Rezension: Der Ruf des Berges

Vorbemerkung: Zwerge in Zeiten von DSA5, das ist lange ein Endlosthema gewesen, geprägt von viel Leerlauf (da nur wenige Publikationen – mit Ausnahme der Flusslande-Regionalspielhilfe – das Thema aufgegriffen haben), zusätzlich aber auch von vielen aus meiner Sicht nur leidlich witzigen Running-Gags. Das alles ist aber nun (hoffentlich) Vergangenheit, indem jetzt mit Der Ruf des Berges von Felix Pietsch und Christoph Trauth das Abenteuer erschienen ist, das den Anfang des Heldenzeitalters der Zwerge markieren soll. Als Ankündigung klingt das schon sehr markig und erweckt somit auch die Erwartung an einen Inhalt mit epischen Auswirkungen.     

In Zahlen:

– 112 Seiten

– Preis: 39,95 Euro

– erschienen am 29.3. 2024

I. Aufbau und Inhalt

Passend zu der eingangs erwähnten Ankündigung wird zunächst die Geschichte der Zwerge Aventuriens vorgestellt, vom Schöpfungsmythos über die Drachenkriege bis hin zur Gegenwart und dem Verlust von Lorgolosch im Zuge der Rückkehr Borbarads. Ebenso findet sich ein Glossar mit wichtigen zwergischen Begriffen. Diese Historie wird dann verbunden mit den konkreten Inhalten des Abenteuers, da dort direkte Anknüpfungspunkte existent sind.

Die konkrete Handlung setzt in Albenhus an, wo die Heldengruppe von dem Händler Arbel Diegeler angeworben wird, der einige Mietlinge sucht, die ihn und seine Ware auf dem Großen Fluss gegen Angriffe von Flusspiraten schützen sollen. Ziel ist die Zwergenstadt Calbrozim, wohin Arbel Koschbasalt liefern soll. Als Fortbewegungsmittel dient der kleine Flusssegler Thalaria, dessen Besatzung nur aus Hechard Fischle und seiner Tochter Jostaca besteht. Zur Ausgestaltung der Reise finden sich einige Anmerkungen zum Leben an Bord, das unter anderem von Platzmangel und einem damit eingehenden Mangel ans Privatsphäre geprägt ist.

Selbstredend bleibt die Reise nicht ereignislos, sondern ist von einem wichtigen Vorfall geprägt, der auch gleichzeitig den Einstieg in die Kernhandlung bietet: Unverhofft werden die Spielercharaktere Zeugen eines Angriff der Flusspiraten auf einen anderen Flusssegler. Gelingt es ihnen, den Angegriffenen rechtzeitig zur Hilfe zu kommen, stellen sie fest, dass sie damit niemand anderem als dem Hochkönig der Zwerge, Albrax von Waldstein, höchstpersönlich das Leben gerettet haben. Dieser ist ebenfalls nach Calbrozim unterwegs, um dort an wichtigen Verhandlungen teilzunehmen. Da er allerdings vermutet, dass die Attacke auf seinen Flusssegler kein Zufall gewesen ist, bittet er die Heldengruppe, mit ihm in Calbrozim von Bord zu gehen und dort Nachforschungen anzustellen, um etwaige Gegner ausfindig zu machen.

Um diese Recherche angemessen ausgestalten zu können, findet sich zunächst eine ausführliche Beschreibung der Stadt, die u.a. davon geprägt ist, dass hier unter den Zwergen auch eine menschliche Minderheit lebt und es sowohl ober- als auch unterirdische Anteile gibt sowie einen Flusshafen. Dazu werden in Form eines Rundgangs die Verhältnisse in den einzelnen Stadtteilen beschrieben. Derzeit herrscht eine konfliktreiche Atmosphäre, v.a. zwischen der Gesandtschaft von Djer Calaman, die die Interessen der Zwerge aus dem gefallenen Lorgolosch vertritt und einer einheimischen Gruppierung, die sich die Steinerne Bruderschaft nennt und die das Treiben der Brillantzwerge mit Misstrauen beobachtet. Ebenso sind Charakterbeschreibungen und Werte der wichtigsten Persönlichkeiten vorhanden, z.B. Graf Ghambir, und seine Familie, Albrax, aber auch Ferrascha, die Anführerin der Brillantzwerge. Folgend wird ein Ereignisablauf skizziert, der einerseits die Recherche der Heldengruppe nach den Verursachern des Piratenangriffs berücksichtigt, andererseits aber auch neue Geschehnisse einbringt, die schnell eine völlig neue Dynamik hinzufügen, in der eine Eskalation aller Konflikte unmittelbar bevorsteht.

Gelingt es, die zunächst schwer nachvollziehbaren Handlungsfäden zu entwirren, ergibt sich eine weitere Spur, die den Rahmen noch deutlich erweitert, indem ein längst überwunden geglaubtes Übel eine gewichtige Rolle spielt. Hierzu ist ein Schauplatzwechsel vonnöten, um einerseits neue Erkenntnisse zu gewinnen und andererseits Mittel und Verbündete zu finden, mit denen man sich der Bedrohung stellen kann. Hierzu gibt es eine ausführliche Beschreibung des Finalortes und der dort antreffbaren Gegner. Am Ende wird außerdem ein Ausblick gewährt, wie sich die Inhalte des Abenteuers folgend auswirken. Im Anhang werden einige notwendige Regelaspekte hinzugefügt.

II. Figuren

Das Abenteuer ist enorm reich an Figuren. Besonders charismatisch ragt dabei Albrax heraus, immerhin agiert das politische Oberhaupt der aventurischen Zwerge persönlich als Auftraggeber, der aber auf Verbündete angewiesen ist, die inoffiziell für ihn Ermittlungen anstellen. In Calbrozim gerät man über Albrax zudem in Kontakt mit den mächtigen NSC vor Ort, u.a. Ghambir, der aber eher als verschlossen und grüblerisch beschrieben wird, weshalb die Spielercharaktere eher mit seinen Kindern Gharmon, Gatrix und Gandrixa zu tun haben dürfte. Eine undurchsichtige Rolle nimmt Ferrascha ein, die ihrem Volk nach dem Verlust von Lorgolosch eine neue Perspektive bieten will. Daneben gibt es noch viele weitere NSC, u.a. offenbaren sich die zentralen Gegner erst vergleichsweise spät.

III. Kritik

Zwerge als Thema sind ein zweischneidiges Schwert: Einerseits erweckt die Vorstellung von unterirdischen Minen, Dunkelheit und Schatzorten sehr viel Atmosphäre, andererseits besteht immer die Gefahr, sehr schlichte Klischees von kleinen, jähzornigen Bartträgern zu transportieren. Diese Klippe umschifft Der Ruf der Berges allerdings aus meiner Sicht sehr elegant, indem hier – auch durch die sehr breite und vornehmlich zwergische Figurenriege – ein sehr ambivalentes Bild erzeugt wird, man findet Mentorfiguren (z.B. Albrax), charismatische Lebemänner, Intriganten und Fanatiker, im Prinzip wird eine sehr umfangreiche Bandbreite geboten. Gleichermaßen werden trotzdem immer wieder die Besonderheiten der zwergischen Kultur und deren Vorstellung deutlich, was letztlich auch der Schlüssel zum abschließenden Finale ist.

Die Handlung ist aus meiner Sicht sehr abwechslungsreich gestaltet, indem sich immer wieder unterschiedliche Aufgaben ergeben, die sowohl kämpferische als auch diplomatisch-gesellschaftliche Fähigkeiten verlangt. Der Zentralteil in Calbrozim ist gut ausgestaltet, mit einer sauberen Hintergrund- und Figurenbeschreibung, die den Handlungsteil dann sehr entlastet und eine dynamische Entwicklung ermöglicht. Die besondere Stärke liegt dann in dem bereits erwähnten Figurenensemble, in dem man sich erst zurechtfinden muss und die Gruppierungen erst kennenlernen muss, um Schein und Sein genauer ausgestalten zu können. Dabei stört auch der etwas umfangreiche allgemeine Hintergrundteil  nicht, immerhin lesen sich die ersten Seiten des Abenteuers eher wie eine Spielhilfe, aber dieser Input ist sehr eng mit den Folgehandlungen verknüpft und gerade das gibt dem Abenteuer immer mehr episch-mystischen Charakter, wenn aus dem simplen Rechercheauftrag die Erkenntnis von politischen Komplotten entwächst und sich daraus dann Verbindungen zu Geschehnissen ergeben, die nicht nur weit zurückliegen, sondern besonders eng mit der Geschichte des Zwergenvolks verbunden sind. Dementsprechend kann man, gerade auch in den Resultaten, dem Abenteuer eine gewichtige Metaplotfortschreibung konstatieren. Wie dies dann in Folgepublikationen weitergeführt wird, wird zwar wie üblich nicht allzu konkret geschildert, allerdings hat man hier nicht den Eindruck, dass das in eine gewisse Beliebigkeit führen kann, sondern dass das Thema in Zukunft weitergeführt werden wird, eine Zwergenkampagne ist ja bereits angekündigt worden.  

Wie immer bei besonders gewichtigen und folgenreichen Inhalten ist es nicht immer einfach darzustellen, wie eine Heldengruppe aktiv Einfluss auf etwas nehmen kann, was im Metaplot anschließend als gesetzt betrachtet werden muss. Demzufolge wird im Resultat auch nur ein Teilerfolg stehen, die Spielercharaktere können keinen Erfolg auf ganzer Linie erreichen, nicht jeden Plan ihrer Gegner durchkreuzen. Allerdings ist dies weitgehend glaubhaft gestaltet, was unter anderem durch das Machtlevel erklärt wird, mit dem man es hier zu tun hat, indem man am Ende eher mit einer Naturgewalt als mit einem greifbaren Gegner konfrontiert wird und Überleben absolut ein Erfolgserlebnis darstellt. Gerade im Finale selbst sind mir allerdings die Abläufe etwas zu sehr gelenkt bzw. szenisch angelegt. Viel stärkeren Einfluss hat man dafür auf den Machtkampf in Calbrozim, wo man sich auch nachhaltige Verbindung zur Führungsschicht der Zwerge erarbeiten kann. Einzig einige tote Enden in der Recherchekette empfinde ich als etwas riskant im Aufbau (was die Motivation betrifft), allerdings gibt es genügend Elemente, mit denen man dies ausgleichen kann und neue Anknüpfungspunkte gestaltet. Eine generelle Stärke ist zudem die bildgewaltige Atmosphäre der unterirdischen Anlagen der Zwerge, die man hier in zwei Versionen erhält, einerseits im belebten Calbrozim, in dem viele Konflikte herrschen und man zwischen den Gruppen vermitteln kann und umgekehrt auch mit einem Ort, der eher ein Zeugnis untergegangener Zwergenkultur darstellt und in dem die Bedrohung durch längst vergessene Mächte quasi spürbar ist.

Ganz generell muss man sagen, dass das Abenteuer gerade Menschen wie mich mit einer Epikschwäche sehr anspricht: Ein spektakuläres Finale, viele NSC mit Bedeutung für ihr Volk, mächtige Artefakte (die man auch verwenden kann) und atmosphärische Schauplätze (die allesamt mit Kartenmaterial versehen sind), das sind aus meiner Sicht die richtigen Versatzstücke, die auch für die Spielleitung gut aufbereitet sind.

IV. Fazit

Der Ruf des Berges ist ein sehr atmosphärisches Abenteuer, das vor allem über einen starken Mittelteil verfügt, der von einer umfangreichen Schauplatz- und NSC-Vorstellung lebt. Positiv ist auch der erkennbare Ausbau an längst überfälligen Metaplotereignissen für die gesamte zwergische Kultur, was gerade im Finale ein paar gelenkte Anteile mit sich bringt, aber eben auch spürbare Epik.      

Bewertung: 5 von 6 Punkten        

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