Rezension: Die Bettler von Grangor

Vorbemerkung: Nachdem vor gut einem Jahr bereits Die Kanäle von Grangor neu aufgelegt wurde, ist dies nun auch im Fall von Die Bettler von Grangor von Dorothea und Stefan Schulz geschehen. Das Abenteuer steht in der Wahrnehmung immer etwas im Schatten des erstgenannten, da dort eine weit größere Dimension an Epik erreicht wird, während es sich hier „nur“ um ein vergleichsweise normales Krimiabenteuer handelt. Tatsächlich muss ich zugeben, dass es mir in der Rückbesinnung ähnlich geht, während ich mich an Die Kanäle von Grangor und dessen Inhalt noch recht gut erinnern konnte, fällt mir zum vorliegenden Szenario kaum noch etwas ein (gespielt habe ich beide relativ kurz aufeinanderfolgend, so etwa 1994/95). Ob dies auch aus heutiger Sicht noch gerechtfertigt ist, soll das Augenmerk der folgenden Rezension sein.

In Zahlen:

– 40 Seiten

– Preis: 12,95 Euro

– erschienen am 2.12. 2023

I. Aufbau und Inhalt

Da die Handlung mit einer länger zurückliegenden Vorgeschichte verbunden ist, wird diese zunächst kurz ausgeführt. Dem schließt sich dann die Schilderung der Anwerbung an, wobei vorgeschlagen wird, dass die Heldengruppe sich in Havena befindet und dort von der Handelsherrin Isida Engstrand angeworben wird (in einer möglichen Anknüpfung an den Klassiker Der Strom des Verderbens, aus dem die Heldengruppe sie möglicherweise bereits kennt), die im Auftrag ihres Grangorer Geschäftspartners Relus Hortemann findige Abenteuer sucht, die ihm in einer prekären Situation beistehen sollen. Nehmen die Spielercharaktere den Auftrag an, so erhalten sie an Bord des kleinen Segelschiffs Nereide eine Passage nach Grangor. Von dem Kapitän Nikol Ramasch können sie dabei erfahren, dass in Grangor derzeit eine unheimliche Mordserie geschieht, die einige Opfer unter den Stadtoberen gefordert hat. Ebenso bereitet er sie darauf vor, dass in der Hafenstadt besonders strenge Regeln herrschen und es ihnen nicht erlaubt sein wird, Waffen mitzuführen, die über Messer und Dolche hinausgehen. Dementsprechend streng werden auch die Kontrollen bei ihrer Ankunft beschrieben.

Vor Ort lernt die Heldengruppe zunächst ihren Auftraggeber Relus persönlich kennen. Dazu findet sich eine ausführliche Beschreibung des Handelsherrn, der zugleich auch Mitglied der „Inneren Stube“, eines Organs der Stadtverwaltung ist, sowie seiner Familie und seines Anwesens (mit Gebäudeplan). Seit Beginn der Mordserie befindet er sich in großer Angst um sein Leben, hat er doch alle bisherigen Opfer gut gekannt und stammen sie doch alle aus der Führungsschicht der lokalen Handelshäuser.

Demzufolge dürfte anschließend eine Recherchephase anstehen. Dazu sind verschiedenen Angaben vorhanden, welche möglichen Anlaufstationen es gibt und was man dort in Erfahrung bringen kann. Im Anhang gibt es dementsprechend einige dazu passende Quellen, mit deren Hilfe man mögliche Verbindungen zwischen Hortemann, den Opfern und einem möglichen Tatmotiv erschließen kann. Weiterhin sind in diesem Mittelteil des Abenteuers auch einige Ereignisse angeben, die während der Recherchephase stattfinden und die die Handlung weiter vorantreiben sollen.

Gelingt es, die richtigen Puzzleteile zusammenzulegen, ergibt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ein konkreter Ort, an den man sich für eine Art von Finale begeben kann. Auch hier existiert ein Plan samt Raumbeschreibungen, dazu wird das denkbare Abwehrverhalten der Bewohner antizipiert. Allerdings ist nicht klar vorgegeben, wie man das Abenteuer lösen kann, hier gibt es unterschiedliche Optionen.

Der Anhang umfasst die bereits erwähnten Quelltexte, dazu eine grobe Stadtbeschreibung mit dem Fokus auf die Handhabung der Verwaltung, zudem werden die sogenannten altvorderen Häuser vorgestellt, nebst allgemeiner Werte für Meisterpersonen. Außerdem finden sich hier noch einige Regelergänzungen.

II. Figuren

Interessant ist das Wiederaufgreifen eines älteren NSC, die Bekanntschaft mit Isida Engstrand kann nun zu einem Folgeauftrag führen, was freilich nur dann sinnvoll ist, wenn man mit dieser Heldengruppe Der Strom des Verderbens gespielt hat. Als relativ intensive Interaktionspartner sind dann aber Relus Hortemann und seine Familie vorgehsehen, die als eher sympathisch- gemütlich geschildert werden (mit einigen Eigenschaften der Heldengruppe aber durchaus auch auf die Nerven gehen können/sollen).

Bemerkenswert für die Antagonisten ist in diesem Abenteuer, dass diese nicht mehr statisch an einen Ort gebunden sind, sondern ein variables Verhalten erhalten. Zudem sind es nicht einfach „böse“ Menschen, sondern sie haben eine zumindest nachvollziehbare Agenda und handeln nicht aus Lust an der Grausamkeit.

III. Kritik

Tatsächlich fällt im Vergleich zu Die Kanäle von Grangor nach wie vor auf, dass dort die Tragweite der Handlung ganz andere Dimensionen hat, göttliches Einwirken ist eben doch eine andere Hausnummer als eine „profane“ Mordserie. Das muss aber generell nichts heißen, schließlich geht man ja mit anderen Voraussetzungen in die jeweiligen Abenteuer und alle Subgenres haben dabei ihre Daseinsberechtigung. Im Vergleich ist aber schon augenfällig, dass in Die Bettler von Grangor vergleichsweise wenig passiert. Die Heldengruppe trifft ja relativ spät im Kontext der Gesamthandlung ein, die Mehrzahl der Morde ist bereits geschehen, lediglich eine Bluttat kann man direkt miterleben (die man aber – je nach Schnelligkeit bei der Recherche – auch unterbinden kann). Nach der Ankunft nimmt die Beschreibung der der Hortemann-Familie und deren Anwesen relativ viel Platz ein (obwohl im Abenteuer sogar klar gesagt wird, dass dort eigentlich nichts handlungstragendes geschehen dürfte).

Die Kriminalhandlung selbst ist für die besagte Recherche sauber ausgearbeitet, die Quellen im Anhang liefern die notwendigen Hinweise, um die relevanten Hintergründe zu entschlüsseln und auch wenn eine genauere Stadtbeschreibung fehlt (hier hat die Zusammenstellung im Sammelband aus den 90ern unter dem Titel Die Geheimnisse von Grangor einen klaren Vorteil), werden die wichtigsten Anlaufstationen beschrieben und ermöglichen ein sinnhaftes Vorgehen. Was an dieser Stelle aus meiner Sicht ein wenig fehlt für eine spannende Ermittlung, ist das Auslegen von falschen Spuren, hier wird außer einem prügelfreudigen Grandensohn und dem Verweis, dass sich die Stadtoberen derzeit alle gegenseitig misstrauen, nichts angeboten. Gerade bei der Beschreibung der Handelshäuser hätte man hier mit ein paar Erweiterungen wesentlich mehr Möglichkeiten zur Verfügung gehabt. So ist das Ganze meiner Meinung nach stellenweise etwas langweilig, auch weil die Gegner eher wenig Ressourcen haben, um wirklich eine große Herausforderung darzustellen, ein paar mehr Handlanger und ein besser geschütztes Hauptquartier würden definitiv nicht schaden.     

Gut sind die bereits angesprochenen Rahmenbeschreibungen, die beiden wichtigsten Örtlichkeiten sind sauber ausgearbeitet und mit Plänen versehen worden. Die Familie Hortemann ist zudem so aufgestellt, dass sie der Heldengruppe wirklich ans Herz wachsen kann, das müsste aber eben durch ein größeres Bedrohungslevel intensiver genutzt werden, letztlich beschränkt sich das antagonistische Handeln auf eine einzige Attacke, die recht leicht unterbunden werden kann. Warum allerdings ausgerechnet die Bettler von Grangor titelgebend ausgewählt wurden, erschließt sich mir nicht, da sie letztlich eher eine Randepisode darstellen. Auch hier liegt für meinen Geschmack einiges an Potential brach, wie man diese vielleicht zunächst als antagonistische Fraktion wahrnehmen und später als Verbündete nutzen könnte.        

IV. Fazit

Die Bettler von Grangor ist ein solides Krimiabenteuer, wobei vor allem Orte und Recherchemöglichkeiten gut ausgearbeitet wurden. Der Spannungsverlauf fällt mir aber etwas zu unspektakulär aus, vor allem fehlt es mir an mehr Verdachtsmomenten in unterschiedliche Richtungen, die einen weniger gradlinigen Verlauf ermöglichen würden. Generell wird das vorhandene Storypotential für meinen Geschmack zu wenig genutzt.

Bewertung: 3 von 6 Punkten               

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