Rezension: Das Geisterkrokodil

Vorbemerkung: Eigentlich sind die Artikel hier im Blog zuletzt mehr vom Wüstenreich bestimmt gewesen, nachdem die entsprechende Regionalspielhilfe erschienen ist. Das neue Heldenwerk führt allerdings noch ein wenig tiefer in die südlichen Regionen. Das Geisterkrokodil von Jan Unkrich spielt an einem Seitenarm des Hanfla. Als Thema wurde Sklavenbefreiung gewählt, was mich ein wenig skeptisch stimmt, da dies schon im vergangenen Jahr in dem Kurzabenteuer Zu wem die Eidechse spricht, verwendet wurde, allerdings mit einer aus meiner Sicht etwas verfehlten Zielsetzung.   

In Zahlen:

– Heldenwerk Nr. 47 (erschienen mit dem Aventurischen Boten Nr. 218)

– 16 Seiten

– erschienen am 1.4. 2023

I. Aufbau und Inhalt

Nach der Schilderung der Vorgeschichte nimmt das Abenteuer seinen Anfang, indem die Heldengruppe von der Händlerin Niranja Perazzo angeworben wird. Diese agiert als Bevollmächtigte des Hauses Bonareth und hat einen speziellen Auftrag: Ein Mitglied der Grandenfamilie leidet an einer seltenen Vergiftung, deren Verlauf nur durch eine spezielle Heiltechnik gestoppt werden kann. Eine solche Heilerin soll sich als Sklavin auf einer Seidenplantage des Hauses Paligan befinden. Somit sollen die Spielercharaktere sich dorthin begeben und die Frau befreien. Dabei sollen sie sich den Umstand zunutze machen, dass dort derzeit händeringend Jäger gesucht werden, da das Anwesen von einer unerklärlichen Krokodilplage heimgesucht wird. Da die Seidenherstellung ein ausgesprochen lukratives Geschäft ist, will man die aggressiven Tiere möglichst schnell zur Strecke bringen, bevor sie die Produktionsprozesse nachhaltig beeinflussen (beispielsweise sind viele der dortigen Sklaven für die Paligans sehr wertvoll, weil sie Spezialisten für den komplexen Vorgang der Seidegewinnung sind, von denen es nur wenige gibt).       

Folgend wird ein sehr freies Vorgehen ermöglicht, da es nur recht wenige klar vorgegebene Handlungsverläufe gibt, stattdessen werden für die Spielleitung alle notwendigen Rahmenaspekte vorgestellt, innerhalb deren die Heldengruppe agieren kann. Dazu gehören zunächst einige Hintergründe zur Seideproduktion im Allgemeinen, bevor die wichtigsten Personen der Plantage vorgestellt werden, u.a. Donna Gracia von Trollenbrück-Paligan, als dortige Vertreterin ihrer Familie. Im Alltag führt allerdings der Verwalter Raulo das Komando, unterstützt von seinem halborkischen Oberaufseher Morak. Ebenso werden einige Sklaven als NSC thematisiert, wobei vorrangig die gesuchte Nalin zu nennen ist. Für die Plantage selbst existieren eine Karte und die Beschreibungen der wichtigsten Gebäude nebst deren Bewohner*innen. Eine weitere Hilfestellung stellt eine Schilderung des üblichen Tagesablaufs dar, den man bei den Befreiungsmaßnahmen berücksichtigen muss. Zusätzlich dürften die Spielercharaktere ja als Jäger angeworben worden sein, weshalb auch einige Aspekte der Alligatorenbedrohung angesprochen werden, u.a. auch was das titelgebende Geisterkrokodil betrifft. Ebenso werden zuletzt verschiedene Vorgehensweisen in den Abstufungen von Heimlichkeit, offener Konfrontation und Diplomatie berücksichtigt.

II. Figuren

Zu Handlungsbeginn ist vor allem die undurchsichtige Niranja als Auftraggeberin relevant, die zwar sehr charmant sein kann, allerdings wird recht deutlich, dass sie die Heldengruppe als nützliches Mittel zum Zweck sieht. Zudem trägt sie ihnen einen moralisch nicht ganz einwandfreien Auftrag an, immerhin sollen sie die Sklavin ja nicht aus Nächstenliebe befreien, sondern weil ein anderes Grandenhaus ihre Dienste in Anspruch nehmen will. Besagte Nalin als Ziel des Abenteuers erweist sich in vielerlei Hinsicht als Überraschung, ist sie doch keineswegs eine hilflose Person, sondern verfolgt selbst in der Gefangenschaft ihre eigene Agenda. Auf der Plantage ist die eigentliche Hausherrin Donna Gracia wenig präsent, während im Alltag vor allem Raulo und Morak zunächst Ansprechpartner und später Antagonisten sein dürften.

III. Kritik

Wie schon eingangs erwähnt, wirkt das Motiv Sklavenbefreiung derzeit nicht gerade besonders originell, wenn vor einigen Monaten bereits ein thematisch ähnliches Abenteuer erschienen ist. Zu wem die Eidechse spricht hatte dabei leider aus meiner Sicht den großen Nachteil, dass hier zwar ebenfalls die Rahmenbedingungen angemessen aufgeführt wurden, die Handlungsmotivation der Heldengruppe aber in meinen Augen völlig falsch angesetzt wurde.

Das ist in Das Geisterkrokodil völlig anders gehandhabt, indem hier sehr viel richtig gemacht wird. Mir gefällt vor allem die freie Anlage. Alle notwendigen Hilfestellungen für die Spielleitung sind vorhanden: Örtlichkeiten und Figuren werden gut beschrieben, zusätzlich ist eine Karte vorhanden. Diese ermöglichen einen Ablauf, den die Heldengruppe mit ihren Handlungen selbst bestimmen kann, mit dem Tagesablauf ist zudem klar geschildert, wie die NSC im Normalfall agieren und wo man beispielsweise Schwachstellen findet, die man sich bei seinen Plänen zunutze machen kann. Hier würde ich einzig in Frage stellen, ob es tatsächlich notwendig ist, dies nur von innen heraus durch die Anstellung als Jäger zu planen, oder ob man dies nicht auch von außen angehen kann, die notwendigen Angaben dazu sind ja eigentlich vorhanden.

Gut gefallen mir vor allem die Figuren, wobei viele der Plantagenbewohner sich als überraschend ambivalent erweisen. Wirklich klischeehaft wirkt tatsächlich nur der intrigante Verwalter Raulo. Seine eigentliche Dienstherrin Donna Gracia z.B. ist mehr als eine verwöhnte Grandessa, sondern hat auch eine verletzliche Seite und ist unter Umständen auch verhandlungsbereit. Ebenso ist der Halbork Morak trotz seines Beinamens „Biest“ keineswegs nur ein brutaler Schläger, sondern kann durchaus auch Gefühle zeigen. Nalin zuletzt dürfte sich nicht einfach nur als dankbare Gerettete erweisen, sondern hat einen sehr eigenen Willen und knüpft sogar gewisse Bedingungen an eine gemeinsame Flucht von der Plantage. Dazu passt dann auch, dass in der Interaktion mit diesen Figuren mehrere Optionen zur Lösung aufgeworfen werden.

Das alles ist sogar nur die Kernhandlung, daneben existieren ja noch weitere Aspekte, die die Geschehnisse beeinflussen. Zum einen bedingt der Auftrag das moralische Dilemma, dass grundsätzlich nicht Nilans Freiheit das Ziel ist, sondern die Weitergabe an die Bonareths, wobei völlig unklar ist, ob diese nur einmalig ihre Heilfähigkeit in Anspruch nehmen wollen oder sie nur in ein anderes Sklavendasein transferiert werden soll. Vor allem dann, wenn man sie kennengelernt hat, dürfte sich das als eine Frage erweisen, die eben nicht ganz nüchtern-geschäftsmäßig beantwortet werden kann. Hinzu kommt noch die Krokodilplage, die sich – wenn die Gruppe als Jäger angestellt wird – auch als ihre Aufgabe darstellt. Somit existiert noch eine weitere Bedrohung, die einerseits gut zum Setting passt und andererseits in ihren Hintergründen einige Überraschungen hinzufügen kann.

IV. Fazit

Das Geisterkrokodil ist ein wirklich sehr gelungenes Heldenwerk, das einen moralisch ambivalenten Auftrag mit einem reizvollen Szenario kombiniert, in dem man sehr frei agieren kann. Ermöglicht wird dies durch eine handwerklich sehr gute Ausarbeitung, die vor allem durch eine ambivalente Figurenriege besticht.

Bewertung: 5 von 6 Punkten

3 Kommentare

    1. Das kann man ganz bestimmt gut einfügen. Tatsächlich ist ein Teil des Hintergründe auch mit den beiden Prolog-Romanen der Rabenkrieg-Kampagne verbunden, indem die Heilerin eine Entstellung einer Adeligen behandeln soll, die diese in den Romanen erhalten hat.

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