Vorbemerkung: Das Jahr neigt dem Ende zu, doch ein letztes Heldenwerk für 2021 ist jetzt noch erschienen. Puppenspiel von David Frogier de Ponlevoy fällt die Aufgabe zu, das Heldenwerk-Jahr zu beschließen. Reizvoll klingt allein schon der Schauplatz, da in Mirham schon seit längerer Zeit kein Abenteuer mehr gespielt hat. Mit einer geheimnisvollen Statue und einer illustren Personenriege scheint zudem der richtige Hintergrund für ein Detektivabenteuer gegeben.
In Zahlen:
– 15 Seiten
– Heldenwerk Nr.39
– erschienen am 2.12. 2021 (zusammen mit dem Aventurischen Boten 210)
I. Inhalt und Aufbau
Da das Abenteuer mit einer länger zurückliegenden Vorgeschichte verbunden ist, wird diese zunächst auf der ersten Seite aufgeschlüsselt. Der eigentliche Auftakt ist nicht konkret verortet, sondern sieht nur vor, dass die Heldengruppe an einem beliebigen Ort den Auftrag erhält, eine Ahnenstatue der Waldmenschen zum Kunstsammler Imaculo Egiliano Eternius nach Mirham zu bringen. Vor Ort angekommen, müssen sie allerdings feststellen, dass Imaculo gerade finanziell nicht auf Rosen gebettet ist, sondern ihnen den versprochenen Lohn erst dann auszahlen kann, wenn er die Statue im Rahmen einer kleinen Versteigerung veräußert hat. Dazu hat er eine illustre Runde von betuchten Kunstliebhabern in seine Villa eingeladen. Die Spielercharaktere sind ebenfalls anwesend, z.B. in der Rolle als Leibwächter, die dafür sorgen sollen, dass der wertvollen Statue nichts geschieht. Und natürlich – wie sollte es auch anders sein – verläuft der Abend nicht ohne einige plötzliche Ereignisse, in deren Zuge die Held*innen in die Ermittlerrolle schlüpfen müssen.
Um diese Ermittlung zu ermöglichen, gibt es zunächst eine sehr ausführliche Beschreibung der 6 anwesenden Personen, wobei es sich neben Imaculo um seinen Hausdiener Emmeran Tannhaus sowie vier Geschäftspartner handelt. Dazu ist das Gebäude mit allen Räumen aufgeführt (inklusive einer Karte). Für den Handlungsablauf finden sich ein Zeitplan (der natürlich durch Aktionen der Spielercharaktere beeinflusst werden kann) und einige Schilderungen besonderer Ereignisse bzw. Umstände (die sich vor allem auf das Verhalten spezieller Gegner beziehen). In Zuge der Ermittlungen dürften sich zudem einige interessante Wendungen ergeben, wenn es gelingt, die Hintergründe zu entschlüsseln.
II. Figuren
Besonders schillernd ist natürlich Imaculo, der im engeren Sinne ja kein echter Auftraggeber ist, eher ist es dessen klammer Geldbeutel, der die Held*innen an ihn bindet. Grundsätzlich ist er eher als Exzentriker zu charakterisieren, was sich sowohl in seiner Villa als auch seiner Sammelleidenschaft zeigt. Gegenteilig ist sein Hausdiener Emmeran angelegt, der ziemlich humorlos wirkt und auf Ordnung im Hause bedacht ist, was durch den Empfang und den Verlauf des Abends unterlaufen wird.
Die vier anderen Gäste sind als Fremde auf den ersten Blick schwer einzuschätzen, vor allem handelt es sich um sehr unterschiedliche Charaktere, mit der strengen Offizierin Cortessa, der lebhaften Kunsthändlerin Sulajmaid, dem ehemaligen Stadtgardisten und jetzigen Händler Alrik und der Alchimistin Olea. Alle sind aus unterschiedlichen Gründen an der Statue interessiert. Dabei bergen sie entweder ein Geheimnis, das sie schnell verdächtig werden lässt oder sie haben das Potential zum Störfaktor, indem sie eigenmächtig Ermittlungen anstellen. Zudem sind in der Figurenkonstellation Konflikte angelegt, die zum Teil offen, zum Teil verdeckt ausgetragen werden.
III. Kritik
Ein großes Lob möchte ich zunächst der Grundidee zollen, die ich für ausgesprochen originell halte. Dabei erweist sich die Handlung letztlich als sehr doppelbödig, da ein ziemlicher Kontrast zwischen dem vorhanden sein dürfte, was man zunächst als Hintergrund der Verbrechens vermutet und dem, was sich am Ende wirklich offenbart. Wo zunächst Diebstahl und später sogar Mord angenommen wird, bleibt zuletzt eine eher märchenhafte Geschichte, in der sich die Täter als sehr ungewöhnliche Wesen erweisen.
Grundsätzlich ist das Abenteuer eher kammerspielhaft angelegt und in dieser Hinsicht auch sehr gründlich ausgearbeitet. Sowohl die Figuren als auch das Gebäude sind ausgesprochen ausführlich beschrieben, womit zur Spielleitung gute Grundlagen vorhanden sind, auch an einer Karte wurde hier nicht gespart. Es gibt viel zu erforschen und in der Interaktion sind alle Möglichkeiten für ein klassisches Whodunit-Abenteuer ergeben, wenn man den einzelnen Figuren ihre Geheimnisse entlockt oder überhaupt erst ihre Motive ergründen will. Diese wirken auch herrlich extravagant und könnten auch einem Agatha Christie-Roman entsprungen sein. Jeder scheint verdächtig und könnte gute Grunde haben, einen lukrativen Diebstahl zu begehen, auch Imaculo selbst.
Allerdings erweist sich diese Gründlichkeit an anderer Stelle als möglicherweise etwas nachteilig, da es sich hier im Prinzip nur um eine große Finte handelt und somit viel Raum (allein drei Seiten für 6 Figuren, zudem ein sehr großes Gebäude) auf etwas verwendet wird, was sich für die Ermittlung weitgehend als Sackgasse erweisen muss. Die wahren Hintergründe sind dafür deutlich gröber ausgearbeitet. Besonders augenscheinlich wird dies, wenn sich im Laufe des Abends ein Todesfall ereignet, dieser aber letztlich nur eher ein paar Zeilen Raum in einer Ablauftabelle hat. Gerade hier dürfte die normale Spielgruppe besonders intensiv reagieren und Ermittlungen anstellen, dazu finden sich dann aber nur wenig Angaben. Tatsächlich passt dieser eher beiläufige Todesfall für mich ohnehin nicht so sehr in die gesamte Tonalität des Abenteuers, was ich eher als humorig-kurios einordnen würde. Ein Mord macht dann meiner Meinung nach eher Sinn, wenn er auch wirklich im Mittelpunkt der Handlung steht, der vorherige Diebstahl reicht als Ermittlungsanlass ja völlig aus.
Zudem ist das einzige Ereignis, das mehr Platz erhält, das Auftauchen eines Bären als Bedrohung, sehr suggestiv aufgemacht und soll die Handlung zwangsläufig in eine Richtung bewegen (einmal mehr werden sämtliche etwaige Sicherheitsmaßnahmen der Held*innen als nichtig erklärt, weil der Plot es so will). Und gerade die wirklichen Antagonisten werden weitaus gröber präsentiert, obwohl sich gerade an dieser Stelle besonderer Reiz ergeben könnte, ist man doch mit einer Gruppe theaterspielender Golems konfrontiert. Dieser originelle Umstand hätte aus meiner Sicht etwas mehr Seiten verdient gehabt, was man an anderer Stelle hätte kürzen können. Positiv gestaltet sich dafür meiner Auffassung nach, dass somit nur kurz nach dem Erscheinen des entsprechenden Kreaturenbandes solche Wesen auch direkt in Abenteuern verwendet werden.
IV. Fazit
Puppenspiel verfügt über eine ausgesprochen originelle Grundidee, die vielen Spieler*innen sicher jede Menge Spaß bereiten wird, gerade auch, weil es eine besonders ungewöhnliche Wendung enthält. Dazu ist der Hintergrund der Krimihandlung im Bereich von Figuren und Schauplatz sehr ausführlich ausgestaltet. Was die Handlung angeht, sind für meinen Geschmack aber ein paar Lücken bzw. unglückliche Setzungen vorhanden, gerade was den eigentlichen Kern des Abenteuers betrifft.
Bewertung: 4 von 6 Punkten
Hallo Engor, da melde ich mich mal als Autor zu Wort und sage zunächst mal ganz herzlich Dankeschön, weil ich die Rezension insgesamt als sehr sympathisch empfinde, und ich mich freue, dass gewisse Details dir beim Leben offenbar genauso Spaß gemacht haben, wie mir beim Ersinnen.
(Ach ja, und weise an der Stelle kurz auf zwei Rechtschreibfehler hin, denn der letzte Teil meines Nachnamens ist „Ponlevoy“ (ohne das zweite e) und der erste Satz im zweite Absatz von „Inhalt“ meint bestimmt „gibt“ und nicht gilt, weil sonst ergilt der Satz keinen Sinn. ;))
Ich war sehr gespannt, wie man das Abenteuer tiefgreifend rezensiert, ohne zu spoilern (weil ich das selbst schon für den Klappentext knifflig fand), und dann umso beeindruckter, wie dir das von Beginn an extrem gut gelungen ist, bis du dann im vorletzten Absatz die Lösung doch erwähnst, andererseits ist das vielleicht auch schlicht in Ordnung, weil ja auch Spielleiter*innen nicht komplett die Katze im Sack kaufen wollen.
Dass man die Hintergründe rund um die Täter und die Täter selbst nochmal etwas ausführlicher hätte ausarbeiten können, ist sicherlich richtig. Da stimme ich dir im Grunde völlig zu. Es gibt da auch noch Material bei mir im Schreibblock, inklusive Vorschlägen, wie die Figuren handeln und sprechen. Wenn man dann aber vor der konkreten Aufgab steht, tatsächlich etwas anderes zu kürzen, wird es schon schwerer, und ich wage mal zu behaupten, hätte ich stattdessen bei den Gästen gekürzt, wäre vielleicht dein wohlwollendes Fazit, wie skurril und originell die NSC sind, weniger positiv ausgefallen. Vielleicht hätte man ein paar Räume weglassen können. Allerdings sind zum Beispiel in einem Raum Teile des Hintergrunds absichtlich ausgelagert.
Etwas mehr überrascht mich der Kritikpunkt, dass die Handlung rund um den Bären alle Vorbereitungen der Helden nichtig macht. Ich habe ja extra sogar einen Kasten eingefügt, um Hinweise zu geben, wie das Abenteuer weiter verlaufen kann, wenn die Helden sich nicht ablenken lassen. Ich bin als Spieler und Autor durchaus kritisch gegenüber Railroading eingestellt, aber natürlich müssen in jedem Plot manchmal Dinge einfach passieren und die Idee hier war, den üblichen Reflex von Helden so zu nutzen, dass sie auch passieren können (und eben den Kasten zu ergänzen, falls das nicht passiert). Die Alternative wäre eine komplette Sandbox, die alles nur als Möglichkeit angibt, was ich als Spielleiter auch nicht zufriedenstellend fände.
Den Hinweis, dass der Todesfall fehl am Platz ist, finde ich spannend, weil er mir im Vorfeld tatsächlich so nicht eingefallen wäre. Spontan würde ich vermuten, dass ich den Todesfall als symbolhafte Trope für das Setting aufgefasst habe, was also dem von dir beschriebenen humorig-kuriosen Gefühl dann deswegen trotzdem entspricht. Du hast mir jetzt mit der Rezension erst bewusst gemacht, dass man das auch anders sehen kann. Insofern danke dafür. Ein weiterer Kritikpunkt, der an mich herangetragen würde, war übrigens auch, dass die Situation für einen Todesfall zu knapp abgehandelt wird, wo doch Spieler in der Situation sicherlich nachforschen, Proben würfeln wollen, etc.
Wie gesagt, von diesen Punkten abgesehen, die für mich (ehrlich gesagt mit Ausnahme des Bären) aber völlig valide Punkte sind, nehme ich deine Kritik nicht nur als sympathisch wahr, sondern freue mich, dass ein paar Ideen in deinem Kopf genau das erfüllt haben, was sie erfüllen sollten.
Ein Detail am Rande, das vermutlich den meisten Lesern nicht auffallen wird, und auch gar nicht auffallen muss, mir aber wichtig war, ist übrigens die Tatsache, dass der Hintergrund des Abenteuers eine Unlogik im Metaplot schließt: Im Laufe der Jahre hat sich in den Quellenbänden von DSA eingeschlichen, dass Marionetten aventurienweit (auch) als „Mirhamionetten“ bezeichnet werden, ähnlich wie die vielen anderen schönen sprechenden Aventurienbegriffe („Arange, Firunsbär, Punipan“, etc.). Das ist aber nicht logisch, weil der Begriff ursprünglich als politischer Kampfbegriff etabliert wurde (nämlich als politische Marionette der Könige von Mirham) und sich nirgendwo in keinem einzigen Quellenmaterial jemals der Hinweis darauf fand, dass es in Mirham tatsächlich Marionettenhandwerk gab, dessen Name in die Welt hätte diffundieren können (niemand, außer vielleicht Hipster-Start-Ups würde einen politischen Kampfbegriff als Synonym für sein Produkt benutzen). Mit dem Abenteuer gibt es jetzt zumindest einen möglichen Grund, warum auch die Althagener Marionetten „Mirhamionetten“ genannt werden. Mich persönlich befriedigen solche kleinen historischen Lückenschließungen ja sehr, auch wenn sie für das Große und Ganze völlig irrelevant sind.
Achso, PS: Und der Bote ist Bote 210. 209 war der mit der Vergessenen Mine.
Danke für deine unermüdliche Arbeit als Rezensent, Beurteiler und Verbreiter des Wissens. Nandus‘ Segen mit dir 😉
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Vielen Dank für die Rezension, der ich voll zustimme: tolle Grundidee, handwerklich auch sehr gründlich umgesetzt, jedoch mit einigen Schnitzern.
Sofort ins Auge gesprungen sind mir folgende Problemzonen, für die es aber recht einfache Lösungen gibt:
Der Bärenangriff steht tatsächlich nicht im kausalen Zusammenhang zum Diebstahl, er war einfach nur ein schwer zu glaubender Zufall (auf Basis eines schwer zu glaubenden Versehens), der den Dienbstahl konsekutiv einleitet. Das wirkt meiner Meinung nach zu stark konstruiert. Sehr leicht zu lösen, indem der Diebesgolem den Bär befreit, um für Ablenkung zu sorgen.
Tod beim Terrarium: Auch sehr unglaubwürdig und tut zudem nichts zur Sache und lenkt die Spieler ab, ohne dass es eine zufriedenstellende Auflösung gibt. Lösung: ersatzlos streichen.
Unbekannter Gebäudeflügel: Der Hausherr „vergisst“ einen kompletten Gebäudeflügel und dieser wird auch bei der Sanierung komplett außer Acht gelassen? Unglaubwürdig. Lösung: das Golemversteck befindet sich in einer verstaubten Truhe oder auf dem Dachboden.
Dennoch ein gutes und vermutlich sehr spaßiges Abenteuer, auch da die oben genannten Probleme leicht zu lösen sind.
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Lieber David,
danke für deine Rückmeldung, die Fehler habe ich ausgebessert. Über die Mirhamionetten hatte ich mir in dem Zusammenhang keine Gedanken gemacht. Was den Bären angeht, würde ich dem Kommentar von Balduin zustimmen, den kann man generischer einfügen. So wirkt er beim Lesen eben wie ein bloßes Instrument, um die Heldengruppe etwas holzhammermäßig von ihrer Kernaufgabe abzuhalten, den Kasten hab ich aber tatsächlich unterschlagen, du hattest diesen Kritikpunkt vorhergesehen und was dazu gesagt.
Viele Grüße
Engor
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Lieber Balduin, das würde ich so voll unterschreiben, es mag nicht alles perfekt sein, aber ich denke auch, dass das leicht auszubessern ist und dass es sich im Ganzen um ein Abenteuer handelt, mit dem man sehr viel Spaß haben kann. Hier freue ich mich schon auf den Heldenwerk-Archiv, mit ein paar mehr Seiten, kann man da viel gewinnen.
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Hey Balduin,
erstmal Danke für die lobenden Worte.
Das mit dem Gebäudeflügel war auf meinen ursprünglichen Skizzen so gemeint, dass tatsächlich ein kompletter Flügel der alten Manufaktur noch existiert, als Ruine und überwuchert von Vegetation. Ein Teil dieses Flügels wurde zwar bei der Sanierung in die Villa eingebaut, dann aber vergessen. Diese an die Villa angrenzende Ruine hat der Kartenzeichner dann nicht übernommen, und ich habe als Neuling zu spät kapiert, dass ich da rechtzeitig hätte die Hand heben müssen.
Was den Bären angeht war mein zugrunde liegender Gedanke, dass ich eben nicht den Verdacht zu früh auf externe Diebe lenken wollte. Dass der Diener wegen beruflicher Überlastung die Tür vergisst, unterstreicht außerdem auch nochmal den allgemeinen Zustand des reichlich verarmten Gastgebers. Wenn dir das aber zu sehr „so viel Zufall gibt es nicht“ ist, kann man das natürlich auch komplett anders machen, wie du selbst sagst, ändert das ja am Abenteuer nichts. Und ich verstehe, warum ihr das so seht, wie ihr es seht.
Darüber hinaus gibt es im Übrigen sogar noch eine ganz andere Alternative: Es muss auch gar nicht zwangsläufig eine Ablenkung passieren. Die Helden sind ja zu diesem Zeitpunkt überhaupt gar nicht mehr verpflichtet, auf die Statuette aufzupassen, und bekommen das auch ausdrücklich gesagt (S.5). Es besteht auch erstmal kein Grund zur Annahme, dass etwas mit der Statuette passiert. Insofern kann der Diebstahl auch schlicht geschehen, während alle im anderen Raum sind. Der Aufruhr hat allerdings den hilfreichen Nebeneffekt, dass aufgrund der Ablenkung nicht klar ist, welche Person sich wann wo befunden hat. Wenn man diesen Effekt auch irgendwie anders erzielt, weil ständig Leute raus und rein gehen, und die Helden da eh nicht drauf achten, kann man diesen „erzwungen wirkenden“ Teil tatsächlich auch komplett weglassen.
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