Rezension: Kamaluq-Vademecum

Vorbemerkung: Die aventurische Götterwelt ist enorm vielfältig, wie die Vademecum-Reihe mit ihrem stetigen Anwachsen immer wieder beweist. Neben den Zwölfen gibt es nicht nur eine große Zahl an weiteren Halbgöttern, sondern auch Götterwesen, die von solchen Aventuriern als Hauptgötter verehrt werden, die sich den traditionellen Wegen der Götterverehrung mit einem geteilten Pantheon entziehen. In diesen Bereich fällt auch das jüngst erschienene Kamaluq-Vademecum von Fred Ericson, Tara Flink, Lena Kalupner, Matthias Kalupner und Christian von Cramer. Nachdem mir die Regionalspielhilfe Die dampfenden Dschungel überwiegend gut gefallen hat, war ich hier auf das Konzept besonders gespannt.

In Zahlen:

– 160 Seiten

– 2 horasische Kommentatoren/Autoren

– Preis: 17,95 Euro

– Erschienen am 27.10. 2021

I. Aufbau und Inhalt

Tatsächlich merkt man schon im Aufbau, dass hier ein Sonderweg gewählt wurde. Da es sich bei den Utulus und Waldmenschen vornehmlich um nichtschriftliche Kulturen handelt, das Vademecum aber ja eigentlich meist einen schriftlichen Kulturführer darstellt, hat man sich dazu entscheiden, diesmal zwei Außenstehende als Autoren fungieren zu lassen. Somit sind die fiktiven Schreiber der Texte die beiden horasischen Völkerkundler Yalsinia ya Tarcallo und Hexander Ponziani von Kuslik, die viel Zeit mit den Bewohnern der Dschungel Meridianas verbracht haben.

Deshalb beginnen die einzelnen Abschnitte immer mit einer kurzen Einführung, bevor dann in Kursivdruck die Tayas (quasi mündlich überlieferte Sagen) der Waldmenschen bzw. Utulus geschildert werden. Abschließend folgt dann meist eine mit Commentarius überschriebene Passage, in der eine religionstheoretische Einordnung der Erzählungen stattfindet, dies dann wieder aus Sicht der Völkerkundler. Dabei handelt es sich um Geschichten von vielen verschiedenen Stämmen aus allen Bereichen Meridianas, so dass man auch von keinem einheitlichen Glauben sprechen kann.

Die Tayas selbst bestehen zumeist aus 1-3 Seiten, auf denen eine Geschichte erzählt wird, die für den religiösen Hintergrund eines Stammes wichtig ist. Ein Beispiel ist Die Quellen der Krieger, in der Jakush, der von Kamaluq erwählte Streiter gegen eine riesige Kröte kämpft und am Ende einen Sieg erringt, so dass die Kröte ihm die heilenden Quellen verspricht, die fortan das Tabu der Yakosh-Dey darstellen. Die Form entspricht dabei tatsächlich in etwa irdischen Sagen oder Märchen.  

Das Werden des Waldes beschreibt dabei Grundzüge des Glaubens, z.B. im Bereich einer Schöpfungsgeschichte, dem grundsätzlichen Wirken des jaguargestaltigen Kamaluq, aber auch seinen Widersachern. Von den Nipakau ergänzt dies um die Vorstellung, dass alle Gegenstände der Schöpfung über einen beseelten Geist verfügen. Dabei handelt es sich nicht nur um wohlmeinende Geister, im schlechtesten Falle sind es auch sogenannte Satuul, die das Merkmal der Verderbtheit aufweisen. Vom Tapam und dem Kreislauf widmet sich hingegen dem Tapam, das nur den Menschen und anderen höheren Wesen innewohnt.

Vom Tabu, dem Ewigen Gesetz thematisiert übergreifende besondere Glaubensvorstellungen, wobei man Tabu nicht in unserem irdischen Sinne als bloßes Verbot übersetzen kann, sondern dies z.B. auch Heilige Orte oder zu schützende Orte bzw. Konzepte beschreibt. Einer konkreten Personengruppe nähert sich Vom Toko-Tapam und den Schamanen an, indem es hier um diejenigen geht, die den Glauben verbreiten bzw. verteidigen und die in den einzelnen Stämmen eine exponierte Rolle einnehmen. Die Glaubensvorstellungen werden im Kapitel Vom Sonnenvater Oberan noch einmal differenziert, indem die Oberan-Verehrung hier von dem Kamaluq-Glauben etwas abgegrenzt wird. Dies wird auch insofern in  Von den großen Tabus fortgeführt, als dass hier besondere Orte beschrieben werden, die von einzelnen Stämmen geschützt werden. Allerdings leben die Waldmenschen und Utulus nicht völlig abgegrenzt von anderen Kulturen, sondern es gibt auch Begegnungen mit anderen Wesen, was in Von den Rändern des Waldes aufgenommen wird.

Wie üblich verfügt auch dieses Vademecum über ein Sonderkapitel, das als direkte Spielhilfe gehalten ist und aus der Outgame-Perspektive Hinweise zum Spielen eines Schamanen-SC enthält. Dabei wird zunächst betont, dass die Stämme unterschiedlich organisiert sind und z.B. verschiedene Tabus und Tayas existieren. Differenziert wird zwischen Geisterführern, die besonders intensiv mit den Nipakau kommunizieren, Natur- und Tierpriestern und Medizinleuten. Folgend wird auf die Aufgaben eingegangen, z.B. Totenbestattung, Heilung, Bewahrung der Tayas und Tabus etc. Da die Tayas sehr bestimmend für die einzelnen Stämme sind, finden sich auch Anregungen, wie man eigene Geschichten kreiert. Da es ja im Regelfall auch darum geht, den Hintergrund eines eigenen Spielercharakters zu erweitern, werden auch Motive genannt, warum sich ein Schamane auf Abenteuerreisen begeben sollte.

II. Kritik

Was auf jeden Fall auffällt, ist dass das Kamaluq-Vademecum in der Tat anders ist als die vorherigen Bände. Die Kultur der Waldmenschen und Utulus ist anders strukturiert, es gibt keine völlig einheitlichen Glaubensvorstellungen wie in vielen anderen Kulturen z.B. im Mittelreich oder im Horasreich. Es gibt keine echte Kirche mit einer klaren Hierarchie. Somit passt es sicher auch, dass man sich hier für einen anderen Ansatz entschieden hat.

Allerdings muss ich hier schon mit meiner Kritik ansetzen, die Alternativstruktur ist mir leider viel zu unruhig und undeutlich ausgefallen. Es gibt zwar Überkapitel, allerdings lassen sich diese für meine Begriffe nicht gut voneinander unterscheiden. Das liegt vor allem an den vielen Tayas, die als Bindeglieder fungieren. Einerseits finde ich die Tayas schön erzählt, sie transportieren das Denken und Handeln der Utulus und Waldmenschen gut und sind auch sehr unterhaltsam formuliert. Als jemand, der Sagen und Märchen mag, fühle ich mich an dieser Stelle immer gut unterhalten.

Aber der Nachteil ist, dass es sich oft um eine Anreihung von vielen dieser unterhaltsamen Geschichten handelt, allerdings ist der Informationsgehalt oft eher gering. Am Ende eines normalen Vademecums habe ich bisher immer einen guten Überblick über die Religionsgemeinschaft, deren Aufbau und die Aufgabe der Geweihten (hier Schamanen) erhalten. Das gelingt hier aus meiner Sicht nicht. Auch wenn es kein einheitliches Bild gibt, sollte es doch genügend Gemeinsamkeiten geben, um eine etwas allgemeinere Perspektive zu geben. Ich habe jetzt immer noch kein echtes Verständnis von Kamaluq und seiner Bedeutung für die Schamanen und die Stämme. Auch das gute Outgame-Kapitel reicht da nicht aus, um die Lücken zu füllen, die der Ingame-Teil bei mir lässt, auch weil dort die Rolle des Schamanen eher oberflächlich behandelt wird.

Da helfen mir auch die kurzen Kommentare der beiden fiktiven Autoren nicht. Diese tragen sogar eher zur Uneinheitlichkeit bei, indem hier immer eine Außenperspektive hinzukommt, die dafür sorgt, dass die Tayas mit einer Fremddeutung und oft einer Bedeutungsübertragung versehen werden, wenn die Kulturforscher das Denken der Waldmenschen erläutern wollen und in eigene Vorstellungen übersetzen. Das schafft für mich eine Distanz, die wahrscheinlich gar nicht gewollt ist. Tatsächlich erreicht es bei mir zusätzlich wieder das, was wohl eigentlich vermieden werden soll, nämlich das Gefühl, dass die Utulus und Waldmenschen kulturell untergestellt werden, wenn die wissenden Forscher deren mythischen Geschichten in eine Analyse überführen. Hier hätte ich mir eine alternative Idee gewünscht, wie man ohne diese äußere Instanz auskommt. Schließlich müssen ja auch die Schamanen mit Außenstehenden kommunizieren und müssen dabei sicher oft auch Erklärungsansätze für die kulturellen Vorstellungen finden, so dass man sie hier auch mit ihrer eigenen Stimme hätte agieren lassen können.  

III. Fazit

Das Kamaluq-Vademecum stellt für mich leider eines der schwächeren Exemplare der Reihe dar. Das Hauptproblem liegt für mich in der uneinheitlichen Struktur, in der viele Geschichten aus dem Bereich der Tayas aneinandergereiht werden. Die folgende Einordnung aus der Sicht zweier Außenstehender stellt meiner Meinung nach kein geeignetes Mittel dar, ein vertieftes Verständnis für den Kamaluq-Glauben zu entwickeln. Gelungen sind hingegen die schön erzählten Tayas selbst.

Bewertung: 3 von 6 Punkten

2 Kommentare

  1. Volle Zustimmung. Die Tayas sind toll. Die Fixierung auf eine ingame-Verschriftlichung hätte aber viel eleganter gelöst werden können, wenn man die Tayakommentare eines Schamanen als neutrale Mitschrift geliefert hätte. Um einen Dschungelsiedler Südaventuriens mit Leben zu füllen, empfinde ich die Außensicht als ziemlich kontraproduktiven Platzverbrauch.

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