Retro-Check: Schatten über Travias Haus

Vorbemerkung: Bei den älteren Abenteuern fällt häufig eine andere Machart auf, bei der die Setzungen deutlich enger als bei modernen Varianten sind, wenig Flexibilität in den Ablaufen vorherrscht und man merkt, dass es vor allem um das Transportieren einer zuvor entwickelten Geschichte geht. Grundsätzlich halte ich das für wenig problematisch, da man hier mit Blick auf die 80er Jahre sicher noch von einer experimentellen Phase sprechen kann und der Tenor der Zeit eben noch ein anderer war, den man auch nicht unbedingt an heutigen Maßstäben messen kann (und nicht zwangsläufig sind Abenteuer jüngeren Datums immer besser). Um einmal einen Kontrast dazu zu haben, habe ich mir mit Schatten über Travias Haus von Hadmar und Barbara von Wieser einen Klassiker herausgegriffen, der tatsächlich ein deutlich anderes Schema verwendet als viele andere DSA-Hefte der 80er Jahre.

In Zahlen:

– 32 Seiten

– erschienen 1988

– Stufen 12-16

I. Aufbau und Inhalt

Die Grundprämisse des Abenteuers liegt schon anders als bei bis dahin üblichen Abenteuern, handelt es sich von der Basisidee doch eigentlich um eine Kampagne, die einen Zeitraum von über einem halben Jahr an aventurischer Zeit vorsieht. Die Heldengruppe soll dabei den Bau eines Traviatempels in der Wildnis der Grünen Ebene zwischen Mittelreich und Bornland unterstützen.

Dazu werden zunächst die wichtigsten NSC, die Travia-Geweihte Herdgard und der zwergische Baumeister Turundir vorgestellt, sowie alle anderen beteiligten Personen, die als ArbeiterInnen zur Verfügung stehen (sowohl beim Bau als auch zu Verteidigungszwecken). Die Vorgeschichte wird dann einmal mehr narrativ erzählt und erläutert die Hintergründe von der Anwerbung in Rommilys über den Aufbruch und die ersten Reisetage bis über Uhdenberg hinaus. Folgend werden noch ein Reiseereignis ausgeführt sowie weitere Stationen des Bauzuges benannt.

Anschließend wird auf den Bauplatz eingegangen mitsamt den Umgebungsbedingungen (für den auch ein Plan des Schicksals existiert). Dazu gehören auswürfelbare Wetterereignisse und ein paar Erkundungsinformationen sowie ebenfalls auswürfelbare Begegnungen. Gleichermaßen kann man Jagderfolge ermitteln, aufgegliedert nach der Jagd im dominierenden Grasland und im Wald.

Einen größeren Raum nimmt die Beschreibung der Kultur ein, die diese Gegend eigentlich bewohnt: ein Goblinstamm. Dazu stehen sowohl einzelne Goblins im Mittelpunkt als auch typische Gegner mitsamt Werten. Dazu kommt noch ein weiterer Antagonist, der sowohl als individuelle Person vorgestellt wird als auch mit den Ressourcen, über die er verfügt.     

Neben diesen Rahmenbedingungen folgt dann ein Zeitplan. Hier wird der Schwerpunkt aber nicht lückenlos kontinuierlich gesetzt, sondern es werden – dem aventurischen Kalender folgend – immer wieder einzelne Tage herausgegriffen, an denen besondere Ereignisse stattfinden. Dabei geht es sowohl um die Fortschritte im Bereich des Tempelbaus als auch um Gefahren, die es zu bewältigen gilt als auch um besondere Begegnungen, die nicht immer feindselig ablaufen müssen.

Der Anhang stellt zuletzt den Travia-Geweihten als Heldentyp vor, sowohl mit einer kurzen Beschreibung als auch mit den Talent-Startwerten. Dazu kommen drei Traviawunder mit Effekt-Schilderungen und Regelaspekten.  

II. Figuren

Hier ist natürlich vor allem Herdgard zu nennen, die als Auftraggeberin, Ratgeberin und ständige Begleiterin zugleich fungiert. Dabei steht sie der Gruppe in wichtigen Entscheidungen den Bau betreffend übergeordnet da, lässt ihnen aber in deren Bereichen (Jagd, Erkundung und Schutz) weitgehend freie Hand, außer in Fragen, die den Umgang mit gefangenen Gegnern angeht. Ihre pazifistische Haltung kann dabei für Konflikte sorgen, passt aber grundsätzlich zu ihrem Charakter und ihrer Profession. Dazu kommen vor allem einige Antagonisten, die sich allerdings erst nach und nach offenbaren werden. Bemerkenswert ist sicherlich der Ansatz, einen Schwerpunkt auf die Goblins zu legen, die hier zwar immer noch relativ primitiv beschrieben werden, aber erstmals als echtes Kulturvolk dargestellt werden.

III. Kritik

Tatsächlich ist Schatten über Travias Haus ein interessanter Fortschritt im Bereich des DSA-Abenteuerdesigns. Sicherlich handelt es sich noch längst nicht um das, was man als eine Sandbox bezeichnen würde. Dazu ist eben doch ein relativ klar vorgegebener Zeitplan vorhanden, der eine konkrete Ereignisfolge beschreibt. Mit der Schilderung des Bauplatzes, der Umgebungsbedingungen und der Antagonisten sind allerdings viele Elemente in einer sehr freien Vorstellung vorhanden, die auch explizit dazu gedacht sind, diese der Spielleitung zur freien Ausgestaltung zur Verfügung zu stellen. Freilich fehlen hier nach modernem Verständnis viele Details, ein interessanter Vergleich lässt sich hier zum DSA4-Abenteuer Sturmgeboren herstellen, das über eine ähnliche Grundidee verfügt und ein Vielfaches an Seiten beinhaltet. Beispielsweise ist eine echte Beteiligung am Tempelbau, z.B. im Sinne von Ressourcenmanagement oder kreativer Mitgestaltung nicht vorgesehen.

Sichtbar hatte man auch eine erfahrene Spielleitung im Sinn: Sämtliche Ereignisse der fast sieben Monate werden auf wenigen Seiten jeweils in ein paar Zeilen extrem grob benannt. Somit müssen jegliche Details von den SpielleiterInnen noch mit konkreten Inhalten gefüllt. Das gleiche gilt für die Figurenebene, von den BegleiterInnen der Gruppe werden mit Herdgard und Turundir exakt zwei NSC als Individuen ausgearbeitet, die anderen 50 Personen haben noch keine Namen und keine Eigenschaften, sondern es werden lediglich ein paar Berufsgruppen genannt und es gibt ein paar Gruppenwerte. Will man diese als Interaktionsfiguren ausbauen, muss man viel an Zusatzarbeit investieren und die Charaktere von Grund auf aufbauen.

Was mir wirklich gut gefällt ist die Aufwertung der Goblinkultur. Zwar werden diese immer noch recht stereotyp als primitive „Miniorks“ dargestellt und erhalten wenig schmeichelhafte Attribute, trotzdem wird erstmals auf ihre Kultur eingegangen und die Idee von echter Interaktionen mit ihnen eingebracht. Etwas schade ist, dass diese Idee nicht konsequent zu Ende geführt wird und sie sich letztlich doch von einem sehr profanen Schurken manipulieren lassen. Gerade dieser Antagonist bleibt mir auch abseits von einigen theatralischen Auftritten zu diffus, vor allem wird nie wirklich überzeugend dargelegt, warum der Tempelbau für ihn etwas repräsentiert, was unbedingt verhindert werden muss. Was er genau in dem Areal nur für sich haben will, wird nie genau erläutert.       

Ebenfalls positiv gestaltet sich für mich der erste Ansatz von freien Elementen, indem hier z.B. nicht festgelegte Ereignisse zur Verfügung gestellt werden und Jagdresultate aufgeführt werden. Das sind die notwendigen Mittel, um die Lücken zwischen den konkreten Ereignissen zu füllen. Natürlich muss ich auch dies ein wenig einschränken, als dass das Material hier einfach deutlich zu knapp gehalten ist, um wirklich mehr als ein halbes Jahr Ingame-Zeit damit unterfüttern zu können. Wer sich heute noch auf dieses Abenteuer einlassen will (was aus meiner Sicht durchaus machbar und lohnend ist), der muss hier in jedem Fall noch sehr viel eigene Zusatzelemente einbringen, um tatsächlich genug freie Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung zu haben. Hier gilt es eher, den ersten Schritt in eine richtige Richtung anzuerkennen. Mit Sicherheit würde man heute z.B. statt einem Zeitablauf für gegnerische Eingriffe einige optionale Maßnahmen der Sabotage vorstellen, diese aber eben in ihren Resultaten und auch in der Reihenfolge nicht schon klar festlegen.

IV. Fazit

Schatten über Travias Haus ist in seiner Grundidee (=Tempelbau in einer von Menschen bisher wenig erschlossenen Gegend) auch heute noch durchaus lohnenswert. Was mit gefällt sind die vielen freien Elemente, die viel Raum zur Entfaltung lassen. Zwar ist ein Handlungsgerüst vorgesehen, die Details sind aber oft nicht festgelegt. Allerdings ist der zusätzliche Aufwand für SpielleiterInnen sicher extrem hoch, ist doch vergleichsweise wenig Material vorhanden, um wirklich mehr als ein halbes Jahr an Spielzeit ausgestalten zu können, hier fehlen viele echte Hilfestellungen.

Bewertung: 4 von 6 Punkten    

2 Kommentare

  1. Hast du das Abenteuer auch mal als Spieler gespielt. Wir haben es tatsächlich vor ca 1 Jahr getan. EXTREEEM langweiliges Abenteuer- außer man man liebt Projekt- und Ressourcen-Management. Dann würde ich mir aber eher sowas als bezahlten Job antun.

    Abgesehen davon ist es nicht besonders logisch, mitten in der Steppe einen Travia-Tempel zu errichten. (Wurde dann jan „nachträglich“ in einem späteren Abenteuer versucht zu erklären (ich glaube, es war die Simyala Kampagne)

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  2. Es gab mal den Vorschlag den H. zu einem NL-Kultisten zu machen. Auch das Sidequest eingefügt werden. Die „Logik“ des Tempelbaus wird am Anfang „erläutert“.
    Warum dies zu den dünnen Heftchen gehört, wo mehr Seiten sinnvoller gewesen wären? Reiht sich aber in den „Wir testen einen SC“ (Hexe, Schelm) ein.

    Aber wirklich ein ungewöhnliches Abenteuer (A12) zu jener Zeit, die Südmeer-Abenteuer waren teilweise ähnlich frei.

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