Rezension: Alter Stein

Vorbemerkung: Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen im Dezember ist das regelmäßige Schmökern in den Beiträgen zum Nandurion-Adventskalender, in denen immer eine bunte Mischung von Kolumnen, Rezensionen und Spielmaterial zu finden ist. Dieses Mal war mit Alter Stein auch ein Abenteuer aus der Feder der Nanduriaten Cifer und Curima dabei, das somit natürlich meine besondere Aufmerksamkeit erweckt hat.  Zeit also für einen kleinen Ausflug in nostrische Gefilde, um den Ereignissen im Dörfchen Harmlyn genauer auf den Grund zu gehen.

I. Aufbau und Inhalt

Grundsätzlich ist das Abenteuer recht frei gehalten: So erhält der Spielleiter zunächst eine kurze Erläuterung der Vorgeschichte, woraufhin zunächst die handelnden Personen und die Ortschaft selbst vorgestellt werden. Da es sich um eine konfliktgeladene Geschichte handelt, werden als einzige konkrete Handlungsschritte einige mögliche Eskalationsstufen aufgezeigt. Weil ein hoher Rechercheanteil vorhanden ist, folgt im Anhang eine Liste der Informationen, die sich im Laufe der Ereignisse ermitteln lassen.

Inhaltlich ist der Abenteueranlass vordergründig eher simpel: Ein Bauer bittet die Helden, dem Knecht Sapertyn beizustehen, der bei einem Diebstahl im örtlichen Praiostempel ertappt wurde und auf den nun eine harte Strafe wartet. Bauer Frenglion Onderbruk glaubt aber nicht an dessen Schuld und hofft, dass die Helden die Hintergründe aufklären können. Bald gerät dabei ein lokaler Hexenzirkel als möglicher Verursacher in den Fokus.

Schnell stellt sich heraus, dass in der Ortschaft aktuell ein Konflikt herrscht, wobei sich als Fraktionen die Geweihten des Praiostempels und der Hexenzirkel gegenüberstehen, während die Bewohner des Ortes zwischen die Fronten zu geraten drohen. Genau diese drei Gruppen werden folgend in Kurzbeschreibungen vorgestellt. Dabei gibt es in jeder Gruppierung gleichermaßen besonnene NSCs als auch solche, deren aufbrausendes oder unüberlegtes Handeln zur Eskalation beitragen kann. Ebenso finden sich überall Figuren, die sich kompetent ihrer Haut erwehren können und eben auch diejenigen, die tendenziell auf Hilfe angewiesen sind. Zudem haben nicht wenige NSCs irgendeine Form von Geheimnis, das unter Umständen handlungsrelevant sein kann. Zentraler Schauplatz vieler Geschehnisse ist der Praiostempel, weshalb dieser detailliert beschrieben wird und zudem im Anhang eine vollfarbige Kartenskizze spendiert bekommen hat.

Viele denkbare Handlungen lassen sich den Figurenbeschreibungen entnehmen. Zusätzlich finden sich aber noch Handlungsvorschläge, in welcher Form die Konflikte aufgebaut werden können. Dabei werden die Aktionen beider rivalisierenden Gruppen skizziert, die im Regelfall einem Schema von Aktion und Reaktion folgen, wobei mit jedem Zug einer Seite die Gewaltspirale hochgeschraubt wird. Scheitern die Helden mit Lösungs- und Vermittlungsversuchen kann dies theoretisch bis zum Verderben führen, in dem beide Seiten größtmöglichen Schaden verursacht haben, der nur noch durch äußeres Eingreifen eingedämmt werden kann.

Die Aufgabe der Helden ist dabei prinzipiell eher nicht kriegerisch definiert, stattdessen handelt es sich eher um ein Abenteuer, in dem ihre Recherchefähigkeiten und das diplomatische Geschick gefragt sind. So ist der Anhang dominiert von den Hinweisen, mit denen die Spielercharaktere die Hintergründe aufschlüsseln können, die letztlich weit in der Vergangenheit liegen. Getreu der Präferenz einer eher gewaltfreien Lösung ist das Abenteuer regelfrei angelegt, d.h. die Figuren haben keinerlei Kampfwerte.

II. Kritik

Natürlich wird schon an der Kurzbeschreibung deutlich, dass auf einen Spielleiter hier jede Menge Arbeit in der Ausgestaltung wartet, da Handlung eben nur in ausgesprochen grober Skizzierung vorliegt. Allerdings wird dies umgekehrt durch die guten Figurenbeschreibungen kompensiert, die vor allem die Handlungsmotivation und die Beziehungsebene mit Inhalt füllen, so dass es tatsächlich möglich ist, diese frei agieren zu lassen.

Hier gefällt mir auch die durchdachte Zusammensetzung: Beispielsweise sind die Praoisgeweihten bunt durchmischt, so dass jede Figur andere Facetten bedienen kann. Während die Tempelvorsteherin Praiadne eher umsichtig agiert, erfüllt der Geweihte Helfried mehr das Klischeebild des unversöhnlichen Fanatikers, während der ehemalige KGIA-Agent Salvyron für die wehrhafte Komponente sorgt. Die Hexen dagegen verfügen mit Selma über eine vor Ort lebende und akzeptierte Persönlichkeit, die aber ihre Schwestern Lynia und Noraletha kaum im Zaum halten kann, die schnell in Zorn geraten. Dazu kommt die erfahrene Kendra, die auf eher leisen Pfaden ihre eigenen Nachforschungen betreibt. Somit verfügen beide Gruppierungen über eine durchaus beträchtliche Schlagkraft, die eine Heldengruppe durchaus auf eine schwere Probe stellen kann.

Die Dorfgemeinschaft hingegen ist weit weniger befähigt, allerdings sind auch hier Charaktere vorhanden, die mit ihren teils wenig durchdachten Handlungen Bewegung in die Ereignisse bringen können. Diese gelungene Mischung führt dazu, dass die Helden überall Anknüpfungspunkte und Kontaktpersonen finden können, genauso aber schnell auf NSCs stoßen, die sie als Antagonisten wahrnehmen. Zwischen den Gruppierungen ist aber keineswegs eine Trennung im Sinne von den Polen Gut und Böse existent, vielmehr liegt in der Recherche die Gelegenheit, hier schärfer differenzieren zu können. Im Rahmen dieser Gesamtumstände können die Helden weitgehend frei agieren. Das erzeugt natürlich auch das eine oder andere reizvolle moralische Dilemma: Die Hexen sind keineswegs die Verursacher alles Bösen, haben aber mit ihrer zu forschen Art einen gehörigen Anteil an dem dramatischen Ablauf. Die Praioten agieren mitunter wenig flexibel, was sich nicht gerade zu Sympathieträgern werden lässt, andererseits ist es in Aventurien per se nicht einfach, sich gegen solche Autoritäten zu stellen.

Trotz diplomatischer Präferenz ist auch ein fulminantes Finale am gut beschriebenen Handlungsschauplatz denkbar. Ohnehin gibt es durch die gut durchdachte Eskalationsleiter ein hilfreiches Gerüst, das absolut auch Raum für ein mögliches Scheitern einräumt, jederzeit allerdings auch Optionen bietet, trotz fortgeschrittener Konfliktlage noch eine Lösung zu finden. Die großen und kleinen Geheimnisse der Figuren sorgen zudem für reichlich Ermittlungsraum, wobei sich überall Ansprechpartner finden lassen, die auf Folgeansätze verweisen können, wozu reichlich Interaktion gefragt ist. Somit dürfte den Spielern Harmlyn schnell vertraut werden, was sicherlich eine erhöhte Motivation schaffen kann, die Konfliktlage nachhaltig bereinigen zu wollen. Zudem erweist sich die dahinter stehende Ursache als weit weniger kleinformatig als die Ausgangslage vermuten lässt.

III. Fazit

Alter Stein verlangt einem Spielleiter einige Vorbereitungsarbeit ab, erweist sich aber als lohnendes Abenteuer, in dem ein vordergründig kleiner lokaler Konflikt mehr und mehr zu einer Gewaltspirale zu eskalieren droht. Dabei erweist sich vor allem die gute Beschreibung der beteiligten NSCs als große Stärke, so dass eine Reihe von interessanten Konflikten entstehen, die vor allem durch intensive Interaktion und Recherche gelöst werden können.

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