist sie doch offensichtlich nicht freiwillig in ihre Existenz als Schülerin des hartherzigen Andronicus geraten und wird von diesem ständig ausgenutzt und von den meisten anderen Figuren kaum beachtet. Allerdings ist sie mit ihrem phänomenalen Gedächtnis fähiger, als alle anderen annehmen, wobei ihre Handlungen teilweise ebenso mitleidlos wie die ihres Meisters wirken.

Aus meiner Sicht ist der Sabella-Handlungsstrang auch der originellste und beste Teil des gesamten Romans, gerade auch weil ihre Handlungen oft überhaupt nicht vorhersehbar sind und man sich bei ihr nicht sicher sein kann, ob man ihren Charakter positiv oder negativ beurteilen soll. Aktuell erscheint hier eine weitere Entwicklung von einer absolut rational agierenden Streiterin für unterdrückte Seelen bis hin zu einer skrupellosen Dämonologin denkbar. Mit Andronicus ist hier auch die interessanteste Nebenfigur vorhanden, der schon im ersten Roman einen beachtlichen Wandel vom unterschätzten Alkoholiker zum gefürchteten Lehrmeister vollzieht.

In Lucias Fall wird eine weitgehend konventionelle Militärgeschichte erzählt, bei der sie durch glückliche Umstände einen schnellen Aufstieg erreicht, was einigen ihrer Vorgesetzten offenbar missfällt. Gerade die Dialoge mit ihrem widerspenstigen Untergebenen Rufus Pulcher sind allerdings die unterhaltsamsten Passagen des Romans, zudem ist dieser Handlungsteil deutlich epischer angelegt, geht es hier doch nicht um Einzelschicksale, sondern um die Geschicke des gesamten Reiches.

Die Erlebnisse von Valerius fallen hingegen für mich etwas ab, ist doch die Geschichte eines Diebes, der sich in eine Höhergestellte verliebt hat und sich mit dem brutalen Alltag innerhalb einer bandenkontrollierten Unterwelt auseinandersetzen muss und dabei droht, seine Unschuld zu verlieren, auch in der Geschichte der DSA-Romane schon vielfach erzählt worden. Hier hoffe ich, dass in den folgenden Romanen mehr Dynamik/Dramatik hinzukommt, das Potential ist durchaus da, nimmt man beispielsweise eine ambivalente Figur wie Tacitus, der gleichermaßen Mentor wie skrupelloser Profiteur zu sein scheint.

Natürlich kann die Qualitätsfrage eines solchen Romans tatsächlich erst zum Abschluss der Reihe beantwortet werden, trotzdem handelt es sich sicherlich um einen hoffnungsvollen Beginn, der auch für die Folge noch viele offene Fragen aufwirft. Neben dem Schicksal der drei Überlebenden bleibt beispielsweise ja auch noch offen, was genau eigentlich dazu geführt hat, dass die Castesier in Ungnade gefallen sind und wer alles in diese Vorgänge verwickelt gewesen ist.

IV. Fazit

Blutnacht stellt einen vielversprechenden Auftaktroman zur Gesamtreihe dar, der vor allem durch die Unterschiedlichkeit der drei Hauptfiguren überzeugt. Allerdings sind aus meiner Sicht nicht alle Handlungsstränge gleichermaßen überzeugend, vor allem dem Dieb Valerius fehlt es noch an Profil, während die junge Magierin Sabella aufgrund ihrer unklaren Agenda die reizvollste Figur darstellt. Die Atmosphäre der Dunklen Zeiten wird atmosphärisch gut geschildert und zugleich auch dramaturgisch passend genutzt.

5 Kommentare

  1. Danke für die Rezension. Nachdem ich mich gerade erst in „Brennen soll Bosparan“ gestürzt habe, bekomme ich nun gleich richtig Lust noch etwas länger in den Dunklen Zeiten zu verweilen.

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  2. Besten Dank für die Rezension. Das liest sich so, als würde es meinen Geschmack treffen. Ich hoffe man erfährt in der Reihe auch viel über vergangene Kulte (Bylmaresh, Shinxir, Brazziraku, etc.).

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    1. So richtig lange Exkurse finden sich nicht, allerdings wird die Götterverehrung immer wieder beiläufig eingebracht. Da fällt klar auf, dass bei Lucia und den Legionären die Shinxir-verehrung sehr aufgeprägt ist. Und natürlich ist das Nebeneinander von Verehrung von Göttern und Dämonen auffällig, weil enorme Unterschiede zum heutigen Aventurien herrschen, z.B. muss Valerius seinem Gott Feqx/Phex Im Verborgenen huldigen, während umgekehrt die Namen von Erzdämonen völlig ungeniert in den Mund genommen werden.

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