Rezension: Der Ruf des Mittwalds

Vorbemerkung: Heute soll eine der ungewöhnlichsten Veröffentlichungen der letzten Jahre genauer unter die Lupe genommen werden, ist der „Der Ruf des Mittwalds“ doch das Produkt einer Kooperation zwischen einer Schülergruppe eines Münchener Gymnasiums und der Ulisses- Redaktion. Umso bemerkenswerter, dass es nun tatsächlich zum Erscheinen dieser Seminararbeit gekommen ist. Für mich ist dabei natürlich auch die Frage interessant, inwieweit das Ergebnis sich mit regulären Abenteuerbänden vergleichen lässt.

In Zahlen:
– AB Nr. 213
– 87 Seiten

– Erschienen am 19.2.2015

I. Aufbau und Inhalt

Ein kurzes Vorwort von Daniel Simon Richter erklärt die Genese des Bandes, die letztlich auch eng mit der Gesamtkonstruktion des Bandes verbunden ist. Da die Schüler viele Einzelideen entwickelt hatten, ließen sich diese nach Meinung der Redaktion am besten im Rahmen eines kurzen Kampagnenbandes zu einem Ganzen zusammenfügen, wozu eine Einteilung in drei einzelne Abenteuer vorgenommen wurde. Weil ein möglichst einfacher Hintergrund gewählt werden sollte, der weniger Hintergrundrecherche verlangt, entschieden sich Redaktion und Schülergruppe für eine Ansiedlung der Geschichte in den Dunklen Zeiten, womit nur eine begrenzte Zahl an Setzungen berücksichtigt werden musste.

„Waldesahnung“ dient zunächst als Einführung in die Hintergrundgeschichte. Ausgangspunkt ist der Auftrag des jungen Patriziers Gaius Burianus, dessen Bemühungen, zum Präfekt von Trakenau in der Provinz Garetia gewählt zu werden, von unbekannter Seite sabotiert werden. Recherchemöglichkeiten ergeben sich dabei an unterschiedlichen Orten, z.B. in der Gladiatorenarena, wo die Helden einen Anschlag auf die Gladiatoren von Burianus aufklären können oder auf dem Forum, wo sie sich auf einen Rednerwettstreit mit einem Grolm einlassen müssen, wenn sie seinen Schmähreden gegen Burianus Einhalt gebieten wollen. Eine weitere Spur führt in das lokale Elendsviertel, wo eine Schlägerbande einen Gefolgsmann von Burianus entführt hat. Jede der Spuren führt früher oder später zu Movertus Mentula, dem ärgsten Konkurrenten von Burianus im Kampf um das Präfektenamt.

Ein idealer Moment, um belastendes Beweismaterial zu sammeln, ergibt sich durch eine just zum Zeitpunkt des Abenteuers stattfindende Orgie, bei der die Helden sich unauffällig unter die Gäste schmuggeln können. Die Suche nach Beweisen wird allerdings erschwert durch die Notwendigkeit, am Empfang Rauschmittel zu sich nehmen müssen, um nicht argwöhnisch beäugt zu werden. Früher oder später machen sich die Auswirkungen dieser Drogen bemerkbar und behindern die Helden in ihren Aktionen. Trotzdem sollte es gelingen, diverse Dokumente zu erlangen, die Mentula belasten. Begibt man sich damit gerüstet vor den Horas, kann man Burianus zu seinem Sieg verhelfen. Auch hier stehen unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten offen, so kann man Mentula im Vorfeld erpressen, damit dieser seine Kandidatur zurückzieht oder ihn offen bloßstellen.

Das zweite Abenteuer „Waldesglühen“ schließt hier direkt an. Abermals werden die Helden von Burianus gerufen, dieses Mal nach Trakenau, wo er in seiner Funktion als Präfekt ihre Unterstützung braucht. Im Umfeld des Ortes häufen sich Brandstiftungen, deren Urheber von Burianus und seinen Leuten bisher nicht enttarnt werden konnten. Um effektiv vorgehen zu können, sollen die Helden sich dabei nicht als Freunde des Präfekten zu erkennen geben, da diesem als auswärtigem Statthalter Ressentiments entgegengebracht werden. Schnell finden die Helden zwei verdächtige Gruppen: Zum einen den lokalen Widerstand, der gegen die verhassten Bosparaner vorgehen will und das mysteriöse Waldvolk, Menschen die im Mittwald (dem heutigen Reichsforst) leben. Bei ihren Nachforschungen gelangen sie schnell in Kontakt zum Widerstand und können ebenso rasch feststellen, dass dieser in der Tat hinter den Brandstiftungen steckt. Als sie deren Anführer Hugo Thelsima ein doppeltes Spiel nachweisen, gelingt es ihnen, das Vertrauen der Widerstandsgruppe zu gewinnen, so dass sie vor dem nächsten Anschlag benachrichtigt werden. Als finaler Akt ist ein Brandanschlag auf Burianus Haus vorgesehen. Die Helden werden dabei mit der Besorgung der Brennmaterialien beauftragt und können feststellen, dass der Widerstand mit viel zu hochwertigen Brennstoffen versorgt wird, was dafür spricht, dass jemand anderes die Gruppe instrumentalisiert.

Tatsächlich offenbart sich dieser Jemand in dem Augenblick, als die Helden mit den Brandstiftern in Burianus Anwesen ringen und plötzlich das Gebäude von den Wildmenschen und einer ganzen Reihe von Legionären gestürmt wird. Erneut ist es Mentula, der Burianus nun endgültig zur Strecke bringen will. Als er aber auch seine – für ihn nun überflüssigen Verbündeten – ebenfalls ausschalten will, können die Helden (und wahrscheinlich auch Burianus) fliehen, während Waldmenschen und Legionäre sich gegenseitig bekämpfen. Auf dem Höhepunkt des Gefechtes können die Helden vor ihrer Flucht noch beobachten, wie Mentula einen Pakt mit der Dämonin Belkelel eingeht.

Unmittelbar nach der Flucht setzt der letzte Akt „Waldesdunkel“ ein, wobei der Titel insofern wörtlich zu nehmen ist, als dass die Helden ihr Heil im schützenden Wald suchen müssen, der aber von den Feinden ihres bosparanischen Auftraggebers bewohnt wird. Inzwischen verbindet sie allerdings natürlich etwas mit den Waldmenschen, den sogenannten Malegorn, immerhin wurden sie – genau wie Burianus – von Mentula verraten. Um diese aber als Verbündete zu gewinnen, müssen sie erst das Vertrauen der Malegorn erlangen. Eine Möglichkeit dazu bietet sich, indem die Helden der Gruppe bei ihren Konflikten mit den ebenfalls im Wald hausenden Goblins helfen. Zuletzt wurden einige Jäger von den Goblins gefangengesetzt, bei deren Befreiung die Helden ihren Wert beweisen können. Schnell lässt sich feststellen, dass auch die Goblins in Mentulas Pläne eingebunden sind, der sie sich mit Alkohol gefügig gemacht hat. Ihnen beim „Entzug“ unter die behaarten Arme zu greifen, kann eine erfolgsversprechende Taktik sein. Ein ärgeres Problem stellt eine Krankheit dar, die unter den Malegorn grassiert. Da sich in der Nähe des Lagers eine nur schlecht versigelte Dämonenpforte befindet, hat sich eine Dämonenfäule verbreitet, die die Betroffenen langsam dahinsiechen lässt. Ein Heilungsversprechen lockte die Malegorn in das Bündnis mit Mentula. Allerdings liegt dessen Interesse einzig und allein in der vollkommenen Öffnung der Limbuspforte für seine Herrin Belkelel.

Im Finale stehen somit mehrere Möglichkeiten offen. Mithilfe der Malegorn ist es vorstellbar, dass sie in das Anwesen des Präfekten eindringen und Mentula töten oder aber das Endgefecht findet an der Pforte im Wald statt.

II. Figuren

Zentrales Element auf der Figurenebene ist natürlich der Antagonismus zwischen Burianus und Mentula, wobei beiden ein ausgesprochen gegensätzlicher Hintergrund gegeben wurde. So handelt es sich bei Burianus um einen adeligen Lebemann, der bis zur Ermordung des Vaters ein eher unstetes Leben geführt hat. Mentula hingegen stammt aus einfachen Verhältnissen und hat mit viel Ehrgeiz und Skrupellosigkeit seinen Reichtum erworben. Vor allem unterschwellig verbindet beide eine düstere gemeinsame Geschichte: So wurde Burianus Vater von Mentulas Schergen ermordet, weil dieser wiederum verantwortlich für den Tod von Mentulas Bruder war.

Da das Abenteuer sehr episodenhaft aufgebaut ist, findet sich zudem überall Nebenfiguren, die in einzelnen Handlungssträngen eine Rolle spielen. Natürlich können diese nur grob beschrieben werden (meist in kleinen grauen Kästen), darunter finden sich aber auch durchaus vielschichtige Gestalten, z.B. die Grolm Piapercus, mit dem die Helden sich ein Rededuell liefern können.

III. Kritik

Zunächst einmal muss ich ein grundsätzliches Lob für dieses ungewöhnliche Produkt aussprechen: Die Idee, ein Schulprojekt eng zu begleiten und am Ende sogar zur Veröffentlichung zu bringen, finde ich großartig, gibt man doch hier jungen Leuten die Gelegenheit, sich aktiv an Entstehungsprozess einer Printpublikation zu beteiligen. Eine derartige Erfahrung ist sicherlich sehr lohnenswert und gibt Schule einen ganz anderen Charakter.

Natürlich bemerkt man diese Genese an einigen Ecken und Enden. Sprachlich sind die Texte manchmal etwas holprig ausgefallen, gerade die Syntax ist nicht immer sonderlich elegant, meinem Eindruck nach wirkt es so, als hätte man auf eine Komplettüberarbeitung der Schülertexte verzichtet. Im Storybereich fehlt es manchmal an Raffinesse, so wirken viele Storyelemente etwas simpel und arg gradlinig.

Beispielsweise erscheint es eher unwahrscheinlich, dass ein Schurke so leichtsinnig ist, gleich mehrere Schriftstücke, die massiv belastend sind, relativ problemlos auffindbar in seiner Villa zu hinterlassen. Ebenso fehlt es an falschen Spuren, schließlich ist die Lösung, dass es sich bei Burianus Gegner um seinen einzigen Konkurrenten um das Präfektenamt handelt, ziemlich offensichtlich, zumal auch hier zu viele Beweise in seine Richtung weisen. Zudem sind vor allem im zweiten Abenteuer einige Textabschnitte etwas unübersichtlich geraten, wenn z.B. mehrere Varianten aufgeführt werden, den Verräter Hugo zu enttarnen, die klarer voneinander abgesetzt werden müssten, so dass sie wirklich als Handlungsvarianten und nicht als Handlungsfolge erkannt werden. Manche Informationen sind in einer ungünstigen Reihenfolge gestaffelt, so dass beispielsweise erst viel Handlung in den Reihen der Brandstifter stattfindet, die Gruppe selbst aber erst später vorgestellt wird.

Allerdings sind auch viele positive Aspekte feststellbar. Vor allem ist das Abenteuer sehr flexibel gestaltet, immer wieder werden unterschiedliche Lösungswege berücksichtigt und diese Subplots werden zum Teil auch sehr ausführlich berücksichtigt, wobei das erste Abenteuer hier hervorsticht. So gibt es viele Wege, die letztendlich auf die Spur von Mentula weisen, wobei es durchaus lohnt, alle angebotenen Wege zu beschreiten, wodurch man später mit einer deutlich breiteren Beweisbasis belohnt wird.

Ebenso haben sich die Autoren viel Mühe gegeben, die Umgebung lebendig zu gestalten, selten treffen die Helden auf anonymisierte Figuren, stattdessen sind viele Charaktere zumindest mit kleinen Infokästen versehen, was dem Spielleiter die Arbeit immens erleichtert, vor allem in Trakenau ist dies sehr nützlich. Gelungen ist hier auch die Beschreibung des Orts, wobei auch der Konflikt zwischen Garethiern und Bosparanern deutlich wird. Generell haben die Autoren den Beschreibungen von Örtlichkeiten und Gebäuden genügend Platz eingeräumt, leider jedoch fehlen Gebäudepläne, die stellenweise wünschenswert wären, z.B. im Falle von Mentulas Villa oder Burianus Anwesen in Trakenau. Immerhin hat besagtes Trakenau eine kleine Stadtkarte spendiert bekommen.

Auch wenn – wie schon angesprochen – nicht alle Handlungselemente besonders originell sind, verfügt der Gesamtplot über einen dramaturgisch gelungenen Aufbau, bei dem sich Mentula vom einfachen Gegenspieler zur verhassten Nemesis emporschwingen kann, wenn die Helden nach dem anfänglichen Triumph bei der Wahl später in Trakenau eine empfindliche Schlappe erleiden müssen, um nach dem Schluss eines ungewöhnlichen Bündnisses dann ein echtes Finale zu erhalten. Allerdings nimmt die Beschreibungsdichte von Abenteuer zu Abenteuer ab, während der erste Teil in Bosparan noch sehr ausführlich ausgearbeitet ist, sind im Finale nur noch eher skizzenhafte Schilderungen vorhanden. Hier merkt man, dass der Band von sehr vielen Beteiligten erstellt wurde und nicht alles gleichmäßig ausgestaltet wurde bzw. mit Bindegliedern versehen werden konnte.

Positiv fällt für mich Abwechslung innerhalb der Abenteuer aus: So ist beginnt der Band mit einem Stadtabenteuer und einer Intrige unter der Oberschicht, während in Trakenau die dörfliche Gemeinschaft mit den Konflikten zwischen Bosparanern und Garethieren im Vordergrund steht. „Waldesdunkel“ ist zuletzt eher ein Wildnisabenteuer mit deutlich düsteren Ansätzen durch die dämonische Bedrohung, womit die Helden auf unterschiedliche Weise gefordert werden und viele Heldentypen in verschiedenen Phasen der Handlung glänzen können, wenn eher ihre speziellen Fähigkeiten gefragt sind.

IV. Fazit und Bewertung
Auch wenn man „Der Ruf des Mittwalds“ stellenweise seine Ecken und Kanten anmerkt, verfügt der Band über einen passenden dramaturgischen Aufbau, wobei vor allem das erste Abenteuer überzeugt. Aufgrund seiner besonderen Genese möchte ich auf eine Bewertung im herkömmlichen Stil verzichten. Natürlich ist nicht alles abgerundet, für ein Schülerprojekt ist das Ergebnis allerdings bemerkenswert. Allein deshalb halte ich die Idee und somit auch das Abenteuer für gelungen.

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