Vorbemerkung: Leider gab es Ende vergangener Woche eine sehr schlechte Nachricht: Mit Ina Kramer ist eine weitere Person verstorben, die DSA von den Anfangszeiten an mitgeprägt hat. Kai Frerich von Vier Helden und ein Schelm hat in den vergangenen Jahren einen sehr lebhaften Austausch mit ihr entwickelt und nun in seiner Schelmschau die traurige Nachricht bekannt gemacht. Anders als er habe ich sie (bis auf eine ganz kurze Begegnung) nicht persönlich gekannt, allerdings habe ich – gerade in den letzten Jahren – ihr Werk hier im Blog begleitet und bin dementsprechend der Meinung, dass sie eine Würdigung verdient, aufgrund ihrer vielfältigen Leistungen für DSA.
Ein Bild von Aventurien
Zuallererst gehört Ina Kramer zu denjenigen, die für viele von uns das Aventurien-Bild buchstäblich mitgeprägt haben. Genauso wie die Yüce-Cover ikonisch für die Frühzeit von DSA sind, so ist sie im Innenteil vieler Bände aus der Ära DSA1-3 (und durch Wiederverwendungen sogar bis in die 4. Edition) mit ihren Illustrationen vertreten. So schuf sie unter anderem Porträts von Liscom von Fasar, Nahema (im Kettenhemd), Rohal, Hela-Horas und unzählige anderen. Noch heute sind es bei Erwähnung dieser Namen auch die entsprechenden Porträt-Zeichnungen von ihr, die ich dann im Kopf habe. Und natürlich gilt dies auch für Kartenzeichnungen, v.a. für die große Aventurien-Karte. Ich halte es für einen Glücksfall, dass von Beginn an auch eine studierte Künstlerin mit an Bord gewesen ist, um dem damals neuen Rollenspiel auch ein ansprechendes Bild zu geben.
Viel Hintergrundarbeit und ein Kleinod
Was ihre Mitarbeit an der Textbasis angeht, bleibt es für mich vielfach eher diffus. In Interviews hat sie sich dazu sehr bescheiden geäußert und andere Personen in den Vordergrund gestellt. Das lässt sich für mich kaum nachprüfen, es erscheint aber tatsächlich eher so, als wäre ihr Beitrag hier wohl größer, als es den Anschein hat.
Eindeutig ihr zuzuordnen ist auch nur ein einziges Abenteuer. Das aber zählt nach wie vor zu den schönsten und erinnerungswertesten, die aus meiner Sicht je für DSA je entstanden sind (und wenn ich so in die Foren und andere Netzquellen schaue, bin ich mit der Meinung offensichtlich nicht alleine). Der Zorn des Bären ist ein im besten Sinne bodenständiges Abenteuer, das es schafft, die einfachen Menschen des Bornlandes darzustellen. In den frühen 90ern war dies eher noch die Ausnahme, die sprichwörtliche Hotzenplotzigkeit hat DSA erst später erhalten. Und gerade dieses Abenteuer ragt dabei für mich heraus, was unspannend werden könnte, gelingt hier ausgesprochen gut. Nie wieder hat zum Beispiel eine Schnellballschlacht für mich ein erinnerungswürdiges Highlight in einem Abenteuer dargestellt. Und selten war die Diskrepanz zwischen dem dramatischen Cover mit dem riesigen Bären, der ein Haus zerstört und dem eigentlich eher ruhigen Ton des Inhalts größer. In meiner alten Runde denken wir heute noch gerne an unsere Zeit als Gäste von Baronin Mirhiban und ihrer quirligen Zofe Janne zurück.
Die Romanautorin
Dazu passen auch die Eindrücke, die sie in dem Bereich hinterlassen hat, in dem sie sichtlich aktiver gewesen ist. In ihrer Romanvita stehen immerhin 7 Romane, hinzu kommen noch mehrere Kurzgeschichten. Das macht sie zu einer der aktivsten Autorinnen der DSA-Historie.
Ihr Wirken hier lässt sich in zwei Phasen unterteilen: 4 Romane sind in den 90ern entstanden (Die beiden Thalionmel-Romane Die Löwin von Neetha und Thalionmels Opfer sowie Im Farindelwald und Die Suche), drei dann in jüngster Zeit zwischen 2020-22 (Greetja, Das Chimären-Komplott und Offene Rechnungen). Gerade bei letzteren Romanen muss man auch nochmal die Rolle von Kai Frerich ansprechen, der sie offenbar immens motiviert hat, indem er ihr gezeigt hat, dass sie bleibende Spuren hinterlassen hat, die auch heute noch von vielen Spieler*innen wertgeschätzt werden.
Thematisch ist eines auffallend: Auch in den Romanen sind es eher weniger die weltumspannenden Geschichten, in denen schwertschwingende Held*innen im Mittelpunkt stehen. Sondern es sind eher die einfachen Figuren wie der junge Heiler Anselm Peckert und die unerfahrene Hexe Sylphinja in Im Farindelwald und Die Suche oder Greetja, ebenfalls eine junge Hexe, die auf der Suche nach Halt, Lebenszweck und Identität sind. Gleiches gilt u.a. für die raubeinige Thorwalerin Eldgrimma und ihren Sohne Asleif-Hayatepe, die in Das Chimären-Komplott und Offene Rechnungen eher zufällig in die Abenteuer verwickelt werden, als dass sie diese intensiv gesucht hätten. Sogar im Fall von Thalionmel, einer der zentralen historischen Figuren von Aventurien, verschiebt sich in der Roman-Biografie der Fokus, indem nicht ihr Opfergang in epischer Breite geschildert wird, sondern dies eigentlich nur eine kurze Episode innerhalb des Gesamtgeschehens ist, in dem es vielmehr um eine junge Frau und ihre Sorgen und Nöte geht.
Dementsprechend entzieht sich auch die Handlung eines typischen Ina Kramer-Romans gängigen Erwartungshaltungen oder Erzähltheorien. Nicht immer sind es die Guten, die am Ende triumphieren, nicht immer gibt es einen großen Showdown oder ein Happy End. Dementsprechend ist der Stil eher ruhig, für Beschreibungen von Figuren, Landschaften etc. ist viel Raum vorhanden, während man eben seitenlange Kampfbeschreibungen (wie sie gerade im Fantasy-Bereich oft in epischer Breite vorhanden sind) vergebens sucht. Im Fokus stehen Figuren und ihre Entwicklung. Meist handelt es sich um junge Protagonist*innen, die ihren richtigen Platz im Leben noch nicht gefunden haben und so ist einer der Romantitel, Die Suche, im Prinzip auch sehr stilprägend. Diese Figuren sind in der Regel eher liebenswert gezeichnet, keineswegs aber als ideale Charaktere. Schwächen sind immer erkennbar, seien es Genusssucht, Naivität, Unentschlossenheit etc.
Wer sich einen dieser Romane kauft, sollte sich bewusst sein, dass man eben keine typischen Fantasy-Geschichten erhält, sondern man sich auf sehr eigenwillige Erzählungen einlassen muss. Und – zumindest meine Erfahrung geht in diese Richtung – im Regelfall muss man sich auf sehr unerwartete Wendungen einstellen, die meist nicht den Mainstream-Konventionen entsprechen. Aber gerade deshalb möchte ich (entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten) eine ausdrückliche Empfehlung aussprechen: Gerade ihre jüngsten drei Romane sind ja leider nicht bei Ulisses erschienen, sondern „nur“ in der kleinen, nichtkanonischen Fanpro-Reihe. Aber ich halte sich durchweg für gelungen und denke, dass sie eine viel breitere Leserschaft verdienen. Darum mein klarer Appell: Kauft da mal das Lager leer und sorgt dafür, dass sich vielleicht sogar die eine oder andere Neuauflage lohnt, die Romane haben es verdient (was übrigens auch für die beiden schönen Kurzgeschichten Kann nicht lesen, kann nicht schreiben, aber will Baronin werden und Madame um Mitternacht im Scriptorium gilt).
Denn sie haben eine große Stärke: Man merkt auf jeder Seite, dass Ina Kramer Aventurien mitgestaltet hat und dementsprechend atmet man gerade in den vielen kleinen Details unheimlich viel Atmosphäre. Hier finde ich besonders bei den Spätwerken überraschend, dass Ina Kramer hier nach gut 20 Jahren immer noch in den regionalen Hintergründen und Eigenarten gesteckt hat und somit viele entsprechende Informationen eingearbeitet hat.
Ein Dank
Zuletzt bleibt mir nur, ihren Angehörigen mein herzliches Beileid zu wünschen. Was Ina Kramer selbst angeht, so finde ich es trotz allem beruhigend, dass so jemand nicht einfach verschwindet, sondern genug hinterlassen hat, was noch lange nachwirken wird. Ebenso finde ich es sehr tröstlich, dass ihr gerade in den letzten Jahren nochmal nachdrücklich bewusst geworden ist, dass ihre Arbeit immer noch wertgeschätzt wird und ihr das sogar den Antrieb gegeben hat, auch jenseits der 70 neue Geschichte zu verfassen. Daran hat sie ganz offenkundig viel Spaß herausgezogen, das verspürt man als Leser, auch ohne die Person direkt gekannt zu haben. Vielen Dank für die unzähligen Stunden, die man Dank ihr in fremde Welten flüchten konnte!
Eine die mein Aventurienbild sehr mitgeprägt hat. Die Farindelwaldromane haben mein Hexenbild bestimmt und ich liebe sie immer noch, auch wenn ich heute die Darstellung von sexualisierter Gewalt (grad angesichts der jungen Protagonistin) wie in einigen alten DSA-Romanen nicht sehr Toll finde. Aber ihre emotionale Charakterfeinheit bewundere ich. Rest in Peace.
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Lieber Engor, danke für den schönen Artikel. Da ich bei DSA schon länger nichts mehr mitverfolge, wusste ich gar nicht, dass Ina jetzt noch mal neue Sachen veröffentlicht hat – dass die Fans sie quasi dazu motiviert haben, finde ich sehr schön und rührend. Danke fürs Erzählen. Möge sie in Frieden ruhen.
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Danke für den schönen Nachruf.
Der Zorn des Bären durfte ich 3 mal Leiten und jede Spielgruppe hatte ihren Spaß daran. Besonders die Freundschaften, die mit den Dorfbewohnern entstanden, prägten das Abenteuer.
Die Romane von Ina habe ich verschlungen.
Vor allem Im Farindelwald und Die Suche.
Die beiden Kurzgeschichten hatten mich erneut begeistert, worauf ich die folgenden Bücher auch lesen musste.
Möge sie da, wo sie jetzt ist glücklich sein!
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Danke fuer für den Nachruf
Ein DSA Fan seid den 90ern
Drache Alex aus NRW
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