Rezension: Verhandlungskunst und Friedensschwur

Vorbemerkung: Der furchtbare Krieg in der Ukraine lässt sicher kaum jemanden ungerührt, gerade in Zeiten, in denen Kriege in Europa eigentlich so etwas wie Relikte der Vergangenheit schienen. Vor allem löst es großes Leid aus, wenn Menschen ihre Wohnungen und ihre Heimat verlieren. Wichtig ist es, etwas tun zu können, um derartiges Leid wenigstens etwas lindern zu können. Eine wirklich schöne Möglichkeit dazu hat Ulisses gefunden, indem auf Anregung einiger Autoren eine Abenteuer-Anthologie erstellt wurde, deren Erlös in Teilen als Spende für Notleidende des Krieges bereitgestellt werden soll. Passend dazu soll Verhandlungskunst und Friedensschwur zwar keine aventurische Umsetzung des Ukraine-Krieges darstellen (was sich aus meiner Sicht auch absolut verbieten würde), sondern stattdessen Konfliktszenarien aufwerfen, für die eben keine gewaltsame Lösung gefunden werden soll.

In Zahlen:

– 64 Seiten

– 3 Abenteuer

– Preis: 17,95 Euro

– Erschienen am 26.8. 2022

I. Aufbau und Inhalt

Die drei Abenteuer wurden jeweils von verschiedenen Autorenteams geschaffen. Jedes Abenteuer steht für sich allein, es gibt keine Verbindung zwischen den einzelnen Szenarien und es ist auch nicht vorgesehen, sie als zusammenhängende Kampagne zu spielen. Mit Aranien, Tobrien und der Zyklopeninsel Baltrea wurden sehr unterschiedliche Schauplätze und Regionen berücksichtigt.

Die wilde Horde

Das Abenteuer von David Frogier de Ponlevoy und Rafael Knop spielt im Süden von Aranien, in Palmyramis und ist primär als Intrigenabenteuer angelegt. Die Heldengruppe kann dabei schon im Einstieg der Handlung Zeuge werden, wie ihre Karawane von einem tulamidischen Reiterstamm bedroht wird und eine Weiterreise nur gegen einen Wegzoll erlaubt wird. Wenn sie dies im Herrscherpalast in Palmyramis vortragen, können sie eine sehr besorgte Radjara Rashpatani erleben. Die junge Herrscherin sieht sich mit Vorwürfen konfrontiert, dass sie mit schwacher Hand regiert und die Reiterstämme der Region – anders als ihre Vorgängerinnen – nicht im Griff hat. Somit beauftragt sie die Gruppe, entsprechende Nachforschungen zu stellen, was die Reiter und ihre Anführer dazu bringt, alte Abmachungen plötzlich zu ignorieren.

Dazu können die Spielercharaktere einerseits Nachforschungen in Palmyramis selbst anstellen (wozu auch eine Karte vorhanden ist), über kurz oder lang aber wird es notwendig sein, die Stadt zu verlassen und mit den Reiterstämmen selbst in Kontrakt zu treten. Allerdings akzeptieren diese Außenstehende nicht ohne weiteres, sondern man muss sich in deren Augen als würdig erweisen. Dazu gibt es einige denkbare Szenarien, wie man dies erreichen kann sowie Angaben, welche Rechercheergebnisse man an unterschiedlichen Orten und bei verschiedenen Personen einholen kann. Zunehmend ergibt sich dabei die Erkenntnis, dass es gilt, sich anbahnende kriegerische Konflikte zu unterbinden, die die Position Rashpatanis weiter schwächen würden.

Mächtiger als das Schwert

An einen sehr konkreten Konfliktherd führt das zweite Abenteuer von Fred Ericson, Julian Härtl und Thorsten Most. Auch nach Rohajas erfolgreichem Feldzug ist das alte Herzogtum Tobrien noch längst nicht wiederhergestellt und mit den Feinden in Transysilien herrscht eine Art Patt. Nachdem sich die Heldengruppe durch beherztes Eingreifen auszeichnen kann, erhält sie vom Herzogssohn Jarlak von Ehrenstein einen brisanten Auftrag: Sie sollen nach Tobrimorien ziehen und dort in dem zerstörten Ort Vennhag nach dem Rechten sehen. Dabei handelt es sich um die Grenze zu Transysilien, wobei die Besonderheit ist, dass der Grenzfluss Tobrimora dort recht einfach überquert werden kann. Trotz einer eigentlich herrschenden Waffenruhe kommt es offenbar immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Grenztruppen beider Seiten, die Jarlaks Vater Bernfried unterbinden möchte.

Wenn die Spielercharaktere den Ort erreichen, stellt sich in der Tat eine schwierige Lage dar. Unter den Soldaten gibt es offenkundig Kompetenzgerangel, ausgelöst durch das kürzliche Verschwinden des Kommandanten. Somit herrscht Uneinigkeit, wie man mit Gesprächsangeboten seitens der Transysilier umgehen soll.

Auch dieses Abenteuer hat seinen Schwerpunkt im Bereich der Recherche, wenn man dem Ursprung des Unfriedens auf den Grund gehen soll. Dazu sind viele Personenbeschreibungen vorhanden, nebst den Informationen, die man jeweils erhalten kann. Daraus wiederum ergeben sich weiterführende Szenen, mittels denen man sich die Lösung erarbeiten kann. Angesichts zweier ohnehin verfeindeter Fraktionen, die sich waffenstarrend gegenüberstehen, ist zudem ein gewisses diplomatisches Geschick vorhanden, um eine Eskalation zu verhindern.

Purpurtränen

Das letzte Abenteuer aus der Feder von Christian Nehling und Sebastian Thurau hat sicherlich den ungewöhnlichsten Hintergrund. Statt um große militärische Konflikte geht es um einen Mangel an der Farbstoffgrundlage für Purpur. Diese findet sich auf der Zyklopeninsel Balträa und wird aus den dort lebenden Purpurschnecken gewonnen. Nachdem entsprechende Lieferungen in der Vergangenheit kein Problem darstellten, hat sich nun ein höherer Bedarf ergeben, unter anderem durch die vielen Feierlichkeiten, die aus dem jüngst erfolgten Herrscherwechsel hin zum neuen Seekönig Haridiyon Thaliyin resultieren, da der Adel neue Gewänder benötigt. Als konkrete Auftraggeberin und Begleiterin fungiert die die Rahjageweihte Rahjanidis a Skebos, die eine erhebliche Menge des Farbstoffs für die Erweiterung der Kuppel des Rahjatempels von Teremon braucht.

Auf Balträa angekommen stellt sich schnell heraus, dass allein die Gewinnung des Farbstoffs für Zwistigkeiten unter rivalisierenden Gruppen sorgt, gibt es doch eine Fraktion der Fischer und eine der Taucher, die beide mit unterschiedlichen Methoden an die Tiere gelangen wollen. Zudem scheint der Farbstoffmangel daraus zu bestehen, dass bei der Gewinnung die Purpurschnecken getötet werden und die Art offenbar kurz vor dem Aussterben steht. Auch hier kann man auf unterschiedlichen Wegen Informationen sammeln, um eine Lösung dieses Dilemmas zu finden. Diese liegt sogar weit in der Vergangenheit begründet und hat mit wundersamen Kräften zu tun, die auf Balträa wirken. Insofern man alle Puzzleteile gesammelt hat, gilt es zuletzt, alle Beteiligten von einer zukunftsträchtigen und nachhaltigen Lösung zu überzeugen.

Stellvertretend für die beteiligten Autoren gibt es noch ein Schlusswort von Sebastian Thurau, in dem dieser das Anliegen der Anthologie noch einmal erläutert.

II. Kritik

Vor allen anderen Dingen muss natürlich der Zweck dieser Anthologie hervorgehoben werden: Hier einen Spendenbetrag zu generieren, ist eine wichtige Idee, die unbedingt unterstützenswert ist. Zumal die Initiative von den Autoren selbst kam, die unentgeltlich ihre Texte entwickelt und verfasst haben (was wohl auch für die anderen Beteiligten gilt), um die Entstehungskosten so niedrig wie möglich zu halten. Um den Kostenfaktor zu dämpfen, wurde weitgehend auf neue Illustrationen verzichtet, sondern auf bestehende zurückgegriffen, was ich angesichts der Bandprämisse für absolut nachvollziehbar halte.

Hinzu kommt natürlich noch der Effekt, dass auf diese Weise ein eigentlich nicht geplanter zusätzlicher Abenteuerband seinen Weg in den Verlagsplan gefunden hat. Passend ist aus meiner Sicht aber auch der Ansatz, nicht irgendwelche thematisch beliebigen Abenteuer zu verfassen, sondern solche, die auch explizit das Thema Konfliktlösung in den Mittelpunkt stellen. Gewalt ist ein stilistisches Mittel, das im Rollenspiel seinen legitimen Platz hat und haben wird. Hier aber halte ich es für richtig, angemessen zum Entstehungsanlass auch eindeutig solche Lösungen anzubieten, in denen das Schwert einmal stecken bleibt und stattdessen Vermittlung zwischen den beteiligten Parteien präferiert wird. Dies ist in allen drei Szenarien möglich und wird auch jedes Mal sehr ausführlich thematisiert und mit verschiedenen Optionen angesprochen (wobei natürlich auch ein Scheitern möglich ist, wodurch die Konflikte ausbrechen).

Die Abenteuer sind ja den Verlautbarungen von Ulisses nach in sehr kurzer Zeit ohne große Vorplanungen entstanden (was Sebastian Thurau im Nachwort auch bestätigt), weshalb das Drehen an den Schrauben des Metaplots kaum möglich ist. Trotzdem ist ein positiver Eindruck, dass die Abenteuer auch eine gewisse größere Relevanz haben. So hat man in Die wilde Horde und in Mächtiger als das Schwert mit Rashpatani bzw. Jarlak prominente Auftraggeber aus der Riege der jüngeren NSC, die somit mehr Profil gewinnen können, in Purpurtränen kann man einer leibhaftigen Tierkönigin begegnen. Das gibt den Abenteuern durchaus eine gewisse Relevanz über den kleinen Handlungsrahmen eines Anthologieabenteuers hinaus.

Die wilde Horde hat seine Stärke sicherlich im Rahmen des Intrigenspiels zwischen Rashpatani und ihren Konkurrenten, zusätzlich gibt es den reizvollen Kontrast zwischen dem Geschehen am erhabenen Herrschersitz in Palmyramis und dem rauen Leben der Reitervölker. Allerdings halte ich es deutlich für das schwächste Abenteuer der Anthologie, weil ich es im Ganzen als zu gelenkt ausgeführt ansehe und es vor allem einige Logiklücken nicht schließen kann. So wird die maßgebliche Intrigantin dadurch motiviert, dass sie sich und ihre Familie in ihrer Machtbasis beschnitten sieht und deshalb eine Konkurrentin bevorzugen würde, das passt aber nicht mit dem Umstand, dass Rashpatani ihr eine wichtige Position am Hof zugewiesen hat. An anderer Stelle wird das Rahjakloster Sidi Trabina als wichtige Informationsquelle bezeichnet, das unbedingt aufgesucht werden soll, allerdings gibt es nirgendwo einen Hinweis, wie sie darauf stoßen sollen, dass sie dort suchen sollen, naheliegend ist es eher, direkt zu den Reitervölkern zu gehen. Dazu kommt eine sehr gelenkte Handlungsentwicklung, die schon am Anfang mit dem frustrierenden Umstand beginnt, dass man einer Übermacht den Wegezoll übergeben soll, ohne dass Alternativen in Erwägung gezogen werden. Durch den relativ großen Handlungsbogen ist hier auch für mich das einzig erkennbare Platzproblem innerhalb des Bandes vorhanden, indem alles immer nur sehr grob beschrieben werden kann (gerade auch die Figurenmotivationen).

Sehr gut gelingt dies umgekehrt in Mächtiger als das Schwert. Hier werden ein überschaubarer Ereignisrahmen und Handlungsort verwendet. Der Konflikt ist durch die wechselhafte Vorgeschichte Tobriens trotzdem sehr relevant und spielt mit einem der zentralen Elemente des Metaplots, den Folgen der borbaradianischen Invasion. Somit lebt das Abenteuer auch von seiner sehr dichten Atmosphäre, wenn die Soldaten in einem eigentlich unbedeutenden Ort, der nur noch aus Ruinen besteht, einen offenkundig irrelevanten Stellungskrieg führen. Dies wird durch die Beschreibung des Soldatentrupps gut markiert, als einzigen Mangel würde ich hier das Fehlen einer Karte bezeichnen (was aber wohl der Vorgabe, möglichst wenig Kosten zu verursachen, geschuldet sein dürfte). Interessanterweise verbirgt sich dahinter ein durchaus vielschichtiges Intrigenspiel auf kleiner Ebene. Die Recherche dazu setzt die Gruppe in eine ausgesprochen gefährliche Situation, die es zu meistern gilt, um relevante Beweise zu finden. Zudem gibt es mehrere Handlungsebenen, hinzu kommen ja noch die Kompetenzgerangel zwischen den beiden Weibelinnen.

Purpurtränen verfügt über einen weniger dramatischeren Handlungsbogen, gewinnt dafür aber eindeutig den Originalitätspreis. Die Geschichte um den Purpurfarbstoff, die Schnecken und ihre Königin ist völlig unverbraucht und versetzt die Spielercharaktere in einen höchst ungewöhnlichen Konflikt, der auch unorthodoxe Lösungsansätze verlangt. Das halte ich für ausgesprochen unterhaltsam, zumal hier auf eine glaubhafte und nicht zwanghaft herbeigeführte Art und Weise quasi eine ökologische Botschaft eingebaut wurde, wobei Nachhaltigkeit am Ende als sinnvolle Lösung steht, die aber gegen Widerstände vermittelt werden soll. Spannend ist auch der Umstand, dass man die Dankbarkeit einer Tierkönigin gewinnen kann, was auch regeltechnische Auswirkungen haben kann.

III. Fazit

Der Anlass der Anthologie steht grundsätzlich über den Dingen und ist uneingeschränkt zu loben, weswegen ich auch, anders als sonst, gerne eine Kaufempfehlung gebe. Aber auch inhaltlich lohnt es sich überwiegend: Die wilde Horde kann mich leider nicht überzeugen und stellt für mich den Schwachpunkt unter den Abenteuern dar, dafür gefallen mir Mächtiger als das Schwert wegen seiner gelungenen Atmosphäre und Purpurtränen wegen seiner originellen Geschichte gut.

Bewertung: 4 von 6 Punkten

3 Kommentare

  1. Ich schließe mich meinem geschätzten Kollegen an: Meinen besten Dank für die Rezension. Es motiviert, zu lesen, dass (und wie) du dich mit unserem Schaffen ausführlich und konstruktiv auseinandersetzt.

    Gefällt 1 Person

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