Rezension: Das Erste Blut – Der Aufstieg Alhaniens I

Vorbemerkung: Bei Ulisses geht im Romanbereich der Trend derzeit eindeutig eher in den Bereich der Romanreihen, nach dem Blut der Castesier, den Pardona-Romanen und der Fortsetzung der Jurga-Saga gibt es nun ein neues Romanduo, in dem der Fokus auf die Vergangenheit Aventuriens gelegt wird. In Das erste Blut geht es um den Aufstieg Alhaniens, besonders um den der sogenannten Heldenkönigin Hashandru III. Autorin Jeanette Marsteller stellt dabei auch eine Verbindung zu ihrem Abenteuer Gefangen in der Gruft der Königin her, in dem man das Grab eben jener Königin aufsucht.

In Zahlen:

– 332 Seiten

– Band I von 2

– Preis: 14,95 Euro

– Erschienen am 30.6. 2022

I. Inhalt

Als kleine Einführung fungiert eingangs ein Vortrag einer Historienforscherin aus der aventurischen Jetztzeit auf einem Alhanier-Symposium, bei dem einige grundlegende Fakten über die Kultur der Alhanier vermittelt werden.

Folgend allerdings springt die Handlung weit in die aventurische Geschichte zurück, konkret in das Jahr 872 v. Bosparans Fall. Dort wird Harandra in Ysil`elah zur neuen Beyrouna ernannt, nachdem die eigentliche Herrscherin, ihre Tante Rasescha im Gefecht gegen die in Alhanien einfallenden Armeen des bosparanischen Reichs gefallen ist. Ohnehin befindet sich Alhanien in einer geschwächten Position, Ysil`elah ist die letzte der großen Städte, die nicht von den Angreifern eingenommen wurde. Und Harandra ist auch nicht die Wunschkandidatin auf die Nachfolge nach Raseschas Tod, sondern lediglich die letzte lebende weibliche Verwandte mit den Kräften einer Zauberpriesterin (denn nur solche sind für das Amt einer Beyrouna zugelassen). Schnell muss sie erkennen, dass ihr Amt sie zwar zur nominellen Herrscherin über die Stadt macht, allerdings liegen die meisten Machtbefugnisse traditionell in den Händen ihres Beratergremiums, des sogenannten Rosenrats. Diese Gruppe macht der jungen Beyrouna schon beim ersten Treffen deutlich, dass man von ihr erwartet, dass sie das umsetzt, was der Rat ihr vorschlägt.     

In der Folge lässt die selbstbewusste Frau nichts unversucht, ihre Handlungsfreiheit zu gewinnen und eigene Entscheidungen durchsetzen zu können. Ein Mittel dazu ist es, in ihrer Umgebung mehr vertraute Personen zu binden, z.B. ihre aufgeweckte Verwandte Merishaja, die Zauberpriesterin Suljescha, ihren Jugendfreund Veron und ihren Mentor Keshmir. Ebenso muss sie Opfer bringen, z.B. durch eine Eheschließung aus Gründen der Staatsraison, um weitere Verbündete zu erhalten.

Allerdings ist die persönliche Unabhängigkeit nicht ihr einziges Ziel, vielmehr versucht sie die Alhanier wieder zu einen, um einem scheinbar bevorstehenden finalen Schlag des Bosparanischen Reichs geeint entgegenstehen zu können. Dazu muss sie aber auch auf militärische Mittel gegen ihr eigenes Volk zurückgreifen, vor allem gegen konkurrierende Herrscherinnen wie Agnitha, die Beyrouna von Yal´Alankh. Und ebenso muss sie sich Konkurrenz aus den eigenen Reihen erwehren, da auch in ihrem Rat Widerstände gegen ihre Emanzipationsvorhaben existieren. 

Somit liegt der Fokus dieses ersten Bandes auf dem Unterfangen Harandras, Einigkeit unter ihrem Volk zu herbeizuführen, was mit der Frage steht und fällt, wie umfassend es ihr gelingt, Zweifelnde von sich zu überzeugen und Widerstand (zur Not auch mit Gewalt) zu brechen.

II. Figuren

Der Roman verfügt über eine sehr breite Personenriege, da es vor allem um Macht- und Intrigenspiele in der Führungsschicht der Alhanier geht. Harandra ist dabei die eindeutige Hauptfigur, die man durch den gesamten Roman als Perspektivfigur begleitet. Dabei macht sie eine stetige Entwicklung durch, von einem unsicheren Mädchen, das eher ungewollt (und unerwartet) in die Rolle einer Herrscherin gedrängt wird, allerdings zunehmend an Einfluss und Macht gewinnt, je mehr sie diese Aufgabe annimmt. Ihr Weg ist dabei aber nicht unbedingt gerade, sondern auch von Rückschlägen und persönlichen Enttäuschungen geprägt.

Unbedingt zur Seite steht ihr dabei ihr Mentor Keshmir, der allerdings bisweilen an ihrer ungestümen Art verzweifelt und oft lieber traditionelle Lösungswege präferieren würde. Merishaja hingegen bestätigt sie durchgehend in ihrem Tun und hebt sich durch ihre unbeschwerte Art von dem formellen Hofgeschehen ab.

Umgekehrt gibt es auch viele Konkurrentinnen, vor allem Agnitha, die ihre eigenen Weg durch die Krise finden will und Harandras Vorgehen nicht gutheißt. Unberechenbar ist dagegen die im Rat sehr einflussreiche Bitescha, die keine Gelegenheit auslässt, Kritik an Harandras Führungsstil zu äußern.  Dazu ergeben sich noch eine Reihe weiterer Figuren, die sich im Laufe der Handlung als wichtig herausstellen.

III. Kritik

Tatsächlich merkt man dem Roman an, dass hier der Fokus eindeutig auf einer einzigen Hauptfigur liegt, deren Entwicklung dafür besonders intensiv begleitet wird. Harandras Werdegang von einer unterschätzten Beyrouna, die ihrem Staatsrat quasi ausgeliefert ist, hin zu einer starken Herrscherin, die sich auch gegen vehementen Widerstand durchsetzt, steht eindeutig im Mittelpunkt. Die anderen Figuren haben natürlich mitunter wichtige Funktionen, allerdings geht es dabei nicht um deren Eigenständigkeit, sondern welche Rolle sie für Harandra spielen, also ob sie ihr z.B. als Unterstützung zur Seite stehen oder eher eine antagonistische Aufgabe wahrnehmen. Somit lernt man sie auch besonders intensiv kennen und ihr Weg wird auch spannend gezeichnet. So ist der Gang der Dinge keineswegs gradlinig, sondern stattdessen ausgesprochen steinig und nach jedem Erfolg stellt sich in der Regel sogleich die nächste Hürde auf. Daraus ergibt sich auch eine nachvollziehbare Spannungskurve, in der auch ohne ständiges Schlachtengetümmel (das es an einer Stelle aber auch gibt) ein stetiger Anreiz zum Weiterlesen gegeben ist, wenn man sich fragt, wie sie auch den nächsten Widerstand bezwingen will.

Gleichzeitig stellt diese Beschränkung auf eine einzige Perspektivfigur aus meiner Sicht auch die größte Schwäche des Romans dar. Viele der anderen Figuren erhalten auf diese Weise kein echtes Profil, was gerade bei den Gegenspieler*innen schade ist. Hier würden Parallelszenen, in denen sie ihre nächsten Schachzüge planen, einer Geschichte, in der es im Kern um ein Intrigenspiel geht, guttun. Agnitha beispielsweise erhält eine sehr intensive Begegnung mit Harandra, allerdings wird ihre eigene politische Agenda so kaum deutlich. Gleichermaßen gilt dies auch für Bitescha, die auf diese Weise keine ambivalenten Merkmale hat, sondern schlicht arrogant und zynisch wirkt. Ob sie wirklich auch eigene, möglicherweise aus ihrer Sicht sinnvolle Pläne im Falle einer Übernahme der Herrscherwürde hat, lässt sich so kaum erschließen. Im besonderen Maße trifft das für mich auf den Bosparaner Crito Rondarius zu, der seinen Taten nach ein ausgesprochen fähiger Menschenverführer sein muss, was aber dadurch unterlaufen wird, dass man seine Methoden gar nicht gezeigt bekommt. Bei anderen Figuren fehlt mir so eine nachvollziehbare Denkweise: Bei Thayan, dem Sohn Agnithas, der mit Harandra quasi zwangsverheiratet wird und sie eigentlich als Mörderin seiner Mutter ansieht, ist der spätere Sinneswandel aus meiner Sicht überhaupt nicht in seiner Motivation erklärbar.

Wie gesagt bedeutet das nicht, dass dem Roman die Spannungsmomente fehlen, im Gegenteil sind sogar einige ausgesprochen epische Momente vorhanden, vor allem wenn Harandra beschließt, der Gruppe von Verrätern in den eigenen Reihen nicht mit der Gewalt ihres Heeres entgegenzutreten, sondern ihre eigene Transformation zu einer mächtigen Zauberpriesterin unter Beweis stellt, die auch noch göttlichen Segen genießt.    

Etwas hinterfragen möchte ich die Zeichnung von Harandra als starke Frauenfigur. Mein Eindruck ist hier, dass das Matriarchat, so wie es im Roman gezeigt wird, sie in dieser Rolle vielmehr oft einschränkt. So muss sie gleich zweimal einen Gemahl aus Staatsraison nehmen, kann sich also nicht frei entfalten und muss sich Zwängen unterordnen. Allerdings gilt dies zumindest im Fall von Thayan genauso für ihr männliches Pendant, dem diese Ehe zunächst sogar regelrecht verhasst ist. Was dafür allerdings gut nachvollziehbar ist, ist die Entwicklung von einer jungen Beyrouna, die eher ein Spielball ist, hin zu einer erwachsenen Herrscherin, die die Machtverhältnisse bei den Alhaniern nachhaltig verändert. In dieser Hinsicht bin ich auch sehr gespannt auf die Fortführung in zweiten Roman, wie dann die Konfrontation mit dem Bosparanischen Reich geschildert wird.

Was mir gut gefällt ist die Verbindung des Romans mit der aktuellen Spielwelt, ist doch Harandras Grab das zentrale Thema von Gefangen in der Gruft der Königin. Ist Harandra dort nur ein Name aus grauer Vorzeit, so wird sie in diesem Roman umgekehrt sehr lebendig. Solche Anreicherungen des Hintergrunds halte ich immer für gewinnbringend.

IV. Fazit

Das Erste Blut – Der Aufstieg Alhaniens I ist ein unterhaltsamer Roman, der mit Harandra eine facettenreiche Hauptfigur in den Mittelpunkt stellt und deren individuelle Entwicklung glaubhaft und spannend aufzeigt. Allerdings erhalten dafür die Nebenfiguren aus meiner Sicht viel zu wenig Profil und es fehlt für mich dort an einer nachvollziehbaren Charakterentwicklung, was im Handlungsgang einiges für mich unrund wirken lässt.

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