Vorbemerkung: Lang, sehr lang ist es her, dass ich das letzte Mal eine neue Erweiterung von Aventuria spielen konnte. Nachdem zwischenzeitlich schon echte Sorgen aufkamen, ist es seit ein paar Wochen endlich soweit, mit Aventuria – Wirtshaus zum Schwarzen Keiler gibt es nun nach zahlreichen Terminverschiebungen wieder reichhaltigen Nachschub für das Abenteuerkartenspiel. Reichhaltig vor allem deshalb, weil es sich eben nicht um eine der normalen Erweiterungen handelt, sondern um eine große Box, die wie das Basisspiel 4 neue Helden beinhaltet und ein langes Abenteuer mit einem neuen Dungeon-Modus. Gerade in dieser Hinsicht ist die spannende Frage natürlich, ob dem bewährten Spielsystem wieder etwas Innovatives hinzugegeben werden kann.
In Zahlen:
– 4 neue Helden
– 1 Abenteuer
– Preis: 44,95 Euro
– Erschienen am 26.7. 2019
I. Inhalt
Zunächst sind vier neue Helden beinhaltet, wobei hier der eindeutige Schwerpunkt auf den Kämpfern liegt: Bei Heigan Malleaux handelt es sich um einen schwer gerüsteten tobrischen Söldner, der sowohl im Nah- als auch Fernkampf über einiges an Durchschlagkraft verfügt. Palinai Elendur von Kurkum ist eine Amazone, die vor allem über viele Möglichkeiten verfügt, ihren Angriffen mehr Wucht zu verleihen. Die maraskanische Buskur Nicole Sororis ist einerseits eine gute Kämpferin mit vielen Ausrüstungsgegenständen aus ihrer Heimat (z.B. dem Hartholzharnisch und dem Diskus), andererseits verfügt sie als Magiedilettantin auch über einige (wenige) Zauber. Etwas aus dieser Reihe fällt der grolmische Händler Neerax Dal. Als einziger ernsthaft magiebegabter Held der Box ist er zwar kein guter Kämpfer, hat aber eine ganze Reihe von Fähigkeiten und Zaubern, mit denen er seinen Gegnern das Leben erschweren kann.
Im Abenteuerbereich ist mit Im Wirtshaus zum Schwarzen Keiler zwar nur ein einziges Abenteuer enthalten, dafür fällt die Karten-Umsetzung des ersten Gruppenabenteuers der DSA-Geschichte ausgesprochen lang aus. Das liegt primär an dem neuen Dungeon-Modus: Das Abenteuer besteht aus insgesamt vier Abschnitten, die aber nicht linear aneinander liegen, sondern durch eine sogenannte Dungeon-Erkundung unterbrochen werden. Die Handlungsabschnitte werden zudem durch Karten aus dem Dungeon-Bereich bestimmt. Nach der altbekannten Einführung, durch die die Helden den Untergrund des Keilers erforschen müssen, gibt es folgend zwischen den Bindegliedern in der Handlung jeweils 5 unterschiedliche Wege, die von einem durch Zufall bestimmten Gegnertypen (Söldner, Neandertaler, Echsenmensch, Ork oder Goblin) bestimmt werden. Von diesen Abschnitten gibt es jeweils 4, so dass es viele Varianten gibt, die jeden Durchlauf anders gestalten, z.B. gibt es auf diese Weise allein 5 inhaltlich verschiedene Finalmöglichkeiten.
Zudem wird die alte Unsitte der Heldengängelung, den Helden Waffen und Ausrüstung zu nehmen, zum Spielprinzip erklärt. Der Abenteuermodus sorgt dafür, dass die Figuren zu Beginn nur über ein Drittel ihrer eigentlichen Kartendecks verfügen, der Rest wird durch sogenannte Verzweiflungskarten ergänzt, wobei es sich um Ausrüstungsgegenstände schlechterer Qualität handelt, z.B. improvisierte Waffen mit weniger Schaden oder einem Malus auf die Attacke. Allerdings erhält man nach und nach (z.B. durch Schatzfunde im Dungeon oder bestandene Herausforderungen bzw. abgeschlossene Kämpfe) die schlagkräftigeren Karten des eigenen Decks, die man sich somit hart verdienen muss.
II. Kritik
Als jemand, der Aventuria wirklich zu schätzen weiß, habe ich es ausgesprochen bedauert, dass so eine lange Publikationspause entstanden ist, was ich insgesamt auch nicht unbedingt als förderlich empfinde. Hier sehe ich tatsächlich die Gefahr, dass ein eher neues Spiel einschläft, wenn die Spieler nicht halbwegs regelmäßig mit Nachschub versorgt wird, der mit gewissen Innovationen die Motivation hochhält. 1-2 Erweiterungen (natürlich nicht im Umfang des Keilers) pro Jahr wären aus meiner Sicht absolut wünschenswert.
Allerdings muss ich auch klar sagen, dass sich in vielerlei Hinsicht das Warten gelohnt hat. Obwohl nur ein Abenteuer vorhanden ist, dürfte man mit der Erforschung des Untergrundes des Schwarzen Keilers mehr als ausgelastet sein. Nach wie vor erweisen sich die aus heutiger Sicht eher trashigen Hintergrundgeschichten der Klassiker als gute Vorlagen für ein Spiel, in dem das Zerlegen von Gegnern der Kernaspekt ist. Somit stören auch die absurden Gegnerkonstellationen, in denen sich Orks, Echsenmenschen und Neandertaler zu einer Wohngemeinschaft zusammengetan haben, nicht weiter. Durch den Modus mit den vielen Abzweigungen (an vier 4 Stellen im Spiel gibt es jeweils 5 zufällig ausgelöste weiterführende Abschnitte) ist der Wiederspielwert sehr hoch, immerhin wird so jede einzelne Partie einen anderen Ablauf nehmen und es dauert theoretisch sehr lange, bis man jeden einzelnen möglichen Teil der Geschichte erlebt hat.
Auch die Idee, die willkürliche Wegnahme von Ausrüstung zum Spielprinzip zu erheben, halte ich für gelungen. Somit sind die Dungeon-Erkundungen immer auch mit der vagen Hoffnung verbunden, im nächsten Bereich die Verzweiflungskarten gegen bessere Gegenstände tauschen zu können und es gelingt auf diese Weise, sein Deck langsam wieder annähernd in seinen Normalzustand zu bringen, so dass man gerade in den späteren Kämpfen deutlich mehr Möglichkeiten zur Verfügung hat. Das ist auch insofern bitter nötig, als dass der Schwierigkeitsgrad relativ hoch anzusetzen ist. Die schiere Länge des Abenteuers und auch die anfängliche Schwäche durch Ausrüstungsmangel sorgen dafür, dass man trotz zwischenzeitlicher Atempausen relativ schnell auf dem Zahnfleisch gehen kann, vor allem dann, wenn man sich für Helden ohne zusätzliche Regenerationsmöglichkeiten im Kampf entschieden hat. Gerade in den höheren Schwierigkeitsgraden ist es ausgesprochen schwer, sich unter diesen Umständen zu behaupten.
Im Duellmodus fällt auf, dass die vier neuen Helden relativ ausgeglichen wirken, zumindest in unseren Testspielen fielen die Kämpfe im Resultat meist sehr eng aus. Keiner der Helden verfügt über ein übermächtiges Deck, allerdings sind alle vier jeweils mit einigen starken Karten ausgestattet, beispielsweise hat die Maraskanerin keine sonderlich starken Waffen, verfügt aber über einige Hruruzat-Angriffe, die je nach Würfelergebnis einigen Schaden anrichten können. Die Amazone erfährt Unterstützung durch ihr Schlachtross, das ebenfalls Gegner angreifen kann. Während der Grolm meisterliches Ausweichen beherrscht (d.h. mit einer Karte dafür sorgen kann, dass sich erlittener Schaden immer halbiert), kann der Söldner mit seinem Schildkampf dafür sorgen, dass der Gegner kontinuierlich einige seiner Karten vom Zugstapel ablegen muss. Sobald einige dieser Karten im Spiel sind, wird die jeweilige Figur für den Kontrahenten richtig unangenehm.
Was mir eher negativ aufgefallen ist, ist die Auswahl der Charaktere allgemein. Hier merkt man meiner Auffassung nach deutlich, dass es sich nicht um Charaktere nach Wahl der Macher handelt, sondern dass diese Resultate eines Crowdfundings sind. So wirkt ein Name wie Nicole einfach sehr unaventurisch, ebenso klingt Heigan Malleaux nicht nach einem Tobrier. Und der Grolm erscheint mir ebenso nicht als die logischste Wahl für einen Magier, hier würde mir aktuell eher ein Druide oder ein Schwarzmagier fehlen. Zuletzt ergibt die Gestaltung der Maraskanerin als Magiedilettantin kaum einen Sinn, da sie ihren sehr niedrigen Wert von 2 kaum nutzen kann, dementsprechend hat sie auch keinen magischen Angriff und nur sehr wenige Zauber, deren Effekte man sicher auch über vergleichbare Talente hätte darstellen können. Drei Kämpfer sind mir zuletzt zuviel, hier hätte ich mir in der Breite unterschiedlichere Charakterkonzepte gewünscht. Generell halte ich nichts von der Idee, dass die Auswahl von Spielfiguren nicht der völligen Kreativität der Macher überlassen wird, sondern einzelne Spieler diese durch ihren finanziellen Einsatz beeinflussen können.
III. Fazit
Aventuria – Wirtshaus zum Schwarzen Keiler ist eine gute und durchdachte Fortführung des Abenteuerkartenspiels, die mit dem Dungeon-Modus ein sehr innovatives Konzept einführt, das einerseits durch seinen großen Umfang für ein sehr herausforderndes Abenteuer und andererseits durch die Anlage von vielen zufallsgenerierten Abzweigungen für einen sehr hohen Wiederspielwert sorgt. Im Duellmodus wirken die Helden sehr ausgeglichen und haben gut durchdachte Decks, die Auswahl der Figuren hingegen gefällt mir nicht.
Bewertung: 5 von 6 Punkten
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