Rezension: Das Heldenbrevier des Wüstenreichs

Vorbemerkung: Das Konzept der Heldenbreviere hat sich seit dem Beginn (dem Editionsstart von DSA5) verändert. Ursprünglich war es ein Format, das in Form von Ingame-Texten die typische Atmosphäre der dazugehörigen Region vermitteln sollte, also vor allem durch einen hohen Reiseanteil viel vom Setting zeigen sollte. Dementsprechend fungierten als Protagonist*innen archetypische Figuren, um die die lokale Mentalität zu verkörpern. Seit geraumer Zeit sind die einzelnen Produkte der sogenannten Regionalflöte eindeutig als Einheit zu verstehen. In diesem Komplex kommt dem Heldenbrevier nun eher die Aufgabe zu, Vorereignisse zu schildern, mit denen der neue Ist-Zustand des regionalen Metaplots hergestellt wird. Die Figuren sind – dieser Logik folgend – auch solche, die wichtige NSC der Regionalspielhilfe darstellen. Auf Das Heldenbrevier des Wüstenreichs von Carolina Möbis trifft dies in besonderem Maße zu, geht es hier doch vornehmlich um das Schicksal der Mitglieder der Kalifenfamilie.

In Zahlen:

– 160 Seiten

– Preis: 19,95 Euro

– erschienen am 30.3. 2023

I. Aufbau und Inhalt

Wie immer sind es mehrere Quellen, die im Endeffekt eine zusammenhängende Handlung ergeben. Den Löwenanteil macht dabei ein Briefwechsel zwischen den beiden Kalifentöchtern Dschinja saba Malkillah und Rashulla saba Malkillah aus. Einige Handlungslücken werden zudem in Form von Briefen weiterer Personen ergänzt, unter anderem von Kasim ben Malkillah und sogar vom Kalifen Malkillah III. persönlich. Zudem finden sich immer wieder Erzählungen des Ferkinahäuptlings Yistarrech.

Im Mittelpunkt der Handlung stehen die Erlebnisse von Dschinja saba Malkillah. Ohne Wissen ihres Vaters, aber mit Unterstützung ihrer Geschwister Rashulla und Kasim ist es der magiebegabten jungen Frau gelungen, insgeheim an der Zauberschule des Kalifen unterrichtet zu werden. Allerdings geschieht dies eben nicht offiziell und sie muss den ganzen Tag isoliert in ihrem Studierzimmer zubringen, da ein Bekanntwerden der Ausbildung einer Frau an der Zauberschule ein beträchtlicher Skandal wäre.

Somit geschieht schnell, was passieren musste: Dschinjas Aufenthalt in Mherwed wird an den Kalifen verraten. Allerdings gelingt es ihr zu fliehen, da ihre Schwester sie rechtzeitig vor dem Eintreffen der Gesandtschaft ihres Vater warnt. Ihr Ziel ist die Vereinigung mit ihrem Bruder Kasim, der ihrer Schwester zufolge von Malkillah III. für Dschinjas Fehlverhalten verantwortlich gemacht und zur Strafe in die Wüste Khom verbannt wird. Allerdings erweist sich schnell, dass die junge Frau auf Hilfe angewiesen ist, da sie bislang nur ein überbehütetes Leben im Palast geführt hat und dementsprechend auf das Reisen durch die Khom nicht ansatzweise vorbereitet ist. Zudem sind auch ihre magischen Fähigkeiten bislang nur ansatzhaft vorhanden, da sie kaum entsprechende Unterweisungen erhalten hat. Somit erwirbt sie als Notlösung Yistarrech auf dem Sklavenmarkt, wobei sie sich nicht sicher ist, ob sie den Ferkinakrieger kontrollieren kann. Und tatsächlich macht dieser seine Kooperation zunächst davon abhängig, dass Dschinja (die ihm allerdings als Mannverkleidet gegenübertritt) ihm dabei hilft, einige Ausrüstungsgegenstände wiederzubeschaffen, die ihm bei seiner Gefangennahme abgenommen wurden.

Wie in den Heldenbrevieren üblich, bleibt es natürlich nicht bei den anfänglichen Ereignissen in Mherwed, sondern es folgt ein Reisepart, der neben der Oase Tarfui vor allem die Khom selbst zum Schauplatz werden lässt. Dabei kristallisiert sich heraus, dass nicht nur Dschinja eine Mission verfolgt, sondern auch Yistarrech. Sein Vorhaben ist allerdings eng verbunden mit einigen Ereignissen, die die Wüstenregion seit geraumer Zeit erschüttern und die dafür sorgen, dass die Khom ein noch gefährlicherer Ort geworden ist, als sie es zuvor ohnehin schon war.

II. Figuren

Als handelnde Protagonisten agieren eigentlich nur Dschinja und Yistarrech. Auf den ersten Blick ergeben die beiden ein ausgesprochen ungleiches Paar: Zum einen der kampferprobte und schweigsame Krieger, dessen Leben bislang offenbar von Entbehrungen und auch tragischen Verlusten geprägt ist, dort die Kalifentochter, die ein „normales“ Leben nicht kennt. Trotzdem ergänzen sich die beiden gut, indem Dschinja bereits in Mherwed ihre Verhandlungskünste beweisen kann, während Yistarrechs Fähigkeiten als Kämpfer und Überlebenskünstler in der Wildnis herausragend sind.

Mit Dschinja verbunden ist gleichzeitig auch die sich verändernde Konstellation in der Kalifenfamilie, die hier schon mit einem tragischen Verlust eingeleitet wird und in der auch Rashulla und Kasim eine kritische Distanz zu ihrem Vater einnehmen.

III. Kritik

Tatsächlich ist die Wahl von Dschinja eine Besonderheit, indem hier eine der wichtigsten Persönlichkeiten des Settings als direkte Protagonistin auftritt. Somit legt die Metaplot-Relevanz nicht nur in den Folgen der Protagonisten-Handlungen, die im Heldenbrevier vollzogen werden, sondern auch in der Figur selbst. Hier existiert eine sehr enge Verzahnung mit der Regionalspielhilfe und dem Abenteuer Königin der Tränen, da hier erste neue Entwicklungen in der Kalifenfamilie angebahnt werden, die für die Zukunft klare Auswirkungen haben werden.

Aber natürlich wird hier auch eine eindeutige Programmatik der Regionalspielhilfe aufgegriffen: Dschinja steht stellvertretend für einen Schritt hin zu mehr Entfaltungsmöglichkeiten für weibliche Figuren innerhalb des Settings. Immerhin ist die Ausgangssituation, dass sie – obwohl sie die Tochter des einflussreichsten Menschen der gesamten Region ist – kaum mit Rechten ausgestattet ist, ihre Ausbildung an der Zauberschule findet im Geheimen statt und sie muss sich von allen anderen isolieren. Am Ende ist es ihr gelungen, aus diesem Käfig auszubrechen und sie sorgt sogar für einen ersten wissenschaftlichen Erfolg in der Bekämpfung des aufkommenden Übels. Das ist auch insofern passend, als dass somit eine entsprechende gesellschaftliche Entwicklung aus der regionalen Führungsschicht mit initiiert wird. Und gleichzeitig bestärkt es meine Auffassung, dass eine Änderung in diesem Setzungsbereich (also hin zu mehr Gleichberechtigung) nicht dafür sorgen muss, dass Konflikte und vor allem Abenteueranlässe zurückgefahren werden.

Auffällig ist, dass Dschinja hier nicht als ambivalente Figur aufgebaut wird. Sie ist eine eindeutige Sympathieträgerin, die sich trotz ihrer privilegierten Vergangenheit zurücknimmt und an vielen Stellen auch sehr emphatisch agiert, z.B. wenn sie Mitleid mit einigen thalusischen Bauen hat oder wenn sie einen eigentlich alternativlosen Diebstahl Yistarrechs offen bedauert. Für die Zukunft ist sie damit in ihrer Rolle relativ festgelegt, indem sie kaum Antagonisten-Potential zeigt. 

Abseits davon gefällt mir aber auch die grundsätzliche Handlung in Form einer Abenteuergeschichte, die einerseits das geschäftige Mherwed und andererseits die gnadenlose Khom miteinander verbindet. Vor allem wird auch schon die neue Bedrohung, die das Setting in Folge der Setzungen der Regionalspielhilfe über Jahre hinaus bestimmen wird, erstmals in Szene gesetzt. Hier wird allerdings eher weniger der unpersönliche und massenhafte Effekt thematisiert, sondern durch die Vorgeschichte Yistarrechs erhält es mehr den Charakter eines Showdowns am Ende einer persönlichen Queste. Wie immer in den Heldenbrevieren muss man sich das allerdings nicht unbedingt in Form von epischen Kämpfen beschrieben vorstellen, sondern dies (also Kämpfe) nimmt nur einen kleinen Teil ein, generell geht es mehr um Charakterentwicklung und Hintergrundschilderung, was natürlich auch eher dem gewählten Briefformat entspricht. Stilistisch werden die Charaktertypiken auch in die Texte eingebaut, indem Dschinja und ihre Geschwister sich eher blumig-detailreich Ausdrücken, während die Erzählpassagen Yistarrechs eher grob-nüchtern ausgestaltet sind.

IV. Fazit

Das Heldenbrevier des Wüstenreichs setzt eine vergleichsweise ungewöhnlich prominente Figur in den Mittelpunkt. Sehr eng ist die Anbindung an den lokalen Metaplot, indem sowohl gesellschaftliche Entwicklungen als auch die lokale Ereignisgeschichte aufgenommen wurden. Das Ganze ist zudem eingebunden in eine spannende und unterhaltsame Abenteuergeschichte.  

2 Kommentare

  1. Sehr gut. Vielen Dank für die Ausführungen.
    Ich wusste nicht, dass sich das Konzept der Breviere so geändert hat. Bislang hatten diese mich nicht interessiert. Aber dieses Werk klingt sehr spannend.

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