Retro-Check: Der Fluch des Mantikor

Vorbemerkung: Dieses Mal hat mir ein frisch erschienenes DSA-Abenteuer die Inspiration zur Auswahl eines Klassikers beschert. Sebastian Thurau hat in sein Solo „Der Vampir von Havena“ eine ganze Menge Anspielungen auf die alten Zeiten eingebaut, unter anderem auch auf „Der Fluch des Mantikor“. Havena ist die erste Stadt, die für DSA im großen Stile ausdefiniert wurde und deshalb gibt es eine ganze Reihe von spielbaren Geschichten, von denen „Der Fluch des Mantikor“ von Ulrich Kiesow, Hadmar von Wieser und Heinz Thiemann sicherlich eine der ungewöhnlichsten Handlungen hat.

In Zahlen
– Abenteuer Nr. 21
– 28 Seiten
– Erschienen 1988

I. Aufbau und Inhalt
Das Abenteuer beginnt relativ konventionell, als Aufhänger soll eine Teilnahme der Helden am alljährlichen Boxturnier von Havena dienen. Schlägt sich einer der Spielercharaktere dort achtbar oder geht sogar als Sieger hervor, wird die Gruppe von dem Händler Oreis Rastburger angesprochen. Im Moment ist dieser dazu verdammt, in seinem Lager zu wohnen, da sein Wohnhaus aus rätselhaften Gründen von allerlei Spukwesen vereinnahmt wurde, die ihn und seine Familie vertrieben haben. Darunter soll sich sogar ein leibhaftiger Mantikor befinden. Tatsächlich sollte es sich um eine schwere Aufgabe handeln, immerhin sind Helden bereits die dritte Söldlingsgruppe, die von Rastburger losgeschickt wird.

Zur Unterstützung (und als Aufpasser gegen Langfinger unter den Helden) werden sie von Rastburgers Assistenten Leirix begleitet, der allerdings lediglich mit seiner Ortskundigkeit helfen kann, nicht aber mit einem schlagkräftigen Schwertarm. Sobald die Helden und Leirix das Haus betreten, wird das wichtigste Instrument des Spielleiters der umfangreiche Gebäudeplan.

Tatsächlich ist das Haus erfüllt von merkwürdigen Vorkommnissen, die Helden werden fast in jedem Raum mit kuriosen Wesen (wie z.B. Kobolden) oder Formen von Magie konfrontiert. Zudem hausen im Gebäude auch noch zwei Skelette, die dort vor langer Zeit zu Tode kamen sowie eine Diebesbande, die die Abwesenheit der Hausbewohner nutzen wollen. Allerdings lässt sich kein Erzschurke, kein finsterer Schwarzmagier oder ähnliches finden, der für alles verantwortlich ist. Ebenso sucht man den imposanten Mantikor vom Titelbild des Abenteuers vergeblich.

Die Lösung des Rätsels ist in der Tat überraschend, Urheber des ganzen Spuks bzw. Klamauks ist Leirix, bei dem es sich in Wahrheit um einen (hochstufigen und hochkarätigen) Schelm handelt. Nach langen Jahren des unsteten Wanderns verliebte sich dieser in Rastburgers wunderschöne Tochter Alvide. Um der Angebeteten nahe zu sein, verdingte er sich bei Rastburger als Gehilfe. Mithilfe seiner magischen Fähigkeiten war ihm rasch geschäftlicher Erfolg beschieden, so dass er sich Hoffnung auf eine Ehe mit der Kaufmannstochter machen durfte. Nachdem aber ein entfernter Verwandter des Havener Fürstengeschlechts Bennain seinen Hut in den Ring geworfen hat, wurden diese Pläne verworfen und der Schelm sah sich geprellt. Aus Vergeltung initiierte er den Spuk, bis ihn die Helden enttarnen können.

Offen bleibt am Ende, wie die Spielercharaktere die Situation auflösen, da es kaum passen würde, den Schelm zu erschlagen, handelt es sich doch nicht um einen gefährlichen und bösartigen Antagonisten, sondern um jemanden, der sich zurecht zurückgestellt fühlt und der aus enttäuschter Liebe handelt. Möglich wäre es beispielsweise, darauf einzuwirken, Leirix und Alvide doch noch zusammenzubringen.

II. Figuren
„Der Fluch des Mantikor“ verfügt im wahrsten Sinne des Wortes über einen heimlichen Star, dürfte Leirix doch zu Beginn höchstens als „Klotz am Bein“ wahrgenommen werden, der von den Helden höchstwahrscheinlich eher ungern mitgenommen wird, weil er kein kompetenter Kämpfer ist und im Ernstfall eher Schutz benötigt. Dass er in Wahrheit wesentlich erfahrener ist als die Einsteigerhelden (für die das Abenteuer gedacht ist), dürfte eine große Überraschung darstellen. Als Gegenspieler ist er insofern ungewöhnlich, als dass er aus seiner Position als Schelm agiert, der der Gruppe zwar das Leben schwer machen möchte, keinesfalls aber echten Schaden verursachen möchte und im Ernstfall sogar zu Gunsten seiner Begleiter eingreift.

Im Prinzip handelt es sich grundsätzlich um eine Märchenkonstellation mit Leirix als dem aufrichtig Liebenden, dem aber von dem kühl kalkulierenden Kaufmann Rastburger ein Strich durch die Rechnung gemacht wird. Alvide fällt dabei die Rolle des schönen Mädchens zu, dem alle Männerherzen zufliegen. Dahinter verbirgt sich aber ein eher oberflächlicher Charakter, der mit der äußerlichen Schönheit nicht mithalten kann.

III. Kritik
Viele der alten DSA- Cover zeichnen sich dadurch aus, dass Inhalt des Abenteuers und Thema des Titelbildes nicht übereinstimmen. Auf den ersten Blick trifft das auch hier zu, allerdings handelt es sich eben nicht um einen der damals durchaus vorkommenden Kommunikationsfehler zwischen den Autoren und dem Zeichner, sondern um eine in meinen Augen geniale Finte. Heraufbeschworen wird die bedrohliche Atmosphäre eines echten Horrorhauses, dessen Betreten mit einer ganzen Reihe von Kampfhandlungen gegen furchterregende Monster verbunden sein wird. In Wahrheit wird man aber mit grundsätzlich harmlosen Schelmenstreichen konfrontiert, die eher lästig denn wirklich herausfordernd sind. Als Spiel mit der Erwartungshaltung finde ich das hochgelungen, wobei im Abenteuer selbst der irritierende Hinweis vorhanden ist, das Cover unbedingt vor den Spielern zu verbergen. Wer diesen Rat befolgt, verpasst meiner Meinung nach den gelungensten Gag des ganzen Abenteuers, weil dies gerade in der Anfangsphase der Durchsuchung des Hauses für ein Gefühl der Anspannung sorgt, das eigentlich gar nicht nötig ist, was man so aber erst nach und nach bemerkt.

Kernaspekt ist die Beschreibung des Spukhauses, die mit einer Karte des Anwesens und den Raumbeschreibungen auch geliefert wird. Dafür wird die wichtigste Aufgabe zu skizzenhaft angerissen, nämlich was geschehen könnte, nachdem die Helden Leirix enttarnt und seine Geschichte erfahren haben.

Als Figur gefällt mir der Schelm sehr gut, weil dessen Wahl die Gesamtfinte noch unterstreicht, wenn man am Ende kaum Zorn auf den Gegenspieler entwickeln kann, sondern diesem im Anschluss eher positiv gegenübersteht und weitere Hilfe angedeihen lassen will. So eine Figur ist für die Anfangszeit von DSA sehr originell, als die meisten NSCs noch mit sehr spärlichen Charakterzeichnungen und kaum Grauschattierungen versehen waren.

Das Abenteuer hatte damals auch genau die Intention, diesen neuen Heldentyp einzuführen, wozu auch eine ausführliche Charakterbeschreibung und die wichtigsten Schelmenzauber enthalten sind. Allerdings stellt dies auch ein zentrales Problem dar: Heutige Spieler dürften Schelmenzauber relativ schnell erkennen, womit die Enttarnung sehr leicht fallen dürfte. Der Anteil der Handlung im Spukhaus ist aber so dominant gestaltet, dass die Folgehandlungen, vor allem die Lösung der Liebesgeschichte kaum Raum erhält. Gerade hier dürfte aber noch viel Potential liegen, da die oberflächliche Alvide nicht leicht zu erobern scheint, zumal der Mitbewerber einen großen Namen trägt. Somit sehe ich auch viel an verschenkten Möglichkeiten.

Die Plotlinie um das Spukschloss dürfte zudem für den Spielleiter eine echte Herausforderung darstellen, letztlich soll ja eine Art von Horroratmosphäre erzeugt werden. Dies ist aber mit den beinhalteten Effekten gar nicht einfach, da die meisten Ereignisse eher harmlos ausfallen und auch die Schelmenzauber eben mehr Humorkomponenten enthalten und weniger auf furchterregende Wirkungsweise ausgerichtet sind.

Als Vergleich würde ich hier das moderne Anthologieabenteuer „Geisterjahrmarkt“ anführen, bei dem echter Horror erzeugt wird, eben weil der zentrale Antagonist eine tragischere Hintergrundgeschichte hat und auch dazu bereit ist, echten Schaden zu verursachen. Leirix als eigentlich positiver Charakter verfügt hier über klare Grenzen, womit der Horrorschwerpunkt meiner Ansicht nach nur bedingt funktionieren kann. Zudem wirkt das Haus etwas überladen, da es mit den beiden Skeletten, die in einer Geheimkammer hausen und den Dieben noch zwei vom Schelm unabhängige Fraktionen gibt, was letztlich etwas übertrieben erscheint. Aus heutiger Sicht würde es sicherlich Sinn ergeben, die Handlung etwas umzumodeln, wobei ein Schwerpunkt darauf liegen könnte, was nach der Enttarnung des Schelms die richtigen Strategien sein könnten, dem armen Leirix doch noch zu seiner großen Liebe verhelfen zu können.

IV. Fazit
„Der Fluch des Mantikor“ ist allein aufgrund seiner ungewöhnlichen Konstruktion beim zentralen Gegenspieler ein bemerkenswertes Abenteuer, das seinen Reiz vor allem aus dem Unterlaufen der Erwartungshaltung der Spieler zieht. Nach heutigen Maßstäben dürfte es aber schwer fallen, die angedachte Spukatmosphäre zu erzeugen, zudem sind Aspekte, die eine Folgehandlung bedingen, kaum ausgeführt, obwohl gerade hier einiges an originellem Potential liegt. Mit gewissen Änderungen kann die Grundidee aber auch heute noch ein bis zwei gelungene Spielabende ermöglichen.

Bewertung: Retro-Faktor ausreichend

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