Rezension: Bis ins Mark

Vorbemerkung: Das Rittertum ist – gerade im mittleren Bereich Aventuriens – eines der prägenden Elemente des Settings, sei es, dass die Helden selber eine solche Stellung einnehmen, sei es, dass sie sich mit Vertretern dieses Standes auseinandersetzen müssen, die wahlweise als Auftraggeber, Verbündete oder Gegner fungieren können. Einer sehr ambivalenten Ausprägung des Rittertums kann man in den Gebieten der ehemaligen Wildermark begegnen, da sich dort im Chaos der Folgezeit der borbaradianischen Invasion Sonderformen entwickelt haben, in der die lokalen Adeligen oft bar jeglicher Kontrolle durch eine übergeordnete Obrigkeit agieren konnten. Mit den Folgen dieser Phase setzt sich das neue Heldenwerk Bis ins Mark von Julian Härtl auseinander.

In Zahlen:

– 16 Seiten

– Heldenwerk Nr. 25

– Erschienen am 4.10. 2019 (zusammen mit dem Aventurischen Boten Nr. 197)

I. Aufbau und Inhalt

Einen wesentlichen Teil des Abenteuers nimmt die Vorgeschichte ein, die in die schon erwähnten anarchischen Zustände der Wildermark zurückreicht, als unter anderem Darpatien geprägt war von vielen kleinen lokalen Machthabern, die losgelöst von einer handlungsfähigen Zentralgewalt schalten und walten konnten. Logischer Weise hat sich hier ein Spannungsfeld von wohlmeinenden Beschützern bis hin zu skrupellosen Tyrannen ergeben. Das Heldenwerk beleuchtet aber eher die Grauzone zwischen diesen beiden Extremen. Hier hatte sich der Ritterbund der Stahlherzen zusammengeschlossen, dessen ursprünglicher Sinn der Schutz der wehrlosen Bewohner des Landes war. Allerdings gibt es als Abspaltung davon auch die sogenannten Rostigen Ritter, die eben unter dem Deckmantel des Edelmuts auch für einige Gräueltaten verantwortlich waren.

Durch eine Amnestie der Markgräfin Swanje von Rabenmund sind viele dieser Ritter im Aventurien der Jetztzeit unbehelligt von Strafverfolgung geblieben. Genau aus dieser Konstellation ergibt es sich, dass die Helden bei einem Besuch des Ritterguts Althof in eine Auseinandersetzung hineingeraten, deren Wurzeln in die Zeiten der Wildermark zurückreicht. Schnell erweist sich, dass jemand die ehemaligen Mitglieder des Ritterbundes auf eigene Faust zur Rechenschaft ziehen will.

Somit besteht der weitere Verlauf des Abenteuers aus einer Folge von optionalen Episoden, in denen man versuchen kann, der Bedrohung Einhalt zu gebieten, demnach handelt es sich an dieser Stelle um ein Reiseabenteuer. Mutmaßlich mündet diese Verfolgungsjagd in ein Finale mit einer Auseinandersetzung mit schlagkräftigen Gegnern (für den Finalort existiert auch eine Karte). Da das Verhalten der Helden nicht klar vorhersehbar ist, sind hier mehrere Lösungsmöglichkeiten vorhanden, die gleichsam unterschiedliche Resultate mit sich bringen.

II. Figuren

Im Kern fokussiert sich das Abenteuer auf zwei Figuren. Zum einen ist Gurnhild von Hartheide eine erste Ansprechpartnerin für die Spielergruppe, ist sie doch ihre Gastgeberin in Althof und wird somit auch ihre Auftraggeberin. Ihr Schicksal ist eng verwoben mit dem von Ludeger von Erlenfang, genau wie Gurnhild ein Vertreter des Rittertums, wobei aber beide für ganz unterschiedliche Wertvorstellungen stehen. Im Laufe der Handlung nehmen die Helden großen Einfluss auf das weitere Schicksal beider Figuren. Gemein ist beiden, dass die Schwelle zwischen nachvollziehbaren Taten und verwerflichen Handlungen von ihnen in Vergangenheit bzw. Gegenwart übertreten wurde. Somit ist auch die Grenze von Sympathie und Abneigung sehr fließend ansetzbar.

III. Kritik

Die Grundzutaten dieses Abenteuers sind sehr klassisch, sind sie doch tief im Bereich des Rittertums und des Ehrbegriffs verwurzelt, ein traditionelles Motiv im Fantasybereich, auch bei DSA mehrfach aufgegriffen, z.B. im Bornland. Die blutige Fehde, die unter den Rittern ausgetragen wird und der damit verbundene Rachefeldzug ergeben eine spannende Aufgabe für die Helden, wobei die Aufgabe ja nicht nur darin besteht, den außer Kontrolle geratenen Antagonisten zu stoppen, sondern auch seine Motive nachvollziehen zu können.

Gerade in dieser Motivlage liegt aus meiner Sicht der reizvollste Teil der Herausforderung: Hier halte ich es tatsächlich für eine höchst individuelle Frage, wie die jeweilige Heldengruppe das gegenwärtige Verhalten Ludegers auf der einen Seite und das von Gurnhild und den weiteren Rittern in der Vergangenheit auf der anderen Seite gegeneinander abwägen. Die Bandbreite von könnte von offener Abneigung bis hin zu unterschwelliger bis offener Sympathie für den selbsternannten Rächer reichen. Die beiden zentralen Figuren haben sowohl einige durchaus einnehmende Charakterzüge (der prinzipientreue Rächer vs. die geläuterte Sünderin, die aber zum Wohl der Gemeinschaft handeln wollte), umgekehrt haben sie auch schwere Schuld auf sich geladen. Somit passt es, mehrere mögliche Variablen einzubauen, ich würde sogar die Option für denkbar halten, dass die Spielercharaktere den Antagonisten bei seinem Racheplan unterstützen, statt ihn lediglich laufen zu lassen. Mit der Frage von Schuld, Vergebung und Strafe liegt der Kern des Abenteuers somit gleichermaßen in einer kämpferischen wie in einer moralischen Herausforderung.

Im Aufbau ist mir Bis ins Mark etwas sehr szenisch ausgefallen, basiert die Handlung doch weitgehend auf der Annahme, dass die Helden einer klar ausgelegten Spur folgen (Vom Eintreffen in Althof bis zum ersten Massaker, dann schließt sich die Verfolgung der Täter an, die sie einmal stellen können, um dann im Finale die Entscheidung herbeizuführen). Der Einfluss auf das Geschehen liegt vor allem in der Frage, ob es gelingt, in den einzelnen Episoden einen Unterschied zu bewirken, z.B. ob man bestimmte Figuren retten kann oder ob man zu spät kommt. In Gänze funktioniert dieser Ablauf außerdem nur dann, wenn jeweils das Entkommen des Anführers bis zum Finale ermöglicht wird, was dem Spielleiter die Aufgabe zukommen lässt, dies mit so wenig Willkür wie möglich zu gestalten.

Ohnehin muss dieser – was bei einem Heldenwerk mit überschaubarer Seitenanzahl allerdings normal ist – noch einiges an Arbeit einfließen lassen. Im Abenteuer werden im Rahmen der Verfolgungsjagd mehrere Ortschaften aufgesucht und dort auch Kämpfe bestritten, allerdings ist nur für den Finalort eine Karte vorhanden, auch die Reisewege werden nicht ausgeführt. Ausgearbeitet sind vor allem die Abenteuerhintergründe mit der Vorgeschichte aus der Zeit der Wildermark (diese aber dafür sehr gründlich). Somit gehört auch Bis ins Mark zu den Heldenwerken, die durch das Erscheinen der passenden Regionalspielhilfe viel Zugewinn erhalten dürften. Gut dargestellt ist allerdings die grundsätzliche Stimmung in der ehemaligen Wildermark, die von einem Mentalitätswechsel begleitet wird, allerdings auch durch großes Misstrauen bestimmt ist, z.B. Fremden gegenüber.

IV. Fazit

Bis ins Mark ist ein Heldenwerk mit einem gut ausgearbeiteten Konflikt, der vor allem eine sehr reizvolle moralische Komponente enthält, die die jeweilige Heldengruppe mit großer Wahrscheinlichkeit vor ein gewisses Dilemma stellt, wenn Hell und Dunkel nicht leicht unterscheidbar sind. Verbunden ist dies mit charakterlich sehr ambivalenten NSC, bei denen nicht selbstverständlich ist, wie die Spielercharaktere sie wahrnehmen werden. In der Handlungsfolge ist das Abenteuer eher starr gehalten, hier halte ich es für denkbar, dass nicht jede Spielgruppe dem konsequent folgen wird.

Bewertung: 4 von 6 Punkten

6 Kommentare

  1. Juhuu, wieder eine Rezension, die mich nicht spoilert (wie Ruf der Bahalyr oder Eiserne Flammen) und sich um DSA dreht! Schön geschrieben und informativ.
    Ich neige sehr dazu, das Heldenwerk für meine Gruppe zu leiten, da ich bereits Grimme Herzen von Julian sehr gut fand. (Zusammen mit „Der Dunkle Mhanadi“ mein liebstes Heldenwerk.)
    Positiv finde ich auch, dass man mal wieder etwas aus einer Region hört, von der ich nicht so recht weiß, was dort gerade vor sich geht – mal Abseits vom Almanach.
    Denkst du, ein erfahrener Spielleiter hat mit dem Abenteuer, dem Wiki und dem Almanach genug an der Hand, um die Situation in der Region befriedigend darzustellen, wenn das Jahr des Feuers und die Wildermark-Kampagne quasi unbekannt sind?
    Grüße
    Fred

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