Rezension: Stadt ohne Sonne – Ahnenfall I

Vorbemerkung: Im Abenteuerbereich arbeitet sich DSK langsam hoch. Zunächst gab es ausschließlich Anthologieabenteuer. Echte Langabenteuer (also im Vergleich zu den 64-Seitern bei DSA5) gab es bisher noch nicht, allerdings zuletzt immerhin Kombiformate aus einer Spielhilfe und einem längeren Abenteuer. Stadt ohne Sonne von Philipp Baas geht jetzt noch einen Schritt weiter, denn dabei handelt es sich um die erste Kampagne in der Welt der Erwachten mit dem Obertitel Ahnenfall, die gleich auf 5 Abenteuer angelegt ist und dabei sogar alle bisherigen Schauplätze zusammenführen soll. Sicherlich ein ambitioniertes Projekt, zumal DSK bislang über keinen erkennbar übergreifenden Metaplot verfügt. Meine persönliche Erwartungshaltung geht primär dahin, dass ich mir nun mehr Epik erhoffe, da die bisherigen Abenteuer aus meiner Sicht eher kleinformatig waren, was die Herausforderungen und die Auswirkungen angeht. Optimistisch stimmt mich dabei der Umstand, dass hier zugleich auch ein neuer Schauplatz eingeführt wird, der einiges an Unterschieden zu allen anderen aufbieten dürfte, immerhin muss sich die Heldengruppe in die berüchtigte Stadt der 1000 Augen wagen, nach Yol Ghurmak.    

In Zahlen:

– 64 Seiten

– Preis: 24,95 Euro

– Erschienen am 28.5. 2024

I. Aufbau und Inhalt

Wie andere Abenteuer zuletzt ist auch dieser Band zweigeteilt. Die erste Hälfte nimmt die Stadtbeschreibung von Yol-Ghurmak ein, anschließend folgt das erste Abenteuer der Ahnenfall-Kampagne.

Yol-Ghurmak

Zunächst wird allgemein das Leben der Erwachten in der Dämonenschmiede beschrieben, was unter anderem davon geprägt ist, dass es wegen der Nahrungsmittelknappheit kaum Tiere gibt, diese sind über kurz oder lang fast alle auf dem Speiseplan der menschlichen Einwohner der Stadt gelandet. Generell wird eine ausgesprochen lebensfeindliche Atmosphäre geschildert, in der die wenigen Erwachten ständig auf der Hut sein müssen, um nicht den vielen Gefahren der Umgebung zum Opfer zu fallen.

Ergänzt wird dies wie immer bei DSK um einen Stadtrundgang-Part, der aus der Sicht von Erwachten verfasst wurde. Dabei wird man von dem Futtersucher Belkhar unter die Fittiche genommen, der relativ desillusionierend agiert und auf seiner Tour vor allem die Entbehrungen und die Gefahrquellen benennt, z.B. die charakteristischen wandelnden Häuser, die umherfliegenden Glutvögel oder die sogenannten fliegenden Augen, die ständig vom Turm der 1000 Augen Erkundungsflüge unternehmen. Es gibt natürlich auch Orte, die einen gewissen Schutz versprechen, wie die leeren Hallen. Eine Besonderheit ist das allgegenwärtige Flüstern, indem Stimmen den Erwachten Versprechungen von nützlichen Geschenken machen, die sich aber als zweischneidige Schwerter erweisen können. Erwachte, die diesen Einflüsterungen nachgeben, nennt man Befleckte.

Für die Spielleitung werden zudem einige Kreaturen vorgestellt (das fliegende Auge, der Glutvogel, die lebende Steinstatue, der untote Menschling, außerdem die beiden Befleckten Mischa Feuerpfote und Aljescha Eisenfell). Als neue Kultur werden Die Letzten hinzugefügt, außerdem die Professionen Futtersucher und Beschützer, sowie die Gaben und Makel der Stimmen (falls man den Einflüsterungen nachgibt). Zuletzt werden einige Geheimnisse aufgeführt. Am Ende des Bandes ist außerdem eine Karte von Yol-Ghurmak vorhanden.

Stadt ohne Sonne

Das titelgebende Abenteuer beginnt zunächst mit einer Schilderung der allgemeinen Kampagnenhintergründe. Letztlich geht es darum, dass eine mächtige Fraktion die Erwachten als zunehmende Gefahr wahrnimmt und deshalb versucht, ein großes Ritual einzuleiten, um ihrer Kultur nachhaltig zu schaden. Dazu werden besondere Artefakte benötigt, die mit den Ahnen in direkter Verbindung stehen. In jedem Band wird es deshalb darum gehen, einen dieser Gegenstände zu erlangen. Dabei sollen Teile des Kampagnenablaufs variabel angelegt sein, was die Reihenfolge angeht, nur das vorliegende Abenteuer als Startpunkt und ein weiteres als Finale sind festgelegt. Theoretisch sind Gruppen aus allen vier Schauplätzen (also Havena, Fasar, Donnerbach und Xorlosch) möglich, weshalb auch gleich vier Einstiegsvarianten mit unterschiedlichen Auftraggebern vorhanden sind (z.B. nimmt in Havena Don Gato diese Rolle ein). Die Entfernung nach Yol-Ghurmak wird dann auf magische Weise zurückgelegt.

Dort beginnt dann der Kern des Abenteuers, der sich für die heldenhaften Erwachten als wahrer Alptraum herausstellen dürfte, da man sich quasi überall in akuter Lebensgefahr befindet. Beginnend mit der Ankunft werden folgend die einzelnen Schritte der Spielercharaktere antizipiert, die sie benötigen, um den Aufbewahrungsort des gesuchten Gegenstandes zu ermitteln, dessen Entwendung allerdings noch nicht das Ende der Mission darstellt, denn anschließend gilt es noch, den Ort lebend zu verlassen.   

II. Figuren

Dem variablen Kampagnenauftakt geschuldet gibt es gleich mehrere Auftraggeber. Gemeinsam ist diesen allen, dass sie in den jeweiligen Städten die moralisch sehr ambivalente Seite des Erwachten-Daseins verkörpern, z.B. der Mafiaboss Don Gato in Havena oder Fadlan Al´Fenk in Fasar.

Wichtigster Ansprechpartner in Yol-Ghurmak dürfte der Kater Belkhar sein, der die Gruppe mit den notwendigen Informationen versorgen kann, um den dortigen Überlebenskampf zu bestehen. Durchaus möglich sind aber auch Begegnungen mit illustren menschlichen NSC wie Balphemor von Punin.  

III. Kritik

Die oben aufgeworfene Frage nach der Epik lässt sich recht eindeutig beantworten: Stadt ohne Sonne ist mit Abstand das Abenteuer mit der größten Tragweite für DSK bisher, auch wenn sich die eigentlichen Hintergründe in diesem Kampagnenauftakt für die Spielgruppe wahrscheinlich noch nicht erschließen lassen. Nichtsdestotrotz wirken hier im Verborgenen einflussreiche Kräfte (u.a. einige Tierkönige) und es geht um die Existenz der Ahnen selbst. Dadurch erscheinen die Auftraggeber, die in den jeweiligen Settings eigentlich extrem mächtig sind, wie Marionetten in einem viel größeren Spiel. Ob das alles wirklich – wie in der Kampagnenbeschreibung vorgesehen – gut aufgeht, wird sich freilich erst zeigen, wenn die folgenden Bände erscheinen, auf dem Papier klingt es auf jeden Fall vielversprechend. Dabei bleibt aber vieles noch vage, das gilt auch für einige der allgemeinen Aspekte, u.a. ist eine Besonderheit, dass ein Kampagnenauftakt in Xorlosch (mit Auftraggeber) beschrieben wird, der dazu notwendige Hintergrundband Xorlosch – Ewige Suche wird aber erst Ende des Jahres erscheinen, d.h. dieses Element ist derzeit noch gar nicht als Option nutzbar.

Sehr reizvoll ist natürlich der Handlungsschwerpunkt Yol-Ghurmak, der sicherlich einzigartig unter den Orten ist, in denen Erwachte leben. Zwar weist jeder der bisher erschlossenen Schauplätze für DSK seine Eigenarten auf, die absolute Lebensfeindlichkeit der Dämonenschmiede ragt aber klar heraus. Hier ist alles potentiell tödlich für die Erwachten: Das beginnt bei den Naturphänomenen, hin zu den Menschen, die in allen Tieren nur Nahrung sehen (Haustiere gibt es hier offensichtlich nicht) bis zu den Kreaturen. Und zuletzt ist die Stadt selbst auf viele Arten lebendig, was zusätzliche Probleme erzeugen kann (aber auch hilfreich sein kann). Das erzeugt unterm Strich eine Art post-apokalyptischer Atmosphäre. Durch die Stadtbeschreibung kann man Yol-Ghurmak auch für eigene Abenteuer nutzen und erhält dazu einige passende Anregungen. Trotzdem muss man dies einschränken, der Fokus liegt recht eindeutig darauf, das Abenteuer mit Informationen zu unterfüttern. Die Beschreibungsdichte ist nicht annähernd so weitreichend angelegt wie für Havena, Fasar und Co.

Der Ablauf des Abenteuers ist recht gradlinig angelegt, so dass man sich nach der Ankunft in Yol-Ghurmak – zumindest nach dem beschriebenen Vorgehen – von Station zu Station weiterbewegt, wenn man neue Informationen erhalten hat. Das passt aber auch zur Gesamtbeschreibung, der Ort ist im Ganzen so angelegt, dass man tunlichst darauf erpicht sein sollte, sehr geplant vorzugehen und unnötige Wege vermeiden sollte, da man sich bei jedem Schritt in Lebensgefahr befindet. Dabei wird der Spielleitung ein effektreiches Horrorkabinett an die Hand gegeben, um die Geschehnisse auszugestalten.

Das ist unterm Strich sehr atmosphärisch und dicht und gibt DSK neue Facetten. Interessant ist aus meiner Sicht dabei der Aspekt, dass der ursprünglich angedeutete Weg eines insbesondere sehr kinderfreundlichen Rollenspiels mit vielen eher witzigen, verspielten Elementen fundamental verlassen wird, hier dominieren klar die Horroranteile mit Themen wie Tod und Wahnsinn. Meiner Auffassung nach ist das kein wirklicher Kritikpunkt (ich selbst kann damit sehr gut leben), sollte aber angesprochen werden.          

Eine weitere Veränderung ist, dass man nach meinem Verständnis nun auch erstmals von einer Art Metaplot sprechen kann, indem übergreifende Sachverhalte geschaffen werden, zudem wird auf vorherige Abenteuer (u.a. Die Möwenchroniken) verwiesen, in denen relevante Personen und Sachverhalte bereits eingeführt wurden. Hier bin sehr gespannt, ob das nur für die Kampagne gelten wird oder ob dies eine dauerhafte Designentscheidung sein wird, mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt.          

IV. Fazit

Stadt ohne Sonne ist für mich ein ausgesprochen vielversprechender Kampagnenauftakt. DSK erhält somit auch ein episches Element und Metaplot-Anteile. Das Abenteuer selbst wird sehr atmosphärisch inszeniert, was an Yol-Ghurmak als Schauplatz liegt, der gut und vor allem extrem lebensfeindlich beschrieben wird.

Bewertung: 5 von 6 Punkten

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