Rezension: Seelenqualen

Vorbemerkung: Auch das neue Jahr beginnt mit einige altgewohnten Dingen, u.a. werden bei Ulisses nach wie vor bewährte Konzepte verfolgt. Eines davon ist das Spiel mit dem Thema Horror. Neben einigen Spielhilfen, die diesen Bereich bedienen (u.a. zum Thema Dämonen und Geister), erscheinen in einer gewissen Regelmäßigkeit Abenteuer-Anthologien mit einem Horrorschwerpunkt. Hier reiht sich auch Seelenqualen von Martin Liebe, Curt Wendt und Max Wetterauer ein, wobei schwerpunktmäßig Schauplätze aus dem Süden Aventuriens gewählt wurden, auch wenn das Cover scheinbar auf den frostigen Norden verweist (was sich allerdings inhaltlich erklären lässt).

In Zahlen:

– 100 Seiten

– Preis: 29,95 Euro

– erschienen am 28.2. 2024

I. Aufbau und Inhalt

Die Anthologie besteht aus drei Abenteuern, die in etwa gleich viel Raum einnehmen. Im Einzelnen handelt es sich dabei um Eisgekühlter Bosparanjer von Martin Liebe, Die Insel des ewigen Herzschlags von Max Wetterauer und Tanz der Elefanten von Curt Wendt. Hinzu kommt noch ein längerer Anhang mit Regelaspekten.

Eisgekühlter Bosparanjer

Hier beginnt das Abenteuer eigentlich eher gemütlich, indem die Heldengruppe von dem sympathischen Händler Iacopo in Methumnis als Geleitschutz angeworben wird, um ihn nach Thegun zu begleiten, was auch relativ ereignislos verläuft. Dort lädt er sie zu einem Treffen seiner Jagdloge ein, woraus sich eine weitere Einladung zu einem Jagdausflug in die Wildnis ergibt. Zu diesem Zweck werden die Mitglieder der Loge ausführlich vorgestellt, wobei es samt und sonders eher Charaktere sind, die aus einer gesellschaftlich gehobeneren Mittelschicht stammen und die eher wildnisunerfahren sind. Was im Prinzip kein Problem wäre, wenn sich denn eine normal verlaufende Jagd entwickeln würde. Ziel ist die Jagdhütte des Firungeweihten Glaziano, dem auch ein Geschenk überbracht werden soll als Anerkennung seiner Verdienste um den Firunglauben.

Als Leitfaden fungiert eine grobe Beschreibung der Reiseroute, mit einem Schwerpunkt auf der Interaktion mit der NSC-Gruppe, die sich zumeist in feucht-fröhlicher Laune befindet. Natürlich bleibt dies aus dramaturgischen Gründen nicht so, sondern plötzlich dreht sich der unbeschwerte Kontext in einen knallharten Überlebenskampf, indem die Reisenden mit einer Übermacht an Feinden konfrontiert werden, die nicht an Verhandlungen interessiert sind, sondern Übles im Schilde führen. Dies beinhaltet durchaus auch tragische Verluste, einige der Mitreisenden sind für solche Umstände nicht gemacht und können nur mit viel Glück und Unterstützung der Spielercharaktere überleben. Die wahren Motive der Feinde ergeben sich erst im Finale, in dem man auch die Hintergründe der Ereignisse in Erfahrung bringen kann, die weit in der Vergangenheit liegen.

Die Insel des ewigen Herzschlags

Die Anwerbung der Heldengruppe findet in Al´Anfa statt. Hier treffen sie mit Lidina Zornberecht eine junge Gelehrte, die in ihrer berühmten Grandenfamilie eine völlig untergeordnete Rolle spielt, nun aber eine Entdeckung getätigt hat, von der sie sich viel Prestige und soziale Anerkennung verspricht. Konkret hat sie Hinweise auf eine Expedition einer ihrer Vorfahrinnen gefunden, die von einer Seereise ins Südmeer nicht zurückkehrte. Zunächst gilt es, aus einigen vagen Hinweisen zu rekonstruieren, wie man die Reiseroute der damaligen Expedition verfolgen kann. Hat man diese Recherche abgeschlossen, begibt man sich zusammen mit Lidina an Bord der Thalukke Albatros. Um das Bordleben gestalten zu können, findet sich eine Beschreibung der Mannschaft um die erfahrene Kapitänin Dolorita Dschadirez

Der eigentliche Abenteuerpart beginnt aber erst, wenn die titelgebende Insel erreicht wird und man sich an die Spuren der verschollenen Zornbrecht-Expedition heftet. Dazu gibt es eine Karte der Insel sowie Schilderungen der wichtigsten Örtlichkeiten. Das Inselparadies erweist sich dabei recht bald als nicht ganz so idyllisch, wie es auf den ersten Blick aussieht. Somit beginnt auch hier bald das große Entsetzen, wenn die alten Geheimnisse der Vergangenheit offenbar werden. Hier ergeben sich folgend unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten, um das eigene Überleben und den Erfolg der Unternehmung zu sichern, stellenweise wird man aber auch von Handlungen einiger NSC beeinflusst, die sehr unterschiedlich auf die Schrecken reagieren, mit denen man konfrontiert wird.  

Tanz der Elefanten

Das letzte Abenteuer erzeugt sicher die ungewöhnlichste Ausgangsituation. Man muss sich hierbei in die abgelegeneren Ecken des Radjarat Palmyramis begeben, das immer noch von den Schrecknissen der jüngeren oronischen Vergangenheit geprägt ist. Dabei gibt zwei mögliche Einsteigsaufträge: Zum einem macht sich die Marbogewihte Marbelia Sorgen um den Eremiten Bortholomäus, mit dem sie seit vielen Jahren in Briefkontakt steht, der aber seit einem Jahr abgebrochen ist und dessen Verbleib nun ermittelt werden soll. Die andere Variante ist, dass der Perainegeweihte Peranjador Begleiter sucht, die mit ihm in sein Heimatdorf reisen, wo er an dem Begräbnis seiner ehemaligen Verlobten teilnehmen möchte, der Tochter der Grundherrin des Dorfes Dagash (die er wegen seiner Berufung als Geweihter nicht heiraten wollte).

In beiden Fällen begibt sich die Gruppe nach Dagash, wo sie zügig mit einigen Problemen der Dorfgemeinschaft konfrontiert wird. Besonders schwerwiegend ist das Verschwinden des örtlichen Mahut, der als Hüter der Elefanten insofern eine wichtige Rolle beim anstehenden Begräbnis einnimmt, als dass dieses in Form eines Trauerzuges in eine nahegelegene Nekropole stattfinden soll, zu der traditionell mindestens ein Elefant gehört. Außer dem verschwundenen Nezahet kann niemand einen Elefanten reiten, lediglich seine Tochter Elaisha ist ebenfalls mit den Gewohnheiten der gewaltigen Tiere vertraut, allerdings ist sie seit frühester Jugend erblindet.

Im Folgenden ergibt sich eine durchaus komplexe Gemengelage, in der das Verschwinden des Mahut nur ein Element von vielen ist, u.a. gilt es Bortholomäus zu finden, die Durchführung der Beerdigung zu gewährleisten, alte und neue Geheimnisse aufzudecken und auch eine weitere, von außen drohende Gefahr aufzulösen, was ein sehr dramatisches Finale bedingt. Als Hilfestellung sind vor allem viele NSC-Beschreibungen vorhanden.       

Kritik

Horror ist zwar ein schwer umzusetzendes Thema, kann allerdings in der Summe sehr reizvolle Handlungen erzeugen, wenn man denn der Spielleitung die richtigen Elemente in die Hand gibt. Hier kann ich gleich vorwegnehmen, dass dies in allen drei Abenteuern aus meiner Sicht überwiegend gelingt. 

Eisgekühlter Bosparanjer besticht vor allem durch seine dichte Atmosphäre, die zwischen zwei Extremen wechselt. Gelungen ist in erster Linie der abrupte Wechsel von totaler Weinseligkeit hin zu einem verzweifelten Überlebenskampf. Die erste Hälfte fungiert dabei fast ein wenig einlullend, indem kaum Gefahr droht und man stattdessen mit einer Riege von durchweg freundlichen und sympathischen NSC interagiert, die einem ans Herz wachsen kann (bzw. eindeutig soll). Genau das verstärkt dann den Schock, wenn diese Menschen dann mit einer Bedrohung konfrontiert werden, der sie überhaupt nicht gewachsen sind und in der sie nur dann bestehen können, wenn sie massive Unterstützung durch die Held*innen erfahren. Das ist allerdings alles andere als einfach, indem die gegnerische Übermacht ein totales Chaos erzeugt und man zunächst einmal damit beschäftigt sein dürfte, das eigene Überleben zu sichern.

Diese erzählerische Dichte wird sogar dann nochmal verstärkt, wenn man das eigentliche Ziel der Feinde realisiert, das ein viel größeres Bedrohungspotential hat als die Räuberbande, mit der man sich rumschlagen muss und die erst den Großteil des Horroranteils erzeugt. Sicherlich sollte man hier vor allem auf kampferfahrene Charaktere zurückgreifen, sonst wird es sehr schwer, da man mit unterschiedlichen Gegnern konfrontiert ist, von reinen Kämpfern über Magiewirker bis hin zu Dämonen und Paktierern. Etwas ausgeglichen wird dies durch die Setzung, dass das Handeln der Gegner nicht immer gut koordiniert stattfindet. Das alles gefällt mir sehr gut, allerdings werden mir an einigen Stellen die Setzungen zu eng und sind manchmal auch nicht ganz sinnvoll aus meiner Sicht, wenn zu stark Handlungen vorgegeben sind, z.B. wenn eine wichtige Schurkin aus reiner Arroganz ihres Auftraggebers ohne Heldeneinwirken ausgeschaltet wird oder der letzte Gegner nicht mit voller Kraft ins Gefecht geht, sondern sich auch gegen seine eigentlichen Verbündeten wendet. Das soll zwar offenbar auch der Regulierung des Schwierigkeitsgrades dienen, ist aber etwas arg narrativ, zumal es schlicht nicht sinnvoll wirkt, dass man auf Teile seiner Macht verzichtet, obwohl man das Endziel noch nicht erreicht hat (zumal die Vorgeschichte so gestaltet ist, dass dieser Gegner schon einmal daran gescheitert ist, dass er eine scheinbar hilflose Gegnerin unterschätzt hat). Ein klares Defizit ist das Fehlen eines Gebäudeplans für den Finalort, da dieser taktisch genutzt werden kann.       

Die Insel des ewigen Herzschlags folgt einer sehr klassischen Dramaturgie einer Expedition an einen unbekannten Ort, bei der man sich auf den Spuren einer Vorgängergruppe befindet, die fatal gescheitert ist. Anwerbung, Recherche- und Reisepart sind eher konventionell gehalten und dienen vor allem dem Kennenlernen der NSC, mit einer Betonung von Lidinas Ehrgeiz und den Konflikten der Mannschaft der Albatros, in der ein Außenseiter aus der Mannschaft negativ herausragt, was später Probleme bedingen kann. Dann ergibt sich ein Teil des Horrors zunächst unterschwellig, wenn man auf die Überreste der anderen Entdecker stößt, dann offenkundig, wenn man nachts den alten Mächten ausgeliefert ist, gerade auch in einer Vermischung von Realität und Traum. Das ist alles grundsätzlich eher konventionell und auch nicht neu (vieles erinnert mich sogar deutlich an ein Abenteuer aus einer unlängst erschienenen anderen Anthologie, konkret Das Geheimnis der Kakoinsel aus Götterkult und Sphärenbeben), in der Summe ist das alles aber gut umgesetzt, z.B. mit sauberen Beschreibungen des Ortes, der Hintergründe und der NSC, zudem weitgehend offen gehalten (auch unter Berücksichtigung etwaiger Heldenhandlungen).

Tanz der Elefanten kann im Gegensatz dazu mit einer ziemlich unverbrauchten Hintergrundgeschichte aufwarten, vor allem was den geplanten Beerdigungszug mit Elefant angeht. Hier wird man mit einigen unvertrauten Riten konfrontiert, gerade was die Aufgabe des Mahut betrifft. Dies kann unter anderem in die spannende Aufgabe münden, selbst die Rolle des Elefantenführers zu übernehmen, Generell sind es vor allem die vielen ungewöhnlichen NSC, die überzeugen können, u.a. mit dem etwas durchgedrehten Bortholomäus als erratischem Element oder ambivalenten Charakteren, die in der Dorfgemeinschaft eine positive Rolle einnehmen, aber eine finstere Vergangenheit haben.

Gerade der Storykern ist gut umgesetzt, was in ein Finale mündet, in dem man überraschend die Gefahr eines Magnum Opus unterbinden muss, gegen einen Gegner mit vielen Möglichkeiten. Außerdem existieren eine Reihe von Nebenhandlungen, die viel Abwechslung erzeugen. Ein Nachteil ist dabei eine gewisse Überkomplexität, indem für meine Geschmack in ein Anthologieabenteuer etwas zu viele Inhalte und Verwicklungen gepackt wurden, u.a. was die Hintergründe des Verschwindens des Mahut und das oronische Erbe der Region betrifft.

III. Fazit

Seelenqualen besteht aus drei guten und abwechslungsreichen Abenteuern, bei denen sich der Horror auf sehr unterschiedliche Weise entwickelt, sei es aus dem plötzlichen Überlebenskampf, der sich immer wieder ergibt, abgelegenen Orten, an denen man v.a. auf das eigene Können angewiesen ist und durch Gegner, die meist ein beträchtliches Potential an Möglichkeiten aufweisen. Umgekehrt finden sich in allen Abenteuern auch kleinere Schwächen.

Bewertung: 5 von 6 Punkten            

3 Kommentare

  1. Nur ein kleiner Hinweis: im Tanz der Elefanten heißt der Eremit „Bortholomäus“.

    Ansonsten freue ich mich sehr über das Lob für das Abenteuer.

    Curt Wendt

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    1. Danke für den Hinweis, habe es geändert. Da hab ich nicht mehr drauf geachtet beim Korrekturlesen. Hab es gerade nochmal ausprobiert: Die Autokorrektur macht da immer Bartholomäus draus, das hab ich dann einfach überlesen.

      Das Lob ist gern geschehen, ich finde die Idee des Abenteuers wirklich gut, hätte dem nur – wie angesprochen – eigentlich noch ein paar Seiten mehr gewünscht, um die vielen Nebenhandlungen mehr ausgestalten zu können.

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