Rezension: Meisterset Die verborgene Gabe

Vorbemerkung: Sehr deutlich habe ich im Zuge meines Rezensionsreigens zu Die Gunst der Göttin auch den Kampagnenband Die verborgene Gabe kritisiert. Aus meiner Sicht handelt es sich leider um einen völlig inkonsistenten Band, mit einem sehr schwachen Rahmen in Form eines Einstiegs und eines Finales, die ihre Aufgaben nicht erfüllen und vor allem vielen Kurzabenteuern, die maximal Rudimente darstellen und vielfach aus Doppelungen durch Regelerläuterungen und zu langen Personenbeschreibungen bestehen, während die jeweilige Kernaufgabe viel zu grob skizziert wird, teilweise sogar relevante Inhalte völlig fehlen. Hinzu kommt noch eine variabel angedachte Konstruktion mit gleich vier optionalen Gegnerfraktionen, die aus meiner Sicht den Band völlig überfrachten, mit dem Resultat, dass bei vielen Etappen der Visionsreise kaum eine echte Idee existiert, wie die Gegner agieren könnten. Besagte Visionsreise hat außerdem einen Aufbau, der ebenfalls variabel gestaltet werden soll, allerdings ergibt die Variabilität keinen Sinn, da sie keinerlei Spielrelevanz hat. Abhilfe soll nun das Meisterset Die verborgene Gabe schaffen, indem Christian Nehling Ergänzungen zu vielen Teilen der Kampagne verfasst hat, die ein stringenteres Vorgehen ermöglichen sollen.

Aufbau und Inhalt:

– 1 Ergänzungsheft zur Kampagne (28 Seiten)

–  10 Meisterschirmeinleger für NSC, 9 Meisterdokumente, eine Karte der Oase des Vergnügens

– Preis: 14,95 Euro (bzw. kostenfrei für alle Unterstützer von Die Gunst der Göttin)

– Erschienen am 21.10. 2023

I. Aufbau und Inhalt

Das Meisterset ist explizit als Ergänzungsheft zu Die verborgene Gabe konzipiert, d.h. es stellt keinen eigenständigen Band dar, sondern setzt den Besitz des Kampangenband voraus. Die einzelnen Passagen erläutern dementsprechend immer, wie man die bisherigen Inhalte um die Ideen des Meistersets ergänzen kann.

Zunächst wird der Rahmen der Kampagne unterfüttert, indem der Zweck der titelgebenden Gabe genauer erläutert wird, auch in den Hintergründen der vier Gegnerfraktionen, die hier mit mehr Motivation von konkreten Antagonisten ausgestattet werden, z.B. der Information, wie deren Anhänger*innen von der Rahjaqueste erfahren haben. Zudem werden Hinweise gegeben, mit denen man den Gegnern auf die Spur kommen kann.

Das Kapitel Der rote Faden versucht der Kampagne mehr Struktur zu verschaffen. Aufhänger ist das Symbol der Rahja, in dem die drei Prinzipien Harmonie, Sinne und Balance vorhanden sind. Diese drei Gesinnungen werden von den einzelnen Tempeln der Rahja vertreten, so dass jeder einer dieser Prinzipien zuordbar ist. Denn jeder bewahrt eine der Essenzen auf, die später benötigt werden, um die Garderobe der Geliebten der Göttin zusammenzustellen. Jede der drei Gesinnungen besteht aus drei Essenzen, so dass je drei Tempel eine zusammengehörende Einheit bilden und immer kann man dort ein Teilstück des benötigten Gewands erhalten. Hier wird demzufolge eine klare und nachvollziehbare Reihenfolge für die Reise erstellt, die auch in Form einer Tabelle dargestellt wird. Zuletzt wird die Funktion des Gewandes für den Abschluss des Abenteuers erläutert. Erfolge bei der Beschaffung der einzelnen Essenzen haben direkte regeltechnische Auswirkungen, z.B. in Form von Probeerleichterungen.

Folgend wird zunächst der Einstieg des Abenteuers ausgebaut. Als Lücke ist hier das Zustandekommen der Wahl zur Geliebten der Göttin ausgemacht worden. Dementsprechend wird die einführende Vision erweitert und dann wird das Wahlprozedere erklärt. Für die Wahlberechtigten wird aufgeführt, wer von ihnen welche Kandidat*innen bevorzugt. Dies ist aber nicht in Stein gemeißelt, vielmehr sind Möglichkeiten angegeben, wie die Heldengruppe Einfluss auf die Wahl nehmen kann.

Dem schließen sich Erweiterungen der Reiseetappen an. Ausgeklammert werden dabei allerdings die drei Langabenteuer in Fasar, Punin und Lowangen. Hier werden jeweils die Aufgaben stark konkretisiert und im Ablauf neue Szenen aufgebaut, ebenso werden Gegneraktionen detaillierter skizziert. Ein Beispiel stellt die Festum-Etappe dar. Hier wird nun ausführlich erläutert, welchen Hintergrund der Antagonist dieser Station hat und welche Vorgeschichte vorliegt. Dann werden folgend seine Maßnahmen beschrieben, die Auswirkungen auf die Aufgabe der Heldengruppe haben, auch einige Variablen berücksichtigend. Ebenso wird das Finale um einige genauere Angaben ergänzt. Das alles erfolgt immer in einem stichwortartigen Charakter auf jeweils 1,5-2 Seiten, die man mit dem Material aus dem Kampagnenband dann kombinieren kann.

Die letzte Station, also die Rückkehr nach Belhanka soll nun deutlich mehr zu einem echten Finale ausgebaut werden. Dazu wird zunächst die Erstellung des Gewandes beschrieben und im Anschluss ergibt sich ein Vordringen an einen Finalort, an dem es zu einer letzten Konfrontation mit den Gegnern kommt. Hier werden auch konkrete Auswirkungen des Erfolges beschrieben, in Form von Belohnungen, außerdem erhält man den Status Held der Rahjakirche.

Zuletzt finden sich noch einige Vorschläge, um die Reise zwischen den Stationen selbst zu vertiefen, z.B. mit Angaben zu Übernachtungen, Transportmitteln und Ausrüstungsmöglichkeiten. Für jede Gegnerfraktion wird weiterhin ein wiederkehrender Antagonist vorgeschlagen.

Weiterhin sind noch Einleger für die NSC und Heldenbögen für Meisterpersonen enthalten. Das Fasar-Abenteuer hat zudem eine Farb-Karte für den dort zentralen Schauplatz, die sogenannte Oase des Vergnügens, erhalten.

II. Kritik

Ich muss zugeben, dass mich die Ankündigung des Meistersets skeptisch gestimmt hat. Allgemein gelte ich eigentlich nicht unbedingt als besonders harter Kritiker, gerade Die verborgene Gabe habe ich aber massiv kritisiert und bei einem Blick auf den Gesamtband habe ich viel zu viele Einzelaspekte, die ich sehr schwach umgesetzt finde, als dass ich es für möglich gehalten hätte, da mehr als ein wenig kosmetische Flickschusterei zu betreiben. Besonders ärgerlich ist das auch aus dem Grund gewesen, weil ich theoretisch viel Potential in der Kampagne gesehen habe, was sie aber leider nur in den gelungenen drei Langabenteuern zeigen konnte.

Tatsächlich muss ich allerdings mit Blick auf das Resultat sagen, dass ich das Meisterset Die verborgene Gabe ganz im Gegenteil als eine massive Verbesserung der Kampagne betrachte, wobei ich meine damaligen Kritikpunkte quasi als eine Art von Abhakliste verwenden kann und an den meisten Punkten diesen Haken auch wirklich setzen kann. Vordergründig sind das:

1. Ist jetzt ein richtiger Überbau vorhanden. Die gesamte Queste hat mit der Gewandsuche ein klar greifbares Ziel und nun bauen die Aufgaben auch sinnvoll aufeinander auf und verzahnen sich. Ebenso gibt es jetzt spürbare Resultate, auch schon während der Zwischenetappen, indem die Gewandbestandteile Probenerleichterungen etc. bieten. Eine großartige Idee ist die Entwicklung der Gesinnungen, u.a. in Verbindung mit dem Rahjasymbol, das gibt der Handlung eine ganz andere Struktur.

2. Ist die große Lücke zur Wahl der Geliebten der Göttin gefüllt. Es gibt einen nachvollziehbaren Wahlmodus, das Ganze wird durch die Vision zu Beginn gut als Mission der Heldengruppe initiiert und man erhält eine gesellschaftliche Aufgabe, gleich ob man selbst die GdG stellen will oder einen NSC dazu macht.

3. Die Kurzabenteuer allesamt so auszubessern, dass sie viel mehr Inhalt und Herausforderung bieten, ist ein echten Kunststück, das hier gelungen ist, die epische Tragweite ist jetzt auch dort gegeben. Beispielsweise sind die extrem simpel gehaltenen Aufgaben in Gareth und Joborn mit viel passenderen Details versehen worden. Auch die Gegneraktionen sind jetzt wirklich vorhanden, die man vorher völlig improvisieren musste.

4. Es gibt auch ein richtiges Finale mit passender Atmosphäre, in dem der Schauplatz Belhanka genutzt wird und es auch eine nachvollziehbare Einbindung in die Historie gibt. Auch so hat das alles einen viel epischeren Charakter, der dem Umfang der vorherigen Aufgaben auch gerecht wird.

Gerade den Punkt 3 halte ich für immens wichtig, die aus meiner Sicht bisher viel zu nichtssagenden Kurzabenteuer haben jetzt echte Inhalte, die spielbar sind und diese wirken jetzt auch konkret auf das Rahja-Thema bezogen.  Ich halte es übrigen auch für richtig, keinen Platz auf die drei Langabenteuer zu verwenden, die waren auch vorher gut, bis auf die fehlende Karte der Globule in der Fasar-Etappe, was im Rahmen des Meistersets ebenfalls behoben wird.

Als einziger Kernkritikpunkt bleibt für mich, dass nach wie vor eine Einordnung der Kampagne in einen größeren Metaplotkontext fehlt. Was das Ganze jetzt im Zusammenhang mit dem Karmakorthäon bedeutet, darauf findet man auch im Meisterset keine weiterführenden Informationen. Das empfinde ich als schade, es bleibt aber wohl auch der Kampagnenprämisse mit variablen Gegnerfraktionen geschuldet. Dieser Bereich wurde zwar auch ausgebessert, allerdings ist es so kaum möglich, eine spezielle Herausforderungssituation Rahjas zu kreieren, was ihren Platz in Alveran betrifft.

Zuletzt muss ich allerdings mein vorheriges Lob mit der Art verbinden, auf die man das Meisterset erhalten kann. Als Unterstützer des Crowdfundings habe ich das Heft kostenfrei erhalten und in dieser Hinsicht bin ich uneingeschränkt zufrieden: Auf die Kritik wurde diesmal reagiert. Natürlich hätte dies auch schon früher erfolgen müssen, die Kritik lag ja schon nach den Vorab-PDF offen und trotz Versprechungen wurde nicht reagiert. Im Rahmend der gegebenen Möglichkeiten nach der Veröffentlichung löst Autor Christian Nehling die vielen Schwierigkeiten hervorragend und wie oben erwähnt sehe ich eine massive Ausbesserung der Kampagne, die ich so als ausgesprochen reizvoll erachte. Umgekehrt findet sich das Heft aber auch als Verkaufstitel im F-Shop. Hier würde ich aber eindeutig sagen, dass auch zukünftige Käufer*innen des Kampagnenbands den vorliegenden Text als Begleitheft erhalten sollten, denn in seiner Ursprungsvariante ist er für mich kaum spielbar, eben weil große Teile völlig uninspiriert gestaltet wurde. An dieser Stelle möchte ich auch nochmal der Prämisse widersprechen, die in der damaligen Ankündigung für das Meisterset zu lesen war (das habe ich ja bereits im meinem Gesamtfazit zum Crowdfunding getan): Für mich macht es den Kampagnenband erst überhaupt spielbar, es ist keineswegs eine Ergänzung für diejenigen, die sich mehr narrative Elemente statt einer Sandbox wünschen würden. Es ist für mich weiterhin keine Sandbox, dazu sind schlicht zu viele Beschreibungslücken vorhanden, denn genau die Hintergründe, die hier geliefert werden, fehlen dort.

Zuletzt bleibt natürlich auch die Einschränkung, dass ich zwar mit diesem Heft inhaltlich sehr zufrieden bin, es bleibt aber trotzdem der ärgerliche Umstand, dass dies erst nachträglich erfolgt: Jede Spielleitung, die diese verbesserte Version der Kampagne spielen möchte, muss sich der umständlichen Aufgabe stellen, Kampagnenband und Meisterset durchzuarbeiten und die Verknüpfungen zu bilden, was konkret eine gewisses Hin- und Herblättern zwischen zwei unterschiedlichen Texten darstellen wird.   

III. Fazit

Das Meisterset Die verborgene Gabe stellt für mich eine massive Verbesserung der ursprünglichen Kampagnen-Variante dar, indem die meisten Kritikpunkte aufgenommen und ausgebessert wurden, in einer Form, die ich nicht für realistisch gehalten hätte. Auf eine konkrete Wertung möchte ich an dieser Stelle verzichten, da es sich ja um kein eigenständiges Produkt handelt, sondern es an den Kampagnenband angebunden werden muss. Zur Einordnung kann ich allerdings sagen, dass ich einem Kampagnenband, der statt der unnötigen massiven Doppelungen direkt dieses Material als ein Fließtext enthalten hätte, eher 5 statt nur 2 Punkten gegeben hätte.

5 Kommentare

  1. Ich würde es als Spielleiter als extrem lästig empfinden, eine Kampagne mit einem Hauptheft und einem Korrekturband zu leiten. Hier besteht noch viel Optimierungsspielraum, Ulisses könnte ja irgendwann auf die Idee kommen, einen Gesamtband herauszubringen, der alle Ergänzungen an der richtigen Stelle einarbeitet.

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    1. Klar ist das keine Optimallösung, habe ich ja auch schon in der Rezension angesprochen, es ist nun mal in erster Linie eine nachträgliche Reparatur. Unter den gegebenen Voraussetzungen empfinde ich sie aber als wirklich gelungen.
      Eine Zusammenstellung mit dem Hauptband wäre natürlich das Optimum, weil daraus aus meiner Sicht plötzlich ein guter Band werden würde. Ich kann mir aber kaum vorstellen, dass es dazu kommen wird. Dafür müsste man nochmal Geld in die Hand nehmen und einen Redakteur die beiden Bände verbinden lassen, dazu müssten ja Anteile aus dem Hauptband gestrichen werden, vor allem aus den alten Versionen der Kurzabenteuer, die sich durch die erweiterten Fassungen erledigt haben. Das wiederum würde ja auch das Layout verschieben, worum sich auch noch jemand kümmern müsste. Wenn der Band ein richtiger Verkaufserfolg wäre, würde man darüber bestimmt nachdenken bei Ulisses, bei den Kreaturen- und Ausrüstungsbänden geschieht ja derzeit genau das. Aber bei einem Band, der soviel Kritik erhalten hat wie dieser, halte ich das für eher unrealistisch.

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  2. Ich finde es sehr schade, dass Ulisses das Meisterset nur an die Unterstützer der Crowdfunding-Kampagne kostenlos verschickt. Reguläre Käufer sollten das PDF ebenfalls kostenlos erhalten.

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  3. Danke für die ausführliche Betrachtung.
    Der Hauptband hätte einfach besser sein müssen.
    Ich denke das Set ist der Versuch einer Art Wiedergutmachung.
    LG
    Alex

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