Rezension: Die Gabe der Amazonen

Vorbemerkung: Nachdem ich zuvor schon mit Die Löwin von Neetha Urlaubslektüre Nr.1 rezensiert habe, folgt nun der zweite Roman, der mich in meinem Koffer begleitet hat. Und nach einem Werk aus Ina Kramers Feder handelt es sich passend dazu um einen ganz alten Klassiker, nämlich Die Gabe der Amazonen von Ulrich Kiesow. In der Kernreihe trägt der Band zwar die Nr. 18, eigentlich aber ist es der zweite DSA-Roman nach Das Eherne Schwert und erschien bereits 1987 im Heyne Verlag und wurde erst nachträglich zu der alten Fanpro-Reihe hinzugefügt. Mein Exemplar ist aber ein Produkt der Print on Demand-Idee von Ulisses.

In Zahlen:

– 343 Seiten

– Preis: 14,95 Euro (in der Print on Demand-Variante)

– erschienen 1987 (in der Originalausgabe)

I. Inhalt und Aufbau

Auch die Handlung ist spürbar der aventurischen Gegenwart vorgelagert, spielt der Roman doch im Jahr 978 BF, also noch vor der Regierungszeit von Hal (in dessen Amtszeit die ersten Rollenspielpublikationen stattfinden), sogar noch zu Lebzeiten von dessen Vater Reto.

Im Mittelpunkt der Handlung steht eine typische Heldengruppe bestehend aus dem Halbelf Arve (der auch als Ich-Erzähler fungiert), und dem Streuner Viburn. Die beiden langjährigen Freunde sollen als wildniskundige Führer den Krieger Elgor, die Rondrageweihte Junivera und den Zwerg Larix auf eine Mission begleiten. Als Auftraggeber fungiert dabei Halman ui Bennain, der Fürst von Havena (und Vater des später häufig als NSC verwendeten Cuanu). Dieser hat neben seinen offiziell bekannten Kindern noch eine weitere Tochter, von der die Öffentlichkeit nichts weiß: Dabei handelt es sich um niemand Geringeres als die Amazonenkönigin Yppolita. Allerdings sind alle Versuche, Kontakt zu ihr aufzunehmen, bislang fehlgeschlagen. Somit soll die Gruppe sich nach Kurkum aufmachen und ihm anschließend Bericht erstatten, was aus seiner Tochter geworden ist. Der Auftrag birgt ein hohes Risiko, vor allem für eine Gruppe, in der sich mehrheitlich Männer befinden, die von den Amazonen bekanntlich nicht geduldet werden.

Und tatsächlich stellt sich schon zu Beginn der Reise heraus, dass eine gegnerische Fraktion nichts unversucht lässt, um ihre Reise zu behindern, wozu auch auf potentiell tödliche Gewalt zurückgegriffen wird, u.a. muss die Gruppe sich feindlicher Angriffe erwehren. Allerdings wächst die Gemeinschaft auch schnell um ein weiteres Mitglied, da sie in der Wildnis auf eine verwahrloste junge Frau treffen, die dort offenbar lange Zeit fernab der Zivilisation nur mit ihrem verstorbenen Onkel zugebracht hat. Da sie sich nicht an ihre Vergangenheit und ihre Identität erinnert, wird sie von allen nur Mädchen genannt. Recht bald schon erweist sich aber, dass sie mehr als nur eine einfache Waise ist, indem sie unter anderem über ein beachtliches Talent als Kämpferin verfügt, das die Fähigkeiten ihrer ungleich älteren und erfahreneren Begleiter zum Teil deutlich übertrifft.     

Je näher das Reiseziel in Sichtweite kommt, desto höher werden die Hürden, die es zu bezwingen gilt. Ein besonders ausführlicher Handlungsteil setzt – passend zur Entstehungszeit in der DSA1-Ära – ein großes Dungeon mit vielen Fallen und Wesen in Szene. Die etwas zusammengewürfelte Truppe wächst im Laufe der Zeit immer mehr zusammen, allerdings geht das Abenteuer nicht ohne tragische Ereignisse und Verluste vonstatten. Immer wieder eingeschoben werden kurze Passagen, die Geschehnisse in Kurkum schildern und aus denen sich am Ende der Hintergrund für die finale Konfrontation ergibt.

II. Figuren

Im Mittelpunkt steht als Erzähler natürlich Arve. Er und sein Freund Viburn stellen als Streuner die „normalen Figuren“ dar, die es gewohnt sind, sich als nicht-privilegierte Charaktere in allen Lebenslagen durchzuschlagen. Während Arve sich vor allem in der Wildnis zurechtfindet, ist Viburn ein mit allen Wassern gewaschener Hansdampf, dessen Loyalität nicht immer ganz klar ist, da er – anders als Arve – nicht das ist, was man modern als Teamplayer bezeichnen würde. Elgor und Junivera als Krieger und Rondrageweihte sind eher Vertreter der Oberschicht und führungsgewohnt, allerdings sind sie abseits von Kämpfen und von gesellschaftlicher Konversation oft auf Viburn und Arve angewiesen. Vor allem Juniveras Verhalten erweist sich mitunter als hinderlich, da sie sehr an rondrianisches Ehrverständnis gebunden ist, was sich mit Heimlichkeit und Unauffälligkeit nicht immer gut verbinden lässt. Larix ist zuletzt als typischer Zwerg gekennzeichnet, impulsiv und polternd in Konfrontationen, kompetent hingegen, sobald es in den Untergrund geht.

Die seltsamste Figur ist aber Mädchen, da sie in ihren Charakterzügen nicht immer greifbar ist bzw. einem steten Wandel unterzogen ist. Freundlich-naives Verhalten schlägt mitunter urplötzlich in kaltblütiges Instinktverhalten um, sobald sie in Konfrontationen gerät.      

III. Kritik

Wie bei vielen sehr alten Publikationen merkt man auch Die Gabe der Amazone an, dass die Hintergrundwelt damals noch nicht so ausdifferenziert bzw. engmaschig beschrieben wurde, wie es heutzutage der Fall ist. Beispielsweise wird der Ehrenkodex der Rondrageweihten Junivera sehr eng ausgelegt, als würde jegliche Herausforderung sie in eine quasi willenlose Marionette verwandeln und sie würde robotergleich in einen Konfrontationsmodus übergehen. Gerade wenn diese Herausforderung von einem Oger ausgesprochen wird (der dies offenbar sogar offenbar ganz kalkuliert unternimmt), ist das aus heutiger Sicht nicht mehr glaubhaft. Auch der Einfluss der Amazonen wird arg unrealistisch dargestellt, indem sie quasi überall, wo die Gruppe unterwegs ist, über eine Art von Agentennetz verfügen. Somit erscheint es auch eher unwahrscheinlich, dass die Drahtzieherin des gesamten Geschehens bislang unbehelligt geblieben ist, da sie so viele unter den Amazonen in ihre Pläne einbezogen hat.

Umgekehrt bietet Ulrich Kiesow in seinem ersten DSA-Roman gute Unterhaltung und eine spannende Geschichte, auch wenn diese noch nicht so ausgefeilt ist wie bei seinen späteren Werken. Die Gruppe mag zwar anfangs einer gewissen Klischeezusammensetzung entsprechen (zwei Streuner, ein Krieger, eine Geweihte und ein Zwerg), allerdings sind gerade Viburn und Arve eine eigene Untergruppe, die immer wieder eigene Ziele verfolgen. Dadurch bricht das Beziehungsgeflecht immer wieder einmal auf, zumal Mädchen ohnehin eine Sonderrolle einnimmt. Ihre Rolle ist allerdings ab einem gewissen Punkt relativ durchschaubar, trotzdem hat man zwischendurch ein Aha-Erlebnis.

Der Höhepunkt der Geschichte ist eindeutig die Romanversion eines klassischen Dungeoncrawl. Dieser gewinnt vor allem anfangs dadurch Reiz, als dass die Gruppe zunächst einigen Konkurrentinnen folgt und abwartet, wie diese mit den Fallen umgehen, um sich selbst Arbeit und vor allem Lebensgefahr zu ersparen. Gerade hier zeigt sich schon Ulrich Kiesows erzählerische Stärke, die in einem hohen Detailgrad in den Beschreibungen liegt. Aber auch sonst ist die Reise unterhaltsam gestaltet, wenn man neben dieser einzigen längeren urbanen Episode mal mit Goblins, Ogern und Wölfen in der Wildnis konfrontiert wird, später sogar eine der seltenen Begegnung mit Grolmen stattfindet und zuletzt Kurkum selbst aufgesucht wird.

Weniger glücklich bin ich mit der Charakterzeichnung: Im Prinzip taugt keiner der Charaktere als Identifikationsfigur. Vor allem Viburn und Arve sind am Ende ambivalent, sollen sie doch eher wie sympathische Schlitzohren wirken, die ihren Optimismus selbst in größter Lebensgefahr nicht verlieren. Das wird aber durch den Umstand konterkarikiert, dass sie relativ skrupellos Mädchens anfängliche Naivität und Unerfahrenheit ausnutzen, um von ihr sexuelle Gefälligkeiten zu erlangen. Auch wenn sie nicht mehr minderjährig ist, hinterlässt das zumindest bei mir eher ein ungutes Gefühl. Elgor, Larix und Junivera werden entweder zu oberflächlich (Elgor, Larix) oder offen unsympathisch (Junivera) gezeichnet. Für eine Heldengruppe agieren sie zudem oft merkwürdig kopflos, vor allem fehlt mir von Beginn an ein Plan, wie eine Gruppe, die aus 4 Männern besteht, am Ende Zugang zu Kurkum erlangen will. Das ergibt sich zwar am Ende der Handlung durchaus stimmig, kann aber im Vorhinein ja so nicht von Arve und Co. antizipiert werden und es mutet komisch an, dass darüber während der Reise kaum ein Wort verloren wird.

Aus heutiger Sicht ist umgekehrt spannend, wie hier eine Reihe von Setzungen entwickelt werden, auf denen in den Folgejahren viele Abenteuer aufgebaut haben, um Handlungsstränge rund um die Amazonen von Kurkum weiterzuspinnen, was natürlich unter anderem das Schicksal von Ypollita betrifft, eine der zentralen Figuren des Metaplots in den 90er Jahren. Genauso ist die Geschichte von Arve und Junivera ja mit dem Roman noch nicht auserzählt.

IV. Fazit

Die Gabe der Amazonen ist ein unterhaltsamer und spannender Roman aus der Frühzeit von DSA. Längst nicht alle Inhalte sind kompatibel mit dem modernen Aventurien, allerdings werden auch einige Elemente eingeführt, die noch heute eine Bedeutung im Metaplot haben. Weniger gelungen ist die Charakterzeichnung der zentralen Heldengruppe, in der niemand wirklich als Identifikationsfigur taugt.                      

6 Kommentare

  1. Coole Rezi

    3 Kommentare:
    1. (Eher technisch): Uli Kiesow hat den Roman nochmal etwas überarbeitet, als er dann bei Heyne erschien. Leider hab ich mir den dann nicht gekauft. Weißt du, welche Version die PoD ist?

    2. Was man nicht vergessen darf: in dem Roman wurde zum allerersten Mal die av. Spielwelt in einen ROMAN gegossen. Ich war damals total geflasht, als an einer Stelle gezaubert wurde und der Erzähler seine subjektive Wahrnehmung schildert, ohne dass ein Meister sagt, das war jetzt der Zauber xyz mit 8 ASP Kosten. Dieses Feeling ist heute nach hunderten von Romanen einfach verschwunden.

    Ebenso cool fand ich die Verknüpfung der Vitae von Yppolita und Junivera in bereits erschienene Abenteuer (Göttin der Amzonen und Orkland-Trilogie). Auch das war neu. Prequels wurden ja erst später durch Star Wars salonfähig)

    Alles in Allem war dieses Buch in mehrerlei Hinsicht wegweisend.

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    1. Von einer Überarbeitung weiß ich leider nichts, das kann ich dir nicht sagen. Ich hab nur bei Kai Frerich von „4 Helden und ein Schelm“ in seiner Sendung über DSA-Romane gehört, dass die Erstauflage von Heyne sogar einen Dungeonplan hatte. Den gibt es in der Version nicht, die ich habe. Demnach würde ich vermuten, dass es sich um die überarbeitete Variante handelt.

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      1. Hi, nein, die Originalausgabe war in Mini-Auflagen von Fanpro (auf ganz komischen Papier). Dort war auch eine rudimentäre Karte von Beilunk.(trotzdem cool, denn es gab noch keine Karte vorher)

        Erst später hat Heyne dann das Buch in seine Serie aufgenommen (ohne diese karte). Ich habe gerade eben auf der Wiki Aventurica geschaut: dort sind die Unterschiede beschrieben. Hat deine PoD Version einen Epilog? Dann ist es die Überarbeitung

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  2. Dies rührt von der Auflage der Gew. her, niemals eine Herausfroderung abzulehnen und jede Schmähung ihrer Göttin oder der Zwölfergemeinschaft zu vergelten. (Götter, DSA2)
    Die harten Auflagen aller Zwölfer wurde erst zu DSA3 gelockert!
    Die Göttin der Amazonen war mein 18. DSA-Roman, und Julivera war mir keine Unbekannte … ebenso Mädchen. Es war der erste Roman der vor Hal spielte, der Schweertkönig folgte erst auf den 35.Band.
    Ich les die Gabe heute noch gerne, weil das Buch wie ein Abenteuer aufgebaut ist.

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  3. Ich glaube bei der Sache mit der Identifikationsfigur hat sich einfach der Zeitgeist gewandelt. Arve machte eine Menge fragwürdiger Sachen, aber ich glaube, bis zu einem gewissen Grad ist das Absicht. Er soll eher als Stand-In für einen jugendlichen (und offenbar männlichen) DSA-Spieler aus der Erscheinungszeit fungieren. Ich glaube dur heroischen Fantasie, ein PnP Held zu sein, gehörte eben auch, im Kleinen mal nicht nett sein zu müssen.
    Dass dieses „im Kleinen ein bisschen ein Gauner sein“ heute „sexuelle Nötigung“ hieße und absolut nicht in Ordnung ist, will ich gar nicht bestreiten. Mir war beim re-read auch nicht wohl dabei, ich glaube aber dass man sich darüber damals einfach keine Gedanken gemacht hat.

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