Rezension: Demonicon

Vorbemerkung: Ferienzeit ist bei mir die Zeit, in der ich mich endlich um lange geplante Sachen kümmern kann, die berufsbedingt im Alltag nicht klappen. Etwas, was mich da schon länger anlacht, ist meine vor gefühlt ewigen Zeiten gekaufte Version von „Demonicon“, zum Computer spielen kommen ich sonst einfach zu selten. Nun aber habe ich mich in Ereignisse rund um das Geschwisterpaar Cairon und Calandra hineinstürzen können.

I. Inhalt
Relativ unvermittelt wird man in das Abenteuer hineingeworfen, indem man in einem Gespräch zwischen der Spielfigur Cairon und dessen Vater beginnt, wobei man den Auftrag erhält, Cairons verschwundene Schwester Calandra wiederzufinden. Diese ist kurz vor ihrer bevorstehenden Hochzeit mit dem Rondrianer Falk von Arivor plötzlich untergetaucht. Allerdings soll man sie nicht irgendwo suchen, sondern im berühmt- berüchtigten Molchenberg. Damit ist auch der Schauplatz vorgegeben, im Kern spielt das Abenteuer in Warunk, allerdings nach der Befreiung aus den Klauen Rhazzazors. Schnell wird auch deutlich, dass zwischen den Geschwistern ein merkwürdiges Verhältnis besteht, warnt der Vater doch eindringlich davor, dass das Blut der beiden nicht in direkte Verbindung geraten darf, was aber natürlich kurze Zeit später geschieht. Und in der Tat macht sich sofort ein Effekt bemerkbar, kann Cairon doch ab diesem Punkt in gewissen Grenzen Magie ausüben.

Die Erkundung des Molchenbergs ist eine Art Einführung und zeigt auch programmatisch den Aufbau des Spiels. Auffällig ist dabei primär der gradlinige Levelaufbau. Man kann sich im Prinzip kaum verlaufen, nur in wenigen Fällen kann man sich bei der Erforschung von Dungeons zwischen mehreren Wegen entscheiden, zudem existiert eine Mapfunktion, die sogar in der Regel einen gesamten Bereich zeigt und nicht – wie oft üblich – nur die Gebiete, die man schon erforscht hat. Marker zeigen dort auch die Standorte von Missionszielen an. Trotzdem enthält die Story Verzweigungen. Diese ergeben sich vor allem aus den vielen Dialogsituationen, in denen man immer wieder wichtige Entscheidungen treffen muss, die den weiteren Verlauf der Geschichte zum Teil massiv beeinflussen. Als Beispiel kann auch hier die erste Mission dienen, in der sich schnell herausstellt, das Calandra in die Hände eines Menschenfressers gelangt ist. Hat man diesen im Kampf überwunden, wird man vor die Wahl gestellt, ob man ihn tötet und seinen Umtrieben ein Ende bereitet oder ob man ihn laufen lässt, womit man eine Reihe von Gefangenen retten kann, die sonst elendig zu Grunde gehen müssen. Solche Wendepunkte finden sich immer wieder, ihre Auswirkungen ergeben sich dann im Anschluss, weil dadurch bestimmte Optionen eröffnet werden, andere aber ab diesem Zeitpunkt verschlossen sind.

Eine sehr fundamentale Wahl muss man beispielsweise im zweiten Level treffen, wenn man die Möglichkeit erhält, sich mit seinen Taten zu etablieren, um aus dem Armenviertel Warunks seinen sozialen Aufstieg zu betreiben, um in die begehrte Oberstadt zu gelangen. Hier kann man sich entweder der Stadtgarde unter dem Zwerg Fergolosch oder der Unterwelt des sogenannten Kreuzerkartells unter dem Strippenzieher Pagol Notgelf anschließen. Hat man sich für eine Seite entschieden, bleibt einem die andere weitgehend verwehrt.

In Rahmen der Hauptgeschichte stellt man fest, dass gerade im Armenviertel eine rätselhafte Seuche wütet, die viele Opfer fordert. Im Bereich der Familie ergeben sich Konflikte, da Calandra nach wie vor die Hochzeit mit Falk von Arivor verweigert, die der Vater als einziges Mittel sieht, um der Armut zu entrinnen. Im weiteren Verlauf reicht auch der soziale Aufstieg Cairons nicht aus, um dieses Thema zu beenden, da Calandra schließlich ein weiteres Mal entführt wird, dieses Mal von Falk selbst und seiner rätselhaften Mutter, die großes Interesse an den Geschwistern zeigt.

Nach und nach Verlauf offenbaren sich Cairon und Calandra stückchenweise die Mysterien ihrer Herkunft: Beide wurden bei ihrer Geburt von Azaril Scharlachkraut in einem unheilvollen Ritual mit 5 anderen Kindern miteinander verbunden, die in ihnen liegenden Kräfte sind somit borbaradianischer Natur. Und immer mehr kristallisiert sich heraus, dass es eine Art Wettstreit unter diesen Kindern gibt, bis nur noch eines lebt und seiner Bestimmung als „Erwachter“ nachgehen kann. Somit folgt Cairon der Spur seiner „Geschwister“ (die alle unterschiedliche Mütter haben, zum Teil aber die gleichen Väter) und kann mehrere von diesen töten. Dazu muss er viele Aufgaben lösen, zum Teil noch in Warunk selbst, später aber auch außerhalb der Stadt, wenn er z.B. in den Sümpfen vor der Stadt die Seuche überwinden will.

Calandra hingegen nimmt in der Zwischenzeit ihre Rolle als Heilsbringerin der Borbarad-Kirche an und kann sich sogar teilweise aus dem Einfluss von Azaril lösen, was letztlich für einen Konflikt sorgt. Der abschließende Level spielt daher vor allem in einem Borbarad-Kloster, wo sich die Anhänger von Calandra und Azaril einen gnadenlosen Showdown liefern, bei dem Cairon zugunsten Calandras eingreifen muss. Allerdings muss er dazu Leitlinien für das zukünftige Handeln der Kirche liefern. Stilecht folgt am Ende ein Ausflug in die Niederhöllen: Schließlich sind laut Prophezeiung die sieben Auserwählten dazu verdammt, sich gegenseitig zu töten, bis der letzte als sogenannter „Erster Paladin“ verbleibt, was logischerweise auch einen Kampf der Geschwister gegeneinander einschließen würde. Um dies zu verhindern, bleibt Cairon und Calandra nichts anderes übrig, als einen Kampf gegen den verantwortlichen Dämon Zhulgaroth selbst aufzunehmen.

Neben der Hauptgeschichte gibt es zudem weitere kleinere Missionen, die von unterschiedlichen Auftraggebern ausgegeben werden. Diese sind optional, allerdings ist es ratsam, möglichst viele davon anzunehmen, um seine Werte zu steigern. Denn immerhin handelt es sich auch bei „Demonicon“ um ein Rollenspiel, bei dem regelmäßig Werte, Attribute und Fähigkeiten gesteigert werden müssen, um den steigenden Anforderungen (vor allem in den Kämpfen) gerecht werden zu können. Zwar erreicht das angebotene System bei weitem nicht die Komplexität des Print-Rollenspiels oder z.B. den Umfang von der Charakterentwicklung von „Drakensang“, trotzdem gibt es viele Möglichkeiten, sich geeignete Spezialisierungen zuzuschneiden, um Cairon möglichst leistungsfähig zu gestalten. Vor allem zwischenzeitliche Bosskämpfe erweisen sich als durchaus langwierig und bedürfen eines Charakters, der einiges einstecken kann.

II. Figuren
Im Zentrum der Geschichte stehen die beiden Geschwister Cairon und Calandra. Beide sind Charaktere, die auf den ersten Blick nicht unbedingt typische DSA-Helden ergeben, agieren sie doch oft zynisch und sind von einem harten Leben unter der Knute der Erben Borbarads geprägt. Vor allem wird dem Spieler durch das Handeln der Figuren eine ambivalente Handlung zum Borbaradianismus abverlangt, sind beide doch fundamental davon beeinflusst und nutzen unter anderem borbaradianische Gaben, die sie zum Magier befähigen. Zudem entwickelt sich die Beziehung der beiden zueinander zunehmend in eine Richtung, die über eine normale Geschwisterliebe erkennbar hinausgeht.

Als Antagonistin fungiert eine der ältesten Schurkenfiguren Aventuriens. Azrail Scharlachkraut wird dementsprechend ihrer Rolle als charismatische Verführerin gerecht, die getreu ihrer Maxime „Jeder Mensch ein Magier“ handelt und durchaus verlockende Angebote feilbietet, in der Konsequenz aber andere Lebewesen wie Schachfiguren verwendet, die in der Regel jederzeit ersetzlich sind.

Die meisten Figuren in „Demonicon“ sind ambivalent geprägt, so bedeutet beispielsweise eine Entscheidung für die Rolle als Gardist nicht zwingend, dass man damit einem Pfad der Tugend folgt, was durch den Anführer der Garde verkörpert wird, den Zwerg Fergolosch. Erscheint dieser zu Beginn sympathisch und wollwollend, wird zunehmend deutlich, dass er und sein Antagonist, Parel Notgelf aus demselben Holz geschnitzt sind, wenn auch er in erster Linie Eigeninteressen verfolgt.

In kleineren Rollen agieren außerdem weitere Figuren des offiziellen Aventuriens, z.B. Markgraf Sumudan von Bregelsaum und der Meister des Bundes Jaakon von Turjeleff, die im späteren Verlauf vor allem die Funktion haben, den Aufstieg Cairons zu symbolisieren, der mehr und mehr zum Ansprechpartner für die Würdenträger Warunks wird und von diesen auch Aufträge erhält.

III. Kritik
„Demonicon“ ist sichtbar anders als die Glanzstücke der jüngeren DSA-Geschichte im Bereich der Computerspiele gestaltet: Wo „Drakensang“ bunt- bodenständig meist den regionalen Aspekt verkörpert und „Satinavs Ketten“ und „Memoria“ einen teilweise märchenhaften Ansatz verfolgen, ist „Demonicon“ schmutzig und schonungslos, bewegt sich gerade im Handeln Cairons in einer Grauzone jenseits von traditionellen Vorstellungen von Gut und Böse.

Und gerade hier zeigt sich die große Stärke von „Demonicon“, wenn moralische Fragen aufgeworfen werden und diese primär in den Dialogsituationen auch beantwortet werden. Mit reinem Gutmenschentum kommt man hier kaum weiter, einige Optionen sind sogar ausgesprochen schmerzhaft, wenn man vor die sprichwörtliche Wahl zwischen Pest und Cholera gestellt wird. Dabei wird diese Linie konsequent durchgezogen, solche Fragen werden in regelmäßigen Abständen immer wieder aufgeworfen und verlangen mehr als einmal den Pakt mit unterschiedlichen Teufeln.

Unterstrichen wird dies durch die Atmosphäre, die Schauplätze sind oft eher dreckig-düster denn idyllisch. Im Figurenbereich sind weder Cairon noch Calandra strahlende Helden, die sich auch unter den zahlreichen NSCs kaum finden lassen. Deutlich werden auch die Unterschiede zwischen dem trostlosen Armenviertel und anderen Regionen Warunks, die deutlich dekadenter gestaltet sind.

Einschränkend muss hier angefügt werden, dass das Spiel grafisch schon zum Erscheinungsdatum eher altbacken wirkt, vor allem die Schauplätze sind eher grob gestaltet und kommen meist in matschig-grauen Farbtönen daher. Viele Orte wirken auch etwas leer: So gelingt es Cairon in einer aufsehenerregenden Aktion auf dem Marktplatz Warunks einen gefährlichen Dämon zu bezwingen, bei der anschließenden Siegesfeier jubeln ihm aber gefühlt ein Dutzend Personen zu.

Generell trenne ich hier zwischen der Bewertung als Computerspiel und der als DSA-Spiel. Als Computerspiel wirkt „Demonicon“ in vielen Bereichen eher durchschnittlich: Das Leveldesign ist sehr linear, an manchen Stellen auch für meinen Geschmack zu simpel, wenn z.B. direkt alle Kartenteile sichtbar sind und nicht – wie in vielen anderen Spielen – nur die Bereiche, die die Spielfigur schon besucht hat und wenn Ziele immer direkt angezeigt werden. Was Gegner angeht, sind Kämpfe meiner Meinung nach etwas monoton, was vor allem daran liegt, dass vergleichsweise wenig unterschiedliche Gegnerfiguren existieren. So wird es z.B. im Sumpf irgendwann doch ermüdend, immer wieder gegen dieselben Horden von Spinnen und Zombies anzutreten. Hier hätte ich mir etwas mehr Abwechslung gewünscht.

Weniger Probleme habe ich mit dem abgespeckten Rollenspielsystem. „Demonicon“ lebt vor allem von seinen Dialogen und den Kämpfen, dafür bedarf es nur einer überschaubaren Anzahl von Fähigkeiten. Talenten und Eigenschaften. Diese werden dann auch gut genutzt und Steigerungen haben spürbare Wirkungen, wenn z.B. ein hoher Wert in „Überreden“ mehr Gesprächsoptionen bietet oder bestimmte Pflanzen oder Schlösser erst dann eingesammelt bzw. geöffnet werden können, wenn man die entsprechenden Talentwerte besitzt.

Sehr viel Mühe haben sich die Macher im Bereich der Vertonung gegeben. Hier finden sich viele bekannte Sprecher (als Erzähler und als Sprecher von Rago, dem Vater Cairons und Calandras, fungiert beispielsweise die Synchronstimme von Liam Neeson), die sehr professionell agieren, auch der Soundtrack unterstreicht das Geschehen gut.

Was für mich aber „Demonicon“ über andere Computer-Rollenspiele hervorhebt, ist das hervorragende DSA-Flair. Für mich fühlt sich Warunk sehr lebensnah an und vieles deckt sich mit meinen Vorstellungen des Lebens in den Gebieten, die vom Einfluss der Borbaradianer befreit wurden: Die Verzweiflung und Perspektivlosigkeit überwiegen die meisten Hoffnungsschimmer. Die Story ist vor allem in den ersten Kapiteln sehr spannend, vor allem, wenn Cairon sich in Warunk einen Namen machen kann. Interessanterweise ist die Handlung von „Demonicon“ ja mittlerweile sogar in den DSA-Kanon aufgenommen worden sind, so ist Calandra eine Figur innerhalb der Borbarad-Kirche in „Orden und Bündnisse“ (wobei hier von einem Sieg Azarils in Finale ausgegangen wird) und auch der von Cairon entwickelte Katechismus wird dort vorgestellt.

Gerade in Richtung des Finales fällt es aber zunehmend schwer, allen Handlungsfäden zu folgen, weil der Hintergrund mancher Figuren nicht immer klar wird. Vor allem erscheint mir die Wendung etwas schwierig, wenn Cairon plötzlich auf Seiten derjenigen kämpfen soll, die er bis dahin bekämpfen soll. Sehr gelungen ist die ambivalente Darstellung des Borbaradianismus, der hier nicht per se abgelehnt wird, da Cairon und Calandra durchaus auf dessen Gaben zurückgreifen und dies oft auch nachvollziehbar ist. Insgesamt ist die Spieldauer allerdings vergleichsweise kurz, da man deutlich unter 20 Stunden braucht, um „Demonicon“ durchzuspielen, gerade in dieser Hinsicht sind Computer-Rollenspiele in der Regel deutlich umfangreicher gestaltet.

IV. Fazit
„Demonicon“ ist ein gutes Spiel, das vor allem von seiner düsteren Atmosphäre lebt und in den Schauplätzen und interessanten Figuren seinen Ausdruck findet. Für Spannung sorgen in erster Linie die vielen schwierigen moralischen Entscheidungen, die dem Spieler immer wieder abverlangt werden. Als Computerspiel hätte ich mir allerdings auch deutlich mehr Abwechslungsreichtum gewünscht.

Bewertung: 4 von 6 Punkten

2 Kommentare

  1. Das Spiel ist im Text sehr gut beschrieben. Habe es vor einigen Tagen selbst gerade durchgespielt.
    Da kann ich mich voll anschließen. Ich habe allerdings über 30 Stunden gebraucht. Deshalb kam es mir nicht besonders kurz vor. Die Bewertung 4 von 6 = 66% ist allerdings meiner Meinung nach zu schlecht und passt auch nicht zum Text. Es sei den, man würde es in Schulnoten übersetzen: 2- passt.

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