Rezension: Totenmeer

Vorbemerkung: Gefühlt eine halbe Ewigkeit ist schon wieder her, dass der geneigte Leser die letzte Episode des Wettstreits der beiden legendären Kapitäne Beorn und Phileasson erleben durfte. Nach einer kurzen Verschiebung ist es nun aber so weit, seit ein paar Tagen ist mit Totenmeer der sechste Band erschienen. Und wie seine Vorgänger hat auch dieser Band seinen beiden Autoren Bernhard Hennen und Robert Corvus wieder binnen weniger Tage eine Platzierung in der Bestellerliste verschafft. Aber finanzieller Erfolg ist natürlich nur die Seite, viel relevanter ist aber die Frage, ob das bislang gute inhaltliche Niveau weiterhin hochgehalten werden kann.

I. Aufbau und Inhalt

Erneut ist der eigentlichen Kernhandlung ein längerer Prolog vorgeschaltet, der diesmal knapp 100 Seiten in Anspruch nimmt. Überraschender Weise ist die Vorgeschichte diesmal allerdings keinem Mitglied einer der beiden Mannschaften gewidmet, sondern den beiden Magiern Vermis und Vespertilio, die gemeinsam mit einer Freundin auf der Suche nach einem alten elfischen Geheimnis sind. Ihre lange Suche führt die beiden sogar bis in das Bornland, wo sie den berüchtigten Zurbaran von Frigorn (vielen DSA-Spielern aus dem Abenteuer-Klassiker Unter dem Nordlicht bekannt) konsultieren, um von ihm entscheidende Hinweise zu erhalten. Letztlich mündet ihre Suche aber in eine persönliche Tragödie, die umgekehrt den Grundstein für die aktuelle Aufgabe im Wettstreit der Kapitäne legt.

Die jüngste Prophezeiung weist die beiden Ottajaskos nach ihrem Aufenthalt in Maraskan nun in die ungewissen Gefilde des Sargassomeeres, einem riesigen Tangfeld, das für viele Schiffe einen Friedhof darstellt, die von dem undurchdringlichen Algenwuchs umschlungen wurden. Genau in dieses Totenmeer, das eigentlich jeder Seefahrer bei klarem Sinn meidet, müssen die Wettfahrer nun vordringen.

Dabei ist der Stand unterschiedlich: Während Beorn einen gewissen Vorsprung hat, ist Phileasson zunächst noch mit dem Erwerb eines Schiffes beschäftigt und ist dementsprechend unter einem nicht unbeträchtlichen Zugzwang. Dabei sind es vor allem zwei Handlungsstränge die vorangetrieben werden: In Phileassons Mannschaft liegt der Schwerpunkt auf Galandel, die immer mehr mit der Tatsache konfrontiert wird, dass ihr langes Leben in der typisch elfischen Jugendhaftigkeit nunmehr umso rascher verrinnt und sie zunehmend an Alterserscheinungen leidet. In Beorns Ottajasko ist hingegen der Konflikt zwischen Zidaine und Tjorne auf seinem Höhepunkt angelangt, der in eine offene Konfrontation mündet.

Im Tangfeld angekommen, stellen die beiden Kapitäne fest, dass sie dort mitnichten alleine sind. Vielmehr herrscht ein unerbittlicher Machtkampf zwischen zwei alten Feinden, die jeweils einen der Kapitäne auf ihre Seite ziehen wollen und individuell auf beachtliche, wenn auch eher widernatürliche Ressourcen zurückgreifen können. Beide verlangen die Unterstützung im Kampf um ein Objekt, das von einer dritten unheimlichen Macht kontrolliert wird. Somit rüsten sich alle Fraktionen für einen entscheidenden Kampf, der wiederum nicht ohne Opfer bleiben wird.

II. Figuren

Merklich sind die Mannschaften in den letzten Romanen angewachsen, so dass eine Vielzahl von Figuren ins Rampenlicht drängen. Diesmal sind es vor allem die charismatischen Antagonisten Vermis und Vespertilio, die bemerkenswert viel Hintergrund erhalten (eben unter anderem den gesamten Prolog) und deren Feindschaft ausgiebig hergeleitet wird.

Weitergeführt wird ebenfalls die schwierige Konstellation des Dreigestirn Tylstyr, Tjorne und Zidaine, die weiterhin ein höchst ambivalentes Verhältnis im Zwiespalt zwischen Waffengefährten und Todfeinden führen, wobei es vor allem das schwer vorhersehbare Verhalten Zidaines ist, das dafür sorgt, dass die Spannung weiterhin aufrecht gehalten wird.

In Phileassons Mannschaft sind es zudem die beiden Elfen Galandel und Lailath, die im Vordergrund stehen. Galandel durchlebt dabei den verwirrenden Zustand einer Elfe, die nach einem langen Leben urplötzlich rasch altert, nachdem ihr Lebenszweck erreicht wurde. Lailath hingegen versucht weiterhin an das legendäre Schwert Selflanatil zu kommen, das sich nach der verlorenen vierten Aufgabe in Beorn Besitz befindet.

III. Kritik

Als eines der Hauptthemen ergibt sich somit vor allem die Frage der Loyalität in beiden Mannschaften. Auch wenn sich eigentlich alle per Schwur dem Ziel der Wettfahrt verschrieben haben, gibt es eine zunehmend wachsende Zahl von Figuren, die eigene Ziele verfolgen, die teilweise denen ihrer Mannschaftskameraden konträr gegenüberstehen.

Die in Zidaine innewohnende nachvollziehbare Rachegier führt im Sargassomeer zu einer erneuten Konfrontation zwischen Tjorne und ihr, die diesmal als Kampf auf Leben und Tod ausgetragen wird. Tylstyr hingegen versucht nach wie vor, sie von seiner ehrlichen Zuneigung zu überzeugen. Tatsächlich ist dies ein Handlungsstrang, der von Beginn an nicht unbedingt zu meinen Lieblingsfeldern gehört, wenn Tjornes Charakter trotz seiner verachtenswerten Tat als Erzählfigur verwendet wird, der ich einfach beim besten Willen keine Empathie entgegenbringen kann. Immerhin lässt der Handlungsverlauf die Hoffnung zu, dass hier allmählich ein Wendepunkt erreicht werden könnte.

An vielen anderen Stellen ergibt sich für mich deutlich mehr reizvolles Handlungspotential, z.B. bei der zweifelnden Lailath, deren Sorge um ihr vergehendes Volk und ihren Bruder die Loyalität zu ihrer Ottajasko mehrfach überwiegt. Natürlich wird dies wie immer übertroffen von Pardona, die zwar weiterhin ihre Tarnung aufrecht erhält, aber ein nachhaltiges Beispiel dafür gibt, wie wenig ihr zwischenmenschliche Bindungen bedeuten, wenn sie sich eine Nachhilfestunde in Chimärologie geben lässt. Interessanterweise überlässt sie abseits davon aber diesmal die Führerschaft eindeutig Beorn.

Generell kommt der Roman nicht ohne Längen aus, z.B. wenn man berücksichtigt, dass Phileasson erst in der Mitte des Romans überhaupt am eigentlichen Ort der Handlung erscheint. Und die Stringenz der Geschichte um das Geheimnis des Sargassomeeres wird immer wieder unterbrochen durch die Notwendigkeit, den vielen Figuren Interaktionsszenen zu gewähren. Das ist zwar in der Regel nicht unspannend, trotzdem hangelt man sich so etwas langsam von Höhepunkt zu Höhepunkt. Beispielsweise erscheint mir eine längere Episode, in der Praioslob Zidaine eine Nachhilfestunde über das Thema Gerechtigkeit zu erteilen versucht, auf Dauer etwas zäh. Umgekehrt wird dies auch immer wieder unterbrochen durch spannende Momente, z.B. die Konfrontation von Phileassons kleinem Schiff mit dem Flaggschiff der Perlenmeerflotte oder durch Tjornes verzweifelte Flucht vor Zidaine. Vielfach verspürt man eben, dass hier die Handlungsgrundlage einer kurzen Episode aus der Rollenspielvorlage auf einen seitenstarken Roman ausweitet wird und die ursprünglich kleine Vorlage der Haupthandlung notwendigerweise um viele neue Nebenhandlungen erweitert wird.

Umgekehrt hat der Roman diesmal immer dann seine spannendsten Momente, wenn die beiden Mannschaften sich den beiden Herren des Sargassomeeres zuwenden müssen und mit den beiden grundunsympathischen Rivalen gemeinsame Sache machen müssen. Die beiden ergeben wirkliche Schurken von Format und bleiben immer unberechenbar. Das langsame Zusteuern auf das große Finale gewinnt zudem noch dadurch an Spannung, dass man zunehmend die Gewissheit verliert, wer denn die Wettfahrt lebend überstehen könnte, lassen doch in diesem Roman gleich mehrere Figuren ihr Leben. Dazu ist der Prolog gut gewählt, die Ambivalenz der Beziehung zwischen Vermis und Vespertilio kann auf diese Art viel deutlicher vermittelt werden, anstatt die beiden dann jeweils bei der Begegnung mit den Thorwaler-Kapitänen rückwirkend ihre Geschichte erzählen zu lassen.

Weiterhin bemerkenswert erscheint mir die Detailliebe, mit der Aventurien als lebendige Spielwelt in die Romane eingewoben wird. Obwohl die Handlung beide Mannschaften überwiegend in ein von der Außenwelt völlig isoliertes Gebiet versetzt, gibt es immer wieder kleine Anspielungen auf die Hintergrundwelt, allein schon durch die Auftritte von illustren Figuren wie dem legendären Admiral Sanin, dem Freiheitskämpfer/Piraten Kodnas Han und dem unheimlichen Magus Zurbaran.

Der ungewöhnliche Schauplatz wird sehr lebendig dargestellt durch die immer wieder beschriebenen Mühen, die beide Ottajaskos mit dem Gelände haben, wird hier doch quasi eine Mischung aus Sumpflandschaft und Wüste erzeugt. Die Atmosphäre der Bedrohlichkeit wird zudem noch durch den Umstand unterstrichen, dass die einzigen Aufenthaltsorte nur die vom Tang verschlungenen Schiffswracks sind, in denen immer wieder Zuflucht gesucht wird. Die Mehrheit der Wesenheiten, auf die man dort stößt, sind zudem alles andere als freundlich, handelt es sich doch um eine Mischung aus Geistern, Chimären, Spinnen und Dämonen und nur wenige Menschen, die allerdings alle längst in eine Art von Sklaverei gezwungen wurden.

IV. Fazit

Totenmeer bleibt auf seinen über 600 Seiten nicht immer ohne Längen, die aber angesichts der großen Figurenzahl kaum vermeidbar scheint. Der unkonventionelle Schauplatz sorgt für eine besondere Atmosphäre des Überlebenskampfs in der Tangödnis. Besonderen Reiz übt diesmal die Frage der wechselnden Loyalität aus, die zum einen von den ungeliebten Zweckbündnissen der Kapitäne mit den Herren der Sargassomeers ausgeht, zum anderen aber auch von den mittlerweile zahlreichen inneren und äußeren Konflikten der Mitglieder beider Mannschaften.

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