Rezension: Aventurisches Herbarium

Vorbemerkung: Nachdem das Jahr in Sachen DSA-Neuerscheinungen im Vergleich zum Ende 2019 etwas zurückhaltender begonnen hat, ist Ende Januar nun die erste größere Publikation veröffentlicht worden. Das Aventurische Herbarium stellt dabei gewissermaßen das Pendant zu den Bestiarien dar, indem nun auch die Pflanzenwelt Aventuriens tiefergehend erschlossen wird und allerlei nützliche, gefährliche oder schlicht besondere Aspekte der fantastischen Flora vorgestellt werden. Auch hier steht offenbar wieder ein umfangreicheres Projekt an, ist doch ein zweiter Band (später im Jahr erscheinend) bereits angekündigt.

In Zahlen:

– 160 Seiten

– 62 Pflanzen, 70 Rezepte

– erschienen am 30.1. 2019

– Preis: 34,95 Euro

I. Aufbau und Inhalt

Der Kern des Bandes befindet sich bereits im Eingangskapitel Aventurisches Herbarium. Auf je einer Seite werden 62 Pflanzen aufgeführt. Der Aufbau beinhaltet immer einen Ingame-Text, der mal kürzer, mal länger ausfällt. Dabei wird die jeweilige Pflanze beschrieben, bei den kürzeren Texten schließt sich teilweise noch eine Passage an, die weitere Erläuterungen zur Pflanze liefert. Zudem wird in drei Qualitätsstufen angegeben, was Helden über die Pflanze wissen können, von einer laienhaften Sicht bis zum Expertenwissen. Ein Infokasten stellt alles Wissenswerte vor, was im Spiel selbst relevant ist, also Verbreitung, Such- und Bestimmungsschwierigkeiten, Anwendung und Wirkung, den Preis, Rezeptverwendungen und Haltbarkeit, aber auch einen kurzen Exkurs zum Volksbrauchtum. Jede Pflanze verfügt zudem über eine eigene Illustration zur Veranschaulichung.

Das zweite große Kapitel stellt die Anwendung in den Mittelpunkt, indem gut 70 Rezepte (gegliedert in pflanzliche und alchimistische Rezepte) aufgeführt sind. Hier handelt es sich um regeltechnische Angaben, in denen das Rezept allgemein erläutert wird, ergänzt um Angaben zu Stufe, Art, Widerstand, Wirkung, Beginn, Dauer und Preis. Bei den alchimistischen Rezepten werden die Ingredienzien angegeben, welche Art von Labor benötigt wird, Brauschwierigkeiten und Voraussetzungen, der AP-Wert und die erreichbaren Qualitätsstufen. Größeren Raum nimmt ein ganz besonderes Rezept ein: der alraunige Homunculus. Hierbei handelt es sich um eine Möglichkeit, auf alchimistische Weise ein Lebewesen zu erschaffen, das zwar von seinem Erschaffer abhängig und diesem auch wesensähnlich ist, aber über einen eigenen Willen und eine eigene Persönlichkeit verfügt. Das Rezept ist neu (als Erschaffungsjahr wird 1042 BF angegeben). Neben den Angaben zur Erschaffung ist ein großer Kasten mit relevanten Werten vorhanden, zudem gibt es einige Sonderfertigkeiten für den Homunculus.

Dem schließt sich ein allgemeiner Überblick über die Landschaften Aventuriens an, wobei alle Vegetationstypen Aventurien beschrieben werden (nebst Angaben, in welchen Regionen welche dieser Typen vorfindbar sind). Der Schwerpunkt liegt darauf, welche Pflanzen dort vornehmlich vorhanden bzw. prägend sind, wobei beispielsweise zwischen unterschiedlichen Waldtypen unterschieden wird, aber auch zwischen Wüsten und Wüstenrandgebieten. Maraskan wird als große Insel ausgegliedert und erhält einen eigenen Abschnitt.

Zuletzt folgt allerlei Material zur Gliederung bzw. Ergänzung, z.B. ein Index aller Pflanzen, eine Kurzzusammenfassung der Landschaftstypen nebst einem tabellarischen Überblick über Pflanzenverbreitungen. Dazu sind Regelergänzungen vorhanden, die sich Aspekten wie der Kräutersuche, der Haltbarmachung, Alltagsarzneien (nebst einer Tabelle zu Risiken und Nebenwirkungen), der sogenannten alchimistischen Äquivalenzlehre und einer möglichen Sucht beschäftigen. Im Anhang sind wie üblich diejenigen Regeln zusätzlich abgedruckt, die in einzelnen Bereichen des Bandes relevant sind (z.B. für Krankheiten, die durch eine Pflanze verursacht werden können).

II. Kritik

Ich muss zugeben, dass mein Grundinteresse an dem Band im Vorfeld eher gering gewesen ist, bin ich doch generell eher kein ausgesprochener Naturliebhaber und im Rollenspiel verbinde ich mit Pflanzen vor allem die berühmt-berüchtigte (und eben eher nervige) Kräutersuche in der alten Nordlandtrilogie, in der meine Heldengruppe gefühlt ihre halbe Regeneration einer Suchaktion opfern musste, in deren Resultat das Inventar am Ende überfüllt war mit Pflanzen, mit denen ich meist wenig anfangen konnte. Kurz: Ich verbinde damit eher wenig Abenteuerliches.

Tatsächlich stellt sich das im Fall des Aventurischen Herbariums anders dar. Die Pflanzenbeschreibungen im ersten Kapitel sind sehr anschaulich gehalten, vor allem in den Fällen, in denen die Ingame-Texte merklich ausgeweitet wurden und die eher trocken gehaltenen allgemeinen Beschreibungen zurückgefahren wurden. Hier finde ich es ausgesprochen positiv, dass ein gewohntes Konzept auch einmal variiert wird. Die meisten Pflanzen haben einen ganz konkreten Nutzen im Spiel. Im Wesentlichen können sie entweder als Heilmittel oder als Gift verwendet werden oder stellen aufgrund ihrer Wehrhaftigkeit eine Gefahr dar. Gerade diejenigen Pflanzen, die spezielle Eigenschaften haben, finde ich besonders interessant, vor allem abseits der Klassiker wie dem Wirselkraut. Beispielsweise gefallen mir originelle Pflanzen wie der Rote Lotos, der eine Art Atemgift enthält, das Diebe gerne als Fluchthelfer gegen Verfolger einsetzen, oder das Wandermoos, mit dem sich Wasserquellen auffinden lassen. Pflanzen wie die Würgedattel lassen sich zudem als Gefahrenquellen einsetzen, wenn sich eine harmlos aussehende Palme plötzlich als todbringender Gegner erweisen kann. Einige Pflanzen wie die Quasselwurz verfügen zudem über Eigenschaften, mit denen auch profane HeldInnnen erweiterte Mittel erhalten, die sonst oft nur magisch begabten Charakteren zur Verfügung stehen, hier das gewaltlose Lösen einer Zunge mit dem Ziel des Geheimniserhalts. Gleiches gilt natürlich für die Rezepte, mit denen viele Wirkungen absichtsvoll erzeugt werden können, die die Möglichkeiten für Spielercharaktere deutlich ausbauen und die oft sehr subtil eingesetzt werden können. Bei vielen Pflanzen kann zudem allein die reine Beschaffung ein Abenteuer für sich ergeben.

Natürlich ist auch dieser Band nicht gänzlich frei von Längen. So ist das Kapitel zu den Landschaftstypen zwar grundsätzlich nützlich, um eine genauere Vorstellung der Vegetation der einzelnen Regionen entwickeln zu können, aber eben auch sehr langatmig und enthält kaum Anregungen für eine abenteuerliche Ausgestaltung, sondern liest sich eher wie ein Biologiebuch. Gleiches gilt vor allem für die Äquivalenzlehre, die viel zu naturwissenschaftlich beschrieben wird. Mit den vielen Regelbeschreibungen werde ich ohnehin nicht mehr warm, allerdings sind diese natürlich für SpielerInnen notwendig, die die Inhalte konkret nutzen wollen. Gut gelungen ist die Struktur mit vielen Übersichtstabellen, zudem wurde hier sehr sinnhaft mit optischen Hilfestellungen gearbeitet, indem Symbole zur Kategorisierung entworfen wurden, so dass man mit einem Blick erkennen kann, ob es sich um eine Pflanze oder ein Rezept mit heilender oder giftiger Wirkung oder mit einem übernatürlichen oder wehrhaften Faktor handelt.

Das (sicherlich auch bewusst so gesetzte) Highlight stellt aber eindeutig der alraunige Homunculus dar. Das kleine Wesen erscheint mir eine absolute Bereicherung zu sein, auch weil es sehr vielseitig eingesetzt werden kann. Denkbar ist dabei eine Bandbreite vom Helfershelfer eines Schurken über einen störrischen Informationsgeber bis hin zu einem Begleiter für einen Helden/eine Heldin. Ich hoffe sehr, dass solche Figuren in Zukunft auch Verwendung finden, ohnehin würde ich mir mehr von solchen innovativen Ideen wünschen, auch wenn diese natürlich Platz kosten, ist die Beschreibung doch um ein Vielfaches länger als bei jedem anderen Rezept oder jeder Pflanze (wobei ich allerdings der Meinung bin, dass es sich bei diesen 7 Seiten um eine hervorragende Investition handelt). Aber hier fasziniert allein schon, wie viele konkrete Abenteuerszenarios einem spontan in den Sinn kommen. Genau das würde ich für eine wichtige Entwicklung halten: weg von kleinschrittigen Beschreibungstexten, hin zu solchen Konzepten, die direkt spielbar sind.

III. Fazit

Das Aventurische Herbarium ist eine ausgesprochen nützliche Spielhilfe, die unheimlich viele Möglichkeiten bietet, das eigene Spiel zu erweitern, sei es mittels Heilpflanzen oder Giften oder Pflanzen, die wie Gegner eingesetzt werden können. Trotz einiger kleinerer Längen überwiegen gut lesbare und anregende Texte, wobei das Highlight des Bandes eindeutig der alraunige Homunculus darstellt, der extrem vielseitig verwendbar ist.

Bewertung: 5 von 6 Punkten

8 Kommentare

  1. Hi Engor, du bist Mal wieder super schnell. Vielen Dank für die tolle Rezension.

    Ein kleiner Fehler hat sich eingeschlichen. Der Satz ist doppelt: „Hier finde ich es ausgesprochen positiv, Hhh“

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  2. „wurden. Hier finde ich es ausgesprochen positiv, dass ein gewohntes Konzept auch einmal variiert wird.Hier finde ich es ausgesprochen positiv, Hhh Die mei“
    Ich glaube hier ist etwas falsch. Oder übersehe ich gerade etwas?

    Danke für die Rezension, auf die hab ich schon gewartet 🙂 .

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    1. Keine Ahnung, wie sich das eingeschlichen hat. Ich schreibe die Texte in Word vor und kopiere sie dann hier in WordPress rein, da muss ich irgendwas falsch gemacht haben. Ist korrierigert, vielen Dank euch beiden für den Hinweis.

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