Rezension: Der Zug durch das Nebelmoor

Vorbemerkung: Das jüngste Paket von Ulisses weckte nach dem Öffnen wieder einmal sehr nostalgische Gefühle in mir. Denn darin befand sich unter anderem der Klassiker Der Zug durch das Nebelmoor, den ich vor gut 30 Jahren bereits als Spieler erlebt habe und den ich v.a. wegen seiner damals ungewöhnlichen Kombination aus einem Solo- und einem Gruppenabenteuer in Erinnerung habe. Anders als andere Abenteuer ist mir allerdings dafür vom Inhalt eigentlich fast nichts im Gedächtnis geblieben. Ein Schwerpunkt dieser Rezension soll auch in der Beantwortung der Frage liegen, warum das so ist.

In Zahlen:

– 60 Seiten

– 2 Abenteuer (1 Solo- und 1 Gruppenabenteuer)

– Preis: 12,95 Euro

– Erschienen am 31.8. 2023 (ursprünglich 1985)

I. Aufbau und Inhalt

Schon das Cover verweist auf einen Sonderstatus, indem die ungewöhnliche Bezeichnung Abenteuer-Doppelband verwendet wird. Enthalten sind nämlich das Gruppenabenteuer Der Wagenzug durch das Nebelmoor von Karsten Wurr und das Soloabenteuer Die Sümpfe des Lebens von Frank Pfeifer. Den Grund für diese Zweiteilung erfährt man im folgenden Vorwort von Ulrich Kiesow: Beide Abenteuer waren die Gewinner-Einsendungen eines damaligen Abenteuerwettbewerbs und wurden zusammen veröffentlicht, wegen ihrer gemeinsamen Thematik einer lebensbedrohlichen Sumpflandschaft.

Der Wagenzug durch das Nebelmoor

Der einführende Vorlesetext versetzt die Heldengruppe direkt in das Zusammentreffen mit ihrem neuen Auftraggeber, dem legendären Kaufmann Trallop-Gorge Kohlenbrander. Dieser hat zuletzt mehrere seiner Wagenzüge verloren, die von Trallop aus dem Weg durch das berüchtigte Nebelmoor genommen haben. Demzufolge sollen sie den nächsten Wagenzug begleiten, etwaige Probleme ausschalten und zudem eine Karte des Moors anfertigen, da alle vorhandenen Exemplare ebenfalls verlorengingen. Kurz wird auch auf die Begebenheiten bei einem Wagenzug eingegangen (u.a. das Reisetempo und die Maße eines Wagens).

Das Abenteuer selbst ist dann nicht narrativ aufgebaut, sondern orientiert sich rein am Fahrtweg des Wagenzugs. Dazu ist eine Karte vorhanden, auf der insgesamt 36 durchnummerierte Stationen enthalten sind. Jede dieser Stationen ist im Abenteuertext beschrieben, mit den jeweiligen Begebenheiten vor Ort und den dort möglicherweise stattfindenden Begegnungen (inklusive etwaiger Gegnerwerte). Einige dieser Stationen sind wiederum Gebäude, für die dann weitere Pläne existieren und ebenfalls Beschreibungen des Gebäudeinneren. An einigen Punkten besteht auch die Gefahr, einzelne oder mehrere Wagen des Zugs zu verlieren, was am Ende Auswirkungen auf die Belohnung hat, die man für ein erfolgreiches Passieren des Nebelmoors erhält.

Die Sümpfe des Lebens

Auch das Soloabenteuer beginnt mit einem Einführungstext. Dieser setzt ein mit einer alten Legende über eine geografisch eher vage umschriebene Landschaft in der Nähe von Tjolmar namens Sümpfe des Lebens. Dies soll einst fruchtbares Land und gleichzeitig der Hort eines Jungbrunnens gewesen sein, der die Menschen dort nicht altern ließ. Allerdings korrumpierte sie dieses eigentlich sorgenfreie Leben und führt u.a. dazu, dass dort ein finsterer Schwarzmagier namens Erdog Hardan sein Unwesen treiben konnte, was letztlich Praios dazu veranlasste, die Sünder zu bestrafen, womit heute dort nur noch eine lebensfeindliche Sumpflandschaft ist. Diese Erzählung veranlasst den Spielercharakter (das Abenteuer geht tatsächlich von einem männlichen Helden aus, was aber im Prinzip kaum eine Rolle spielt), sich von Tjolmar aus auf die Suche nach dem Sümpfen des Lebens zu begeben, v.a. mit dem Hintergedanken, ob der Jungbrunnen nur ein Mythos ist oder im besten Fall sogar noch nutzbar ist.

Das folgende Abenteuer hat vielfach einen eher märchenähnlichen Charakter, indem man alleine in einer weitgehend menschenleeren Umgebung unterwegs ist, in der es aber immer wieder zu gefährlichen Begegnungen kommen kann. Außerdem stellt man schnell fest, dass die wenigen Bewohner sich sehr merkwürdig verhalten und stellenweise kaum auseinanderzuhalten ist, ob  sie real sind oder eher geisterhafte Gestalten. Vor allem kann man einem weiteren Teil der ursprünglichen Legende auf den Grund gehen, laut der das Moor von unheimlichen Wesen namens Suhlen bewohnt wird, die Menschen nicht wohlgesonnen sein sollen und diese angeblich zwingen sollen, in einer Art parasitärer Lebensgemeinschaft zu existieren.            

II. Kritik

Tatsächlich weiß ich jetzt, nach der erneuten Lektüre, warum mir unter all den alten Abenteuern, die ich als Spieler erlebt habe, Der Wagenzug durch das Nebelmoor wohl am schlechtesten in Erinnerung geblieben ist: Es hat schlicht keine Geschichte zu erzählen, die im Gedächtnis verhaftet bleiben könnte. Reiseabenteuer sind zur Entstehungszeit 1985 noch die absolute Ausnahme gewesen, die meisten der ganz alten Klassiker sind Dungeoncrawls und folgen einem rein ortsgebundenen Aufbau, indem einfach die Räumlichkeiten beschrieben werden und Handlungsfortschritt an das Betreten eines Raums gebunden ist. Dieses Konzept wurde hier einfach auf die Reise übertragen, so dass die einzelnen Bereiche des Nebelmoors skizziert werden, sobald der Wagenzug dort ankommt. Dem Dungeonaufbau ist man auffälligerweise auch insofern treu geblieben, als dass man mehrfach Gebäude betreten kann, die dann althergebracht ausgeführt sind. Loben muss man das  umfangreiche Kartenmaterial, hier wird die Spielleitung gründlich ausgestattet.

Das Problem ist, dass diesmal abseits von der heute etwas abwegigen Art, Handlungsfortschritt zu skizzieren, eine echte Handlungsidee nicht vorhanden ist. Immerhin haben ja auch andere Klassiker aus dieser Zeit wie sogar schon Wald ohne Wiederkehr oder Das Wirtshaus zum Schwarzen Keiler eine Storygrundlage und z.B. auch Schurken, manche wie Unter dem Nordlicht sind aus meiner Sicht sogar immer noch gelungen. Hier jedoch findet einfach eine lange Reihe von Zufallsbegegnungen statt, die kaum miteinander verbunden werden. Das ist insbesondere deshalb etwas irritierend, als dass man durch den Auftrag am Anfang irgendeine finstere Macht hinter dem Verschwinden der Wagenzüge vermutet, die man zur Strecke bringen soll. In der Summe findet man auch genügend Erklärungen, wie dieses Phänomen entstanden sein könnte, z.B. in Form diverser Räuberbanden oder Wesen wie einem Schrat oder einem Troll, zudem werden an einer Stelle vier zerstörte Wagen angesprochen, die durch Schlinggras fahruntüchtig würden. Was aber fehlt, ist ein wirklicher Antagonist oder eine Fraktion, die zielgerichtet agiert. Damit ist ein besonderer Anreiz nicht vorhanden, die gesamte Herausforderung besteht nur in dem erfolgreichen Durchqueren des Nebelmoors, nicht in der nachhaltigen Aufklärung der merkwürdigen Vorereignisse. Das irritiert mich auch insofern, als dass es doch – auch den damaligen Erzählkonventionen für Abenteuer folgend – absolut üblich gewesen wäre, die verschiedenen Räuber zu zielgerichtet handelnden Schergen eines Schurken zu erklären und diesen Finsterling dann gegen Ende des Abenteuers persönlich auftauchen zu lassen. So bleibt eben nur eine bloße Anreihung von Einzelbegegnungen, die das Abenteuer zwar so gestalten, dass es als Einstiegsabenteuer sehr einfach zu leiten ist, aber kaum echte Spannung bzw. eine zusammenhängende Herausforderung bieten. In dieser Hinsicht halte ich es tatsächlich für eines der schwächsten Abenteuer, selbst wenn es weniger unlogische Aspekte beinhaltet als andere Klassiker. Das heißt nicht, dass es dementsprechende Kuriositäten nicht auch gibt, u.a. wenn man mitten im Sumpf plötzlich auf einen extrem gut sortierten Kaufladen stößt, der von einem Moorgeist betrieben wird.

Etwas anders gestaltet sich (zum Glück) Die Sümpfe des Lebens. Das Soloabenteuer gefällt mir deutlich besser. Auch hier bleibt zwar vieles diffus und nicht alles passt in das heutige Aventurienbild. Dafür ergibt sich aber ein Art düsteres Schauermärchen. Dabei wird die Atmosphäre des lebensfeindlichen Sumpfes gut genutzt, kombiniert mit der alten Legende um Erdog Hardan und das unheimliche Treiben der Suhle, die ein junges Mädchen ins Unglück stürzen wollen.

Das alles leidet ein wenig unter einer etwas fahrigen Erzählweise, die den oft eher kurzen Abschnitten geschuldet ist und dann zu gewissen Stilblüten führen, z.B. dass mehrfach NSC quasi aus dem Nichts auftauchen und Hintergründe oft diffus bleiben. Dafür wird weitgehend auf andere Unsitten alter Solos verzichtet, indem man nicht ständig in unvermeidliche Todesabschnitte stolpert (auch  wenn ein Scheitern mehrfach möglich ist) und die Mehrheit der Abschnitte verschiedene Handlungsetappen ausgestaltet, abgesehen von einer kurzen Passage, in der man ständig nur links-/rechts-Entscheidungen treffen muss. Auch hier sind einige Elemente eingebaut, die es so heute nicht mehr geben würde, z.B. kann man gleich zwei sehr mächtige Artefakte für sich gewinnen und man gerät in Kontakt zu einigen sehr ungewöhnlichen Wesen, u.a. eine Buche als NSC, die Silbertaler erscheinen lassen kann. Trotzdem empfinde ich solche Aspekte eher als gewinnbringende Kuriositäten, eben als Kontrapunkt zu dem heutigen Geiz mit Artefakten aller Art und der nicht selten eher reduzierten Verwendung von fantastischen Elementen.

III. Fazit

Der Zug durch das Nebelmoor enthält zwei sehr unterschiedliche Abenteuer. Das Gruppenabenteuer Der Wagenzug durch das Nebelmoor ist aus meiner Sicht eines der schwächsten Abenteuer der Urzeit von DSA, vor allem weil es zu keiner richtigen Geschichte findet. Umgekehrt empfinde ich das Soloabenteuer Die Sümpfe des Lebens als weitgehend gelungen, da hier eine spannende Story in Form eines Schauermärchens kreiert wird.

Bewertung: 3 von 6 Punkten            

9 Kommentare

  1. es ist wenigstens nicht so schlecht wie B10. Oder B3. Oder B4. (In absteigender qualität)

    Ich würd sogar sagen B12 ist… nutzbar. Nicht gut, aber nutzbar. Mit arbeit.

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    1. Das sind sicher alles Abenteuer, die man heute nicht mal ansatzweise so machen würde, weil sie nicht mehr der Logik der jetzigen Spielwelt entsprechen und eigentlich schon damals teilweise sehr schräg aufgebaut waren z.B. mit riesigen Wasserbecken in einem Schiff oder Stadtgardisten, die einmal quer durch Aventurien eine Räuberbande verfolgen.
      Meine Kritik hier zielt aber eher auf den Spannungsfaktor ab, man spaziert halt einfach alle Stationen ab, trägt ein paar Kämpfe aus und dann ist man durch. Es gibt aber kein übergeordnetes Geheimnis, keine finstere Macht, die hinter dem Verschwinden der vorherigen Wagenzüge steckt, noch nicht mal einen wirklichen Antagonisten. Das fehlt mir, während es in den anderen von dir genannten Abenteuern durchaus der Fall ist, insofern finde ich die auf ihre trashige Art unterhaltsamer. In der Konstruktion ist der Zug durch das Nebelmoor dafür sicherlich deutlich passender aufgebaut, teilweise könnte man das ja heute noch dazu benutzen, eine Durchquerung des Nebelmoors auszugestalten.

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      1. Naja, die anderen sind aber auch professionell geschrieben worden, während B12 praktisch das beste Beispiel eines Fan-Abenteuers ist (wahrscheinlich aber auch nur unter Einfluss der ersten 4 Abenteuer).
        Weisst du übrigens zufällig wo dieser Wettbewerb ausgeschrieben war?

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      2. Ich hab mal ein wenig versucht es rauszubekommen, aber ich habe keine konkreten Infos gefunden. Der Wettbewerb muss ja schon sehr früh ausgerufen worden sein, wenn der Band 1985 erschienen ist, da gab es DSA ja gerade mal zwei Jahre. Vielleicht liest hier ja irgendwer aus der ersten Stunde mit und kann mehr dazu sagen?

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      3. Das hab ich mir auch gedacht als ich das letztens auf Mastodon durchgegangen bin. Nicht mal zwei Jahre, Das Basis Spiel kam glaub ich März oder April in den Handel, und die haben auch ne gewisse Vorlaufzeit gebraucht. B12 kam glaub ich auch im März raus. Muss also ganz früh irgendwo ausgeschrieben worden sein.

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  2. Ich verstehe, warum du das Gruppenabenteuer so bewertest, wie du es bewertest. Ich habe trotzdem eine etwas abweichende Meinung:
    „Der Zug durch das Nebenlmoor“ ist in meinen Augen vor allem anders als die anderen Abenteuer, weil es einen völlig anderen Ansatz hat.
    Viele der alten DSA1 Abenteuer habe ja einen sehr narrativen Ansatz mit starken Geschichten, was sie auf der einen Seite kultig und zeitlos macht, ihnen auf der anderen Seite aber auch einen nicht ganz unberechtigten Ruf als „Railroads“ und „Romane zum mitspielen“ einbringt.
    Der Zug durch das Nebelmoor ist da einfach ein anderer Typ. Ja, das hat keine Dramaturgie und keinen Antagonisten. Stattdessen hat es eine feindlich gewonnene Umwelt, Gefahren und Belohnung in Aussicht. Das kann seinen eigenen, sehr pulpigen Charme haben.
    Ein gutes Beispiel in meinen Augen ist der „Hobbit“ in seiner Romanfassung. Das ist die Geschichte, wie Bilbo von a nach b läuft und gefährliche Sachen überlebt, die absolut nichts miteinander zu tun haben. Und es ist eines der beliebtesten Kinderbücher der Welt.
    Ein gutes modernes DSA-Beispiel ist das großartige „Bis ans Ende“ vom in der Community sehr geschätzten Stefan Unteregger. In diese Drachchronik-Abenteuer besteigt man das eherne Schwert, um Fuldigor zu treffen. Auf dem Weg muss man sich Ausrüstung kaufen, hat es mit despotischen Bronnjaren, wilden Nivesen, gefährlichen Kletterpartien, Alken und blauen Maaren zu tun. Nichts davon steht im Zusammenhang mit Hauptantagonistin Pardona, den Drachenkulten oder auch nur miteinander. Und gerade deswegen ist es so stimmig. Das Schwert ist VON SICH AUS das tödlichste Gebirge der Welt. Ganz ohne Bösewicht. Es ist selbst der Feind. Genauso wie hier das Nebelmoor der Feind ist und in einigen alten DnD Abenteuern der Dungeon selbst als Konzept.
    Ich weiß nicht Mal, ob es ein gutes Abenteuer ist, aber allein, weil es etwas neues versucht hat, ist es für mich etwas besonderes.

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    1. Das passt durchaus zu Bewertungen andernorts, z.B. im DSA-Forum. Dort wird das Abenteuer zwar mehrheitlich negativ gesehen, es finden sich aber auch immer wieder Stimmen, die es ähnlich wie du deutlich positiver sehen, u.a. wird es als passendes und einfach zu leitendes Einsteigerabenteuer bezeichnet. Kann ich auch durchaus nachvollziehen und ist sicher auch ein wenig davon bestimmt, wo die eigenen Vorlieben sind. Ich persönlich finde besonders die Geschichten, die erzählt werden, spannend und ich mag Konflikte und gute Antagonisten. Das bietet mir der Band – zumindest wenn man ihn wirklich so spielt, wie er geschrieben worden ist – halt einfach zu wenig. Wenn man aber beispielsweise die Atmosphäre des Schauplatzes höher gewichtet, kann ich deinen Standpunkt absolut nachvollziehen.

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