Rezension: Stumme Schreie

Vorbemerkung: Abenteueranthologien haben in den vergangenen Jahren bei DSA ja Hochkonjunktur, das klassische Einzelabenteuer gibt es im Vergleich dazu immer weniger. Thematisch ausgesprochen beliebte Varianten sind dabei unter anderem Horror- und Märchenanthologien. Stumme Schreie klingt eigentlich auch eher nah Gruselstoff, im Kern handelt es sich allerdings um eine Anthologie, die Krimihandlungen in den Mittelpunkt stellt. Im Rollenspiel ist das sicher nicht die allerleichteste Übung für die Autor*innen, hier gelangt man schnell an den schmalen Grat hin zur Gängelung, wenn es z.B. gilt, Geheimnisse möglichst lange zu bewahren. Auch auf diesen Aspekt habe ich in der folgenden Rezension ein gewisses Augenmerk gerichtet.

In Zahlen:

– 3 Krimiabenteuer

– 96 Seiten

– Preis: 29,95 Euro

– erschienen am 27.4. 2024

I. Aufbau und Inhalt

Die Anthologie besteht insgesamt aus den drei Abenteuern Vor aller Augen (von Thomas Jaud), Emir, Magier, Bettler, Held (von Alexander Naumenko-Kühne) und Der Schatten des Waldes (von Michael Mohr und Lisa Schaude).

Vor aller Augen

Das erste Abenteuer versetzt die Heldengruppe nach Aranien, genauer gesagt nach Mendlicum, also in die post-oronische Zeit. Die konkrete Handlung beginnt mit einem echten Schockmoment, als auf einem Fest der Mada Basari in einer Villa bei Renovierungsarbeiten zwei eingemauerte Leichen gefunden werden und zum allgemeinen Schrecken eine der beiden plötzlich lebendig zu werden scheint und die Anwesenden angreift. Gelingt es, diese Attacke abzuwehren, gilt es zunächst, die Identität der Toten aufzudecken. Daraus ergibt sich die Erkenntnis, dass die Vorbesitzer des Hauses, welches die Mondsiberwesira Gazalinde saba Neraida erworben hat, offenbar einem Verbrechen zum Opfer gefallen sind. Völlig unklar ist allerdings, wieso dies mit der Erschaffung von Untoten verbunden ist. Somit erscheint es angebracht, eine entsprechende Recherche zu beginnen, u.a. um ehemalige Dienstboten und andere Kontakte der Verstorbenen zu finden.

Dazu finden sich eine Karte von Medlicum im Abenteuer sowie die Beschreibung einiger Anlaufstationen, an denen man etwaige Informationen erhalten kann. Dabei ergeben sich zügig einige Verdachtsmomente sowie weitere Orte, die man aufsuchen kann und an denen sich auch gewaltsame Konfrontationen entwickeln können. Auch hierzu sind zwei Gebäudepläne enthalten. Für das Finale muss man die Stadt zuletzt verlassen, auch für den Finalort existieren ein kleiner Plan und Beschreibungen des Inneren.

Emir, Magier, Bettler, Held

Wie im Titel schon anklingt, bewegt man sich in diesem Abenteuer auf diplomatischem Parkett. Dabei begibt man sich in kein einfaches Pflaster, sondern nach Mengbilla. Auslöser ist der Tod einer lokalen Größe, des Magiers Raul ibn Reto. Der Großemir Dulug Ankbesi, der Vorsteher des die Stadt regierenden Rats der Neun, beauftragt demensprechend die Heldengruppe, in dem Fall zu recherchieren und ihm einen Täter zu präsentieren. Generell ist die Lage in der Stadt durch fortwährende Konflikte mit Al´Anfa und den kürzlichen Tod des Großalmosars (der Schatzmeister der Stadt), um dessen Nachfolge einige der einflussreichen Bürger streiten, ausgesprochen angespannt, weshalb Dulug einen ungeklärten Mord nicht gebrauchen kann.

Zunächst wird der Schauplatz zur Verfügung gestellt, in Form einer Stadtkarte und eines Stadtrundgangs, ergänzt um einige lokale Besonderheiten, wie z.B. eine Unzahl von teils sehr verwirrenden Gesetzen. Auch hier schließt sich dann eine Schilderung der Recherchemöglichkeiten an, z.B. indem man versucht, eine Leichenschau vorzunehmen. Ebenso wird eine Vielzahl von möglichen Verdächtigen aufgeführt. Der Verlauf ist variabel angelegt, teilweise kann man auch sehr irritierende Erkenntnisse erhalten, die die Hintergründe der Tat in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen.

Der Schatten des Waldes      

Deutlich bodenständiger geht es im letzten Abenteuer zu, das in Andergast, in der Waldwildnis von Teshkalien spielt, einem der wenigen Orte des Landes, an dem Frauen deutlich mehr Einfluss haben können. In dem Dort Grindhain stößt die Heldengruppe auf eine Reihe merkwürdiger Vorkommnisse, bei denen sich die Natur offenkundig gegen die Menschen zu stellen scheint. Rasch gelangt man zu der Erkenntnis, dass dies mit einigen Ereignissen der Vergangenheit verbunden ist, über die aber kaum einer der Dorfbewohner allzu bereitwillig Auskunft erteilen mag, was die Recherche verkompliziert.

Grindhain hat einen Ortsplan erhalten sowie eine Kurzbeschreibung des Ortes. Nach der Ankunft ist vor allem merklich, dass jeder, der sich dort aufhält, mit sehr drastischen Alpträumen konfrontiert wird, die auf ein Verbrechen hindeuten. Allerdings muss die Mauer des Schweigens erst durchbrochen werden, bevor man dem wirklichen Problem auf den Grund gehen kann, wozu viele Dorfbewohner charakterisiert werden und welche Informationen man von ihnen erhalten kann. Auch dies mündet in ein Finale, bei dem es sehr unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten gibt.

II. Kritik

Generell muss ich mich als großer Krimifan outen, das Genre (in all seinen vielfältigen Ausprägungen) hat mich immer schon fasziniert. Allerdings habe ich das Thema in DSA-Abenteuern immer als ein schwierig umzusetzendes gesehen, angefangen beim allerersten Ausflug in dieses Genre in Strom des Verderbens. Wie setzt man eine Krimihandlung mit Ermittlungen und etwaigen Taten um, ohne dabei zu gängeln, z.B. indem man unbedingt verhindern möchte, dass eine Heldengruppe zu schnell an die Lösung des Falls gelangt und bestimmte Ereignisse somit gar nicht mehr stattfinden können?

Tatsächlich wird genau dies in allen drei Abenteuern relativ elegant umschifft, indem die entsprechenden Morde bereits vor dem Auftauchen der Spielercharaktere stattgefunden haben und sie ihre Recherche erst im Nachhinein beginnen können, um Stück für Stück die einzelnen Puzzleteile zur Lösung zusammenzuklauben. Somit wird kaum mit geskripteten Ereignissen gearbeitet, z.B. Folgetaten, die die Ermittlungen aufhalten oder vorantreiben können. Stattdessen werden für die Spielleitung jeweils die Tathintergründe gut aufbereitet und die Ermittlungswege geschildert, u.a. immer mit einer Vielzahl an Anlaufstationen und Personen. Ausgesprochen löblich ist in diesem Kontext die Unterstützung durch entsprechendes Kartenmaterial, das in allen drei Abenteuern enthalten ist (Vor aller Augen hat beispielsweise gleich vier Karten erhalten). 

Gut gelingt es außerdem, sehr abwechslungsreiche Ideen zu präsentieren. Vor aller Augen bedient eine Mix aus Horror und Krimi, indem man sich auf die Spur einer Frevlerin begeben muss, die sich als recht blutig erweist. Dabei sind die Beziehungen zunächst recht verworren, bevor man sich einer nachvollziehbaren Kette von Hinweisen und Verdächtigen widmen kann. Hier gibt es vergleichsweise viele Figuren, die Dreck am Stecken haben, was möglicherweise mitten im Abenteuer mehrfach zu der Hoffnung führen kann, man habe den eigentlichen Täter nun aufgegriffen, bevor sich dann das atmosphärisch passende Ende anschließt.

Als ausgesprochen originell erweist sich Emir, Magier, Bettler, Held. Zwar glaubt man zunächst, es mit einer konventionellen Mordermittlung zu tun zu haben, eigentlich befindet man sich aber von Beginn an inmitten einer politischen Scharade, in der nichts so ist, wie es zu sein scheint, vor allem der Mord selbst. Sicherlich besteht die Gefahr, dass manche Spielgruppen Missfallen daran empfinden, als Schachfigur in einer Intrige verwendet zu werden. Aus meiner Sicht liegt hier die Pointe aber darin, dass sehr viele Wendungen möglich sind, in den Extremen, dass man den Spieß komplett umdreht und die Winkelzüge gegen die beteiligten Intriganten wendet oder aber, dass man eine fatale Fehlentscheidung trifft und dem schlimmsten Feind in die Karten spielt.

Ähnliches gilt auch für Der Schatten des Waldes, indem sich auch hier eine Reihe von Wendungen ergeben. Dabei wird voll und ganz auf die Atmosphäre einer Dorfgemeinschaft gesetzt, die sich Außenstehenden weitgehend verschließt und versucht, eigene Missetaten kollektiv zu verbergen, während allerdings hinter den Kulissen verschiedene Fraktionen wirken. Ein Dilemma ist dann, dass der vermeintliche Antagonist sehr gute Gründe für sein Handeln hat und sich prinzipiell im Recht befindet. Hier sind die Lösungswege spannend und dementsprechend offen angelegt.

Sicher sind die Abenteuer nicht ganz frei von Klischees, wenn z.B. gefühlt die gesamte Oberschicht Mengbillas aus lauter Intriganten besteht oder man sich in Andergast mit scheinbar unverbesserlichen Hinterwäldlern rumschlagen muss, während fast das ganze Hauspersonal in Vor aller Augen aus Schurken besteht.

III. Fazit

Stumme Schreie stellt eine gute und abwechslungsreiche Abenteueranthologie dar. Das Oberthema der Kriminalabenteuer wird sehr facettenreich angegangen, was sich unter anderem in den sehr unterschiedlichen Schauplätzen als auch der Handlungsvielfalt widerspiegelt.

Bewertung: 5 von 6 Punkten

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