Rezension: Schleierfall

Vorbemerkung: Wohl nur wenige DSA- Produkte wurden in den letzten Jahren so lange herbeigesehnt wie „Schleierfall“, setzt es doch die Ereignisse fort, die bereits vor zwei Jahren in „Schleiertanz“ in Gang gesetzt wurden und dann – wie auch die gesamte „Splitterdämmerung“ – wohl aus unterschiedlichsten Gründen erstmal aussetzen mussten. Jetzt allerdings geht es endlich weiter mit dem Intrigenspiel in Aranien und die Erwartungen sind dabei nicht niedrig angesetzt, war der Vorgänger doch ein ausgesprochen gelungener Band.

In Zahlen:
– Band Nr. 205
– 173 Seiten
– Erschienen am 7.8. 2014

I. Aufbau und Inhalt
Grundsätzlich wird das Abenteuer in der Einleitung als modular aufgebaut beschrieben. Allerdings existieren überall Kästen, die den Roten Faden weiterspinnen, so dass eigentlich ein relativ stringenter Aufbau erkennbar ist.

Zunächst beginnt der Band mit einigen Vorbemerkungen, die einen kurzen Überblick geben sollen, vor allem werden hier noch einige oronische Gruppierungen vorgestellt, die Einfluss auf die Handlung nehmen können. Zudem wird ein Punktesystem verwendet, das das Resultat des Abenteuers ergeben soll, was einerseits die Helden selbst und andererseits Dimiona betrifft. Die Helden können durch ihre Aktionen unter den Einfluss des Belkelel- Splitter gelangen, was durch sogenannte Verführungspunkte ausgedrückt wird. Umgekehrt können besonders positive Handlungen Vergebungspunkte generieren. Diese können es unter Umständen ermöglichen, Dimiona trotz all ihrer verderbten Taten auf den tsagefälligen Pfad der Tugend zurückzuführen.

In insgesamt neun Kapiteln wird dann in der konkreten Handlung das Lüften weiterer Schleier thematisiert, was die Helden Stück für Stück näher an die Lösung heranbringt. Im ersten Kapitel wird ein Freund der Helden ermordet und bei ihren Recherchen entdecken sie, dass nicht nur sie selbst, sondern auch die ehemalige Fürstin Sybia außerdem noch auf der Abschussliste der Mörder stehen. Folgerichtig begeben sie sich auf deren Spur, beginnend damit, dass sie in Palmyrabad aufdecken, dass die Tochter und die Wesira der dortigen Sultanin durch Unterschlagungen das nötige Geld beschafft haben, um die Beni Asharan, einen Orden von Auftragsmördern anzuheuern. Bei einem Vorstoß in deren Kloster gelingt es optimaler Weise, die Bedrohung entweder durch einen Kampf oder durch eine entsprechende Geldsumme aus der Welt zu schaffen.

Dort erhalten sie auch den Namen des Auftraggebers, Rasulan, eines oronischen Magiers. Als sie seiner Spur folgen, gelangen sie nach Ras´Lamasshu, wo er die dortige Sphinx über ein Ritual zur Anrufung von Belkelel befragen will. Auf der Anreise treffen die Helden unerwartet Mhaharani Eleonora, die Herrscherin Araniens, höchstselbst und hochschwanger, deren Leibgarde just in diesem Moment von unbekannten Söldlingen bei einem Überfall getötet wurde. Kaum gerettet, müssen die Abenteurer in die Rolle der Geburtshelfer schlüpfen, bei alldem nichtsahnend, dass vor ihnen eigentlich ja Dimiona selbst steht, die in den Körper der Königin eingegangen ist.

Zusammen gelangen sie zur Sphinx, die aber von Rasulan in ihrer Gabe der Prophezeiung geschwächt wurde und daher nur den Hinweis geben kann, dass die Gruppe sich auf die Reise nach Elburum begeben soll, um dort Khelbara zu suchen, eine geläuterte oronische Magierin, die ihnen aus Schleiertanz schon bekannt ist. Zudem kann man in Elburum dem Treiben der dortigen Sultana Jashild und ihrer Mutter Dalilah ein Ende bereiten, während die Helden einen Freiwilligen als Gatten für Jashild suchen sollen.

Nachdem die Helden Khelbara aus den Händen der Skorpionschwestern, einer oronischen Sekte, gerettet haben, bringt diese sie auf die Spur eines Buches, das die genauen Anweisungen für das Ritual zur Beschwörung Belkelels enthält. Das Werk befindet sich in Baburin. Leider wird Khelbara dort von ihrem Erzfeind, dem Prinzen Assad von Baburin, gesucht. Beim Betreten der Stadt wird sie auch prompt inhaftiert, so dass die Helden sie (und vermutlich auch sich selbst) aus dem Herrscherpalast befreien müssen und Rasulan anschließend in einer verborgenen Bibliothek stellen können. Dieser kann jedoch beim folgenden Einsturz des unterirdischen Gewölbes fliehen, hinterlässt seinen Rivalen allerdings eine Liste mit den benötigten Zutaten.

Bei der Suche nach Dschinnenblut gelangen die Helden zurück nach Zorgan, wo sie im dortigen Rosengarten die Hilfe einiger Dschinne in Anspruch nehmen wollen, wobei sie wieder in einen Wettstreit mit Rasulan gelangen und sogar Dimionas Leben ein zweites Mal retten können.

Deutlich epischer wird es in der nächsten Aufgabe, bei der Jagd auf ein verschollenes Schmuckstück müssen die Helden in Llanka gegen den dortigen Malmer- Kult vorgehen und kann es ihnen sogar gelingen, den Malmer zu vertreiben, der den Hafen seit Jahren blockiert und die einst blühende Stadt in den Ruin und Verfall getrieben hat.

Die letzte „Zutat“, ein Tanzgewand, befindet sich in Anchopal. Just zum Zeitpunkt des Abenteuers stellt sich hier die zusätzliche Schwierigkeit, dass König Arkos nach langen Überlegungen nun einen Feldzug gegen die Stadt führt, um sie aus den Händen der Novadis zu reißen. Somit ist es nicht nur Aufgabe der Abenteurer, das Gewand zu beschaffen, sondern auch Arkos davon zu überzeugen, dass ein verlustreicher Konflikt im Moment wertvolle Ressourcen bindet. Immerhin bietet sich auf diese Weise die Gelegenheit, als Gesandte von Arkos mit diplomatischem Auftrag Zugang zur Stadt zu bekommen. Dort müssen sie einerseits mit Maruban, dem Sohn von Sultan Hasrabal und gleichzeitig auch dessen Wesir für Anchopal verhandeln (und nach Möglichkeit eine einvernehmliche Lösung für den Konflikt finden) und andererseits versuchen das Gewand von Marubans Schwester Rahala zu erhalten. Am Ende sollte Anchopal gegen eine Tributzahlung im Besitz des Sultans von Gorien bleiben.

Zurück in Zorgan erfahren die Helden, dass Eleonore/Dimiona sich mit ihrem Sohn Amaryd und dem Belkelel- Splitter in das Kloster Keshal Taref aufgemacht hat, ausgerechnet den Ort, an dem Arkos vor Jahren vermeintlich Dimiona getötet hat. Dort wollen Dimiona und Rasulan mithilfe des Splitters ihr Ritual durchführen, bei dem Amaryd als Hülle für Belkelel fungieren soll. Im Kampf gegen die dämonischen Wächter im Inneren des Klosters begegnen die Helden und Arkos auch dem ruhelosen Geist Eleonores. Im abschließenden Gefecht ist es demnach die Aufgabe, einerseits das Ritual zu unterbinden (wobei Rasulan fliehen kann) und andererseits Dimiona möglichst lebend zu fangen, um einen Weg zu finden, Eleonores Geist wieder in ihren Körper einfließen zu lassen.

Der Band verfügt abschließend über einen umfangreichen Anhang, in dem neben den wichtigsten Artefakten und Personen auch die weiteren Entwicklungen in Aranien skizziert werden, die sich aus dem Ende der Schleierverschwörung und dem endgültigen Fall Dimionas ergeben.

II. Figuren
Durch die Anlage als Intrigen- Abenteuer, das zudem in so ziemlich allen bedeutenden Städten Araniens spielt, haben es die Helden mit einer sehr großen Riege von illustren NSCs zu tun, vor allem mit fast allen regionalen Herrscherfiguren. Besonders heikel ist dabei natürlich die Konstellation von Eleonora, der vermeintlich wohlmeinenden Herrscherin, der die Helden als Geburtshelfer so nahe kommen wie keiner anderen Figur, hinter der sich die verderbte Dimiona verbirgt, die mittlerweile aber von Zweifeln in ihrer Loyalität zu Belkelel erschüttert wird, was im Abenteuer sehr ausführlich thematisiert wird.

Als eigentlicher Gegenspieler tritt daher eindeutig eher Rasulan auf, der sich aber Mühe gibt, den Helden so wenig wie möglich zu begegnen. Seine Pläne sind dabei vielgestaltig, von der fast plumpen Beauftragung der Beni Asharan bis hin zur Ritualdurchführung. Sein Charakter gibt dabei absolut das Potential zum verhassten Antagonisten her, die Drecksarbeit überlässt er dabei aber einer Vielzahl von unterschiedlichen Handlangern, von denen eine ganze Reihe den Helden zum Opfer fallen dürfte.

Prinz Assad fällt die Rolle des politischen Intriganten zu, der kaum durch dämonische Umtriebe beeinflusst ist, aber durch und durch skrupellos und verdorben ist und intern auch vor Mord nicht zurückschreckt, sich aber nach außen hin einen rechtschaffenden Anschein verschaffen will und in der Bekämpfung der Helden daher etwas limitiert ist.
Bei den Verbündeten ist als Graue Eminenz natürlich in erster Linie die altehrwürdige Sybia zu nennen, die die Helden mit den nötigen Kontakten und Mitteln ausstattet, bei aller Klugheit aber die eigentliche Feindin direkt unter ihren Augen nicht erkannt hat.

Als ständige Begleiterin agiert ab Mitte des Abenteuers wieder Khelbara, die einen sehr widersprüchlichen Charakter aufweist: Einerseits blitzt immer wieder die hochmütige ehemalige oronische Magierin auf, andererseits verfügt sie, durch Tsa geläutert, mittlerweile auch über eine mitfühlende Seite.

III. Kritik
Mehr als die meisten anderen Abenteuerbände, die ich bislang hier rezensiert habe, hinterlässt „Schleierfall“ einen sehr zwiespältigen Eindruck bei mir. Alex Spohr hat es einerseits geschafft, ein hochkomplexes Beziehungsgeflecht mit vielen interessanten Figuren aufzubauen und spannend weiterzuführen, in der Ausgestaltung der einzelnen Episoden finden sich meiner Meinung nach aber auch viele Logiklücken bzw. Abenteuerteile, die schlichtweg zu grob aufgeführt sind.

Als große Stärke des Bandes sehe ich eindeutig das große und vielfältige Figurenensemble. Insbesondere Dimiona wird als Charakter untypischerweise sehr greifbar, auch in ihrem inneren Konflikt. Anders als in anderen Abenteuern taucht die finstere Antagonistin nicht erst im großen Finale als (immerhin schwer zu erledigendes) Heldenfutter auf, sondern begleitet sie – auch wenn das den Helden erst sehr spät bewusst wird – durch die gesamte Handlung hindurch und baut unter Umständen sogar eine Bindung zu ihnen auf, die interessante Handlungsvarianten für das Finale bietet. Insofern betrachte ich auch die Vergebungspunkte als gelungene Idee.

Aber auch die anderen Figuren wie die tragische Eleonore oder der heldenhafte und naive Arkos (vor allem in seiner Beziehung zu Maruban, der gleichzeitig Freund und Feind ist) bieten gute Anknüpfungspunkte. Die Gegenspielervarianten sind durch die einzelnen Episoden ebenfalls breit und abwechslungsreich gestaltet, es finden sich reine Kämpfer, gewiefte Intriganten und engstirnige Fanatiker gleichzeitig.

Generell fällt die hohe Dichte an ambivalenten Charakteren auf, was am deutlichsten durch die geläuterte Khelbara dargestellt wird, die wahrscheinlich ab Mitte des Bandes eine feste Begleiterin der Helden wird. Aber auch andere Figuren tragen die inneren Konflikte in sich, nicht zuletzt eben sogar Dimiona, die unter Umständen gar aus ihrem Pakt errettet werden kann.

Durch die Kästen mit dem Roten Faden sind die einzelnen Episoden zudem immer übersichtlich miteinander verbunden. Dies ist aber auch nötig, da einige Handlungswendungen aus dem reinen Fließtext heraus schwer erkennbar sind (z.B. woher die Helden wissen sollen, dass sie den Großmeister der Meuchlersippe im Marbidenkloster finden oder die gesamten Geschehnisse um die Sphinx).

Hier allerdings sind auch deutlich Probleme vorhanden: Grundsätzlich ist es ausgesprochen abwechslungsreich, dass die Helden viel herumkommen und quasi eine komplette Rundreise durch Aranien unternehmen. Allerdings leidet darunter ein wenig die meiner Meinung nach eigentlich notwendige Gründlichkeit. Einerseits betrifft das die Plots: Manche sind ausgesprochen spannend und motivierend, z.B. die Verhandlungen zwischen den Parteien in Anchopal zu führen oder die Interaktion mit den Elementargeistern im Rosengarten. Andere sind dafür eher flach geraten, vor allem der Einstieg mit den Meuchlern der Beni Asharan. Diese werden als kompetente und magisch begabte Mörder beschrieben, die sich wahrhaft fürstlich entlohnen lassen. Im Abenteuer selbst stellen sie aber keine besonders gefährliche Bedrohung dar, vor allem der Plan, die Helden zu töten, wirkt reichlich unausgereift. Ebenso erscheint es eher unwahrscheinlich, dass eine gewiefte Intrigantin und generell mächtige Figur wie Dimiona sich in so eine plumpe Falle Assads locken lässt und dabei ihre gesamte(!) Leibgarde verliert. Manche Handlungsteile wie die Suche nach einem Bräutigam für die dekadente und grausame Jashild erscheinen zudem reichlich abstrus, vor allem wenn sie eher dazu gedacht sind, die Helden bloß abzulenken. Eine gewichtige Aufgabe bei die Vertreibung des Malmers von Llanka wird dafür relativ grob auf wenigen Seiten abgehandelt, während die Geburtshilfe für Dimiona/Eleonora gleich ganze drei Seiten Platz erhält.

Aber auch formal wirkt sich dies aus, so ist das Abenteuer zwar reichlich mit Stadtkarten ausgestattet (die merkwürdigerweise sogar doppelt enthalten sind), dafür fehlen aber durchgehend Gebäudepläne, die stellenweise ausgesprochen wünschenswert wären, z.B. bei der verborgenen Bibliothek oder beim Palast von Baburin, wo die Helden ja nicht nur aus dem Kerker ausbrechen sollen, sondern auch noch bis in Assads Gemächer vordringen sollen und am Ende auch noch aus der gesamten Anlage entfliehen müssen. Hier wäre es vielleicht besser gewesen, auf einen größeren Schauplatz zu verzichten, um an anderer Stelle gründlicher vorgehen zu können.

Interessant finde ich den Hinweis, dass es im Prinzip nicht nötig sei, dass man Schleiertanz gespielt haben muss. Nimmt man vor allem das hochrangige Figurenensemble und vor allem die weitreichenden Aufgaben, die die Helden insbesondere von Sybia erhalten, macht dies für mich nur Sinn, wenn die Helden sich bereits bewährt haben und als Vertrauenspersonen agieren können. Somit mag es vielleicht theoretisch möglich sein, andere Helden zu verwenden oder Schleiertanz gar nicht zu kennen, praktisch halte ich es für sehr unrealistisch. Zudem stellt sich mir an der Stelle auch die Frage, warum zu Beginn der Handlung die Motivation der Helden durch die Ermordung eines Freundes gestärkt werden soll, wenn dieser Freund erst neu eingeführt wird. Hier wäre es sicherlich möglich gewesen, auf eine aus „Schleiertanz“ bekannte Figur zurückzugreifen.

Die „großen“ Entwicklungen werden hingegen sehr glaubhaft und spannend geschildert, vor allem werden den Helden auch genügend Möglichkeiten gegeben, selbst Einfluss auf die Handlung zu nehmen. Insbesondere das Finale lässt viele Varianten zu, je nach Intention und Vorarbeit der Spielercharaktere. Zusätzlichen Reiz gewinnt die Interaktion mit den anderen Figuren dadurch, dass man sich nie sicher sein kann, wo das jeweilige Gegenüber eigentlich steht, verkappte oronische Verschwörer sind schließlich zahlreich vorhanden, was durch die verschleierte Existenz Dimionas nachvollziehbar ist, da sie ja nach wie vor an der Staatsspitze steht.

IV. Fazit
„Schleierfall“ hat seine Stärken meiner Meinung nach eindeutig in einer sehr gelungen Personenriege, mittels der sich der schon im ersten Teil aufgebaute Intrigenplot gut weiterführen lässt, die einzelnen Handlungselemente gerade zu Beginn der Geschehnisse weisen allerdings auch deutliche Schwächen auf.

Bewertung: 4 von 6 Punkten

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