Retro-Check: Wie Sand in Rastullahs Hand

Vorbemerkung: Eigentlich sollte hier ein Retro-Check zu „Das Schiff in der Flasche“ stehen, aus traurigem Anlass habe ich aber die Reihenfolge geändert. Vor ein paar Tagen ist mit Jörg Raddatz einer der prägenden Köpfe hinter den DSA-Kontinenten Aventurien und Myranor viel zu früh verstorben. Schaut man sich an, an wie vielen – teils absolut maßgeblichen – Publikationen Jörg Raddatz beteiligt war, erkennt man, dass er sich sehr viele Verdienste erworben hat, die bis in die DSA-Gegenwart hineinreichen. Auch ich kann einige seiner Beiträge zu meinen Lieblingsbänden zählen. Im Klassikerbereich ist mir dabei eindeutig „Wie Sand in Rastullahs Hand“ in Erinnerung geblieben, weil hier mein Khombild stark geprägt wurde. Von daher möchte ich hier noch einmal ein wenig in nostalgischer Rückschau verbleiben, eben auch als tiefe Verbeugung vor Jörg Raddatz.

In Zahlen:

– Abenteuer Nr. 17

– Stufen 5-9

– 48 Seiten

– Erschienen 1989

I. Aufbau und Inhalt

Nach einer kurzen Erläuterung der Vorgeschichte (in Form eines Vorworts von Ulrich Kiesow) beginnt das Abenteuer in üblicher Weise schnörkellos, indem die Helden im Rahmen eines Vorlesetextes von Stover Stoerrebrandt ihren Auftrag erhalten: Nachdem in Unau durch verwickelte Umstände der ehemalige Großwesir Abu Tarfidem die Sultanswürde übernommen hat, beansprucht dieser den bornischen Handelsposten im Süden, die Stadt Kannemünde. Da damit auch die wichtigen Salzlieferungen eingestellt würden, beauftragt der Handelsmagnat sie, seinen Ansprüchen Geltung zu verschaffen.

Die Anreise auf dem Schiff „Adler von Festum“ wird komplett ausgespart, auch der Aufenthalt in Kannemünde ist auf ein Minimum reduziert, da die Helden hier nur in Erfahrung bringen können, dass der Leiter des dortigen Handelskontors verschwunden ist, seit er sich nach Unau begeben hat. Ihre erste wirkliche Bewährungsprobe müssen sie aber erst auf der Reise mit der Karawane des Händlers Abidallu Spinalis ablegen, als sie an ein Karawanserei gelangen, das offensichtlich von einigen Echsenmenschen besetzt wurde.

In Unau selbst angekommen, müssen sie feststellen, dass die Herrschaft Abu Tarfidems offenbar keineswegs segensreich für die Menschen der Stadt ist, besonders die Stadtgardisten, die sogenannten Gelbherzen, erweisen sich als Handlanger eines Terrorregimes. Tatsächlich wird die Gruppe schnell in Ereignisse verwickelt, die weit mehr als nur Handelsabkommen beinhalten, stattdessen erweist sich, dass die Geschehnisse eine viel größere politische Tragweite für die gesamte Region haben (z.B. gab es Mordanschläge auf den ungeliebten neuen Sultan). In der Folge müssen die Helden einerseits die regionalen Machtverhältnisse ergründen (und später geraderücken), andererseits auch feststellen, dass weit mehr als politische Ränkespiele stattfinden, sondern auch echsische Umtriebe sich häufen, deren Drahtzieher und Hintergründe zunächst noch im Dunkeln liegen.

II. Figuren

Das Abenteuer beinhaltet eine beachtliche Reihe von Figuren, die in den Folgejahren sehr prägend für den Metaplot waren (und z.T. immer noch sind). Stoerrebrandt als Auftraggeber stellt quasi eine Standardvariante dar, ist der alte Handelsmagnat doch gerade in früheren Jahren ein häufiger Initiator. Vor allem aber werden hier schon Weichensetzungen für den folgenden Khomkrieg gelegt, insbesondere mit Mustafa von Unau, dem späteren Kalifen wird hier die Zentralfigur vorgestellt. Allerdings wird er hier noch deutlich anders als in späteren Publikationen dargestellt. Der Junge Sultansanwärter ist – anders als der spätere Kalif – weniger ambivalent ist seiner Charakterisierung, vor allem fehlt es an der Skrupellosigkeit zur Durchsetzung der Ziele. Einen kurzen, aber durchaus prägnanten Auftritt hat zudem Jikhbar ibn Tamrikat, Mustafas Mentor.

Als Graue Eminenz bleibt der eigentliche Antagonist, der Sultan Abu Tarfidem, völlig im Hintergrund, allerdings ist er durch seine Handlanger und durch seine Pläne als Strippenzieher für die Helden trotzdem allgegenwärtig.

III. Kritik

Im Vergleich zu vielen anderen der älteren Abenteuer hat „Wie Sand in Rastullahs“ Hand bei mir einen sehr bleibenden Eindruck hinterlassen, was vor allem an der für damalige Zeiten relativ gut ausgearbeiteten Hintergrundgeschichte liegt, zudem wurde hier weitgehend auf die komplett unrealistischen Konstruktionen vieler früher Bände verzichtet. Zwar sind viele Ortbeschreibungen vorhanden, diese sind aber immer auch mit Handlungsfortschritt verbunden und sind somit nicht statisch gehalten, was z.B. bei den Geschehnissen im Karawanserei deutlich wird, wo auch alternative Handlungsschritte berücksichtigt werden. Die Intrigenstory um Mustafa wird relativ konsequent betrieben und mit interessanten Figuren ausgeschmückt, was schon auf der Reise mit der Karawane beginnt und sich dann auf der Suche nach Mustafa fortsetzt. Schade ist hier lediglich, dass Abu Tarfidem als Antagonist kaum greifbar wird, steht er doch im Hintergrund als Strippenzieher (eine mögliche Begegnung in einem finalen Kampf wird lediglich mit einem Halbsatz abgehandelt). Die Gelbherzen fungieren zwar als verhasste Schergen, aber gerade hier fehlen individuelle Charaktere.

Vieles ist zwar mit dem heutigen Aventurien nicht mehr kompatibel, vor allem die Involvierung der Echsen, allerdings ist die Weichenstellung hin zum Khomkrieg klar erkennbar, gerade wenn – wie in unserer damaligen Gruppe – dieselben Helden später dort zum Einsatz kamen. Ohnehin bietet es sich an, das Abenteuer den beiden Teilen von „Der Löwe und der Rabe“ eine Art von Prolog vorzuschalten. Gerade die Figur des Mustafa von Unau gewinnt so an Facettenreichtum, wenn man so den Abgleich erhält zwischen den jungen Sympathieträger und dem teils sehr skrupellosen Kalifen, den der Kampf um die Macht hart werden lassen hat.

Sehr gut gelungen ist die Beschreibung der Zustände und Lebensverhältnisse im Kalifat, ohnehin wirkt vieles auf eine angenehm-altmodische Weise wie einem Karl May- Roman oder Film entnommen (und zumindest in der Szene auf dem Salzsee hat allem Anschein nach „Durch die Wüste“ ganz konkret Pate gestanden, wobei mit der Erwähnung der Reiseberichte des Kara Ben Yngerymm auch vom Autor selbst Referenzen erstellt wurden). Zudem gewinnt das Abenteuer durch Einbeziehung der Reiseabschnitte mit starkem Wüstenflair und die Recherche in den Städten Kannemünde, Unau und Keft an Abwechslungsreichtum, in Spannungsfeld zwischen dem klassischen Wüstenabenteuer und der Intrigenhandlung, durch die das Handeln der Helden eine besonders große Tragweite erhält, verhelfen sie doch immerhin Mustafa in eine hohe Machtstellung innerhalb der gesamten Region.

In der Frage der Spielerlenklung zeigen sich natürlich an vielen Stellen deutlich noch die alten Vorstellungen, die in vielen Bänden der Anfangszeit auch gebetsmühlenartig wiederholt werden, hier wird teilweise viel zu sehr gelenkt, die narrative Struktur verlangt häufig eine bestimmte Handlungsfolge, zu der selten Alternativen angeboten werden. Besonders deutlich wird dies bei einer unabwendbaren Verhaftung der Helden, wobei der Spielleiter angewiesen wird, zur Not eben so viele Gelbherzen heranzuziehen, „wie es dem Temperament der Spieler angemessen erscheint“. Immerhin wirkt dies durch die diktatorischen Zustände in Unau, wo man dem Terrorregime ausgesetzt ist, nicht komplett abwegig.

IV. Fazit

„Wie Sand in Rastullahs Hand“ verfügt über eine gute Hintergrundgeschichte, die den Helden die Gelegenheit gibt, das Schicksal einer ganzen Region zu beeinflussen, wobei zudem alle Register eines gelungenen Wüstenabenteuers gezogen werden und interessante NSCs verwendet werden. Stilistisch sind einige der „Kinderkrankheiten“ alter Abenteuer zu erkennen, die man heute abändern müsste, vor allem bedingt durch die narrative Struktur, die einige sehr enge Schienen setzt.

Was meine Achtung vor Jörg Raddatz noch erhöht, ist die Tatsache, dass er zum Veröffentlichungszeitpunkt des Abenteuers gerade einmal 18 Jahre alt war. Es ist unheimlich schade, dass er nun nicht mehr an der Zukunft von DSA weiterarbeiten kann. Was bleibt, sind aber bei vielen von uns unzählige Stunden von Spiel- und Lesespaß, die er mit seinen Werken bereitet hat. Vielen Dank!

Retro-Faktor: gut

3 Kommentare

  1. Dieses Abenteuer hat mich – neben „Staub und Sterne“ – geprägt wie kein anderes. Noch heute hallt die Stimme unseres damaligen Meisters als Stover in den Ohren („Chichanebi- was für ein fürchterliches Wort!“). Die Reise über den Salzsee ist nach über 25 Jahren immer noch als spannendes Erlebnis in guter Erinnerung (als Zwerg in der Wüste…), ebenso das Finale („So Jungs, langsam, gaaaaaaanz langsam, wir wollen diese großen Krötenviecher doch nicht aufwecken…“). Da stimmte einfach alles, selbst (oder gerade?) dass das Volk, nicht die Helden am Ende den Ursurpator zur Strecke bringen.
    Und wenn man hört das der Autor kaum älter war als man selbst (wie man dank dieser tollen Rezension erfährt, danke dafür!) bleibt nur für die tiefste Verneigung vor diesem Autoren und Menschen….

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