Rezension: Verschollen in Ras Tabor

Vorbemerkung: Wenn das April-Heldenwerk erscheint, kann man sich in der Regel auf eine besondere Ausgabe des kurzen Abenteuerformats gefasst machen, steht es doch zumeist im Zeichen des Traivianeckens, der aventurischen Variante des Aprilscherzes. Genau dies trifft auch auf Verschollen in Ras Tabor von Dominic Hladek und Rafael Knop zu. Der Titel verrät das Ungewöhnliche schon, man verlässt die vertrauten Gefilde Aventuriens und begibt sich auf den Südwestkontinent Ras Tabor, der von Werner Fuchs im Klassiker Durch das Tor der Welten 1984 erdacht wurde.

In Zahlen:

– Heldenwerk Nr. 53

– 19 Seiten

– erschienen am 4.4. 2024 (zusammen mit dem Aventurischen Boten 224)

I. Aufbau und Inhalt

Direkt zu Beginn wird deutlich, dass das Abenteuer auf den Pfaden des bereits genannten Durch das Tor der Welten und Borbarads Fluch wandelt, also einer kurzen experimentalen Phase in der Entwicklung von DSA, als offensichtlich die Überlegung bestand, auch Science-Fiction-Elemente zu implementieren, mit dem Höhepunkt eines außerirdischen Raumschiffs unter dem Sand der Gorischen Wüste, was später wieder abgewandelt wurde, z.B. indem Ras Tabor ein derischer Kontinent wurde anstatt eines anderen Planeten.

Genau dieser Umstand wird zu Beginn des Abenteuers aufgenommen, indem die Heldengruppe urplötzlich von ihrem momentanen Aufenthaltsort „weggebeamt“ wird und sich auf einem weiteren Raumschiff befindet. Schnell trifft man auf die Bewohner des Schiffs, die sogenannten Schwarzaugen. Diese haben ein großes Problem, da ein Bauteil ihres Schiffs (von den Aventuriern Sternenwagen genannt) beschädigt wurde und ausgetauscht werden muss. Um diesen Teil der Handlung ausgestalten zu können, existieren ein Plan des Raumschiffs und Beschreibungen der vier zentralen Charaktere unter den Schwarzaugen um den Kommandanten Iannlukk, ebenso werden kurz die sogenannten Eisenmänner vorgestellt (aventurisch für Roboter). Die Aufgabe der Heldengruppe besteht darin, in Ras Tabor einen Edelstein zu besorgen, mit dem die Schwarzaugen ihr Schiff wieder reparieren können (sie selbst würden durch die Umweltbedingungen degenerieren und sind deshalb auf die Hilfe von Derebewohnern angewiesen). Falls die Helden ihnen nicht freiwillig unter die Arme greifen wollen, setzen die Schwarzaugen sie unter Druck, zum einen droht Aventurien durch den Absturz des Raumschiffs große Gefahr, zum anderen sind sie bereit, eine Person zu kidnappen, die den Spielercharakteren etwas bedeutet. Sobald sie sich bereiterklären, den Auftrag anzunehmen, werden sie mit Laserkanonen ausgestattet und zurück in die Heimat  transportiert.

Hier wird, wie bereits erwähnt, an Durch das Tor der Welten angeknüpft, so dass sie zunächst im Felsenkloster im Wal-el- Khomchra-Massiv in einem Kloster den Durchgang suchen müssen. In Ras Tabor wird man dann mit einer fremdartigen Dschungelwelt konfrontiert. Dabei muss man mit den dortigen Bewohnern, die teils sehr exotisch wirken, interagieren, um an den Edelstein zu gelangen. Zuletzt muss man entscheiden, wie man mit den Schwarzaugen umgeht, ob man am Ende Konfrontation oder Kooperation walten lassen will.

II. Figuren

Die wichtigsten Interaktionspartner sind natürlich die Schwarzaugen, wobei der Kommandant Iannlukk, der Sicherheitschef Off, der Techniker Scati und der Kontaktspezialist Mekoi hervorgehoben werden. Tendenziell werden sie dabei antagonistisch gezeichnet, u.a. durch die Maßnahme, die Motivation der Gruppe durch eine Geiselnahme zu erhöhen. Die Identität dieser Geisel ist nicht festgelegt, wahlweise werden promiente Persönlichkeiten wie Rohaja oder Khadan Firdayon vorgeschlagen oder Personen, die eine individuelle Verbindung zu den Spielercharakteren haben.

Auch in Ras Tabor trifft man auf unterschiedliche NSC, u.a. die Mitglieder rivalisierender Gruppen, bei denen ebenfalls nicht festgelegt ist, ob man mit diesen eine Konfrontation sucht oder ihnen diplomatisch begegnet.

III. Kritik

Grundsätzlich finde ich es absolut in Ordnung, wenn Abenteuer hin und wieder auch einen Hommage-Charakter haben, gerade im aktuellen DSA-Jubiläumsjahr ist das aus meiner Sicht völlig angebracht. Und generell ist Humor und Augenzwinkern auch etwas, was gerade DSA-Abenteuer manchmal durchaus noch mehr vertragen könnten. Aber – und das ist hier leider meine große Einschränkung – es muss dann auch gut gemacht sein. Das trifft im Fall von Verschollen auf Ras Tabor nicht zu, was ich auch gerade deshalb sehr bedauernswert finde, weil eigentlich zwei sehr fähige Autoren am Werk waren.

In der Machart ist mir das Abenteuer zu indifferent. Beispielsweise fehlt für das Innere des Raumschiffs eine Beschreibung, obwohl es ein potentieller Konfliktort ist, hier gibt es nur eine Karte. Vor allem die Technik in ihrer Fremdheit wäre sicher erwähnenswert gewesen und wie man diese als Spielleitung auf aventurische Nenner bringt. Diese fehlt umgekehrt für Ras Tabor, wo man sehr konkret Orte wie ein Baumlabyrinth aufsucht, für die man dann nur sehr grobe Beschreibungen hat, aber eben keine Karte.

Ebenso sehe ich das gesamte Abenteuer als etwas überfrachtet an, indem die Hintergrunde sowohl der Schwarzaugen als auch die der Bewohner Ras Tabors sehr minimalistisch geschildert werden. Zwar ist es mit 19 Seiten eines der längsten Heldenwerke, aus meiner Sicht wäre es aber wohl empfehlenswerter gewesen, sich auf einen der beiden Klassiker zu fokussieren, anstatt diese miteinander zu verbinden, so muss man extrem viel Input verknappt einbauen. Beispielsweise können eigentlich sehr relevante Aspekte nur knapp angesprochen werden, z.B. die Ausrüstung mit der Laserkanone. Für diese wird zwar kurz die Kampftechnik Energiewaffe erwähnt und es ist auch ein Wertekasten vorhanden, aber auf die Fremdheit einer solchen Situation für einen Aventurier wird für meinen Geschmack fast gar nicht eingegangen. Stattdessen wird eher mit der Exotik gearbeitet, also auf Schauwerte gesetzt, wenn man z.B. Bilder im Abenteuer hat, in denen Archetyp Carolan mit einem Lasergewehr auf ein Triceratops-ähnliches Wesen zielt. Sprich: Neben diesen Schauwerten fehlt mir die inhaltliche Substanz. Das betrifft auch solche Elemente wie die Geiselnahme, in der die Spielleitung in wenigen Zeilen aufgefordert wird, eine passende Person auszusuchen. Wie genau die Geisel bedroht wird, wie sie auf die Raumschiff-Umgebung reagiert und wie man verhindern will, dass die Heldengruppe sie befreit, wird dabei völlig offen gelassen.

Als eindeutigen Schwachpunkt mache ich die Plattheit vieler Einzelbestandteile aus, die auch den Hommage-Charakter für mich etwas zerstören. Beispielsweise empfinde ich die Star Trek-Anleihen mit dem Holzhammer als absolut überflüssig, sei es den Klappentext betreffend, der in Abwandlung wie der bekannte Sprechtext der Originalserie und von The Next Generation formuliert wurde oder die Namen der Schwarzaugen, die Verballhornungen von Picard, Worf, Scott und McCoy darstellen. Das gleiche gilt für die Zwischenüberschriften, die allesamt lustig gemeinte Abwandlungen alter Abenteuertitel sind, z.B. Im Baumlabyrinth, Wenn der Wantabh kommt oder Im Zeichen der Lurche. Das mag 1-2x lustig sein, aber doch nicht, wenn das Stilmittel gleich über 20x zwanghaft bemüht wird.

Mit dem Trash-Faktor eines Einbaus von Science-Fiction-Elementen generell habe ich überhaupt kein Problem, immerhin ist ja auch alles so gestaltet, dass es keine wirklichen Auswirkungen auf das offizielle Aventurien hat, dies ist kein dauerhafter Eingriff in die Konsistenz der Spielwelt. Trotzdem empfinde ich dann als Problem, wenn es – wie oben ausgeführt – zu oberflächlich in seiner Besonderheit aufgenommen ist (also zu wenig Erläuterungen vorhanden sind) und man keine originären Hintergründe findet, sondern sich auf eher flache Entlehnungen in der Populärkultur verlässt.

IV. Fazit

Die eigentliche Hommage-Idee des April-Heldenwerks Verschollen in Ras Tabor halte ich für eine gute und passende Grundidee, die Umsetzung gefällt mir leider überhaupt nicht, weil ich sie als zu überfrachtet und deshalb zu grob umgesetzt betrachte, zudem stören mich sehr platte Elemente wie die unoriginellen Star Trek- Anleihen und Klassikertitel-Verballhornungen, die überhaupt nicht notwendig sind.

Bewertung: 2 von 6 Punkten        

13 Kommentare

    1. … ist aber halt eben etwas, was ich 2024 so nicht mehr erwarte, da hätte ich gerne mehr. Hat z.B. vor ein paar Jahren mit „Unheil im schwarzen Keiler“ extrem gut geklappt, einen Klassiker modern fortzuführen.

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  1. Lieber Engor,

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    ich stimme dir zu 100% zu. Ganz schlimmes Teil, weder kreativ, noch lustig – auch nicht als Aprilscherz

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    was das Schlimmste ist: dies ist kein Fanzine, sondern eine offizielle Publikation, somit kommen die Aliens und die Blasterwaffen (wieder) in den Kanon! In seinem Roman „Erde und Eis“ hat Altmeister Wieser einen prima Retcon gemacht, in dem Ras Tabor ein Kontinent südwestlich des bekannten Myranor wurde. Auch das Team der Memoria Myrana hat weiter daran gearbeitet und die „Mächtigen“ Aliens zu den Archäern gemacht (wenn ich mich nicht täusche) – Puff, weg!

    Zufälligerweise befinden sich meine Helden seit 3 Jahren auf einer Welt(en)reise und wir haben vor 4 Wochen Ras Tabor besucht. Da hab ich natürlich schon als 40Jahre-DSA Special den Baum der Welten mit seinen Bewohners vorkommen lassen, sowie die Vorkommnisse in „Erde und Eis“, aber keine Raumschiffe.

    Man hätte also mit etwas Fingerspitzengefühl eine funktionierende Hommage konstruieren können (von mir aus auch einen Optimaten auftreten lassen können und dabei die Original Maske des Meisters aufsetzen können).

    also nicht nur eine vertane Chance sondern (wenn man es streng nimmt) eine absolute Katastrophe.

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  2. Ich fand das Abenteuer tatsächlich jetzt nicht so schlecht und die Intention durchaus lustig! 😀 Ist eben auch immer Geschmackssache. Da viele alte Abenteuer gerade dieses Überfrachtete und Platte haben, war das für mich durchweg gewollt und Teil des Aprilscherzes.

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    1. Siehe oben, an der Stelle erwarte ich dann doch mehr und da fällt mir eben mit „Unheil im Schwarzen Keiler“ sofort eine Klassiker-Hommage ein, bei der das Spagat gelungen ist, den alten Stil beizubehalten, kritische Aspekte aber sinnvoll modernisiert werden. Das gelingt hier für meinen Geschmack nicht, obwohl ich tatsächlich sogar ein großer Trash-Fan bin. Und natürlich hast du recht, meine Meinung ist definitiv nicht ausschlaggebend, wenn es dir gefällt, ist das natürlich großartig.

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  3. Also ich muss sagen, dass ich das Abenteuer als Aprilscherz sehr gelungen finde.
    Ich finde auch Entlehnungen aus anderen Welten und alten Abenteuern immer sehr gut und finde, dass das schon seit jeher zu DSA dazu gehört. Eine der besten Kampagnen ist immerhin auch immer noch die Phileasson Saga.

    Ja, es ist vieles sehr kurz gehalten und es fehlen einige Karten. Aber das ist gar kein Problem, denn die Karten findet man alle in „Durch das Tor der Welten“.
    Diese kann man dann wunderbar mit dem entsprechenden Retro-Charm im aktuellen Heldenwerk einsetzen 🙂

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    1. Wobei bei der Karte aus meiner Sicht ein Verweis auf ein anderes Abenteuer nicht zielführend ist. Kartenmaterial, das man für ein Abenteuer verwenden kann, sollte immer im Abenteuer selbst enthalten sein.

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  4. Über das Heldenwerk wurde von dir schon alles geschrieben was es meiner Meinung nach zu schreiben gibt.

    Ob das jetzt dem Kanon entspricht oder widerspricht, ist mir Wurscht, da es sich ja ganz klar um einen Aprilscherz handelt. Da ist der Kanon ja raus. Zumindest nach meiner eigenen Interpretation.

    Auf jeden Fall wie immer eine schöne Rezension von dir.

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    1. Naja, was macht den 40 Jahre DSA aus? bestimmt nicht das Regelsystem. auch die Welt per se ist nicht übertrieben außergewöhnlich.

      Das Alleinstellungsmerkmal und die Faszination kommt (für mich) durch die in sich geschlossene Dichte, also genau den Kanon.

      daher ist der für mich alles andere als wurscht 😦

      Zyricytolyros

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  5. Ich bin vor allem gespannt auf das Zusatzmaterial im Archiv.

    Ob das nun Kanon ist oder nicht, ist mir total egal. Alles was mir nicht gefällt, ignorier ich oder änder es.

    Der Kanon ist ja kein Manifest. Steht ja sogar im Regelwerk, dass man alles ignorieren und ändern kann. Und dieser Satz ist das beste am Kanon!

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