Rezension: Träume von Tod

Vorbemerkung: Letztlich ist die Splitterdämmerung nicht nur eine Auseinandersetzung mit dem Erbe des Dämonenmeisters Borbarad, vor allem steht in jedem Band des Zyklus die Konfrontation mit einer prominenten Schurkenfigur im Vordergrund. „Träume von Tod“ stellt in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar, ist der Antagonist doch niemand anderes als der ehemalige Großmeister der Golgariten, Lucardus von Kemet, wohl eine der düstersten Figuren der jüngeren aventurischen Geschichte. Entsprechend fällt auch die Atmosphäre aus, „Träume von Tod“ von Anni Dürr und Nicole Euler ist ein Ausflug in finstere Abgründe der aventurischen Realität.

In Zahlen:
– Band Nr. 206
– 136 Seiten
– Erschienen am 18.9. 2014

I. Aufbau und Inhalt
Der gesamte Band ist relativ frei gehalten, die Vorgehensweise der Helden ist nicht eng vorgeschrieben, lediglich die Reihenfolge der Ereignisse ist vorgegeben, was sich vor allem daraus ergibt, dass man sich Stück für Stück in Feindesland vorkämpfen muss.

Als Ausgangspunkt wird das Auffinden eines von Untoten bedrängten Boten genommen, der entweder gerettet wird oder den Helden eine Nachricht an die Golgariten- Großmeisterin Borondria hinterlässt, die sie selbst an seiner statt überbringen sollen. Schlagen sie sich dabei einigermaßen wacker, so finden sie sich schnell im Zentrum eines großangelegten Vorhabens wieder: Nach vielen Fehlschlägen wollen die Golgariten die ihnen überantwortete Rabenmark aus den Händen der Dämonenknechte befreien.

Als erstes und wohl auch gefährlichstes Hindernis liegt dabei der Wall des Todes, Schauplatz der Dritten Dämonenschlacht, im Weg. Erste Aufgabe für die Spielercharaktere ist folgerichtig das Auskundschaften des Walls, um eine Schwachstelle zu finden, durch die ihre Verbündeten schlüpfen können. Schnell erkennen sie dabei, dass das größte Problem die Tatsache darstellt, dass der Wall selbst dämonisch belebt ist und ein bloßes Durchkämpfen keinen Sinn macht, solange man ein sich selbst regenerierenden Bauwerk im Rücken hat, das ein Heer sofort wieder von der Nachschubversorgung abschneidet. Somit bleibt ihnen nichts anderes übrig, als tief in den Untergrund vorzudringen und den Dämon zu vernichten. Je nachdem, wie gründlich sie sich dabei umgesehen haben, desto einfacher wird dies, wenn man z.B. auf die Hilfe neuer Verbündeter zurückgreifen kann.

Gelingt dieser lang erhoffte Durchbruch, so ist die nächste Etappe die Eroberung der größten Stadt der Umgebung, Altzoll. Auch hier fällt den Helden zunächst die Kundschafter- Rolle zu, da die Golgariten zu schwach für einen unvorbereiteten Sturmangriff sind, sie brauchen weitere Verbündete und möglichst günstige Angriffsbedingungen bei Altzoll, z.B. durch vorherige Sabotageaktionen.

Zunächst werden einzelne Dörfer der Umgebung vorgestellt, in denen die Helden Mitstreiter finden können. Vor allem handelt es sich aber um desillusionierte Menschen, die seit vielen Jahren unter grausamen Bedingungen leben, was bei vielen eine tiefgreifende Abstumpfung zur Folge hat. Auch moralische Dilemmata finden sich an allen Ecken und Enden: So gibt es in der Ortschaft Altentann Untote, die sich freiwillig in dieses unheilvolle Schicksal gefügt haben, um ihren Freunden und Verwandten auch nach dem Tod noch helfen zu können, die auch noch zu Emotionen und positiven Handlungen fähig sind. Hier eine Boron- gefällige Lösung zu finden, ist keine leichte Aufgabe.

Genauso verhält es sich mit der Suche nach kampfstarken Bundesgenossen. Hier bieten sich drei Gruppierungen an: die Wilde Horde der Barabarin Charyka, die Waldlöwen unter Leomar von Berg und eine Gruppe von Menschenjägern. Charika verfolgt dabei massive Eigeninteressen und erwartet nach einer Befriedung entsprechend mit Land und Privilegien entlohnt zu werden. Leomar möchte primär gegen die Schwarzen Lande vorgehen und seinen Namen wieder reinwaschen, ist allerdings bei offiziellen Stellen nicht gern gesehen. Die Menschenjäger wollen ihren Lebenserwerb (Versklavung von Menschen und sogar Untoten) weiterführen. Lassen sich die Helden nicht darauf ein, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als diese Gruppierung auszuschalten, da sie sonst ihre Gegner verstärkt. Je nachdem, wie erfolgreich die Spielercharaktere hier vorgehen, desto einfacher wird sich der Angriff auf Altzoll gestalten. Um diesen Angriff vorzubereiten, müssen sich die Helden zuletzt in die Stadt begeben und verschiedene Hindernisse ausschalten, wobei das Primärziel die Tötung der Statthalterin Arnhild von Darbonia ist, durch deren Ableben die Verteidiger massiv geschwächt wären.

Mit der Erstürmung der Stadt ist die Arbeit aber mitnichten vollbracht, zu viel Unheilvolles ist in den vergangenen Jahren geschehen, so dass noch viele kleine „Brandherde“ existieren, an denen das Eingreifen wahrer Helden vonnöten ist: Vor allem wird schnell deutlich, dass durch Altzoll eine Humus- Kraftlinie läuft, die nun für einen Konflikt zwischen entfesselten Elementargewalten und den Dämonen/Untoten sorgt. Zudem müssen die Spielercharaktere registrieren, dass ihre Verbündeten ihnen offenbar einiges verschwiegen haben, unter anderem, warum die Golgariten sich intensiv darum bemühen, ein bestimmtes junges Mädchen in ihre Gewalt zu bekommen. Dahinter verbirgt sich die Suche nach der sogenannten Tränenlosen, einer Neunjährigen, die nach einer alten Überlieferung im Widerstreit zwischen Boron und Thargunitoth die Entscheidung zugunsten des Todesgottes bringen soll. Hier werden die unterschiedlichen Fraktionen im Orden mit ihren Zielen und Methoden vorgestellt und den Helden die Mittlerrolle zugewiesen. Aber auch die Drachengarde sucht für Lucardus nach dem Mädchen, was die Helden dazu zwingt, sich selbst einzuschalten.

Schnell wird deutlich, dass Lucardus zudem ein klares Ziel verfolgt, die Eroberung des Humusheiligtums Al´Zul, um die Kontrolle in der Rabenmark endgültig zu erlangen und zugleich ein Ritual durchzuführen, um seine Geliebte Madalena wieder zu beleben. Je nachdem, wie die vorherigen Ereignisse verlaufen sind (vor allem die Streitigkeiten unter den Golgariten), desto mehr Streiter stehen den Spielercharakteren zur Verfügung, um ihrerseits zur finalen Konfrontation nach Al7Zul aufzubrechen.

Vor Ort fällt ihnen die Aufgabe zu, zum Heiligtum vorzudringen, um dort die Konfrontation mit Lucardus zu suchen. Allerdings fällt schon der Weg dorthin schwer, wehrt sich das Heiligtum mit seiner unbezähmbaren Naturkraft doch vehement gegen jegliche Eindringlinge (u.a. mittels eines Erddrachens) und differenziert nur dann zwischen Gut und Böse, wenn die Helden zuvor die Gunst der richtigen Fürsprecher gewonnen haben.

Zuletzt kommt es zum letzten Aufeinandertreffen der alten Waffengefährten Borondria und Lucardus, wobei die Großmeisterin immer noch hofft, ihren Vorgänger aus seiner Verdammnis zu erretten. Zuletzt dürfte keiner der beiden das Schlachtfeld lebend verlassen, genau wie die Tränenlose ihrer Bestimmung folgt und ihr Leben gibt, damit Boron und seine Anhänger triumphieren können.

Im Anhang finden sich schließlich eine Beschreibung der wichtigsten NSCs und eine auf den neusten Stand gebrachte Schilderung des Golgariten- Ordens. Ein Dorfgenerator soll zudem für den Spielleiter als Hilfe dienen, um neben den bereits enthaltenen Ortschaften weitere Dörfer in der Rabenmark zu kreieren.

II. Figuren
Bei der Splitterdämmerung ist die Prominentendichte in allen Bänden bislang relativ hoch, da massiv am Metaplot weitergestrickt wird, hier stellt auch „Träume von Tod“ keine Ausnahme dar, allerdings beschränkt sich die Figurenriege zu großen Teilen auf die Mitglieder der Golgariten.

Die interessanteste und tragischste Konstellation ergeben dabei die ehemaligen Waffengefährten Borondria und Lucardus, deren jahrzehntelange Freundschaft wie auch ihr Antagonismus hier ihr Ende finden. Borondria erhält hier einen würdigen letzten Aufritt, bei dem sie den Helden keinesfalls die Show stiehlt. Und Lucardus stellt eine der tragischsten Schurkenfiguren auf Seiten Bordarads ehemaliger Anhänger dar, verkörpert er doch den aus Liebe handelnden Verräter, der seinen Glauben verloren hat und nun den einmal eingeschlagenen Kurs nicht mehr verlassen kann.

Den Konflikt unter den Golgariten verdeutlichen vor allem der Machtpolitiker Gernot von Mersingen und der Mystiker Saltarez von Jurios, die zwar beide Verbündete der Helden darstellen, durchaus aber auch in Konflikte zu ihnen geraten können.

Mit Arnhild von Darbonia ist zudem auch noch eine klassisch- hassenswerte, weil grausame und opportunistische Schurkenfigur enthalten, die im Mittelteil des Abenteuers beim Kampf um Altzoll die Gegenspielerin der Spielercharaktere darstellt.

Für Nostalgiker ist zudem wieder einmal eine Begegnung mit einer der am längsten etablierten Figuren enthalten, die wider Erwarten alle großen Konflikte seit dem Khomkrieg überlebt hat, der ehemalige Reichsmarschall und heutige Geächtete Leomar von Berg. Erneut verkörpert er das Zünglein an der Waage, indem er seinen Namen weiterhin reinzuwaschen sucht und auch als Söldnerführer immer noch für das Reich gegen Borbarads Schergen streitet.

III. Kritik
Düster. Mit einem Wort trifft dies meinen zentralen Eindruck von dem Abenteuer wohl besonders passend. Dieser Teil der Splitterdämmerung entwirft ein ausgesprochen beklemmendes Bild von Aventurien. Von Beginn an wird eine bedrückende Atmosphäre kreiert, werden die Helden doch schnörkellos und ohne nennenswertes Vorgeplänkel auf die Erforschung des legendären Todeswall angesetzt. Dessen Beschreibung als lebendiges und pervertiertes Bauwerk würde wohl jedem Horrorfilm gut zu Gesicht stehen, wobei die Autoren mit vielen kreativen Ideen aufwarten, um den Spielern das Leben schwer zu machen, was durch anschauliche Bebilderung noch unterstützt wird.

Wie alle Episoden des Abenteuers ist dieser Teil sehr offen gestaltet, es werden viele Optionen angeboten und mehr als ein Weg führt zum Ziel bzw. ist auch dieses meist nicht eindeutig vorgegeben, es sind auch Teilerfolge möglich, die allerdings in der Regel den folgenden Abschnitt dadurch ungleich schwerer werden lassen. Einziger Schwachpunkt im fulminanten Auftakt um den Durchbruch am Todeswall ist die fehlende Karte des Unterbaus, in dem die finale Konfrontation stattfindet. Dafür existieren gute Beschreibungen und Ansichten des oberirdischen Mauerwerks.

Genauso gestaltet sich die Eroberung von Altzoll, auch hier müssen die Helden wichtige Informationen gewinnen, wobei die Aktionen der Spielerhelden immer spürbare Konsequenzen für die folgende Schlacht haben. Besonders spannend dürfte sich hier die Planung der Attentate auf die Anführer der Feinde um Arnhild von Darbonia darstellen.

Ich finde es lediglich etwas schade, dass die ersten beiden großen Kapitel im Prinzip dieselbe Grundhandlung haben, indem die Helden zunächst als Späher fungieren und die feindliche Verteidigung ausspähen und dann eine Ereigniskette zur Eroberung auslösen sollen. Auch wenn beide Kommandoaktionen sich durchaus unterschiedliche spielen, wäre hier mehr Abwechslung wünschenswert gewesen.

Dafür sind es vor allem die kleineren Nebenmissionen, die für mich Highlights darstellen. Gerade in den Dörfern um Altzoll herum wird man mit dem alltäglichen Grauen der Herrschaft der Borbaradianer konfrontiert, wenn man feststellt, wie sehr die Jahre der Unterdrückung und des Terrors die Bevölkerung und ihr Verhalten beeinflusst und tief verändert haben. Als starkes Dilemma habe ich dabei die Zustände in Altentann wahrgenommen, wo einige Einwohner freiwillig ein Schicksal als Untote angenommen haben und nun als akzeptierte und wertvolle Mitglieder der Gemeinschaft agieren. Das geht sogar so weit, dass bereits verwesende Untote von den Dörflern unter Einsatz ihres eigenen Lebens geschützt werden.

Ebenso gelungen gestaltet sich die Figurenriege, die innerhalb der Handlung eine gewichtige Rolle spielt. Vor allem die Verbindung zwischen Borondria und Lucardus sorgt für eine interessante Komponente, wenn der finstere Schurke durch die Freundschaft der Hochgeweihten trotz seiner Untaten menschliche Züge erhält. Dass seine Seele abschließend gerettet werden kann, ist in Zuge der Splitterdämmerung für die Erzschurken ja mittlerweile der Normalfall geworden, passt aber gerade bei einem gefallenen Götterdiener absolut. Borondria, die als Figur auch schon sehr lange existiert und immer wieder als verständige Unterstützerin zu Werke gegangen ist, erhält einen angemessenen, epischen letzten Auftritt.

Der Konflikt innerhalb des Golgariten- Ordens stellt zudem eine passende Abwechslung von den reinen Erkundungs- und Schlachtenplots dar, da das Abenteuer so auch noch um ein politisches Intrigenspiel erweitert wird. Allerdings wird für meinen Geschmack der Handlungsstrang um die Tränenlose in einer Hinsicht etwas vernachlässigt, es fehlen Anregungen, wie die Spieler auch eine Beziehung zu dem Mädchen selbst entwickeln sollen, sie bleibt eher fremd. Umso schwerer wird es, die Motivation herbeizuführen, die die Helden dazu bewegen soll, sie eigenhändig zu ihrer Schicksalserfüllung zu töten. Um diese Überwindung zu erreichen, ist es aber unbedingt notwendig, emotionalen Zugang zu der Figur zu erhalten, um zu wissen, dass diese Handlung wichtig und vertretbar ist.

In Sachen Aufbau und Gestaltung ist das Abenteuer vorbildlich aufgebaut, der Spielleiter erhält alle Informationen, die notwendig sind, um ein möglichst freies Spiel zu gewährleisten, Schauplätze, Figuren und Handlungsoptionen werden ausführlich beschreiben, ohne die Story auf Schienen zu setzen. Kleine Ergänzungen wie der Dorfgenerator sind zudem hilfreich, um etwaige Lücken im Ablauf zu füllen und sind außerdem eine nette Zugabe, um das Spiel in der Rabenmark auch über den geplanten Rahmen des Abenteuers hinaus zu gewährleisten.

Einzig stellt sich mir ein wenig die Frage, warum auch dieses Abenteuer unter dem Label „Splitterdämmerung“ läuft, wenn doch der Thargunitoth- Splitter überhaupt keine Rolle spielt, vielleicht wird dies aber später in der Vernetzung zum Folgeband „Seelenernte“ deutlich.

IV. Fazit
„Träume von Tod“ stellt für mich ein sehr atmosphärisches Abenteuer dar, das die Düsternis der Rabenmark sehr beklemmend und anschaulich transportiert. Die Handlung ist sehr offen und spannend gehalten, wobei mir einige Handlungsteile etwas zu sehr im Grobablauf gleichen. In der Gestaltung ist der Inhalt sehr detailliert aufgebaut und bietet dem Spielleiter sehr viele Hilfen, die Rabenmark und ihre Bewohner lebendig werden zu lassen.

Bewertung: 5 von 6 Punkten

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