Vorbemerkung: Eigentlich hatte ich die Sonnenküste und das dazugehörige Crowdfunding ja bereits mit einem finalen Artikel abgeschlossen. Allerdings habe ich dabei eine Kleinigkeit vergessen, die sich damals noch ergeben hat: Aufgrund eines vergessenen Lesebändchens in einem Band hatte Ulisses Spiele noch die Veröffentlichung eines Kurzabenteuers ausgelobt. Tatsächlich ist nun Zu wem die Eidechse spricht von Curt Wendt erschienen. Dabei handelt es sich um ein Abenteuer in etwa von der Länge eines Heldenwerks. Somit freue ich mich relativ unverhofft (die Ankündigung hatte ich tatsächlich in der Zwischenzeit wirklich völlig verdrängt) über ein weiteres Abenteuer, das ich rezensieren kann.
In Zahlen:
– 19 Seiten
– Preis: 4,99 Euro
– Erschienen am 20.5. 2022
I. Aufbau und Inhalt
Das Abenteuer spielt tatsächlich nicht im eigentlichen Bereich der Sonnenküste, sondern in der Nähe von Lhasor im Großemirat Mengbilla, allerdings existiert ein Infokasten, der alternative Verortungen möglich macht, z.B. auch im südlichen Horasreich, wobei dort der Begriff der Sklaverei etwas umgedeutet werden müsste.
Inhaltlich wird zunächst der Hintergrund bzw. die Vorgeschichte skizziert. Die Eidechsenkriegerin Han-Anata hat im kleinen Dorf Tsacar vier junge Mitglieder der Dorfgemeinschaft, die dem Stamm der Chirakah zugehörig sind, dazu überredet, ihr auf eine Mission zu folgen. Die Tsageweihte Tsanastasia befürchtet, dass die Kriegerin die jungen Leute zu einem Himmelfahrtskommando überredet hat, indem sie mit Gewalt gegen Sklaverei vorgehen will. In Tsacar kann man zunächst eine kleine Recherche über Han-Anata, ihre Mitstreiter und deren Motive anstellen. Hat man ein klares Bild von dem Vorhaben der kleinen Gruppe, so kann man sich an die Verfolgung begeben. Die folgende Reise ist kurz skizziert, kann exemplarisch mit einer Kampfbegegnung angereichert werden.
Der zweite Teil des Abenteuers setzt dann am Zielort von Han-Anata und ihren Freunden an. In der Tat planen diese eine Sklavenbefreiung im großen Stil und haben sich dafür eine Sägerei ausgesucht, in der gut 90 Menschen versklavt sind. Hier kann nicht klar vorhergesehen werden, wie sich der Ablauf konkret gestaltet, weshalb die Beschreibungen variabel gehalten sind. Zunächst gibt es eine Karte des Anwesens und eine Beschreibung der wichtigsten Personen/Gruppen, die man dort antreffen kann. Folgend werden dann Optionen geschildert, wie die Ereignisse ablaufen könnten. Dabei ist offen gelassen, ob die Heldengruppe sich auf die Seite der Sklavenhalter schlägt und den Aufstand unterbindet oder ob man auf Seiten der Unterdrückten hilft. Idealerweise gelingt es aber noch vor einer Eskalation Hana-Anata aufzuhalten. Gerade für den Fall des offenen Konflikts sind unterschiedliche Szenarien antizipiert worden. Dementsprechend gibt es auch drei unterschiedliche Endvarianten.
II. Figuren
Für das Abenteuer maßgeblich sind unterschiedliche Personengruppen. Zunächst gerät die Heldengruppe in Kontakt zu den Bewohnern von Tsacar, wo der Tsageweihten Tsanastasia die Rolle der Auftraggeberin zufällt. Recherchen anstellen können sie aber auch bei den anderen Dorfbewohnern um den Anführer Waion-Muitak, dessen Position aber nicht unumstritten ist.
Ziel des Abenteuers ist aber, die Gruppe von Han-Anata einzuholen. Die Wortführerin erweist sich dabei als mutige und entschlossene Frau, die aber in vielerlei Hinsicht auch von den Dämonen ihrer eigenen Vergangenheit beherrscht wird und deshalb stur an ihrer selbstgewählten Mission festhält, selbst wenn die Erfolgsaussichten denkbar gering erscheinen.
Am Finalort erwartet die Spielercharaktere eine dritte Personengruppe, die sich allerdings aus sehr unterschiedlichen Personen zusammensetzt, handelt es sich doch einerseits um Personen, die von Sklaverei profitieren und andererseits um diejenigen, die ihr unterworfen sind.
III. Kritik
Zunächst fällt ein Umstand ins Auge: Der Schauplatz des Abenteuers, das primär in der Gegend von Mengbilla verortet ist, passt eigentlich gar nicht zur Sonnenküste. Zwar gibt es eine optionale Anpassung, allerdings wirkt dies etwas bemüht. Meine Vermutung: Ulisses hatte noch eine Menge gepitchte Heldenwerke auf Halde (zuletzt wurde ja auch gesagt, dass man erstmal keine neuen Pitchs benötigt, weil man sehr viele auf Vorrat hat) und hat sich jetzt einfach das ausgesucht, das am nächsten an der Region dran ist, man hatte aber offenbar keines, das originär für die Sonnenküste geplant war. Das mag zwar streng genommen also nicht stimmig sein, allerdings muss ich hier einräumen, dass ich das als völlig irrelevant empfinde: Ein solches Abenteuer war ja nie Teil der originalen Planung für die Produktpalette, deshalb halte ich es für verständlich, wenn da zu einer Kompromisslösung gegriffen wird. Außerdem ist es Ersatz für ein vergessenes Lesebändchen. Ein – wie ich denke – hervorragender Tausch für etwas, dessen Fehlen mir persönlich nie aufgefallen wäre. Gerade das möchte ich an dieser Stelle unbedingt loben, für mich geht Ulisses mit diesem Ausgleich deutlich weiter, als ich das erwartet hätte, das ist meiner Meinung nach wirklich sehr kulant.
Das Thema der Sklavenbefreiung wurde zwar zuletzt schonmal aufgegriffen (im Heldenwerk Morgenröte), dort aber in einer völlig anderen Region und unter ganz anderen Storyvoraussetzungen. Hier finde ich es passend zum Hintergrund eingesetzt, gerade auch am Beispiel der Eidechsenkrieger, die hier als motivierte Idealisten agieren, sich an der Aufgabe aber eindeutig übernommen haben. Mit der Sägerei existiert zudem ein interessanter Finalort, für den sowohl eine Karte als auch Beschreibungen der Örtlichkeiten und der Personen vorhanden sind. Ebenso kann man zu Beginn gut in die Atmosphäre von Tsacar eintauchen, womit die Eidechsenkrieger*innen und deren Persönlichkeiten vor dem Aufbruch für die Heldengruppe greifbarer werden können und nicht irgendwelche x-beliebigen Personen sind. Für das Finale sind zudem einige taktische Optionen aufgeführt, an denen sich die Spielleitung orientieren kann. Die zusätzliche Option eines Seelenpakts mit Blakharaz erscheint mir außerdem sinnvoll, um der Handlung eine überraschende Wendung zu geben.
Allerdings hat das Abenteuer aus meiner Sicht eine große Schwäche: den Umgang mit Sklaverei und die damit verbundene Frage nach der Motivation der Heldengruppe. Grundsätzlich ist der Auftrag nachvollziehbar: Tsanastasia hält als Tsageweihte nichts von Gewalt und ordnet Han-Anatas Vorhaben als falsch ein, außerdem ergibt es durchaus Sinn, ihrer Gruppe Einhalt zu gebieten, wenn man davon ausgeht, dass sie dabei blutig scheitern werden.
Als schwierig empfinde ich aber dann die angebotenen Optionen vor Ort. Zunächst befremdet mich etwas die aufgeführte Möglichkeit, dass die Gruppe sich auf die Seite der Sklavenhalter schlagen könnte. Mir ist durchaus bewusst, dass es Spielgruppen gibt, die gerne auch „graue“ Gesinnungen ausspielt und nicht alle gerne die fast schon klischeehaften klassischen Held*innen verkörpern wollen. Allerdings fehlt es mir hier an der Motivation, es wird nirgendwo deutlich, warum man auf diese Seite wechseln sollte, dafür gäbe es ja durchaus denkbare Szenarien, z.B. ein finanziell lukratives Angebot oder sogar götterfürchtiges Handeln, wenn man denn wirklich bereits im Vorfeld einen Seelenpakt Han-Anatas offenlegt. Aber solche Ideen muss man sich selbst konstruieren, sie sind nicht antizipiert worden.
Weit realistischer erscheint mir ohnehin die Variante, dass die Gruppe sich dazu entschließt, Han-Anatas Vorhaben zu unterstützen. Auch wenn irdische Moralvorstellungen nicht von allen Spieler*innen nach Aventurien übertragen werden wollen, halte ich es für nicht unwahrscheinlich, dass man sich hier auf die Seite der Unterdrückten stellt und die ungerechten Zustände in der Sägerei nicht einfach so belassen will. Aber auch hier wird auf derartige Storyentwicklungen gar nicht eingegangen, die Unterstützung des Aufstandes wird lediglich für den Fall antizipiert, dass es nicht rechtzeitig gelingt, Han-Anata und ihre Gefolgsleute rechtzeitig zu stoppen. Das wäre dann aber eine Verlegenheitshandlung und keine Überzeugungstat. Aus meiner Sicht müsste eine solche Möglichkeit berücksichtigt werden, was dem Ganzen beispielsweise eine andere taktische Herangehensweise geben könnte, wenn man im Gegenteil nicht einfach so in das Geschehen an der Sägerei hineinplatzt, sondern selbst die Sklavenbefreiung plant. Mich stört primär, dass der durchaus realistische Faktor des Mitleids mit den Opfern eben fast völlig ignoriert wird. Hier frage ich mich einmal mehr, wie solch naheliegende Gedanken in einem redaktionellen Überarbeitungsprozess nicht aufgeworfen werden konnten und stattdessen gerade der wichtige Aspekt der Motivation teils sehr unlogisch wirkt.
Sprachlich fällt mir zudem eine etwas gewollt wirkende Originalität auf, wenn man mal mit einer Mischung aus philosophisch anmutenden Überschriften wie Wie der Baum zerteilt wurde konfrontiert wird, dann mit klamaukigen Betitelungen wie Es würgt und beißt oder Wie man einen Aufstand anzettelt – oder auch nicht, zuletzt dann auch noch lautmalerische Rückgriffe wie Ogah, ogah! vorhanden sind. Und das sind nur einige Beispiele. In der Summe ist mir das sprachlich zu sehr eine totale Überfrachtung, die eher störend als hilfreich ist, an der Stelle würde ich weniger für mehr halten.
IV. Fazit
Zu wem die Eidechse spricht ist von der Grundidee ein spannendes Abenteuer, das die Hintergründe der Figuren und der Örtlichkeit gut aufarbeitet. Allerdings ist die Motivation der Heldengruppe aus meiner Sicht extrem unlogisch antizipiert worden, naheliegende Gedanken wurden gar nicht antizipiert, aber auch andere Ansätze wurden nicht passend hergeleitet. Stellenweise irritiert mich zudem die sprachliche Gestaltung.
Bewertung: 3 von 6 Punkten
Sklaven befreien! Welches Ziel sollten heroische Charaktere sonst haben? Oder bin ich einfach nur ein Langweiler der Alten Schule?
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Hallo Balrik,
grundsätzlich denke ich da ähnlich wie du, für mich erscheint es im klassischen Sinne selbstverständlich, die Sklavenbefreiung anzugehen. Aber es gibt halt durchaus auch Gruppen, die sowas anders handhaben, eher überlegen, wie genau ihre Charaktermotivation ist. Und wenn da eben ein eher grauer Charakter ist, kann man da bestimmt auch anders handeln.
Was mich hier aber massiv stört, ist dass das als Option im Prinzip nicht aufgegriffen wird. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass die Kernmotivation ist, dass man die Eidechsenkrieger*innen rechtzeitig aufhalten will.
Und selbst wenn man sich auf die Seite der Sklavenhalter stellt, würde ich dann aber auch wissen wollen, was genau dazu die Motivation sein soll. Und darauf wird nicht eingegangen. Wenn da von einem Geldangebot die Rede wäre oder ähnlichem, dann fände ich das akzeptabel, aber das gibt es nicht. Und somit halte ich den Gedanken, sich für diese Seite zu entscheiden, für ziemlich abwegig.
Beste Grüße
Engor
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Hallo Engor,
auf einer Seite beschweren wir uns, wenn wir nicht die Auswahl haben. Aber auch wenn es eine gibt und die nicht unsere Moralvorstellungen entspricht? Das ist für mich etwas kontrovers. Gerade wo ich sonst große Überschneidungen mit deinen Rezensionen habe.
Die Stärken dieses Abenteuers liegen, meines Erachtens, bei genau 3 Sachverhalten (Das dritte kann man je nach Ansicht vernachlässigen):
1. Die Wahl pro oder Contra Sklavenhaltung.
Die Spieler können abhängig Ihres Hintergrundes entscheiden ob sie sich für die Befreiung oder für das Niederschlagen entscheiden. Das ist die Freiheit, die ich mir Wünsche. Gerade wenn wir Aventurien betrachten. In wie vielen Ländern gibt es keine Sklaven bzw. ähnliche Zustände (Nicht selbst bestimmtes Leben, freie Berufswahl, Freie Meinung). Horasreich, Thorwal, Mittelreich? Brauchen wir wirklich ein Abenteuer als Moralapostel? Nein, die moralische Bildung diesbezüglich sollte bereits abgeschlossen sein.
2. Es kommt mit Ribagi eine Garadanfigur aus der RSH die Dampfenden Dschungel
Das passiert viel zu wenig. Das einfachste eine lebendige Geschichte darzustellen, ist das Auftauchen von identischen Personen. Endlich hat es in ein Heldenwerkformat wieder eine Figur aus einer RSH geschafft.
3. Es gibt, wenn ich mich nicht verzählt habe, 13 NSC´s mit Kurzinformationen.
Davon 6 bebildert und ein neues Gesicht als Token. Sowas sammle ich gerne.
Grüße Invisible
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Auswahl ist immer gut, da gebe ich dir vollkommen recht. Ich habe nur ein Problem damit, dass im Abenteuer null Motivation geliefert wird, sich für die Sklavenhalter-Seite zu entscheiden, es aber als Option genannt wird. Wenn ich das mache, sollte ich auch Anlässe liefern, diese Fraktion zu unterstützen. Und umgekehrt wird die wahrscheinlich naheliegendste Option nur als Verlegenheitslösung in Betracht gezogen. Das sehe ich nicht als Problem von Entscheidungsfreiheit, sondern die Kritik geht eher an die handwerkliche Umsetzung, da das offenbar nicht durchdacht wurde.
Auftritte von wichtigen NSC in Abenteuern finde ich auch wichtig, hier erschien es mir für die Rezi aber nicht wirklich bemerkenswert, da es nur eine Art Zusatzszene ist, die kaum ins Abenteuer eingebunden ist. Die Idee ist aber gut, direkte Nutzung von neuen RSH sollte für meinen Geschmack noch intensiviert werden.
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