Rezension: Sandy Petersens Cthulhu-Mythos

Rezension: Sandy Petersens Cthulhu-Mythos

Vorbemerkung: Mein Blog ist ja ausschließlich auf DSA ausgerichtet und ich muss auch zugeben, dass mein rollenspielerischer Horizont abseits davon ziemlich eingeschränkt ist. Das gestaltet mir die folgende Rezension von Sandy Petersens Cthulhu Mythos in der DSA-Konvertierung nicht gerade einfach, bin ich doch mit Cthulhu, Lovecroft und allem, was dazugehört, nur ausgesprochen oberflächlich vertraut (zumindest nicht in der Rollenspiel-Variante). Ich werden somit versuchen, eine Trennung vorzunehmen, welchen Eindruck der Band allgemein als Rollenspielhilfe erweckt und wie ich die Eingliederung aller beinhalteten Elemente in Aventurien einordne. Generell schwingt bei mir große Skepsis mit, ob es Sinn ergibt, zwei Spielwelten harmonisch miteinander verschmelzen zu wollen.

In Zahlen:

– 420 Seiten

– 4 spielbare Spezies, 24 Mythos-Kulte, 48 Kreaturen, 24 Mythos Götter (nebst Dienern und alternativen Erscheinungsformen)

– Preis: 59,95 Euro

– Erschienen am 14.6. 2020

I. Aufbau und Inhalt

Zunächst fällt natürlich die enorme Dicke des Bandes auf, der mit seinen 420 Seiten sehr stattlich daherkommt. Einleitend wird zunächst der Status des Bandes erläutert, wobei hier eine Gleichsetzung mit Die Schwarze Katze stattfindet, wonach der Cthulhu-Mythos keine Auswirkungen auf Aventurien hat, allerdings Ereignisse aus Aventurien hier einfließen können, demnach ist der Kanon also nicht betroffen. Anschließend werden zunächst einige Hintergrunde (z.B. zu H.P Lovecroft) und generelle Merkmale vorgestellt, vor allem natürlich die Rolle von Horror. Dazu werden die ersten Anknüpfungspunkte gesetzt, z.B. wie die aventurischen Götter und die Großen Alten in Verbindung stehen könnten, zudem wird kurz auf die Traumlande und die Mythos-Magie eingegangen.

Das Kapitel Spezies, Kulturen und Professionen des Mythos konzentriert sich zunächst auf die spielbaren Wesen, also die Katzen der Traumlande, die Mythos-Ghoule, die Gnorri und die Zoogs. Neben den allgemeinen Erläuterungen wird auch deren jeweilige Gesellschaft, der Glauben und die Kultur angesprochen. Ergänzt wird dies um die Professionen, die auch Wertepakete enthalten.

Sehr regelastig ist das Kapitel Talente, Vorteile, Nachteile und Sonderfertigkeiten. Dies enthält im Prinzip alle Regelergänzungen, die für das Spiel mit Mythos-Wesen benötigt werden, also all die Aspekte, die bei aventurischen Charakteren bisher nicht existieren, z.B. ein Vorteil wie Vierhändiger Kampf, da es hier eben Wesen gibt, die darauf zurückgreifen können. Eine wichtige Rolle nehmen auch Wahnsinnsregeln ein, da dies ja eines der prägenden Elemente des Settings ist. Hier erfolgt ebenfalls eine kurze Vorstellung der Traumlande, in deren Realität auch einige Sonderregeln herrschen.

Auch der Mythos-Magie ist ein eigenes Kapitel gewidmet worden, ist diese doch anders strukturiert als aventurische Magie, abhängig von dem Talent Mythos-Magie. Zudem ist Magie hier zwar sehr machtvoll, für den Nutzer aber durchaus riskant, sind sie doch über Grauen-Proben mit der Möglichkeit verbunden, langsam wahnsinnig zu werden. Dazu gehören natürlich viele spezielle Mythos-Zauber, die wie gewohnt mit den üblichen Beschreibungen versehen sind (also der Benennung von Probe, Wirkung, Zauberdauer, Kosten, Reichweite etc.) Eine Besonderheit ist hier, dass für einen Zauberspruch in der Regel noch zusätzliche Komponenten (Gold, Blut, Ritualgegenstände etc.) benötigt werden. Getrennt wird dabei zwischen Zaubern und den deutlich mächtigeren Ritualen, mit denen man beispielsweise besondere Wesen herbeirufen kann.

Mythos-Gegenstände konzentriert sich auf die Präsentation von besonderen Artefakten (zumeist ohne konkrete Regeln), wie z.B. die Silberschlüssel, die den Zugang zu den Traumlanden erlauben. Einiges an Raum wird hier auch den Mythos-Büchern gewidmet, da eingeweihtes (und somit auch gefährliches) Wissen besonders auf diesem Wege vermittelt wird.

Die Anhänger Cthulhus und der anderen mächtigen Wesen sind in dem Kapitel Mythos-Kulte beinhaltet. Hier wird auf all die Gruppierungen eingegangen, die sich auf die (meist verborgene) Verehrung eines Großen Alten oder einer Äußeren Gottheit eingeschworen haben, ggf. werden auch die dazugehörigen Sonderfertigkeiten benannt.

Mit gut 130 Seiten nehmen folgend die Mythos-Kreaturen den größten Raum innerhalb des gesamten Bandes ein: Dabei werden viele Wesen beschrieben, wobei nach einigen allgemeinen Anmerkungen immer ein großer Regelkasten folgt. Ein abschließender Abschnitt geht auf die Verbreitung des jeweiligen Wesens in Aventurien ein. Alle Wesen haben eine teils sehr große Illustration erhalten, womit alle Einzelartikel auf eine Länge von 2-3 Seiten kommen.

Sind die dort beschriebenen Wesen teils schon extrem groß und mächtig, so stellt das Kapitel Mythos-Götter in diesem Aspekt noch einmal eine Steigerung dar. Hier werden die Götter des Settings, die sogenannten Großen Alten aufgeführt. Dabei erhalten sie – anders als aventurische Götter – neben einer allgemeinen Beschreibung auch einen umfangreichen Wertekasten, sind also durchaus greifbare Wesen (auch Cthulhu selbst). Erweitert wird dies häufig noch durch Diener, also Kreaturen, die von ihnen kontrolliert werden bzw. die sich oft in deren Nähe befinden. Neben den allgemeinen Anmerkungen wird auch das Kampfverhalten erwähnt, sowie ebenfalls, ob und wo man in Aventurien auf den jeweiligen Großen Alten treffen kann. Dem Machtlevel entsprechend nehmen diese Artikel bis zu vier Seiten ein.

Im Anhang finden sich – wie bei DSA-Produkten üblich – vor allem Sonderregeln, die für die beinhalteten Wesen notwendig sind. Zudem sind hier auch menschliche Mythos-Gegner vorhanden, z.B. Mythos-Hexen, -Kultisten oder -Magier, dazu noch einige Begegnungstabellen und ein Index.

II. Kritik

Ich rezensiere hier im Dereblick ja seit vielen Jahren DSA-Produkte, allerdings muss ich sagen, dass es mir selten so schwer gefallen ist, zu einer klaren Einordnung zu kommen. Grob gesagt: Handwerklich macht der gesamte Band einen guten Eindruck, allerdings kann ich trotzdem wenig bis gar nichts damit anfangen.

Zunächst ist der allgemeine Eindruck dergestalt, dass es sich um einen ausgesprochen ausführlich gestalteten Quellenband handelt. Sowohl SpielleiterInnen als auch SpielerInnen erhalten eine enorme Menge an Material. Zwar halten sich die spielbaren Spezies auf einem überschaubaren Level, hier sind gerade einmal vier enthalten, allerdings muss man ja zusätzlich noch berücksichtigen, dass auch alle aventurischen Charakterformate ebenfalls nutzbar sind. Vor allem im Bereich der Mythos-Kreaturen erhält man ein riesiges Angebot. Dies wird ja sogar noch erweitert durch die Mythos-Götter, die natürlich als Wesen mit einem außergewöhnlichen Machtlevel auch das Potential an besonderen Antagonisten immens erhöhen. Letzteres finde ich tatsächlich sehr reizvoll. Die Mythos-Götter sind sehr viel greifbarer als die quasi unerreichbaren aventurischen Götter, haben ja sogar Spielwerte. Der Epikfaktor ist damit quasi nach oben hin völlig offen. Umgekehrt stellt das natürlich auch einen klaren Kontrast zu Aventurien dar, das für meinen Geschmack ja bisweilen zu viel bodenständige Akzente erhält. In dieser Hinsicht könnte man es also als eine sinnvolle Erweiterung für all diejenigen betrachten, die sich Geschehnisse von großer Tragweite wünschen.

Ebenso werden die Besonderheiten des Settings erläutert, sowohl in Form der spielbaren Wesen als auch der Traumlande, vor allem aber im Rahmen der Einbindung des Wahnsinns. Der gesamte Hintergrund ist für den Geist als deutlich bedrohlicher als das bekannte Aventurien gestaltet, was sich unter anderem in der Magie-Komponente wiederfindet, indem Magie viel zugänglicher ist, allerdings gleichzeitig in ihrer häufigen Verwendung für die Nutzer und ihren Geisteszustand gefährlich ist.

Was man auch anerkennen muss, ist der Umstand, dass es sich hier augenfällig auch nicht um eine lieblos an Aventurien angeschlossene Aneignung von Fremdmaterial handelt. Zwar ist vieles wohl hauptsächlich dem Original entsprechend (zumindest da, wo keine Widersprüche auftauchen) und der Großteil dürfte damit der Originalübersetzung gleichen (also ohne DSA-Bezug), aber in den Texten finden sich überall zusätzliche Anmerkungen (vor allem bei den Kreaturen und Göttern), in denen die Verbindungen und Anknüpfungsmöglichkeiten zu Aventurien konkret angesprochen werden. Daneben sind natürlich viele Wertekästen und Regelerweiterungen vorhanden, da ja der gesamte Band für DSA5 konvertiert wurde.

Allerdings setzt hier auch mein größter Kritikpunkt an, der sicherlich aber auch sehr viel mit meinem subjektiven Empfinden zu tun hat: So sehr sich um eine Anbindung bemüht wurde und so viel sichtbare Arbeit investiert wurde, es gelingt aus meiner Sicht nicht, hier eine harmonische Verbindung zu finden. Der gesamte Cthulhu-Hintergrund hat etwas zutiefst Pessimistisches, hinter allem verbirgt sich Wahnsinn und Gefahr, optimistische Spielansätze sind für mich kaum ersichtlich. Die Spezies der Traumlande beispielsweise sind zwar von den Regeln her spielbar, ihnen wird direkt aber auch ein verschlagenes und missgünstiges Element zugesprochen. Magie hat zwar eine eigenständige Komponente, die sie deutlich von aventurischer Magie unterscheidet, ist aber gleichzeitig zutiefst destruktiv, so dass sich eine Anwendung quasi ausschließt, zumindest, wenn man seinen Charakter länger bei klarem Verstand spielen möchte.

Die Kreaturen sind zwar als Gegner allesamt nutzbar und sehr effektiv, allerdings ähnelt sich vieles doch sehr. Das Aussehen mag sich zwar differenzieren, Intention und Schlagkraft sind aber oft vergleichbar, es lassen sich auch selten Wesen finden, die man als freundlich und nützlich kategorisieren lassen, hier fehlt es mir an Ausgeglichenheit. Letztlich sind fast alle Figuren grotesk und monströs gehalten. Das spiegelt sich in meiner Wahrnehmung sogar im Artwork wider. Die Illustrationen sind zumeist in verwaschenen Braun- und Grüntönen gehalten, was zwar das Düstere unterstreichen soll, aber eben auch sehr trist wirkt. Auch das nutzt sich irgendwann ab, obwohl man natürlich erkennt, dass dort sehr viel Arbeit investiert wurde.

Im Ganzen sehe ich doch eine klare Trennlinie zu Aventurien: Die ist zwar einerseits sicherlich gewollt, aber umgekehrt sorgt das natürlich auch dafür, dass es schwerfällt, eine harmonische Verbindung zu erkennen. Zwar finden sich überall Anmerkungen zu Aventurien, letztlich gleich sich aber auch das, handelt es sich doch oft um Anmerkungen, dass gerade in dünner besiedelten Gegenden bestimmte Kreaturen oder sogar die Großen Alten auftauchen können, die wenigen Zeilen bieten aber in der Regel kaum mehr als einen knappen Vorschlag, ohne vertiefte Anknüpfungspunkte zu benennen. Im Endeffekt wirkt es so, als habe man sich grob Gedanken gemacht, was wohin passen könnte und dann die Wesen einfach über Aventurien verteilt. Hier wären aus meiner Sicht noch mehr kleine Geschichten eine Möglichkeit gewesen, z.B. dass Magier X Wesen Y versehentlich beschworen hat und deshalb ein Exemplar in seinem Magierturm in der Nähe von Grangor zu finden ist. So etwas würde auch direkt Abenteueranlässe bieten.

Was mir noch zusätzlich auffällt, ist die sehr einseitige Darstellung der Person H.P. Lovecraft: Hier hat man aus dem Original die Würdigungen von dessen Arbeit am Cthulhu-Mythos übernommen, wobei vor allem dessen geschickter Einsatz von Horror gelobt wird. Aus meiner Sicht wäre es wünschenswert gewesen, zumindest stellenweise auch eine kritische Distanz einzunehmen, immerhin kann (bzw. muss) sein Werk aufgrund seiner Ansichten auch durchaus distanziert betrachtet werden (auch wenn mir natürlich klar ist, dass es rechtlich wahrscheinlich schwer umsetzbar ist, bei einem Werk, das ein Verlag nur adaptiert, allzu große Änderungen vorzunehmen).

III. Fazit

Sandy Petersens Cthulhu-Mythos ist sicherlich handwerklich ein guter Band, der eine enorme Bandbreite an Spielmöglichkeiten bietet, gerade als Kreaturenband erweitert er die Palette an spielbaren Wesen für DSA immens. Allerdings relativiert sich die große Seitenzahl etwas, da mir vieles recht ähnlich vorkommt. Ganz generell bleibt bei allen erkennbaren Konvertierungsarbeiten der Eindruck von zwei stark unterschiedlichen Spielhintergründen, für mich gelingt es nicht, einen Brückenschlag vom pessimistischen Cthulhu-Mythos hin zu einem harmonischen Übergang nach Aventurien zu erreichen. Sicherlich ist das aber auch eine sehr persönliche Tendenz, weshalb die folgende Wertung aus Sicht von jemandem, den Cthulhu und dessen Wahnhaftigkeit und Unvorhersehbarkeit fasziniert, deutlich höher angesetzt werden kann.

Bewertung: 3 von 6 Punkten

14 Kommentare

  1. Schöne Rezension.
    Leider passen Lovecrafts Themen mAn mal gar nicht nach Aventurien. Aber wenn sich’s verkauft… das ist halt der Kurs der 5. Edition, leider.

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    1. Würd ich mit einem klaren Jein beantworten. In gewissen Dosen passt das aus meiner Sicht schon nach Aventurien, es gibt ja immer wieder deutliche Anleihen. Das Ganze aber, mit diesem Pessimismus und dem eigentlich systemisch angedachten Scheitern der Helden, das passt für mich nicht.

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      1. Das meinte ich – dass die DSA-Dämonologie (wie fast jede, und natürlich viele Abenteuer, Kreaturen etc.) mehr oder weniger starke Mythos-Anleihen hat, ist nicht zu leugnen, aber gerade deswegen ist es auch überflüssig, diesen in Reinform nun *auch noch* nach Dere zu importieren.
        Zumal das Ganze auch überhaupt nur vor einem „Multiversums-Gedanken“ Sinn macht (Lovecrafts Geschichten wurzeln in unserer Realität, nicht in einem fiktionalen, eigenständigen Kosmos wie Dere oder Mittelerde), der mAn auch nicht zu DSA passt.

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  2. Volle Zustimmung.
    Der Mythos wird teilweise recht plump über den DSA Kosmos gestülpt.
    Den einzigen Vorteil sehe ich darin, dass man den Hintergrund recht einfach auf andere Systeme übertragen kann.

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  3. „Talente, Vorurteile, Nachteile und Sonderfertigkeiten“
    Heißt das Kapitel wirklich so oder sollten das Vorteile statt Vorurteilen sein?

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  4. Was mich am meisten stört
    – es fehlt ein sinnvolle Einbindung in die DSA-Mythologie: woher kommen die ganzen „Monster“? hHnter der 7. Sphäre ist mir zu platt
    – Mythos-Magie funktioniert ganz anders – warum muss das so sein?
    – es fehlt auch z.B. eine Beschreibung der Traumlande
    – dafür bekommt man 130 Seiten „Monster“ und eine neue Form von Magie, die ich nicht brauche

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  5. Ich wollte mir eigentlich die Abenteuer kaufen, um etwas Horrorstoff für Aventurien zu haben. Sehe ich das richtig, dass es nur ein einziges aventurisches Gruppenabenteuer gibt, nämlich eines der Abenteuer in der Anthologie? Da hatte ich auf mehr gehofft. Ich hoffe, das gibt es dann auch einzeln als PDF, da es sich kaum lohnt, den Band zu kaufen, wenn man keine Soloabenteuer spielen möchte.

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    1. Ja, in der Anthologie ist nur ein Gruppenabenteuer. „Schweigen aus Somerrisk“, das andere Gruppenabenteuer spielt ausschließlich in den Traumlanden, da gibt es keine Verbindung zu Aventurien. Sonst gibt es noch die 4seitige Abenteuerskizze „Klappernde Schrecken“.
      Wie die Sachen auf PDF veröffentlicht werden, weiß ich nicht. Ich glaube aber, es ist eher unüblich, dass Anthologien auseinandergezogen werden.
      Alternativ kann ich die etwas ältere Abenteuer-Anthologie „Dämmerstunden“ sehr empfehlen, da sind wirklich gute Horrorabenteuer drin.

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      1. Danke für deine Antwort! Dämmerstunden habe ich schon, darum hätte ich mich auf etwas Neues in diese Richtung durchaus gefreut. Dann warte ich wohl noch deine Rezension ab und entscheide dann, ob sich der Anthologieband auch lohnt, wenn wir nur ein Abenteuer daraus spielen werden 🙂

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