Rezension: Flammenspitze

Vorbemerkung: Aktuell ergibt die Zeit etwas Muße, wieder verstärkt neben offiziellen Produkten auch wieder ein wenig Fanwerk in den Fokus zu nehmen. Dabei ist im Scriptorium Aventuris mein Blick auf das Soloabenteuer Flammenspitze von Steve Barnes gefallen, weil ich schon dessen vorheriges Solo Die Speerspitze vor geraumer Zeit rezensiert habe und mir dieser Erstling wirklich gut gefallen hat. Genau wie im Vorläufer steht dabei eine Reise durch die von den Erben Bordbarads besetzten Gebiete an.

I. Aufbau und Inhalt

Das Abenteuer ist im html-Format gestaltet, so dass man sich abschnittweise durchklicken kann und die Abzweigungen wählbar sind. Im oberen Bildbereich wird die aktuelle Lebensenergie angezeigt, darunter ist der Reiter „Held anzeigen“ vorhanden, durch den man sich die Werte des Spielercharakters anzeigen lassen kann. Diese Werte sind teilweise veränderbar, indem bestimmte Entscheidungen ähnlich wie bei einer Heldengenerierung Werte verändern (z.B. indem man einen Vor- bzw. Nachteil wählt), z.B. führt eine zornige Reaktion zur Wahl des Nachteils „Jähzorn“ und dem entsprechenden AP-Bonus.

Die Spielfigur ist dabei nicht frei erstellbar, sondern ist in ihrer Biografie vorgegeben (allerdings existieren die oben angesprochenen Einflussmöglichkeiten, zudem ist die Wahl männlich/weiblich möglich und hat auch an mindestens einer Stelle im Abenteuer eine Relevanz).

Die Handlung setzt sehr unmittelbar ein und versetzt den Spieler in den kleinen tobrischen Ort Hainwacht, der sich im Einflussbereich von Yol-Ghurmak befindet. Dementsprechend herrscht eine finster-triste Atmosphäre in den Extremen von Resignation bis hin zu häufigen Momenten der Bedrohung. Somit beginnt das Abenteuer auch mit einer dramatischen Szene, in der sich die Bewohner des Dorfes in einen alten Grabesturm zurückgezogen haben, während draußen eine übelwollende Kreatur ihr Unwesen treibt und drinnen die Schwester der Hauptfigur eine schwierige Geburt durchlebt.

Der erste, kleinere Teil des Abenteuers ist demnach auf das Dort und die nähere Umgebung reduziert, indem es gilt, einen zerstörten Schutzstein des Turms zu erneuern, wobei es vor allem darauf ankommt, die sich darauf befindliche Runenschrift zu rekonstruieren. Um dies leisten zu können, müssen mehrere Aufgaben erledigt werden. Dieser Handlungsteil ist in sich relativ geschlossen, fungiert dabei als eine Art von Exposition, die die harten Bedingungen vorstellt, in denen die Spielfigur und die anderen Bewohner Hainwachts ihr Dasein fristen.

Deutlich größer wird der Horizont der Geschehnisse, sobald man sich im Auftrag des Dorfes auf den Weg nach Yol-Ghurmak machen soll. Hier wird ein alptraumhaftes Horrorszenario entworfen, in dem die Stadt in jeglicher Hinsicht als lebensfeindlich gezeichnet wird, wenn nicht nur Untote und Dämonen durch die Straßen ziehen, sondern sogar einfache Wetterphänomene wie Regen eine bedrohliche Komponente erhalten. Ziel ist letzten Endes ein Vordringen zu Leonardo persönlich, der dort allgemein als Heiliger verehrt wird. Dazu muss man einige Orte in der götterverlassenen Stadt aufsuchen und lernt eine Reihe von unterschiedlichen Figuren kennen.

II. Figuren

Die schillerndste Figur stellt natürlich Leonardo der Mechanicus dar, der hier aber primär nicht als Feind dargestellt wird oder Zielobjekt eines Kommandounternehmens ist, sondern der in der Sicht eines gewöhnlichen Tobriers den Status eines legitimen Herrschers und sogar eines Heiligen hat und der fast unerreichbar wirkt. In der Stadt selbst lernt man sonst unterschiedliche Figuren kennen, die teils als Feinde, teils als lebensrettende Verbündete fungieren.

Die zweite wichtige Personengruppe sind die Bewohner Hainwachts, denen man durchgehend das lange Leben unter der Knute der Dämonenpaktierer anmerkt, wirken sie doch körperlich und seelisch ausgezehrt, von den desillusionierten Eltern der Hauptfigur bis hin zum opportunistischen Dorfvorsteher Aberdan, der aber selbst den Bedrohungen der Umgebung machtlos gegenübersteht.

III. Kritik

Wie in der Beschreibung von Inhalt und Figuren bereits anklingt, handelt es sich für DSA-Verhältnisse um starken Tobak, die Zustände im von den Erben Borbarads kontrollierten Tobrien werden in ihrer ganzen Tristesse und Lebensfeindlichkeit geschildert. Gerade bei den Dörflern ist die Bandbreite groß zwischen denen, die sich einen Rest Menschlichkeit bewahrt haben und denen, die rücksichtslos nur noch auf den eigenen Vorteil bedacht sind und für die Solidarität in der Leidensgemeinschaft fremd geworden ist. Dabei wird auch gut die Abgeschiedenheit unterstrichen, in Hainwacht existiert keine Ordnungsmacht, die für Schutz sorgt, trotzdem wird die „Heiligkeit“ der Mächtigen in Yol-Ghurmak nicht in Zweifel gezogen. Kurioserweise werden dabei veränderte Machtverhältnisse gar nicht wahrgenommen, so erfährt die Hauptfigur erst auf dem Weg nach Yol-Ghurmak, wer dort gerade herrscht.

Die Gesamthandlung ist gut durchdacht und abwechslungsreich, wobei auch die Kontraste zwischen den diffuseren Bedrohungen in Hainwacht und der geradezu erschlagenden Grausamkeit von Yol-Ghurmak anschaulich zur Wirkung kommen. Dabei ist das Abenteuer in der Gesamtheit sehr narrativ angelegt, nicht immer hat man Wahlmöglichkeiten, sondern die Abschnitte sind nur zur besseren Lesbarkeit unterteilt. Trotzdem hat man zur Genüge Einfluss auf den Fortschritt, vor allem der Handlungsteil in Hainwacht ist auch rätsellastig, zudem muss man mehrfach überdenken, ob man sich bestimmten Bedrohungen aussetzt oder nicht. Kämpfe werden dabei nicht breit ausgetragen, sondern meist über eine einfache Probe, die das Programm selbst verwaltet. Ein Nachteil hier ist aber, dass die Todesabschnitte nicht unbedingt in geringer Zahl angelegt sind, teilweise hat das fast schon klassische Ausmaße, wenn eben eine einzige Probe über Leben und Tod entscheidet. Etwas ärgerlich wird dies in einem längeren Gespräch im zweiten Handlungsteil, das in 6 Dialogteile mit jeweils mehreren Antwortoptionen unterteilt ist und wo es immer nur eine Antwort gibt, die nicht zum sofortigen Tod führt.

Tatsächlich liegt die Stärke der Yol-Ghurmak-Handlung auch eher in der eindrucksvollen Schilderung der Verhältnisse vor Ort, wodurch eine sehr dichte Atmosphäre erzeugt wird, während der Teil in Hainwacht spielerisch anspruchsvoller ist. Jugendbanden, die um ihr Überleben Kämpfen, die Flucht vor säurehaltigem Regen, die mechanische Struktur der Stadt, all das wird sehr deutlich vor Augen geführt. Dies wird sehr konsequent durchgehalten, bis hin zu einem Herrscher, der offenbar jeglichen Bezug zu seinen Untertanen verloren hat, sogar völlig desinformiert wirkt.

In der gesamten Machart wirkt das Abenteuer für ein Fanwerk sehr stimmig recherchiert, man erkennt eindeutig Aventurien und vor allem Tobrien heraus, nichts wirkt generisch. Technisch ist das Durchspielen einfach gehalten, vor allem die Anzeige aller Figurenattribute nebst Inventar ist praktisch, auch wenn die Notizfunktion erwähnt werden könnte, ich habe diese beispielsweise erst gefunden, nachdem ich mir rätselrelevante Inhalte bereits anderweitig notiert hatte. Etwas störend wirken einige Rechtschreibfehler und Buchstabendreher, auf die man hin und wieder stößt, umgekehrt sehe ich dies bei einem Fanprodukt ohne die Möglichkeit zu einem professionellen Lektorat als nicht so schwerwiegend an. Die Speicherfunktion gleicht das häufige Sterben zudem etwas aus, da regelmäßig zentrale Abschnitte existieren, in denen man auf drei Speicherplätzen einen Zwischenstand festhalten kann, ab dem ein Neustart möglich ist.

IV. Fazit

Flammenspitze ist ein gut gestaltetes Soloabenteuer, das für ein Fanwerk sauber recherchiert und gut geschrieben ist. Die Handlung ist sehr atmosphärisch gestaltet mit einer schonungslosen Darstellung der Lebensfeindlichkeit Yol-Ghurmaks. Etwas stärker ist allerdings der etwas bodenständigere Expositionsbereich, der weniger narrativ verfasst wurde. Für meinen Geschmack sind allerdings zu viele Abschnitte vorhanden, in denen man relativ unvermittelt das Zeitliche segnen kann.

5 Kommentare

    1. DSA hat sich von jeher durch eine sehr rege und kreative Fanbasis ausgezeichnet, das war ja schon in den Anfangszeiten so, z.B. in Form des Briefspiels. Von daher ist es wichtig, neben offiziellen Sachen auch immer einen Blick darauf zu werfen. Das geschieht bei mir im Blog aber auch relativ regelmäßig.

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  1. Danke, dass du dich so ausführlich mit meinem Abenteuer auseinandergesetzt hast! Ich kann allen deinen Aussagen nur zustimmen, insbesondere bei den negativen Punkten.

    Den fehlenden Hinweis auf die Notizen habe ich gerade eben ergänzt und mit der aktuellen Version hochgeladen. Ich bin beeindruckt, dass du weitergespielt hast, obwohl du dachtest, du müsstest dir Notizen von Hand machen.

    Ein Lektorat würde dem Abenteuer sicher ebenfalls helfen. Wer mich unterstützen möchte, kopiert einfach den Satz mit Rechtschreibfehler und schickt ihn per E-Mail an dsa_soloabenteuer@gmx.de
    Danke!

    Auch bei den „Todesabschnitten“ muss ich dir recht geben. Ursprünglich wollte ich damit die Ungerechtigkeit des Settings unterstreichen, aber so etwas frustriert Spieler nur und ist schlechtes Design. Daher hatte ich noch zusätzliche Speicherpunkte ergänzt.

    Die Flammenspitze ist tatsächlich sehr narrativ angelegt. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass der Fortgang des Abenteuers manchmal von zuvor getroffene Entscheidungen abhängt. Beim dem Gespräch im zweiten Handlungsteil hat man zum Beispiel mehr richtige Optionen, wenn man vorher bestimmte andere Abschnitte erkundet hat. Beim Verstecken mancher Stränge habe ich aber vielleicht etwas übertrieben. Ich nehme an, das alternative Ende mit der Weltenmaschine hat bisher überhaupt noch niemand gesehen.

    Ich war tief beeindruckt, wie gut du dich in meine Arbeit hineinversetzt hast. Vielen Dank für diese ausgesprochen faire Rezension!

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    1. Gern geschehen, ich hätte aber auch wirklich großen Spaß mit dem Abenteuer (was ich aber wegen der Speerspitze vorher schon geahnt habe). Da ist unheimlich viel Arbeit deinerseits eingeflossen, alleine in Sachen Rechcherche merkt man, dass du sehr gründlich warst. Und was ich ausdrücklich gut finde, ist dass du dich bewusst auch an ein Abenteuer gewagt hast, das nicht kleinformatig bleibt, sondern auch noch an den Puls der offiziellen Geschichtsschreibung geht, wenn sogar Leonardo persönlich auftaucht und du das Innenleben von Yol-Ghurmak zeigst. Im Prinzip kann man das als schönes Vorspiel zu „Eiserne Flammen“ verwenden. Bin sehr gespannt, was als nächstes kommt, ich hoffe das war nicht dein letztes Solo.

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