Rezension: Die Hexe vom Schattenwasser – Teil II: Reichsend und Kampagnenband

Vorbemerkung: Nachdem ich im ersten Teil der Rezension einen Blick in die Soloabenteuer und den dazugehörigen Regelteil geworfen habe, möchte ich nun den konkreten Erweiterungsteil genauer betrachten, der direkter an die Geschehnisse aus Das Geheimnis des Drachenritters anknüpft bzw. diese erweitert. Ein weiterer Schwerpunkt liegt zudem im Hintergrundbereich auf der Stadt Reichsend selbst, womit die zweite Box mehr Urbanität in den Mittelpunkt stellt.

Die Stadt Reichsend

Hierbei handelt es sich um eine kurze Spielhilfe (15 Seiten) mit einer Beschreibung der Stadt Reichsend, die das Herrschaftszentrum der Grafschaft Heldentrutz darstellt. Zunächst erfolgt ein kurzer geschichtlicher Abriss, der vor allem die Orkeinfälle als besondere Ereignisse markiert, gefolgt von einer Stadtkarte mit Hervorhebungen der wichtigsten Orte. Präzisiert wird dies durch einige Texte, die die einzelnen Stadtteile genauer vorstellen. Zudem wird die bereits bekannte Personenriege (einige Personen aus Reichsend wie die Gardehauptfrau Erlgard wurden ja bereits in der ersten Box vorgestellt) um einige neue NSC erweitert. Um die Stadt lebendiger zu gestalten, findet sich eine Tabelle mit Zufallsbegegnungen. Der Band schließt mit konkreten Gegnern, auf man in der Stadt bzw. der Umgebung treffen kann, wobei sowohl humanoide Wesen als auch Kreaturen berücksichtigt werden.

Der Abenteuerband – Die Hexe vom Schattenwasser

Der 48seitige Band liefert neuen Abenteuerstoff, passend gestaltet für EinsteigerheldInnen. Dabei findet sich zunächst eine Orientierungshilfe, wie man die Geschehnisse der Erweiterung mit denen aus Das Geheimnis des Drachenritters verbinden kann. Hier werden zwei Optionen berücksichtigt, so dass sowohl darauf eingegangen wird, wie man Die Hexe vom Schattenwasser als Anschlussabenteuer verwenden kann, als auch wie man sie in die vorherige Kampagne einfügen kann, so dass Verschränkungen zwischen beiden existieren.

Inhaltlich steht die titelgebende Hexe vom Schattenwasser namens Xaviera im Mittelpunkt, die eine alte Feindin der Hauptfrau Erlgard ist und nach vielen Jahren, in denen man sie tot wähnte, plötzlich einen weiteren Versuch unternimmt, um der gesamten Grafschaft zu schaden. Aus diesem Konflikt ergibt sich eine Ereignisfolge, die aus 5 kurzen Einzelabenteuern besteht, die zusammen eine kleine Kampagne bilden. Der Anfang erscheint zunächst noch kleindimensional, indem die Spielercharaktere den Auftrag erhalten, einen verschwundenen Bauern zu finden, wobei sich ein Wildnisabenteuer entwickelt, führt die Spur des Verschollenen doch in den Schattenforst, wo allerlei gefährliche Wesen lauern. Als Hilfestellung gibt es einen Spielplan mit einer möglichen Wegbeschreibung, wobei in unterschiedlichen Stationen (mit teils variablen Abzweigungen) Ereignisse stattfinden. Generell ist die Region zudem immer wieder von Konflikten mit Orks und Menschen geprägt, so dass auch hier Interventionsmaßnahmen ergriffen werden müssen, wenn die Gruppe als Entsatz ausgesendet wird. Einen Schwerpunkt bilden zudem kleine Dungeonabenteuer, wenn z.B. Höhlen erforscht oder ein Schmugglerversteck durchsucht werden soll. Dabei sind zwischendurch auch immer wieder Verbindungen zu den beiden Einstiegssoloabenteuern vorhanden. Für die Dungeons sind Bodenpläne bzw. Raumpläne vorhanden. Das letzte Abenteuer bietet schließlich eine abschließende Konfrontation mit der Antagonistin. Dabei sind deren Mittel variabel gehalten. Die HeldInnen haben zudem die Möglichkeit – je nach Verlauf der vorherigen Abenteuer – auf eine mehr oder weniger große Zahl an Verbündeten zurückgreifen zu können. Im Ganzen geht der Abenteuerband davon aus, dass die Spielgruppe Zugriff auf Das Geheimnis des Drachenritters hat, so dass viele Verweise auf die erste Box existieren und z.B. bereits bekannte Figuren nicht ein zweites Mal beschrieben werden.

Sonstiges Material

Daneben sind wie bei der ersten Einsteigerbox noch eine Reihe vom Bodenplänen mit den Schauplätzen der Kampagne als Hilfestellung für Kämpfe enthalten sowie Acrylmarker mit den Gegnern, um diese auf den Plänen zu platzieren. Zudem gibt es ein kurzes „Lies mich zuerst“- Heft, das in die Spielhilfe einführt, zuletzt sind noch ein Würfelset und Schicksalspunkte beinhaltet.

Kritik

In vielen Bereichen ist ein ausgesprochen nahtloses Anknüpfen an Das Geheimnis des Drachenritters erkennbar. Bemerkbar macht sich dies u.a. in einer gewissen Lernkurve für SpielleiterInnen, indem z.B. gerade zu Anfang viele Vorlesetexte vorhanden sind, die genauere Beschreibungen bieten, so dass man in dieser Phase nicht viel selbst entwickeln muss, was dann im Verlauf abnimmt. Dafür gibt es vor allem viel räumliche Orientierung in Form von Übersichtskarten mit vielen Wegmarkierungen im ersten und letzten Abenteuer, so dass man eine klare Folge ersehen kann und somit die Bewegungen der Gruppe gut koordinieren kann, in anderen Abenteuern sind es dafür Dungeonpläne. Allerdings lassen gerade die Pläne mit den Wegmarkierungen fast schon den Charakter eines Brettspiels entstehen. Das mag hier erstmal eine sinnvolle Hilfestellung sein, hat aber den Nachteil, dass so für EinsteigerInnen möglicherweise ein falscher Eindruck von DSA erweckt werden könnte. Allerdings halte ich das vor allem für eine Geschmackssache.  

Auch was die Ereignisfolge angeht, zieht die Kurve an Dramatik klar an, hier merkt man deutlich, dass davon ausgegangen wird, dass die Erweiterungsbox nicht ganz an der Basis ansetzt, sondern die Spielercharaktere sich ihre ersten Sporen bereits verdient haben, da sie sich durchaus mit einigen harten Gegnern auseinandersetzen müssen. Gut gelungen ist zudem die Verbindung beider Boxen, indem für beide Verläufe (nach der Einsteigerbox oder parallel dazu) jeweils sinnvolle Ablaufvorschläge existieren. Die einzelnen Abenteuer haben dabei unterschiedliche Schwerpunkte, wobei ein Schwerpunkt auf den Konflikt mit den Orks der Region legt, was aber auch aufgelockert wird, vor allem durch das Ausheben der Schmugglerbande. Mit Xaviera wird zudem eine klassische Antagonistin aufgebaut. Hier muss man weiterhin betonen, dass dies für EinsteigerInnen sicherlich motivierend und abwechslungsreich ist, während erfahrene SpielerInnen wahrscheinlich eher unterfordert sind, auch weil die Schwerpunkte eher auf Interaktion mit den NSC und Kämpfen liegen, während große moralische Fragen oder Rätsel nicht unbedingt im Mittelpunkt stehen. Gut gelungen finde ich den Ansatz, dass die Handlungen in den einzelnen Szenarien am Ende eine Auswirkung haben, indem z.B. wichtige Verbündete gewonnen werden können. Sehr positiv ist es aus meiner Sicht auch zu bewerten, dass trotz einer gewissen Bodenständigkeit nicht knausrig mit schönen Fantasyelementen im Bereich der Hilfsmittel umgegangen wird, indem man zwei Artefakte erlangen kann, die vor allem auf die beiden neuen Heldenfiguren abgestimmt sind. Diese fügen sich ohnehin sehr gut in die Kampagne ein, da sowohl Hexe als auch Streuner gut eingebunden werden können, indem gerade ihre Spezialgebiete gefragt sind.

Was mich etwas irritiert ist der Umstand, dass entgegen der Ankündigung die gesamte Box kaum urbane Schwerpunkte hat, die Die Hexe vom Schattenwasser im Bereich des Hintergrundes merklich von Das Geheimnis des Drachenritters unterscheiden. Fast alle Abenteuer haben zwar Reichsend als Ausgangspunkt, führen aber letztlich wieder in die Wildnis, so dass die Stadt als Abenteuerhintergrund fast gar nicht verwendet wird. Die kleine Spielhilfe arbeitet den Ort zwar im überschaubaren Rahmen gut aus, allerdings hätte ich dann zumindest auch ein reines Stadtabenteuer erwartet, was sicher auch dazu beigetragen hätte, noch mehr Abwechslung zu schaffen. Was hier aus meiner Sicht hilfreich sein könnte, wären weitere Abenteuervorschläge in der kurzen Stadtspielhilfe gewesen. Dafür wären vor allem die menschlichen Gegner und Kreaturen verzichtbar gewesen.

Im Regelbereich fällt auf, dass zwar weiterhin eine sinnvolle Reduzierung stattfindet, allerdings ist man weiterhin auf die vorgegebenen HeldInnen reduziert, einfache Regeln zur Generierung eigener Figuren sind auch für die Erweiterung nicht entwickelt worden.

Weniger inhaltlich ist mein letzter Kritikpunkt: Für mich etwas schwer nachvollziehbar ist die Preisgestaltung. Die Box hat natürlich ein klare Wertigkeit, indem neben den Heften mit den Bodenplänen, den großen Heldenbögen und den Gegnermarkern viel Zusatzmaterial beinhaltet ist. Trotzdem ist es etwas schwer nachvollziehbar, dass nur knapp 5 Euro Preisunterschied zwischen beiden Boxen besteht, obwohl in der ersten Einsteigerbox im Printbereich doppelt so viel Material vorhanden ist (4 statt zwei Helden mit Heldenbögen, 2 statt einem Abenteuerband, wobei Das Geheimnis des Drachenritters addiert auf fast 150 Seiten Abenteuer kommt, dazu sind sowohl der Regelband als auch die Beschreibung der Heldentrutz jeweils fast im dreifachen Umfang ihrer Äquivalente in Die Hexe vom Schattenwasser angelegt). Hier stimmen aus meiner Sicht die Relationen eindeutig nicht. Während ich die Preisgestaltung bei Das Geheimnis des Drachenritters (die stellenweise ja auch kritisiert wurde) gut nachvollziehen kann, sehe ich das hier kritischer, auch weil für mich die Spielmarker eher ein nettes Gimmick sind und ich das Printmaterial als das eigentliche Herzstück ansehe. Tatsächlich hätte ich in dieser Hinsicht eine längere Kampagne erwartet. Frappierend fällt das auch beim Öffnen der Box auf, die völlig überdimensioniert ist im Abgleich mit dem Inhalt. 

Gesamtfazit

Die Hexe vom Schattenwasser stellt insgesamt eine gute Erweiterung der Einsteigerbox dar. Das Material ist weiterhin dazu geeignet, Aventurien einsteigergerecht vorzustellen, was sowohl die SpielerInnen als auch die Spielleitung betrifft. Die Verknüpfung von Soloabenteuern zur ersten Regelvorstellung und Gruppenabenteuern zum beispielhaften Eintauchen ist gelungen. Allerdings sind die Abenteuer aus Die Hexe vom Schattenwasser sehr kampflastig und das Potential der Stadt Reichsend wird überraschend wenig genutzt. Sehr unausgewogen wirkt zuletzt die Preisgestaltung, besteht doch inhaltlich ein großer Unterschied zwischen der ersten Einsteigerbox und der Erweiterung, hier ist nur halb so viel Material enthalten, der Preis liegt aber nur knapp darunter.

Bewertung: 4 von 6 Punkten                

2 Kommentare

  1. Danke für die Rezension!

    Ist eigentlich eine Anleitung enthalten, wie man die Stadtbeschreibung als Spielleiter nutzen kann? Also wie man z.B. Abenteuer daraus entwickelt?

    Ich bemerke das bei mir selbst oft beim Lesen von Regionalspielhilfen, wenn mit durch den Kopf geht: „Aha, interessant. Und jetzt?“ Könnte mir vorstellen, dass viele Einsteiger (und andere) dieses Problem haben.

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    1. Ich hab nochmal nachgeschaut, nein, eine solche Anleitung gibt es nicht. Allerdings gibt es ja in „Das Geheimnis des Drachenritters“ einige Anregungen, wie man aus Hintergrundbeschreibungen Abenteuer entwickelt. Die jetzige Box versteht sich ja als Erweiterung dessen, vielleicht ist das deshalb nicht mehr explizit aufgenommen worden. Was ich in dem Heft auf jeden Fall vermisse sind 1-2 Seiten mit kleinen Szenenariovorschlängen in Reichsend, sowas sollte aus meiner Sicht immer in Spielhilfen drin sein.

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