Das Blut der Castesier – ein Gesamtfazit

Vorbemerkung: Romanreihen haben bei DSA eine wechselhafte Geschichte, vor allem verursacht durch einige Reihen, die im unvollendet bleiben mussten, z.B. die Romanbiographien von Answin und Galotta, aber auch den ursprünglich als Romanduo geplanten letzten Akt der Splitterdämmerung, der nach Salon der Schatten eingestellt wurde. Sehr beachtlich ist es angesichts dessen, dass mit Das Blut der Castesier nun eine Serie von gleich 6 Romanen ohne jegliche Verzögerung binnen weniger als 12 Monaten veröffentlich wurde. Positiv hat sich hier ganz offensichtlich eine längere Planungsphase durch den Autor Daniel Jödemann und Ulisses Spiele ausgewirkt, die ein reibungsloses Erscheinen alle zwei Monate ermöglicht hat. Nachdem ich alle Einzelbände besprochen habe, möchte ich nun abschließend noch einmal einen Blick zurück auf die gesamte Reihe mit ihren Stärken und Schwächen werfen.

Ein Sittengemälde der Dunklen Zeiten

Grundsätzlich positiv ausgewirkt auf den Epikfaktor hat sich die zeitliche Ansiedlung in den Dunklen Zeiten. Anders als im dicht beschriebenen Aventurien der Gegenwart mit all seinen Setzungen und Metaplot-Fallstricken (wobei ich den Metaplot ausdrücklich begrüße) kann man hier als Autor abseits einiger weniger historischer Festlegungen relativ frei agieren und auch größere Handlungsbögen mit Intrigen in der Staatsführung und riesigen Schlachten einbauen und hat das Schicksal der Figuren selbst in der Hand.

Zudem kann man hier auch interessante Varianten erschaffen, handelt es sich doch im Gegensatz zum fast beschaulichen und geordneten gegenwärtigen Geschehen um eine Zeit voller Dekadenz, Verfall und Größenwahn. Die römisch anhauchte Gesellschaft verfügt über eine Führungsschicht, die sich vornehmlich über Einfluss und Geltungssucht definiert, sogar unter den Verwandten – das registriert man über die gesamte Reihe hindurch – herrschen eher geschäftsmäßige Verbindungen. Und auch andere Aspekte setzen deutliche Kontraste zum heutigen Aventurien: Wandelnde Untote verbindet man eher mit den finsteren Umtrieben von Yol-Ghurmak oder verlassenen Burgen. Im bosparanischen Reich hingegen ist ein Untoter als Lastenträger oder Bediensteter etwas Akzeptiertes und Nützliches, allgemein ist Nekromantie nicht verpönt, sondern angesehenes Zauberhandwerk.

Es waren einmal drei Geschwister…

Was klingt wie ein Märchen ist die tragische Hintergrundgeschichte, die lange Zeit sehr bestimmend für die Romanreihe ist. Lucia, Valerius und Sabella sind die wichtigsten Protagonisten, die ständig im Fokus ihrer Handlungsstränge stehen. Interessant ist dabei die Charakterentwicklung, die ich sehr unterschiedlich wahrgenommen habe.

Lucia verfügt anfangs aus meiner Sicht über den interessantesten Hintergrund. Als Offizierin nimmt sie Teil an einem Feldzug, wird in großes Schlachtengetümmel geworfen und steht sinnbildlich für die unerfahrene Kommandeurin, die – zunächst eher inkompetent und rein karrierefixiert – an ihren Aufgaben wachsen muss, dabei nach und nach auch eine Empathie für ihre Mitstreiter entwickelt. Sind ihre Legionäre zu Beginn noch entbehrliche Handlanger zeigt schon ihre Beziehung zu Rufus, dass sie hier einen Wandel vollzieht, was hin zu den freundschaftlichen Banden zu ihren Mitgladiatoren führt. Besonders das Kommandounternehmen in Schwarze Schwingen ist einer der spannendsten Momente innerhalb der Reihe. Dies ändert sich allerdings mit dem Beginn von Stadt der 100 Türme, wenn sie sich in der Gladiatorenschule wiederfindet. Anfänglich ist es durchaus noch reizvoll, wenn die Privilegien-gewohnte Patrizierin sich in den Status einer fremdbestimmten Sklavin einfügen muss. Und die Arenakämpfe stellen natürlich dramatische Highlights dar. Allerdings fehlt mir ab einem bestimmten Punkt hier ein wenig die Weiterentwicklung, letztlich hangelt sie sich von Kampf zu Kampf (natürlich mit einem stetigen Aufstieg verbunden), das nutzt sich aber irgendwann ab, spätestens ab dem 5. Band hatte ich eigentlich das Gefühl, dass ihr als Figur ein neues Umfeld guttun würde, was letztlich erst im Abschluss des 6. Romans geschieht.

Sabella hingegen habe ich von Beginn als die interessanteste Hauptfigur empfunden. Sie wird – und das wird konsequent vom ersten bis zum letzten Roman durchgehalten – nie richtig greifbar, als Leser weiß man nicht, ob man sie wegen ihrer Kaltblütigkeit und ihres Ehrgeizes ablehnen sollte oder ob man sie wegen ihrer Stärke und ihrer überragenden Fähigkeiten bewundern soll. Manchmal agiert sie vermeintlich grausam, was bis zu offenen Mordtaten geht, umgekehrt hat man zumeist das Gefühl, dass ihre Opfer den Tod allesamt verdient haben. Bei ihr ist allerdings auffällig, dass das Motiv einer Mentorenfigur, die die junge Magierin eigentlich ausnutzen will und am Ende feststellen muss, dass Sabella den Spieß herumgedreht hat, recht häufig (gleich dreimal) verwendet wird.

Valerius zuletzt hat aus meiner Sicht die positivste Entwicklung genommen: In den ersten beiden Romanen wirkt er mir als Prototyp des smarten Diebes zu klischeehaft, gerade in DSA-Kontexten wird dieses Motiv ständig verwendet. Die persönliche Tragik, die der Charakter allerdings im Laufe der Handlung erlebt, verändert dies insofern, als dass er sich von dieser Rolle emanzipiert, nach dem Eintreffen in Bosparan ist sein Handlungsstrang um den Konkurrenzkampf der Unterweltbanden und die Suche nach dem Prokurator extrem spannend, auch wenn die Auflösung in Reich der Toten meinen Geschmack nicht so sehr getroffen hat.

Gemeinsam bleibt allen drei Hauptfiguren bis zuletzt ihre Ambivalenz, keine ist als strahlende Identifikationsfigur gezeichnet, alle weisen auch negative Verhaltensmuster und eine gewisse Kaltblütigkeit auf, beispielsweise begehen alle drei im Laufe der Handlung auch mindestens einen Mord, der sich nicht ohne weiteres rechtfertigen lässt. Auch hier merkt man, dass als Hintergrund die Dunklen Zeiten fungieren, in denen solch ein Verhalten offenbar durch die Umstände teilweise legitimiert erscheint.

…und jede Menge Freund und Feind

Aber natürlich besteht die Reihe aus wesentlich mehr Figuren als nur den drei zentralen Protagonisten. Im Laufe der Handlung ist eine beträchtliche Zahl an weiteren Figuren hinzugekommen, allein Valerius mit seiner „Ersatzfamilie“ hat ein beträchtliches Gefolge hinter sich versammelt, ähnliches gilt für Lucia und die weiteren Mitglieder ihrer Gladiatorenschule.

Heraus ragt sicherlich Rufus, dessen Wege innerhalb der Reihe sich mit gleich zwei der Geschwister kreuzen, wobei er sowohl für Lucia als auch für Valerius schnell zur unverzichtbaren Stütze wird. Auch seine Figur ist dabei nicht frei von Wandlungen: Ist er zunächst eher der bauernschlaue, bärbeißige Optio, der vor allem als Überlebenskünstler und Vertreter des einfachen Volks auftritt, wird er nach dem Verlust seines Armes deutlich düsterer in seiner Stimmung. Trotzdem wirkt er auf mich als eine sehr gradlinige Figur, die zunehmend auch als moralisches Gewissen von Lucia und Valerius fungiert.

Ebenso ist die Reihe reich an Antagonisten, die mal länger, mal kürzer eine Rolle spielen. Besonders bemerkenswert sind hier sicherlich die undurchsichtigen Andronicus und Tacitus. Andronicus ist aus meiner Sicht ein hervorragender Gegenpart zu Sabella, da seine Motive stets undurchsichtig bleiben und er trotz aller Antipathie seitens seiner Schülerin ihren Charakter stark prägt. Eine ähnliche Funktion hat Tacitus für Valerius, lernt er von dem erfahrenen Sacerdos doch alles, was er für seinen späteren Aufstieg benötigt, insbesondere wie man als Strippenzieher und Manipulator agiert.

Daneben bleiben manche Figuren sehr lange diffus, wobei vor allem Cassus zu nennen ist, der nur stellenweise direkt erscheint, dafür allerdings sehr prägnante Auftritte hat. Mit ihm kommt auch die staatstragende Komponente hinein, wenn er zuletzt nach dem Adlerthron strebt und er dabei ganz anders als bei seinem ersten Auftreten wirkt, bei dem er eher ein verweichlichter Aristokrat zu sein scheint.

Die überraschendste Wendung hingegen ist dem zweiten Mentor von Valerius vorbehalten: Die Beziehung von Valerius zu Umbra schwankt lange Zeit zwischen Ablehnung eines Verlassenen und Dankbarkeit gegenüber dem Lebensretter, was im Laufe der Handlung mit einer unerwarteten Enthüllung aufgelöst wird.

Als etwas bedauerlich habe ich aufgrund dieser sehr großen Figurenriege den Umstand wahrgenommen, dass die Bände – anders als viele andere Aventurien-Romane – kein Figurenglossar aufweisen, das hätte ich stellenweise als sehr hilfreich empfunden, gerade bei Valerius Bande kann man den Überblick manchmal verlieren.

Rom oder Bosparan?

Wie bereits angesprochen sind die römischen Einflüsse im Bosparanischen Reich unübersehbar. Natürlich besteht dabei durchaus auch die Gefahr, dass zu wenig Fantasy-Elemente integriert sind und es sich nicht wie eine aventurische Handlung anfühlt, was in der Vergangenheit sowohl in Romanen als auch in Abenteuern durchaus auch schon mal zu kurz kam.

Hier muss man sicherlich beachten, dass vieles in einem urbanen Umfeld in einer sehr menschlich geprägten Umgebung spielt: Gerade die Handlungsstränge um Valerius könnten oft auch einem irdischen Antiken-Roman entsprungen sein (abseits der Tatsache, dass Valerius Magiedilettant ist). Deutlich mehr Fantasy-Flair bringt dafür vor allem Sabella mit ihren Fähigkeiten, der dämonischen Präsenz und der Nekromantie ein, bei Lucia ist es der Kontakt mit den Wudu und ihren Umtrieben. In dieser Hinsicht fällt mein Fazit durchmischt aus, stellenweise hätte ich mir noch mehr Wesen und Charaktere gewünscht, die unverwechselbar zu Aventurien gehören, vor allem bei einer solchen Seitenstärke, die über die sechs Romane zusammengekommen ist.

Dramaturgie

Insgesamt muss man ganz grundsätzlich sagen, dass die Romane aus meiner Sicht abwechslungsreich und unterhaltsam geschrieben sind und sie tatsächlich bei mir kaum aus der Hand gelegt wurden, bevor nicht das Ende erreicht war. Durch die ständigen Perspektivwechsel ist man immer wieder in einen neuen Handlungsfortschritt versetzt und will wissen, wie es mit dem jeweiligen Charakter weitergeht.

Dabei sind die ersten beiden Romane gleichermaßen Exposition wie auch – vor allem bei Valerius und Lucia – eine Geschichte von großer Tragik. Gerade der zweite Band Schwarze Schwingen stellt innerhalb der Reihe ein Highlight dar, vor allem durch Lucias Erlebnisse im Dschungel und eben durch Sabellas Konfrontation mit Andronicus. Schade ist lediglich, dass damit in Sabellas Handlungsstrang eine der interessantesten Entwicklungen bereits in diesem frühen Stadium der Reihe abgeschlossen wird.

Ab dem dritten Band ändert sich die Handlungsrichtung etwas: Einerseits wird Bosparan vermehrt der zentrale Schauplatz, was ja auch bis zum Ende so bleibt und man merkt, dass das Schicksal die Geschwister langsam wieder zusammenführt, was sich allerdings noch sehr lange hinzieht. Zudem kann man ab hier davon sprechen, dass der stetige Aufstieg der Castesier beginnt, feiert Lucia doch erste Erfolge als Gladiatorin, während Sabella endlich ihre Prüfung ablegen darf und Valerius sein Emporkommen in der Halbwelt der Stadt beginnt.

Das alles kommt nicht immer ohne Längen aus, wie schon angesprochen wiederholt sich gerade in den Abschnitten um Lucia einiges an Motiven, trotzdem ist es durchaus unterhaltsam, auch in den ruhigeren Momenten, in denen z.B. das Zusammenleben von Valerius und seinen Getreuen beschrieben wird.

Das Ende liefert natürlich wieder eine Spannungsspitze, da auch immer deutlicher wird, dass es eben nicht mehr um das individuelle Schicksal der Castesier geht und überraschenderweise die große Rache eigentlich ausbleibt, sondern vielmehr die Abwehr einer Bedrohung für die gesamte Stadt (und letztlich auch das Reich) abgewendet werden muss, was in ein stimmungsvolles Finale mündet. Dass alle Geschwister dort alle ihre Fähigkeiten und Ressourcen einsetzen müssen, legitimiert auch die vielen Details, mit denen deren Entwicklung geschildert wird. Einige Aspekte werden für meinen Geschmack etwas schnell abgehandelt und nicht vollständig befriedigend abgeschlossen, z.B. wirkt die Einbindung eines Kults des Namenlosen nicht immer überzeugend, das Schicksal mancher Figuren bleibt etwas auf der Stecke, z.B. von Lucias ehemaliger Geliebten Felicita und ihres Gegenspielers Flavius. Auch fehlt es aus meiner Sicht am Ende eines Gegenspielers von Format, Cassus ist als Figur aus meiner Sicht bei weitem nicht so ein reizvoller Gegenspieler wie Tacitus und Andronicus.

Fazit

Das Blut der Castesier ist eine spannende Reihe, die das Potential der Dunklen Zeiten mit all den moralischen Verwerfungen und Intrigen gut nutzt, positiv wirkt sich auch aus, dass durch wenige Setzungen die Handlung recht frei erzählt werden kann. Die Handlungsstränge der drei Hauptfiguren weisen alle trotz gewisser Längen eine stetige Entwicklung auf, auch wenn aus meiner Sicht Sabella eindeutig den interessantesten Charakter darstellt. Als sehr positiv habe ich auch die schnelle Veröffentlichungsfolge wahrgenommen, so dass die Handlungspausen überschaubar bleiben, was sich gerade aufgrund der Vielzahl der Figuren als positiv erweist. Das sicherlich größte Kompliment, dass ich der Reihe hier machen kann, ist der Umstand, dass ich es nach dem letzten Roman sehr bedauere, in zwei Monaten eben keine neuen Abenteuer von Lucia, Valerius und Sabella lesen zu können, da sie mich in den vergangenen 12 Monaten wirklich gut unterhalten haben.

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