Rezension: Der Blaue Bruder

Vorbemerkung: Vor geraumer Zeit ist mit Die Hexe vom Schattenwasser eine Erweiterungsbox zu Das Geheimnis des Drachenritters erschienen. Grundsätzlich war ich mit dem neuen Material zufrieden, allerdings lag mein Kernkritikpunkt darin, dass die vorhandene Stadtbeschreibung von Reichsend kaum genutzt wurde, da sämtliche Abenteuer aus der Stadt herausführen. Abhilfe könnte hier nun das neue Heldenwerk Der Blaue Bruder von Nathan Fürstenberg (mit Beiträgen von Alex Spohr) schaffen, geht es doch offenbar um die in Reichsend ansässige Diebesbande.

In Zahlen:

– Heldenwerk Nr. 36

– 15 Seiten

– Erschienen am 8.6. 2021 (zusammen mit dem Aventurischen Boten 207)

I. Aufbau und Inhalt

Zunächst wird die Vorgeschichte des Abenteuers mit einigen Faktenhintergründen (v.a. zum zentralen NSC) erzählt. Dem schließt sich der Einstieg an, in dem die Heldengruppe dem Händler Lorion Grimwiedel beistehen kann, als er Opfer eines Diebstahls wird. Dieser zeigt sich ausgesprochen dankbar und sieht in den HeldInnen zudem genau die richtigen Personen, um sich eines größeren Problems anzunehmen. Sie sollen für ihn einen alten Familienschatz bergen, der allerdings dunklen Mächten in die Hände geraten ist und dementsprechend gut geschützt ist.

Dem schließt sich zunächst ein Rechercheteil an, müssen sie doch zunächst herausbekommen, wo dieser Schatz verborgen sein könnte. Gelingt dies, so müssen sie sich aus der Stadt heraus in eine ausgesprochen unheimliche Umgebung begeben. Dort warten in der Tat unheimliche Gegner auf sie, die zwischen ihnen und Lorions Erbstück stehen.

Zusätzlich geschehen in Reichsend weitere merkwürdige Begebenheiten, deren Geheimnis es zu ergründen gilt, was bis hin zu Mord und Entführungen geht. Sobald es gelingt, die Urheber des Ganzen zu ermitteln, setzt das Finale an, das sich zu einem Dungeonabenteuer entwickelt. Hierzu sind eine Karte und Beschreibungen der entsprechenden Örtlichkeiten vorhanden.

Damit das Abenteuer auch für Nichtbesitzer von Die Hexe vom Schattenwasser spielbar ist, findet sich im Anhang eine Beschreibung von Reichsend und den einzelnen Stadtteilen sowie der wichtigsten NSC. Zusätzlich wird umgekehrt auch ein Vorschlag präsentiert, wie man das Abenteuer in die Kampagnenhandlung von Die Hexe vom Schattenwasser einbinden kann.

II. Figuren

Zum einen ist der Händler Lorion zu nennen, der der Heldengruppe großes Vertrauen entgegenbringt, nachdem diese ihn vor einem Diebstahl bewahrt haben. Obwohl sie ihm eigentlich abseits davon fremd sind, erzählt er ihnen von einem großen Familiengeheimnis und beauftragt sie mit dessen Lösung. Weiterhin bleibt in Reichsend die Hauptfrau Erlgard die wichtigste Ansprechpartnerin, wenn es um Recht und Ordnung geht. 

III. Kritik

Grundsätzlich bin ich ein großer Befürworter der Einsteigerbox: Sowohl Das Geheimnis des Drachenritters als auch dessen Heldenwerk-Erweiterung Das Mädchen und der Menschenfresser haben mir gut gefallen. Bei Die Hexe vom Schattenwasser habe ich das Lob etwas eingeschränkt, unterm Strich halte ich das aber immer noch für eine solide Erweiterung. In diesen Reigen kann sich allerdings Der Blaue Bruder aus meiner Sicht leider nicht einreihen, im Gegenteil empfinde ich es als ein ausgesprochen schlechtes Heldenwerk mit sehr vielen Logikfehlern und Widersprüchen, bei denen ich mich mehrfach gewundert habe, wie das in die publizierte Endfassung Eingang finden konnte.

Das beginnt schon bei den Hintergründen des Antagonisten, wenn erwähnt wird, dass dieser plant, sich ein Artefakt zu verschaffen, mit dem er Rituale durchführen will, die dazu führen sollen, die Ketten  des Namenlosen zu sprengen, die diesen an den Sternenwall binden. Epischer ist eine Zielsetzung bei DSA kaum zu setzen, was kaum zu einem expliziten Einsteigerabenteuer passt. Zudem hält das Abenteuer diese epische Ausgangsidee in der Folge auch nicht einmal ansatzhaft ein, sind doch die Ereignisse eher konventionell.

Generell ist es aber gerade der Antagonist, der aus meiner Sicht völlig unpassend gezeichnet ist in seinen Handlungen und Verhaltensweisen. So ist er ja eigentlich Anführer einer Diebesbande, deren beste Mitglieder sogar zu Meuchlern ausgebildet werden. Trotzdem wird im Text ausdrücklich erwähnt, dass er für seine eigenen Leute die Herausforderung der Widerbeschaffung des gesuchten Dolches für zu groß hält, obwohl er genau weiß, wo sich dieser befindet (also muss er ja vorher recherchiert haben und etwas über den Ort wissen). Vor Ort entpuppt sich diese Herausforderung als Konfrontation mit zwei Skeletten und einigen Gruftasseln. Einerseits ist dieser gesamte Part sehr enttäuschend ausgearbeitet (die Ruine wird in wenigen Sätzen beschrieben, es wird lediglich auf einen Bodenplan verwiesen), Atmosphäre wird überhaupt nicht aufgebaut, indem man kaum etwas über die Hintergründe des Gemäuers erfährt. Hier hätte man die Gelegenheit zu einer wirklich spannenden Queste nutzen können, stattdessen wird es zu einem 08/15-Scharmützel. Auch der Dolch als zentrales Artefakt wird so gut wie gar nicht beschrieben, es gibt noch nicht mal einen Wertekasten.

Folgend wird es dann völlig unlogisch aus meiner Sicht. Kaum hat Lorion den Dolch erhalten, begeht er damit auch schon einen Mord. Die derart unkluge Vorgehensweise erscheint mir nicht im Ansatz motiviert, es müsste doch jedem völlig klar sein, dass die HeldInnen sofort dahinterkommen, wer hier der Täter ist. Implizit wird das auch deutlich, indem hier keine Recherche vorgegeben wird, keine alternativen Verdächtigen ausgegeben werden, sondern davon ausgegangen wird, dass die Gruppe schnell an Lorion denken wird und ihn aufsuchen wird. So wenig Raffinesse in der Figurenkonstruktion finde ich extrem enttäuschend und platt. Es ist auch kein weiteres Opfer in der eigentlich geplanten Mordserie vorgesehen, es werden lediglich die Namen der weiteren Entführungsopfer genannt (ohne die Umstände der Entführung als Rechercheansatz zu nennen), auch wird nur extrem schwach begründet, warum der Schurke nach einem Mord plötzlich seinen Modus Operandi wechselt und sich auf Entführungen verlegt und wieso er nicht mehr nur Geweihte, sondern auch profane Personen opfern will. Wie diese Abenteuerkonstruktion eine redaktionelle Supervision bzw. ein Lektorat überstanden hat, ist mir leider völlig schleierhaft, weil es sich um völlig offenkundige Widersprüche handelt.         

Somit wird das Finale mit einer guten Gebäudekarte und passenden Raumbeschreibungen zu einzig echten Herausforderung des Abenteuers, wenn Lorios sich ihnen mit einer Handvoll Getreuen entgegenstellt und somit eine reale Bedrohung darstellt.

Das alles ist auch insofern schade, als dass die Grundidee eigentlich einiges hergegeben hätte: Ein Schurke führt die Helden hinters Licht und lässt sie einen alten Schatz heben, um dann mit dem Artefakt Untaten zu verüben. Aber im Prinzip sind alle Einzelelemente dann so ausgebaut, dass die reizvollen Elemente zunichte gemacht werden. 

IV. Fazit

Der Blaue Bruder stellt aus meiner Sicht leider ein völlig enttäuschendes und schwaches Heldenwerk dar. Sowohl Handlung als auch Figurenkonstruktion weisen für mich erhebliche Logiklücken auf, die sich auch auf den Spielspaß auswirken, wenn zu offensichtliche Aktionen der Gegner eine echte Recherche überflüssig machen und z.B. ein mögliches Detektivabenteuer nie auch nur im Ansatz aufkommt und wenn eigentlich atmosphärische Orte und Begebenheiten so gut wie gar keine Textausschmückung erhalten. Gelungen sind einzig die Grundidee und das angemessen gestaltete Finale.

Bewertung: 2 von 6 Punkten                

5 Kommentare

  1. Völlig enttäuschend gibt also 2 Punkte …
    Das führt mich zur Frage: Gibt es auch 1 oder gar 0 Punkte? Oder ist 1 das Minimum?

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    1. Mein Spektrum geht von 6 bis 1, was letztlich den klassischen Schulnoten entspricht. 6 Punkte sind demnach ein „sehr gut“, 1 Punkt ein „ungenügend“. Weniger geht nicht, deshalb ist das auch das Minimum, 0 Punkte gibt es bei mir nicht.
      Die 2 Punkte für „Der Blaue Bruder“ entsprechen einem „mangelhaft“. Der Definition nach vergibt man das für eine Leistung, in der der Ansatz stimmt, die Umsetzung aber grobe Mängel aufweist. Bei einem „ungenügend“ stimmt noch nicht mal der Ansatz bzw. wird das Thema verfehlt. Das sehe ich hier nicht, die Grundidee finde ich in Ordnung, nur eben schlecht umgesetzt. Für mich ist das aber auch eine sehr schlechte Bewertung. Nebenbei wird grundsätzlich in Prüfungen oder sonstigen Bewertjngskontexten die „6“ vergleichsweise selten vergeben, ist sie doch auch ein vernichtendes Urteil.

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  2. Interessant finde ich, dass deine Kritik an Die Hexe vom Schattenwasser war, dass die Stadtbeschreibung nicht genutzt wurde, und dass diesss Abenteuer zwar die Stadt nutzt, aber nicht deren Beschreibung in der Schattenwasser-Box. Aus Nutzbarkeitsgründen zwar nachvollziehbar, aber so hätte man sich die Stadtbeschreibung damals auch weiterhin sparen können.

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    1. Jein, tatsächlich hat mich das gewundert, dass das hier gedoppelt ist, aber im Prinzip kann ich das nachvollziehen. Der Bote ist ein Aboprodukt, aber nicht jeder Abonnent besitzt die Box.
      Aber natürlich kann man die Stadtbeschreibung immer noch für eigene Abenteuer nutzen, dazu ist ja letztlich jede Spielhilfe auch gedacht.

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