Rezension: Süße Gelüste

Vorbemerkung: Offiziell ist Die Gunst der Göttin als Großprojekt ja eigentlich abgeschlossen, in den nächsten Monaten wird es uns allerdings als Thema trotzdem erhalten bleiben. Das liegt einerseits an zwei Heften, die noch als nachträgliche Ergänzung folgen werden. Zum anderen aber gibt es noch einige Bände, die offenbar für das Crowdfunding eingeplant waren, dann aber doch nicht in die damalige Produktpalette aufgenommen wurden. Dazu gehört auch die Kurzgeschichten-Anthologie Süße Gelüste. Ich muss ehrlich eingestehen, dass ich thematisch etwas übersättigt bin, aber auch in der vorherigen Anthologie Stunden der Sehnsucht (die mich im Ganzen nicht überzeugt hat) waren einige gute Geschichten beinhaltet, worauf ich auch diesmal hoffe.

In Zahlen:

– 260 Seiten

– 7 Kurzgeschichten

– Preis: 19,95 Euro

– erschienen am 28.8. 2023

I. Aufbau und Inhalt

In Zucker und Peitsche setzt Lance Hard seine Reihe mit Episoden der Erlebnisse einer sexuell sehr experimentierfreudigen Gruppe von Freunden fort. Wie zuvor wird die Handlung in einer Reihe von Briefwechseln erzählt. Dabei besucht die Protagonistin Casmina Belhanka, um dort ihren Geschäften nachzugehen. Außerdem trifft sie ihren Freund Rondrian, der in einer der berühmten Rahja-Lyceen bei seinem Tutor Liodan zum Gesellschafter ausgebildet wird. Nachdem in der letzten Geschichte Rondrian und Casminas Freundin Madalena im Fokus des Interesses standen, lernt Casmina diesmal eine junge Frau namens Severina kennen, der sie einige neue rahjanische Spielarten vermittelt.

Auch Carolina Möbis greift in Es war Sommer eine ihrer älteren Geschichten wieder auf, indem sie an ihren Roman Mehrer der Macht anknüpft. Im Mittelpunkt stehen die beiden Sumen Kusmin und Melanor, die erneut zusammenkommen. Allerdings wird hier eine neue Facette dieser Beziehung eröffnet, indem beide sich bei einem Treffen in einem abgelegenen Wald weitgehend ohne Feindseligkeiten begegnen. Gerade Melanor scheint dabei unter der Einsamkeit zu leiden, während Kusmin ihm helfen will.

Morgenrot hat Gold im Mund von Dhara Goldkehlchen spielt in Gareth und setzt die bekannte Schauspielerin Mayaharia Morgenrot in den Mittelpunkt. Diese feiert mit dem modernisierten Dramenklassiker Don Alricio gerade einen weiteren Publikumserfolg. Allerdings erweckt ein ehemaliger Verehrer namens Darian ihre Aufmerksamkeit, der immer wieder in ihren Aufführungen auftaucht. Nachdem dies lange ohne Aussprache geschehen ist, taucht er plötzlich in ihrer Kammer hinter der Bühne auf, was alte Gefühle erweckt.

Annette Juretzki versetzt die Lesser*innen in Majid in Nöten in eine Taverne im ländlichen Maraskan. Die Schankmaid Cajii ist gelegentlichen amourösen Abenteuern mit der Kundschaft nicht abgeneigt. Das wird allerdings zum Problem, als sie sich in schneller Folge nacheinander auf erst einen männlichen Gast und dann eine Frau einlässt, beide offensichtlich mit einer kriegerischen Ausbildung versehen. Nach einem unsanften Erwachen stellt sie fest, dass sie sich in akuter Lebensgefahr befindet und nur ihre Schlagfertigkeit kann einen rettenden Ausweg bieten. 

Feqzjian von Tuzak hat sich für Dunkelhaar als Schauplatz die Amazonenfeste Yeshinna ausgesucht und dementsprechend ist die Hauptfigur auch niemand geringeres als Königin Gilia. Diese befindet sich in erregter Stimmung, wird doch gleich zu Beginn der Handlung eine ihrer Patrouillen attackiert. Fest entschlossen, sich dies in unmittelbarer Nähe ihrer Heimstatt nicht bieten zu lassen, zieht sie mit einem Trupp ihrer Amazonen los, um die Feinde zur Strecke zu bringen. Allerdings holt sie plötzlich ein Teil ihrer Vergangenheit ein, als es zur Konfrontation kommt.

Ebenfalls sehr staatstragend gestaltet sich Doppeltes Spiel von Eevie Demirtel, wobei hier mit Rohaja und Rondrigan Paligan das mittelreichische Kaiserpaar im Mittelpunkt steht. Vordergründig scheint das Thema ihr eingeschlafenes Liebesleben zu sein, das mittlerweile auf die reine Zeugung von Thronerben reduziert ist, wozu sogar Termine für den Akt ausgemacht werden. Der jüngste Termin allerdings verändert die Lage, als Rondrigan feststellt, dass Rohaja ihre Pläne ihn bezüglich variiert hat.    

Früchte der Macht von Phalanea ist zuletzt die mit Abstand längste Geschichte. Unter dem Vorwand einer Testamentsverkündung werden die Parfümeurin Jaspina, ihre Schwester Berrylia (eine Magierin) und ihr Vetter Khadan nach Vinsalt gelockt. Dort wartet allerdings kein Notar auf sie, sondern ein Visitator der CCC, der die drei dazu nötigt, der Ermittlungsbehörde in einer delikaten Angelegenheit unter die Arme zu greifen. Sie sollen sich inkognito bei einem Treffen einer Geheimgesellschaft einschleusen, von der man umstürzlerische Umtriebe annimmt. Vor Ort erhält das Trio allerdings eher den Eindruck, sich auf einer Orgie zu befinden, die zwar recht frivol gestaltet ist, aber politisch eher harmlos wirkt.    

II. Kritik

Anthologien bringen es mit sich, dass eine gewisse Uneinheitlichkeit quasi eingeplant ist, die Autor*innen haben nunmal einen jeweils eigenen Stil und auch wenn ein thematischer Kern vorgegeben ist, werden verschiedene Schwerpunkte gesetzt. Somit ist es eher schwer, eine Gesamtwertung abzugeben, sondern es bietet sich jeweils eine Einzelbetrachtung an.

Mit Zucker und Peitsche kann ich vergleichsweise wenig anfangen. Die Briefwechsel haben zwar einen gewissen Reiz, indem sie eine gewisse Beziehungsdynamik erzeugen, z.B. wenn die Figuren aufeinander reagieren oder sich in ihren Eindrücken ergänzen. Aber die gesamte Geschichte plätschert für mich eher belanglos daher, indem Casmina einmal mehr ihren Vorlieben nachgeht und dabei ihr Umfeld in ihr Treiben einbezieht. Diesmal fehlt auch ein Handlungstwist, der nochmal eine spannende Wendung ergeben könnte.

Überaus relevant empfinde ich es umgekehrt, wenn im Rahmen einer solchen Anthologie die Gelegenheit genutzt wird, die Geschichte verschiedener Personen weiterzuknüpfen. Im Rollenspiel- Metaplot, der ja aktuell vor allem regionale Schwerpunkte setzt durch das Erscheinen neuer RSH, passiert das oft sehr diskontinuierlich. Ein Beispiel wären tatsächlich die Figuren aus den Streitenden Königreichen in Es war Sommer. Melanor und Kusmin sind sehr prägende Figuren in Mehrer der Macht und stellen eine reizvolle neue Generation dar, allerdings sind sie eben seit dem Erscheinen des Romans und der RSH von 2015 kaum noch erwähnt worden. Umso wichtiger ist es, sie hier erneut auftauchen zu lassen und ihre Beziehung zu vertiefen, indem das Treffen anders verläuft, als man es erwarten würde, vor allem was Melanors Verhalten angeht. Genau für einen solchen Zweck würde ich mir solche Anthologien regelmäßig wünschen, wobei ich freilich andere Schwerpunktthemen als das Liebesleben der Figuren erwarten würde. Gleiches gilt für Doppeltes Spiel. Was anfangs etwas nach einer reinen Schilderung von ehelicher Routine klingt, entpuppt sich als überraschende Wende, wobei gleich drei der wichtigsten Personen des Mittelreichs einbezogen werden, deren Beziehung und Schicksal hier einen neuen Verlauf zu nehmen scheint. Umgekehrt ist ein Endtwist eingebaut, der auch eine alternative Deutung offen lässt. Etwas ab fällt dafür Dunkelhaar. Zwar finde ich den Einblick in Gilias Gedanken durchaus interessant, die abschließende Konfrontation mit dem Feind erscheint mir allerdings viel zu weit hergeholt, indem dort plötzlich Nähe aus einer Kampfsituation entsteht, die ich nicht hinreichend motiviert sehe. Vor allem wenn man bedenkt, dass die Königin sich auf einen Geschlechtsakt einlässt, inmitten eines Kampfgetümmels, bei dem ihre Mitstreiterinnen sich in einem Kampf und Leben und Tod befinden.          

Morgenrot hat Gold im Mund setzt Mayaharia als Protagonistin sehr charismatisch in Szene, die Auflösung der Identität des rätselhaften Fremden ist für meinen Geschmack dann aber etwas zu einfach, auch was die Überleitung in eine Art Dreiecksgeschichte betrifft. Etwas irritiert mich eingangs der Geschichte das Auftreten anderer bekannter NSC wie z.B. der Meisterdiebin Talimee Nebelstern, die dann aber eigentlich gar keine echte Funktion in der Handlung hat.

Ein echtes Highlight ist Majid in Nöten. Die Geschichte nutzt bewusst Klischees (z.B. die offenherzige Schankmaid, redselige Schurken, die erst ihre Pläne erklären, bevor sie Gefahren ausschalten), was die Handlung gleichermaßen komisch wie auch spannend gestaltet. Dies liegt auch an der Erzählweise, in der auch ernste Situationen mit einer ironischen Distanz geschildert werden. Gerade Cajii ist zudem eine ausgesprochen gelungene Hauptfigur, die sich wider Erwarten zu eigentlichen Heldin aufschwingt, was aber außer ihr niemand erkennt.  

Eher eine Novelle als eine Kurzgeschichte ist Früchte der Macht, mit immerhin knapp 100 Seiten Umfang. Die Geschichte des Ermittlertrios wider Willen finde ich dabei durchaus spannend, gerade weil lange offenbleibt, ob denn nun wirklich Gefahr droht oder es sich um einen Irrtum handelt. Die Auflösung am Ende ist für meinen Geschmack aber etwas zu grob, so dass der Schwerpunkt eher auf der detaillierten Schilderung der Orgie liegt, weniger auf einem politisch brisanten Fall.

Das ist generell mein einzig größerer Kritikpunkt an der Anthologie, dass der Fokus auf diverse Liebeleien wieder für eine gewisse Beliebigkeit sorgt, gerade für die prominenten NSC würde ich mir andere Geschichten wünschen, in denen mehr Tragweite liegt und in denen vielleicht sogar deutlich mehr an der lebendigen Geschichte gearbeitet wird.  

III. Fazit

Süße Gelüste ist eine durchaus unterhaltsame Anthologie, in der unter anderem die Gelegenheit genutzt wird, einige prominente NSC aufzugreifen, von denen man längere Zeit nichts gehört hat. Der Fokus auf der Liebesthematik wird dabei manchmal gut genutzt, stellenweise führt er aber auch zu einer gewissen Beliebigkeit.

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