Rezension: Silvanas Befreiung (Heldenwerk)

Vorbemerkung: Wenn der geneigte DSA-Veteran Silvanas Befreiung hört, so löst das in der Regel ein sofortiges Schwelgen in nostalgischen Erinnerungen aus, ist es doch um das allererste Gruppenabenteuer überhaupt, noch aus der Feder von Ulrich Kiesow persönlich. Allerdings handelt es sich beim hier zu besprechenden Werk tatsächlich um eine andere Version: Im Zuge des Havena-Crowdfundings hat sich Julian Härtl an eine Neuinterpretation für die fünfte DSA-Edition gewagt, nunmehr im Heldenwerk-Format. Besonders interessant erscheint vor allem die Frage, ob es wirklich gelingen kann, das aus heutiger Sicht vollkommen unrealistische und unlogische Konstrukt so zu überarbeiten, dass es in das moderne Aventurien passt, ohne dabei seinen originären Charme zu verlieren.

In Zahlen:

– 16 Seiten

– 2. Version des Klassikers nach 1984

– erschienen am 25.10. 2018

I. Aufbau und Inhalt

Der grundsätzliche Aufbau ist – dem Klassiker von 1984 gar nicht so unähnlich – ausgesprochen gradlinig: So erfolgt der Einstieg sehr traditionell, indem die Helden sich in einer Taverne befinden, als sie von der aufgelösten Greisin Igraine Coillail gebeten werden, ihre verschwundene Enkelin Silvana zu finden. Die Recherchen legen schnell nahe, dass es sich um eine Entführung handelt, wobei die Spuren in das berüchtigte Orkendorf führen.

Dort wird dann tatsächlich auf den klassischen Abenteueraufbau zurückgegriffen, erhält man doch eine ausführliche Beschreibung des Verstecks der Entführer, bei der Raum für Raum vorgegangen wird, wobei die Figurenbeschreibungen dort jeweils inkludiert sind. Im Kern sind immer noch dieselben Figuren und Kreaturen vorhanden wie in Ulrich Kiesows Version des Abenteuers, allerdings sind im Text deutlich mehr Erläuterungen enthalten, um die auf den ersten Blick sehr seltsame Wohngemeinschaft aus Piraten, Orks, Goblins und einem Klabauter zu erklären. Der Gebäudeaufbau ist ebenfalls identisch, allerdings hat die Neuauflage eine farbige Variante des alten „Plan des Schicksals“ spendiert bekommen.

II. Figuren

Nach wie vor steht natürlich die titelgebende Silvana im Mittelpunkt, auch wenn man ihr erst ganz am Ende des Abenteuers begegnen dürfte. Ihr Hintergrund wurde insofern verändert, dass sie nun als echte Schönheit beschrieben wird, deren Liebreiz sogar ihre Entführer verfallen sind.

Die beiden ehemaligen Piraten Haken-Jo und Basil der Rote haben ebenfalls eine Überarbeitung erfahren, indem zunächst ihre Namen leicht umgeändert wurden, um in das moderne Aventurien zu passen. Zudem wurde ihr Hintergrund insofern erläutert, als dass die Motivation für die Entführung nun deutlicher wird.

Nach wie vor das Zünglein an der Waage kann der Klabauter Klarabustel darstellen, der weniger eine Schurkenrolle einnimmt, sondern eher eine Nervensäge ist, sich aber unter Umständen durchaus als nützlich erweisen kann.

III. Kritik

Ich mag ja durchaus den archaischen Charme der Klassiker, als sich die Autoren noch herzlich wenig um Logik scherten (oder logische Ansätze noch gar nicht existierten) und es oft zunächst einmal um ein spannendes und munteres Monsterschnetzeln vor möglichst düsterer Kulisse ging. Trotzdem hat mich schon immer gestört, dass es damals niemandem aufgefallen ist, dass die Figuren letztlich völlig seelenlos bleiben, wenn man außer ihren Kampfwerten und ihren Namen fast gar nichts über sie erfährt.

Ein typisches Beispiel sind die beiden Antagonisten in Silvanas Befreiung. Bei Ulrich Kiesow wird lediglich lapidar angemerkt, dass es sich bei Haken-Jo und Basil um „sehr gefährliche Schurken“ handelt, die Lösegeld erpressen wollen. Nun haben beide eine gemeinsame Hintergrundgeschichte erhalten und auch ihr „Geschäftsmodell“, eine Mischung aus Schmuggel, Erpressungen und Sklavenhandel, wird erläutert. Das ist im Großen und Ganzen jetzt endlich plausibel, lediglich die plötzliche Rivalität durch Silvana erscheint mir etwas dick aufgetragen. Wenn die beiden so lange zusammen durchs Leben gehen, ist es für mich nicht glaubhaft, dass sie quasi sofort bereit sind, sich gegenseitig zu hintergehen, nach nur einer Nacht seit Silvanas Gefangennahme. Originell ist in diesem Zusammenhang dafür aber die Idee, dass die beiden Rivalen um Silvanas Gunst bereits bei ihren Untergebenen vorgefühlt haben und sich entweder die Unterstützung der Orks oder Goblins gesichert haben. Theoretisch wäre es also auch möglich, dass die Helden mitten in ein Aufeinanderprallen beider Fraktionen hineinplatzen oder die Situation ausnutzen, um sie gegeneinander auszuspielen.

Ein anderes Problem der alten Abenteuer waren die teils extrem kuriosen „Wohngemeinschaften“, die in den Dungeons zustande kamen, weil man den Spielern möglichst viele unterschiedliche Gegner bieten wollte. Mit der innerweltlichen Logik des heutigen Aventuriens sind in einer Stadt wie Havena zwei Piraten, jeweils ein paar Orks und Goblins und ein Klabauter eigentlich nicht denkbar. Auch hier hat Julian Härtl versucht, eine nachvollziehbare Erklärung dafür zu finden, die sowohl die Anwesenheit der Exoten in der Hafenstadt begründet als auch die Wahl derselben als Helfer durch Jo und Basil. Hier passen die Erläuterungen zwar, für mich wirkt es allerdings etwas unwahrscheinlich, dass durch Havena schleichende Orks und Goblins bislang überhaupt keine Aufmerksamkeit erregt haben. Unter der Prämisse, den grundsätzlichen Inhalt nicht verändern zu wollen, sondern die Hommage an Ulrich Kiesow bestehen zu lassen, stellt dies aber eine zufriedenstellende Lösung dar.

Besagter Hommagecharakter ist für mich tatsächlich durchweg gelungen geraten, im Kern ist Kiesows Idee eigentlich unverändert geblieben, lediglich die für den heutigen Spieler mehr als augenfälligen Handlungslücken wurden mit den entsprechenden Erklärungsansätzen gefüllt. Dazu passt es auch, weiterhin die örtliche Konstruktion zu belassen, also vor allem die Räumlichkeiten zu beschreiben und Figurenbeschreibungen dort anzufügen. Das wird auch dem knappen Raum eines Heldenwerks gerecht, in dem allzu viel Handlungsschilderung schlichtweg nicht ratsam ist. Ohnehin hätte es dem Klassiker einiges an Charme genommen, wenn man allzu viel Neues hinzugefügt hätte, was mit der Grundidee dann nichts mehr gemeinsam hat.

Auf den wenigen Seiten stecken nämlich immer noch eine ganze Reihe von reizvollen Geschichten: Neben der Entführung und dem Wirken des Klabauters kommt nun noch die Rivalität der Piraten hinzu. Der neu hinzugekommene Hintergrund der Orks und Goblin reduziert diese zudem nicht mehr auf die reine Funktion als Monster, sondern man kann auch anderweitig mit ihnen interagieren. Letztlich sind sie ja eigentlich auch mehr Opfer der Habgier der beiden Anführer anstatt richtige Schurken. Somit kann sich hier auch die eine die andere Dilemma-Situation ergeben in der Frage, wie mit ihnen zu verfahren ist.

IV. Fazit

Die Silvana-Version von 2018 schafft es überwiegend sehr überzeugend den Charme des Originals mit deutlich mehr Plausibilität zu verbinden, auch wenn einige Aspekte für mich mit dem heutigen Aventurien nicht ganz vereinbar sind. So oder so kann man festhalten, dass in der jetzt vorliegenden Form der Klassiker auch in der Moderne bestehen kann und immer noch viel Spielspaß vorhanden ist bei der erneuten Dungeon-Erkundung.

Bewertung: 5 von 6 Punkten

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