Rezension: Aventurisches Bestiarium

Vorbemerkung: Eine Fantasywelt lebt von Helden und Schurken, großen Konflikten und viel Schlachtgetümmel. Ein weiterer wichtiger Faktor, der ein großes Unterscheidungsmerkmal zu realen Begebenheiten darstellt, sind die Wesen, die nicht den Standardvölkern entspringen und im Regelfall nicht kulturschaffend sind. Was wäre in der irdischen Sagenwelt Siegfried ohne den Drachen gewesen, Beowulf ohne das Sumpfmonster Grendel oder Herkules ohne die Hydra? Auch Aventurien verfügt über eine reichhaltige Population an Monstern jeglicher Couleur, ohne die die Welt nicht denkbar wäre. So passt es denn auch ins Bild, dass der erste wichtige Hintergrundband für DSA5 nach dem Grundregelwerk den Titel „Aventurisches Bestiarium“ trägt.

In Zahlen:
– Aventurisches Bestiarium
– 128 Seiten
– 40 Ungeheuer und 28 Tiere
– Preis: 27,95 Euro
– Erschienen am 21.12. 2015

I. Aufbau und Inhalt
Der Band weist in der Einteilung zwei große Oberkategorien auf durch die Trennung der beinhalteten Wesen in Ungeheuer und Tiere. Erste kenntliche Unterscheidung ist die Textmenge, die Ungeheuer werden jeweils doppelseitig beschrieben, während die Tiere mit einer Seite vorlieb nehmen müssen.

Eine einheitliche Klassifikation des Begriffes Ungeheuer bleibt aus, gemein ist allen, dass sie zumindest theoretisch ein gewisses Bedrohungspotential aufweisen. Der grundsätzliche Aufbau jeder Doppelseite ist gleich: Zunächst steht am Anfang ein kurzer Quellentext, in dem z.B. eine Begegnung mit der jeweiligen Kreatur geschildert wird. Darauf folgen ein paar allgemeine Angaben wie z.B. die äußere Erscheinung oder besondere Merkmale. Dann wird auf die Verbreitung eingegangen, die z.B. auch regionale Schwerpunkte aufweisen kann oder historisch gesehen Populationswandlungen unterworfen ist, zum Schluss erfolgen ein paar Anmerkungen zur Lebensweise. Alle Wesen erhalten zudem einen umfangreichen Wertekasten, der natürlich vor allem das Kampfverhalten einer Kreatur in den Vordergrund stellt, es gibt aber auch Angaben darüber, was Helden über Talentproben in Erfahrung bringen können. Jedes Ungeheuer wurde zudem mit einer vollfarbigen Illustration versehen. Das Spektrum ist dabei enorm weit gefächert, neben klassischen Monstern von großen Ausmaßen wie einigen Drachenformen sind auch eine Reihe von Dämonen berücksichtigt worden, genauso wie einige Typen von Untoten. Nicht alle Wesen sind per se blutgierige Monster, genauso werden auch potentiell freundliche Wesenheiten wie z.B. Nymphen oder Kobolde beschrieben. Auch sind nicht alle Wesen klassische Einzelgänger oder eher tierischen Ursprungs, es gibt ebenfalls kulturschaffende Völker wie z.B. Grolme oder Yetis. Mit Chimären wie dem Mantikor oder der Wolfsechse wurden zudem auch solche Kreaturen aufgenommen, die nicht natürlichen Ursprungs sind, sondern die Folge menschlicher Eingriffe in die Natur sind.

Unter den Begriff Tiere fallen in erster Linie diejenigen, die über ein irdisches Pendant verfügen. Darunter sind aber durchaus auch einige, die einer Heldengruppe gefährlich werden können (z.B. Alligatoren, Jaguare oder Piranhas), daneben auch solche Tiere, die sich als Nutztiere oder Jagdwild eignen. Hier erfolgt ein kurzer Beschreibungstext, wobei die äußere Erscheinung nur knapp erwähnt wird und vor allem auf das Verhalten eingegangen wird. Auch hier gibt es jeweils eine Illustration und einen Wertekasten.

Neben der Vorstellung von Einzelexemplaren an Tieren und Ungeheuern enthält der Band auch einige Regelergänzungen. So verfügen einige Wesen über Sonderfertigkeiten, die in einem einführenden Kapitel erläutert werden. Umgekehrt hat der Kontakt zu den unterschiedlichen Kreaturen auch Auswirkungen auf Helden, was sich in Vor- und Nachteilen ausdrückt. Hierbei handelt es sich durchaus auch um solche, die schon im Grundregelwerk enthalten sind, hier aber noch eine spezifische Ausprägung auf bestimmte Wesen erhalten. Zuletzt finden sich auch ein paar grundlegende Anmerkungen zur Verwertung von Tieren, z.B. über Ablösung von Fellen oder Giftgewinnung.

II. Kritik
In einem Aspekt kann das Bestiarium direkt punkten: Hier zahlt sich die neue Vollfarbigkeit der DSA5- Produkte absolut aus, da so jedes einzelne Wesen – das gilt für Ungeheuer wie auch für die Tiere – seine Illustration erhält. Sicherlich hat dabei vieles auch mit persönlichem Geschmack zu tun und nicht jedes Bild mag einem gleich gut gefallen, für mich jedenfalls bereichert es das Bestiarium ungemein, wobei meine Highlights der Gletscherwurm und der Höhlendrache sind sowie der Shruuf, der hier für mich das erste Mal als ernsthafte Bedrohung wahrnehmbar wird. Gerade eine Publikation, die der Veranschaulichung einer Spielwelt dient, kann von der neuen Designentscheidung nur profitieren.

Nimmt man zudem die einzelnen Artikel, so halte ich sie für durchweg gut verfasst, gerade Einsteiger erhalten hier gute und umfassende Informationen zu den einzelnen Wesenheiten, die Wertekästen sind zudem für den Spielleiter nützlich, um Abenteuer auszugestalten. Dass dies für die Kategorie der Tiere deutlich knapper ausfällt, ist insofern passend, da es sich dabei in der Regel um solche mit irdischen Pendants handelt, also lediglich Angaben zur „Aventurisierung“ notwendig sind.

In diesem Punkt wären wir generell bei meinem zentralen Einwand angekommen: Vor allem im Bereich der Ungeheuer fehlen mir viel zu viele Standardwesen, die in unzähligen Abenteuern vorhanden sind (z.B. Khoramsbestie, Harpye, Oger, Werwolf etc.). Letztlich bietet der gesamte Band lediglich 68 Wesen, was meiner Meinung nach eine eher bescheidene Zahl darstellt, wenn man davon ausgeht, dass der Band zur Ausgestaltung von Abenteuern Verwendung finden sollte.

Das ist natürlich nicht zufällig geschehen, schließlich wurde schon im Vorfeld erwähnt (was auch im Vorwort des Bandes noch einmal unterstrichen wird), dass das Bestiarium beileibe keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, sondern eben exemplarisch Wesen darstellt, die zur Bereicherung der Spielwelt dienen sollen. Somit handelt es sich um eine bewusste Designentscheidung.

Allerdings ist es eben eine Designentscheidung, die ich für weniger gelungen halte, weil ich so eher eine gewisse Beliebigkeit empfinde, da aus allen Bereichen (Drachlinge, Chimären, Untote, Nagetiere, Dämonen etc.) Wesen exemplarisch enthalten sind, DSA-Kenner aber können überall auch reihenweise Kreaturen finden, die hier fehlen. Sicherlich wird der Almanach – der ja anders als das Bestiarium nunmehr Verbindlichkeitscharakter zugestanden bekommen hat – hier noch einiges zusätzlich beinhalten, trotzdem hätte ich mir hier deutlich mehr Wesen gewünscht (Zumal ich ohnehin etwas irritiert darüber bin, dass der Almanach auch solche Inhalte enthält, hier hätte ich eine Bündelung eben sinnhafter empfunden).

Dabei stellt sich mir beispielsweise auch die Frage der Platznutzung: Die Doppelseitigkeit bei den Ungeheuern bietet natürlich viel Raum für eine umfassende Beschreibung, allerdings halte ich sie bei vielen Wesen für nicht unbedingt notwendig. Wozu brauchen z.B. absolute „Standardwesen“ wie Skelette oder Zombie, die im Prinzip als Monster in der Populärkultur allgemein bekannt sein dürften, wirklich einen so ausführlichen Fließtext?

Generell hätte ich ohnehin einen anderen Gesamtumfang für wünschenswert gehalten, eine derartig reiche Spielwelt wie Aventurien verfügt – auch durch die lange Gestaltungszeit von über 30 Jahren – über weit mehr Wesen, selbst wenn man sich nur auf einen Grundstock reduziert. Beispielsweise fehlen fast durchgehend die Meeresbewohner (sieht man von ein paar Tieren ab), spielt man in Thorwal, will man sicherlich Seeschlangen oder die verehrten Wale nicht missen. Ich persönlich wäre bei einem derart basalen Band sicherlich dazu bereit gewesen, ein paar Euro mehr zu investieren, wenn dafür mehr Inhalte geliefert worden wären (was aber verlagstechnisch bestimmt eine heikle Frage ist).

III. Fazit
Das Bestiarium liefert einerseits den endgültigen Beweis für die Sinnhaftigkeit der Entscheidung, DSA5 vollfarbig zu gestalten, andererseits ist aber meiner Meinung nach die Chance verpasst worden, einen umfassenden Monsterband zu kreieren. Die Texte sind durchweg gut verfasst, allerdings beschränkt sich der Band lediglich auf eine exemplarische Beschreibung von insgesamt nur 68 Wesen. Paradoxerweise bedeutet das, dass ich an den Inhalten, die vorhanden sind, kaum etwas auszusetzen habe, leider aber halte ich die dahinter stehende inhaltliche Designentscheidung für falsch.

Bewertung: 3 von 6 Punkten (wer mit der Designentscheidung eines exemplarischen Bestiarium einverstanden ist, kann dabei aber getrost 1-2 Punkte dazupacken)

6 Kommentare

  1. Ich finde es leider auch sehr dünn. Man kann es lediglich zum druchblättern verwenden, schön gemacht keine Frage. Stimmung kommt beim Lesen hier leider nicht auf, wenn nach dem Basilisken direkt der Biestinger erscheint. Schade, habe mich aufgrund der vollfarbigen Darstellung sehr auf den Band gefreut gehabt.

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  2. Danke für die übersichtliche Rezi.
    Jetzt mal Hand auf’s Herz: Sind die Artikel wirklich gut geschrieben? In den Previews ist mir und anderen besonders dies negativ ins Auge gestochenen. Ich habe z.B. gegenüber Kuanor als Beta-Tester darauf hingewiesen, da mehr drauf zu achten. Höhepunkt war für mich der Große Schröter. Gerade bei dieser geringen spielrelevanten Inhaltsdichte, muss Ausdruck etc. einen hohen Standard aufweisen. Gab es da vor Druck also noch deutliche Besserung? Ich bin bisher eher nicht geneigt, das Buch zu kaufen bzw. wenn dann eh nur das PDF.

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    1. In der Hinsicht kann ich ehrlich nichts Negatives sagen, die Artikel fand ich durchweg relativ informativ. Umgekehrt gibt es sicherlich Experten, die schlichtweg tiefer in der Materie stecken und die tiefergehende Vergleiche zu früheren Publikationen ziehen können und denen dann Widersprüche eher auffallen. Das ist aber nicht mein Anspruch, letztlich interessiere ich mich dafür, ob mir ein solcher Text einen möglichst lebendigen Eindruck von der jeweiligen Kreatur gibt. Und das ist bei mir der Fall.

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  3. Ja, so einen Ork oder Goblin als Heldenstandartgegner hätte ich schon auch gerne mit dringehabt. Aber vielleicht kommen die im Almanach mit rein. Zumindest der Oger soll ja im Almanach vorgestellt werden. Kommen Meeresmonster und -tiere dann im Meeresband? Diesbezüglich hat sich der Band ja auch etwas zurückgehalten. Aber ansonsten bin ich ebenfalls ganz zufrieden mit dem Bestiarum.

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    1. Die Standardviecher kommen tatsächlich in den Almanach mit rein. Jetzt, wo man ihn quasi zum zweiten Teil des Basisregelwerks erklärt hat, macht das ja auch Sinn.

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