Vorbemerkung: Auch die Sonnenküste verfügt wieder über das übliche, breit angelegte Portfolio einer Regionalspielhilfe. Somit erhält Das Heldenbrevier der Sonnenküste aus der bewährten Feder von Carolina Möbis die Aufgabe, den Spieler*innen die Region näher zu bringen. Dazu fungieren einmal mehr regionaltypische Charaktere als Perspektivfiguren. Spannend wird diesmal die Frage, ob es gelingt, die doch recht unterschlichen beiden Regionalschwerpunkte, also die Zyklopeninseln und den Wilden Süden, angemessen in einem Band unterzubringen.
In Zahlen:
– 160 Seiten
– 3 Perspektivfiguren
– Preis: 17,95 Euro
– erschienen am 22.11. 2021
I. Aufbau und Inhalt
Einmal mehr handelt es sich bei dem Heldenbrevier um eine Form des Briefromans, in dem drei unterschiedliche Figuren wechselseitig die Erzählerrolle übernehmen und sich in den Übergängen jeweils ergänzen. Im Einzelnen sind dies die Rechtswahrerin Lucara von Kelb, der sympathische Schurke Griffone Tarsis und die Avesgeweihte Isendrea von Teremon. Als Mittel werden dabei Tavernengespräche zwischen Griffone und Isendrea, die Reisetagebücher von Isendrea, eine sogenannte Lebensbeichte von Griffone und Beichten von Lucara verwendet.
Inhaltlich sind Elemente einer Kriminalgeschichte vorhanden, ist das Bindeglied zwischen den drei Protagonist*innen doch der Tod des erfahrenen Rechtswahrers Zamperi, den man erstochen aufgefunden hat. Zamperi war Lucaras Mentor und auch mit Griffone und Isendrea bekannt. Lucara vermutet, dass Zamperi in einem Duell von Griffone getötet wurde und lässt diesen deshalb verfolgen. Griffone und Isendrea begegnen sich erstmals in Drol, als beide in Zamperis Hotelzimmer dessen Hinterlassenschaften untersuchen wollen, um Hinweise auf die Hintergründe seines Todes zu finden (mit dem feinen Unterschied, dass Isendrea das Zimmer auf legalem und Griffone auf illegalem Weg betritt). Schnell wird deutlich, dass die beiden auf ihre Weise sehr eng mit Zamperi verbunden waren und Isendrea glaubt Griffones Unschuldsbeteuerungen. Da dieser aber von Lucaras Schergen bedrängt wird, beschließen die beiden, sich an die Fersen der Rechtswahrerin zu heften, um gemeinsam herauszufinden, wer eigentlich verantwortlich ist.
Somit entwickelt sich in der Folge ein Reiseteil, der mitunter humorige Züge erhalt, da Griffone mit seiner Lebenslust immer wieder Isendreas Bestreben torpediert, möglichst unerkannt zu reisen. Wie üblich werden verschiedene Stationen angesteuert, so führt der Weg von Drol u.a. nach Neetha, Teremon und Rethis. Dabei wechseln sich Recherchen immer wieder mit Mantel-und-Degen-Passagen ab, da sich auch herauskristallisiert, dass Zamperis Tod von einer mächtigen Fraktion verursacht wurde, die sichergehen will, dass seine Geheimnisse auch mit ihm ins Grab gegangen sind.
II. Figuren
Die Geschichte lebt stark von den Kontrasten der drei unterschiedlichen Protagonisten, die sich zwar durchaus gut ergänzen, allerdings in vielerlei Hinsicht eine Zweckgemeinschaft darstellen. Gerade Griffone und Lucara haben etwas von Hund und Katze, sind sie doch grundverschieden und eigentlich zutiefst verfeindet. Dies spiegelt sich auch in ihren Charakteren wider: Griffone ist der Prototyp des verschmitzten Schurken, der selten völlig ernst agiert und seinen Hedonismus in den Vordergrund stellt. Lucara hingegen ist ernst und oft sehr zynisch und wird von großer Verbissenheit angetrieben. Funktionieren kann diese Gemeinschaft nur durch Isendrea als Bindeglied. Sie ist kontaktfreudiger und offener als Lucara, dafür aber auch deutlich fokussierter als Griffone und agiert letztlich auch weit weniger Ich-Bezogen als ihre Mitstreiter.
III. Kritik
Genau von diesen Protagonisten profitiert die gesamte Handlung. Das gegenseitige Belauern von Griffone und Lucara sorgt für eine stetige Spannung, wobei man gerade Lucara schwer einschätzen kann, ob es sich bei ihr um eine dritte Protagonistin handelt oder ob sie die Gegenspielerin von Griffone und Isendrea ist. Ihre direkte und unverhohlene Art unterstreicht dies noch und lässt sie nicht eben zur Sympathieträgerin mutieren, was aber – auch im Rahmen des Heldenbreviers unter den Perspektivfiguren – ungewöhnlich und erfrischend ist.
Griffone hingegen sorgt vor allem dafür, dass die Krimihandlung nie ins allzu Ernsthafte abdriftet, wenn er immer wieder bar jeglicher Vernunft seinem Lustprinzip folgt, meist zum Entsetzen von Isendrea, die stets sehr bedacht agiert. Das ist sehr unterhaltsam und sorgt in den besten Momenten bei mir für die eine oder andere Alexandre-Dumas-Reminiszenz, wenn er wieder in ein Duell gehen muss und für sein loses Mundwerk oder seine Liebschaften mit dem Degen einstehen muss, aber immer davon ausgeht, dass er mit einem blauen Auge davonkommen wird. Trotzdem wird er nicht übermenschlich dargestellt, sondern ist mehrfach auf Isendreas Hilfe angewiesen, um sich aus brenzligen Situationen zu retten.
Das alles ist ausgesprochen unterhaltsam und wird gerade in den Textpassagen aus seiner oder Isendreas Sicht augenzwinkernd kommentiert, womit einmal mehr die Stärke des Briefromans als Format zum Tragen kommt. Und dies lenkt auch davon ab, dass die Handlung an und für sich eher gemächlich verläuft und vor allem erst durch die Mantel-und-Degen-Passagen immer wieder neu Tempo aufgenommen wird. Gerade Land und Leute stehen diesmal hinter den charismatischen Protagonisten etwas zurück, auffällig ist aber, dass eine gewisse Leichtigkeit vorhanden ist, trotz der Mordthematik als Hintergrund. Was in diesem Kontext sehr gelungen ist, ist die Wendung, die der Fall ab einem bestimmten Moment nimmt, wenn man erfährt, wer wirklich für Zamperis Tod verantwortlich ist. An diesem Punkt rückt dann der Kriminalfall, der ohnehin nie besonders detektivisch behandelt wird, vollständig in den Hintergrund, sondern es geht – durchaus regionaltypisch für das Horasreich – um politische Intrigen. Hier ist dann auch die Verknüpfung mit der Regionalspielhilfe gegeben, da man die endgültige Auflösung der Geschichte erst dort erfährt (vor allem in der Frage, welche Instanz wirklich hinter dem gesamten Geschehen steckt). Das ist aus meiner Sicht nicht komplett befriedigend, hier wäre es für mich passender, wenn zumindest in dieser Frage das Werk in sich geschlossen wäre. Letztlich ist das Ende auch durchaus als Abschluss der Reise gehalten, trotzdem bleiben noch viele Fragen offen.
Was gut gelingt ist die Einarbeitung vieler Personen und Orte aus der Spielhilfe, was diese nochmal anreichert, da die Ingame-Perspektive dafür sorgt, dass hier vieles nochmal lebendiger wirkt (eben mit der oben genannten Einschränkung, dass diesmal die Hauptcharaktere sehr stark im Vordergrund stehen). Das offene Ende ist zudem natürlich auch dazu angetan, neue Plotfäden für die Zukunft auszulegen, die dann ins Rollenspiel hineingetragen werden können.
IV. Fazit
Das Heldenbrevier der Sonnenküste ist ein außergewöhnlich unterhaltsamer Band innerhalb der Reihe geworden, was vor allem an drei sehr unterschiedlichen Protagonisten liegt. Deren Konflikte sorgen für stetige Abwechslung, auch der Humorfaktor ist immer wieder vorhanden, was dem Roman eine gewisse Leichtigkeit verschafft, wozu auch das Mantel-und-Degen-Szenario beiträgt.
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