Rezension: Rahjasutra

Vorbemerkung: Sollte ich eine Liste erstellen mit den ungewöhnlichsten Rollenspielprodukten, mit denen ich mich je beschäftigt habe, müsste ich keinen Moment nachdenken, das Rahjasutra nimmt in dieser Hinsicht zweifellos unangefochten den Spitzenplatz ein. Auf jeden Fall muss man Ulisses zugestehen, hier eine extrem mutige Idee gehabt zu haben, nicht viele Verlage sind wohl bisher auf den Gedanken gekommen, einen Ingame-Liebesberater zu veröffentlichen.

In Zahlen:

– 160 Seiten

– Preis: 19,95

– erschienen am: 20.6. 2016

I. Aufbau und Inhalt

Grundsätzlich ist das Rahjasutra aufgemacht wie ein Vademecum-Band, also kleinformatig und als Ingame-Text ohne spielrelevante Anmerkungen und Regeln. Eingangs stellt sich der Autor Fran Cesco di Ubontris persönlich vor und verrät einiges über seine Inspirationsquellen (vor allem über eine Geliebte, die er als 15jähriger hatte). Eine dieser Quellen ist eben das eigentliche Rahjasutra, ein altes Lehrwerk über die Liebe und ihre Begleitfelder, verfasst vor über 700 Jahren in Alt-Tulamidya. Somit handelt es sich bei dem vorliegenden Werk eher um eine Interpretation di Ubontris. Dadurch existiert auch ein klarer Fokus auf die Begebenheiten im Süden Aventuriens, weshalb oft die männliche Sichtweise dominiert, wobei auch ausschließlich auf die Liebe unter Menschen eingegangen wird, andere kulturschaffende Spezies werden ausgeblendet.

Überraschenderweise beginnt der Band zunächst mit einigen Anmerkungen über Enthaltsamkeit und Meditation, bevor tatsächlich der Weg zum perfekten Liebhaber erläutert wird, allerdings auch hier zunächst mit dem Blick auf Begleitphänomene wie (Körper-)Kunst, Musik und Tanz.

Das Kapitel „Begehren, Leidenschaft und deren Erfüllung“ stellt schließlich den Kern des Bandes dar und ist mit insgesamt 60 Seiten auch die längste Passage. Hier werden tatsächlich die verschiedensten Liebespraktiken beschreiben, wobei auch gleichgeschlechtliche Liebe berücksichtigt wird.

Aber auch kulturelle Phänomene finden Aufnahme, z.B. die Kunst des Werbens und verschiedene Formen der Ehe. Eine Passage ist zudem dem Leben im Harem gewidmet, wobei sowohl auf die dort lebenden Frauen eingegangen wird, als auch auf die Möglichkeit für Männer, Zutritt zu einem solchen Ort zu erlangen.

Liebe und Beziehungen verlaufen oft in unterschiedlichen Phasen. Dazu wird sich auf das erste Kennenlernen und mögliche Lesarten der Reaktionen der Geliebten bezogen, im Negativen kommen zudem Ehestreit und sogar das Erlöschen der Liebe dazu. Für letzteren Fall sind sogar Hinweise enthalten, wie man sich verhalten soll, um den überdrüssig gewordenen Partner loszuwerden.

Zuletzt werden noch besonders pikante Aspekte des Themenkomplexes angesprochen, zum Beispiel die käufliche Liebe und nach welchen Spielregeln diese verläuft. Auch wird die Frage beantwortet, wann und wie man das Liebesspiel durch Hilfsmittel in Form von Kräutern, Früchten und Tinkturen anreichern kann.

II. Kritik

Ich habe in den letzten Jahren fast alle DSA-Printprodukte rezensiert, mal mit richtig guten, mal mit weniger positiven Ergebnissen. Aber tatsächlich hat mich keines davon derart ratlos zurückgelassen: Ich finde leider keinen Ansatzpunkt, um hier für mich irgendeine Spielrelevanz zu sehen. Das hat auch nichts mit dem Thema Sex zu tun oder gar der Auffassung, das sei ein Thema, das im Rollenspiel nichts zu suchen habe.

Gerade durch Figuren wie die Rahjageweihten und den Rahjaglauben ist die Thematik in der Spielwelt verankert und das auch nicht auf eine peinliche Art und Weise, sondern mit einer durchaus tiefgehenden Philosophie, die sich dahinter verbirgt und auch in zahlreichen Abenteuern eine Rolle spielt. Durch die Ereignisse in Oron und durch die Existenz einer antagonistischen Entität wie Belkelel ergeben sich daraus auch interessante Spielelemente.

Aber in diesem Kontext frage ich mich, welche Relevanz das Rahjasutra haben soll, vor allem, wo der aventurische Zugriff auf das Thema erkennbar sein soll? Ich  habe im Prinzip nichts anderes als die bloße Übertragung selbstverständlicher irdischer Kontexte gefunden, die allerhöchstens durch Begrifflichkeiten aventurisiert werden, nichts jedoch, was in irgendeiner Form neue Impulse geben könnte. Schade ist in dieser Hinsicht der eingeschränkte Fokus auf die Tulamidenlande, wodurch alle anderen aventurischen Spezies vollkommen ausgeklammert werden. Genau dies lässt es eben eher irdisch wirken, mehr wie eine Ergänzung zu einer amourösen Gestaltung von Märchen aus 1001 Nacht, was dann auch die Beschränkung auf die männliche Perspektive mit sich bringt, die ja in Aventurien eigentlich überwiegend eben nicht gilt.

Manche Passagen sind in extrem irritierend gestaltet, mit der typischen DSA-Kleinschrittigkeit, wenn z.B. Klassifizierungen für Bissmale und Kussarten entwickelt werden, bei denen ich mich schon frage, wann diese wohl jemals in Spielgruppen zum Einsatz kommen werden. Dabei ist die sprachliche Gestaltung zwar überwiegend akzeptabel, stellenweise finden sich aber auch ausgesprochen platte Formulierungen wie „Frauen wie Stuten sehnen sich nach einem Hengst“ oder merkwürdig anmutende Hinweise wie „“Achte stets auf ausreichende Nässe ihres Schoßes“. Ohnehin empfinde ich die ständigen Rückgriffe auf Tier- und Waffenvergleiche eher etwas albern. Etwas überhand nehmen zudem die viel zu häufig verwendeten listenartigen Aufzählungen in vielen Kapiteln.

Ich bin ein großer Anhänger der Vademecum-Reihe, eben weil diese den Geweihten mehr Profil verleiht, durch exemplarische Rollenvorbilder oder auch explizite Spieltipps. Warum aber der Rahjageweihte neben dem Vademecum auch noch einen solchen Ingame-Band benötigt, bleibt für mich unklar. Und für die übrigen Heldentypen dürfte es auch eine Frage des Spielstils sein, ob sie der Liebesthematik derartige Bedeutung zumessen, dass sie in dieser Breite am Spieltisch aufgegriffen wird.

Grundsätzlich ist es schade, dass der Band insgesamt eher wenig aventurische Originalität aufweist, da er sehr aufwändig gestaltet wurde, unter anderem mit knapp 20 Zeichnungen, die jeweils eine Seite einnehmen. Für meinen Geschmack sind diese zwar endlos kitschig, passen aber gerade in dieser leichten Überzeichnung durchaus gut zum Inhalt und den Texten, sind aber damit wohl auch für den höheren Preis im Vergleich zu den Vademeci verantwortlich.

III. Fazit

Leider stellt das „Rahjasutra“ eine Publikation dar, die gänzlich an dem vorbeigeht, was ich für ein Rollenspiel in irgendeiner Form sinnvoll empfinde. Vor allem fehlt mir die Darstellung Aventuriens, letztlich sind mir die irdischen Anleihen viel zu dominant durch die Verengung des Fokus auf den aventurischen Süden. Das mag natürlich auch Geschmackssache sein, ich vermute, dass es sich generell um ein Produkt handelt, das polarisieren wird, sowohl von der Thematik her als auch von der inhaltlichen Gestaltung. Sicherlich wird es da auch Spieler geben, denen der Band sehr gefällt, eben vor allem solchen, die neben reinen Abenteuerhandlungen auch dem Alltag mehr Gewichtung beimessen. Bei mir jedoch sorgt das Rahjasutra letztlich für enorme Irritationen, wozu dieser Band notwendig sein soll.

Bewertung: 1 von 6 Punkten

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