Rezension: Das Chimären-Komplott

Vorbemerkung: Nachdem sie im vergangenen Jahr mit Greetja schon nach vielen Jahren Abstand von Aventurien einen ersten neuen Roman verfasst hat, ist nun mit Das Chimären-Komplott ein weiterer Band von Ina Kramer erschienen. Wie zuvor handelt es sich dabei um eine nicht-kanonische Publikation bei Fanpro, die Inhalte des Romans gehen also nicht in die offizielle Geschichtsschreibung ein. Das erscheint allerdings nicht weiter problematisch, hat sich Ina Kramer doch in ihren jüngeren beiden Kurzgeschichten und bei Greetja eher kleinen Geschichten gewidmet, die ohne größeres Echo für die Hintergrundwelt im Ganzen bleiben dürften.

In Zahlen:

– 406 Seiten

– Preis: 18,95 Euro

– Erschienen am 24.1. 2021

I. Aufbau und Inhalt

Das Chimären-Komplott erzählt die Geschichte einer Reihe von Einzelfiguren, die die LeserInnen durch die Handlung führen. Ungewöhnlicherweise handelt es sich dabei allerdings um keine konstanten Erzählfiguren, nachdem zu Beginn anscheinend die junge Nivesin Kujani und der Medicus Anselm die Hauptfiguren zu sein scheinen, kommen mit der Thorwalerin Eldgrimma, ihrem Sohn Asleif-Hayatepe, der Söldnerin Isora, dem Elf Oberian und der Hexe Sylphinja noch weitere dazu.   

Die Geschichte wird zusammengehalten durch die gemeinsame Feindschaft der Protagonisten gegen die Magierin Pandomira. Bei dieser handelt es sich um eine ausgesprochen fähige Chimärologin, die ihrer Kunst auf ihrem herrschaftlichen Anwesen in der der Nähe von Uhdenberg nachgeht und die ihre Schöpfungen auch zum Verkauf anbietet. Eine dieser Schöpfungen ist der junge Asleif-Hayatepe. Dessen Eltern, die Thorwalerin Eldgrimma und der Moha Hayatepe, wurden gegen ihren Willen in Gefangenschaft zusammengeführt, um ein gemeinsames Kind zu zeugen. Nachdem dies geschehen war, wurde der junge Asleif-Hayatepe nach der Geburt seinen Eltern entzogen, einer Art magischer Verstärkung unterzogen und wuchs folgend in Pandomiras Gewahrsam auf, gepflegt von dem blinden Olmo. Seine Handlung nimmt an Fahrt auf, als er verkauft werden soll und dabei seinen Bewachern entkommt, unter anderem dem Heiler Anselm und der Söldnerin Isora, die dafür bei Pandomira in Ungnade fallen. Gleichermaßen scheint Pandomira auch verantwortlich für die Entführung von Kujanis Verlobten, woraufhin die junge Nivesin sich aufmacht, ihn zu retten.    

Damit löst sie eine Kaskade von Begegnungen aus, die dafür sorgen, dass sich eine stattliche Gefolgschaft mit ihr zu Pandomira begeben will: Anselm steht in Pandomiras Schuld, was er binnen Jahresfrist zu horrenden Bedingungen auslösen soll. Isora steht Anselm nahe und sieht seine Situation auch als ihr persönliches Versagen an, da sie für die Bewachung des Gefangenen zuständig war. Eldgrimma und Asleif-Hayatepe sinnen nach Verschleppung und Gefangenschaft auf Vergeltung und wollen anderen ihr Schicksal ersparen. Bei der Hexe Sylphinja handelt es sich um eine alte Bekannte Anselms, so dass sie sich ihm mit ihrem Begleiter, dem Gaukler und Scharlatan Zamparillo anschließt. Der Elf Oberian hingegen scheint vor allem eine gewisse Faszination für die Bedürfnisse seiner menschlichen Begleiter zu verspüren. Zusammen schmieden sie einen Plan, um Pandomira zu Fall zu bringen, was allerdings schon mit einer gefährlichen Anreise verbunden ist.

Daneben sind aber auch viele Einzelepisoden vorhanden, in denen die Protagonisten vorgestellt werden, z.B. wenn geschildert wird, wie Anselm versucht als Heiler Geld zu verdienen oder wie Isora nach ihrem für sie peinlichen Versagen bei Asleif-Hayatepes Flucht einer Dorfgemeinschaft gegen Orks beisteht oder wie Sylphinja sich ein unauffälliges Fluggefährt besorgen möchte. Bei Asleif und Eldgrimma steht ein Wiedersehen nach langen Jahren der Trennung im Vordergrund, während Kujani mit ihrem Erbe als Wolfskind zu kämpfen hat.  

II. Figuren

Wie schon angesprochen verfügt der Roman über eine sich gen Ende immer mehr verbreiternde Figurenriege. Wenn jemand etwas herausgehoben werden kann, so handelt es sich dabei um den Heiler Anselm Peckert, hat er doch sehr viele Textpassagen als Erzählfigur, zudem stellt er für viele seiner Gefährten das Bindeglied dar, obwohl er von allen am wenigsten vom Plan gegen Pandormira überzeugt ist. So handelt es sich bei Sylphinja um seine Halbschwester, ebenso schließt sich ihm Oberian an und mit Isora verbindet ihn eine große innere Anziehung.

Asleif-Hayatepe und Kujani hingegen verkörpern unerfahrene Figuren, die in eine für sie sehr fremde Welt eindringen, Asleif-Hayatepe aufgrund des Aufwachsens in völliger Isolation, Kujani wegen ihrer Kindheit und Jugend in ihrem Stamm.

Die zentrale Gegenspielerin Pandomira stellt gerade bei ihrer Vorstellung eine sehr klassische Schurkin da: unnahbar gegenüber allen, die ihr untergeben sind, hart gegen die, die sich etwas gegen sie zuschulden kommen lassen. Die Methoden ihrer Chimärenerschaffung kennzeichnen sie als vollkommen skrupellos, scheut sie doch vor Entführung und Menschenhandel nicht zurück.

III. Kritik

Zunächst stellt Das Chimären-Komplott eine schöne Reise in die Vergangenheit dar, indem Ina Kramer hier mit Anselm Peckert und Sylphinja nach über zwei Jahrzehnten das Schicksal der beiden Hauptfiguren aus ihrem Romanduo Die Suche und Die Reise nach Salza wieder aufgreift. Fast schon typisch ist, dass beide seitdem keinen geraden Lebensweg eingeschlagen haben: Vor allem Anselm ist buchstäblich etwas außer Form geraten und zudem über gewisse Irrwege in die Dienste von Pandomira gelangt, die mit ihrer skrupellosen Art so gar nicht zu dem lebensfrohen und grundsympathischen Medicus passt, aber auch Sylphinja hat offenbar viele Rückschläge erhalten. Gemeinsam ist ihnen trotzdem ihr Wille, im richtigen Moment für das Gute einzustehen, während sie trotzdem nicht unbedingt gewillt sind, völlig unnötige Risiken einzugehen. Somit bleiben sie in gewisser Weise Helden wider Willen und definieren sich damit auch nicht unbedingt über den Erfolg ihrer Unternehmungen. Für mich sind sie damit zwei großartige Protagonisten, denen man gerne folgt.   

Ganz generell folgt die Geschichte trotz der spannenden Ausgangsituation mit der Chimärologin und ihren verbrecherischen Methoden einer eher ruhigen Erzähllinie, indem kleinen Details viel Raum gewidmet wird, was vor allem für die vielen Reisepassagen gilt. Die breite Figurenpalette sorgt dabei für viel Abwechslungsreichtum durch die unterschiedlichen Perspektiven. Hier kommt die Stärke des Romans zum Tragen, indem die ungewöhnlichen Charaktere wie der lebensunerfahrene Asleif-Hayatepe oder die zupackende, aber mit sich selbst hadernde Isora oder der für seine Gefährten ein wandelndes Rätsel darstellende Oberian aufeinander treffen.

Fast schon nebensächlich ist dabei das namensgebende Komplott gegen Pandomira, das auch nicht immer stringent verfolgt wird, indem z.B. Anselm oder Isora lange kaum Tendenzen zeigen, sich gegen die Antagonistin zu stellen. Häufig liegt der Fokus vielmehr auf den inneren Konflikten der Figuren, z.B. Kujanis Erforschen ihrer wölfischen Natur oder die Wiederbegegnung von Eldgrimma und Asleif-Hayatepe. Dabei handelt es sich bei allen Charakteren um vergleichsweise normale Charaktere, die eben keine Übermenschen sind, sondern über Stärken und Schwächen verfügen, selbst der magisch veränderte Asleif-Hayatepe ist zwar in vielen Dingen überdurchschnittlich begabt und ein hervorragender Kämpfer, umgekehrt handelt es sich bei ihm um ein Kind im Körper eines erwachsenen Mannes, der die ihm unbekannte Welt oft noch nicht versteht und vielen Situationen mit grenzenloser Naivität begegnet. Was Ina Kramer hier hervorragend gelingt, ist die Erschaffung eines grundsympathischen Figurenensembles, in deren Denken man sich oft gut hineinversetzen kann.   

Letztlich ahnt man auf diesem Erzählweg schon, dass sich das Finale den Erwartungen entziehen wird, dass eben kein fulminanter Endkampf mit großen Effekten bevorsteht. Einerseits hat das bei mir anfangs eine leichte Enttäuschung erzeugt, letztlich gefällt es mir aber gut, weil es konsequent ist. Man merkt natürlich auch, dass Ina Kramer sich oft ganz bewusst gewohnten Erzählkonventionen entzieht (das zieht sich auch durch ihre anderen Texte), sondern ihre eigenen Schwerpunkte setzt und damit eigene Geschichten schafft. Gerade Pandomira erhält so einen sehr wirkungsvollen letzten Auftritt, indem sie der ungewöhnlichen Heldengruppe eine ebenso ungewöhnliche Art der Konfrontation bietet. Ihr abschließender monologartiger Vortrag gehört zu den absoluten DSA-Highlights, indem eine Schurkin nicht ideologisch verhärmt ihr Inneres offenlegt, sondern eiskalt-logisch argumentierend vorgeht, was auch eine gute Prise Humor offenlegt und letztlich zu einer sehr augenzwinkernden Auflösung der gesamten Geschichte führt. Das ist wahrscheinlich sogar deutlich einprägsamer als ein blutiges Finale mitvielen Effekten, wie es sich lange Zeit angedeutet hat.  

Nach wie vor merkt man, dass Ina Kramer zu den Mitgestalterinnen Aventuriens gehört, wird doch eine ausgesprochen dichte Atmosphäre der Hintergrundwelt erzeugt, indem viele Details hervorgehoben werden, sei es das Leben der Armen auf dem Land oder die Unterdrückung der Goblins in den von Menschen dominierten Städten. Gerade hier kommen auch die Stärken des Romans besonders zum Vorschein, indem Städte wie Uhdenberg und Donnerbach oder die ländlichen Gegenden Nordaventuriens sehr plastisch erlebbar werden.

Eine kleine Auffälligkeit sind die häufig auftretenden Fehler im Text, hier hat sich öfter ein Buchstabe zuviel oder ein Buchstabendreher eingeschlichen, der Band hätte noch etwas mehr Korrektorat vertragen können, was aber letztlich dem Lesespaß aus meiner Sicht nicht massiv im Weg steht. Dagegen steht ein sprachlich sehr präziser und ruhiger Erzählstil, der so immens dazu beiträgt, die angesprochene dichte Atmosphäre zu erzeugen und der vor allem den Figuren viel Unterscheidbarkeit und eigenständigen Charakter gewährt. Gerade hier merkt man, dass man es mit einer Autorin zu tun hat, die ihre Sprache sehr bewusst und gekonnt einsetzt.

IV. Fazit

Das Chimären-Komplott ist ein sehr unterhaltsamer Roman, dessen Stärke gerade darin liegt, sich bestimmten Erzählkonventionen zu entziehen. Dies drückt sich einerseits in überraschenden Wendungen und andererseits in einer ungewöhnlichen Personenkonstellation aus, in der sehr unterschiedliche Perspektivfiguren gewählt wurden, die zumeist nicht in gängige Heldenklischees passen, wobei gerade ihre Normalität sie lebensrechter und sympathischer wirken lässt.     

3 Kommentare

  1. Der Roman hat richtig gut begonnen, ist aber dann, zur Mitte hin, meiner Meinung nach, irgendwie „komisch“ geworden.

    Ich hatte sogar das Gefühl, dass eine andere Person das Schreiben übernommen hat, denn der Bruch im Stil und dem agieren der Personen ist schon ziemlich krass gewesen.

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