Retro-Check: Im Spinnenwald

Vorbemerkung: Es gibt manche Abenteuer unter den Klassikern, die in meiner Erinnerung einen besonderen Raum einnehmen und deren Inhalt mir – anders als bei vielen anderen DSA-Bänden – auch fast 30 Jahre, nachdem ich sie als Spieler erlebt habe, immer noch ziemlich präsent ist. Dazu gehören auch die drei Bände der sogenannten Orkland-Trilogie, in denen man sich erstmals in die Heimat der Orks wagen durfte. Das ist damals insofern besonders gewesen, als dass es noch keine Spielhilfe zum Orkland gab und man deshalb wirklich eine Art von Expedition ins Unbekannte wagen musste. Als Auftaktband fungiert dabei Im Spinnenwald von Ulrich Kiesow. Anlass zu dieser Besprechung ist die Anfang November erschienen Neuauflage. Wie immer geht es dabei vor allem um die Frage, ob es sich nun eher um ein erinnerungswürdiges Museumsstück handelt oder ob es sich wirklich noch lohnt, auch im Jahr 2022 die Reise ins Orkland auf sich zu nehmen. 

In Zahlen:

– 56 Seiten (+Kartenmaterial)

– Erschienen 1986 bzw. 3.11. 2022 (Neuauflage)

– Preis: 12,95 Euro (in der Neuauflage)

I. Aufbau und Inhalt

Seinen Auftakt nimmt das Abenteuer in Thorwal, wo die Heldengruppe einem Aufruf der obersten Hetfrau Garhelt gefolgt ist. Diese ist von dem Gedanken beseelt, der Nachwelt ein riesiges Kartenwerk als Vermächtnis zu hinterlassen, das von ihren Vorfahren angefangen wurde. Zur Komplettierung fehlt ein letzter Landstrich: das Orkland. Hier kommen die wackeren Held*innen ins Spiel, sollen sie doch vom Oberlauf des Bodir bis nach Enqui marschieren und dabei ihren Weg kartografieren. Vor Reiseantritt finden sich noch einige Angaben darüber, was Garhelt und ihr Sohn Tronde der Gruppe mitzugeben bereits sind. Dazu gehören auch einige außergewöhnliche Gegenstände, z.B. der Daumen eines Riesen oder eine Art Pille, die besonders viel Lebensenergie zurückbringen kann.

Folgend schließt sich der Reisepart ein. Maßgeblich für diesen sind gleich 6 Seiten Kartenmaterial im Anhang, mit denen die Spielleitung eine Orientierung hat über das, was sich auf dem Weg der Reisegruppe abspielt. Dabei werden verschiedene Areale dargestellt, auf denen man sich auf dem grob vorgegebenen Weg nach Enqui entlangbewegt. Auf einer großen Übersichtskarte sind verschiedene Geländetypen vorhanden, für die es unterschiedliche Zufallsbegegnungen gibt. Dazu sind eine Reihe von sogenannten notwendigen Begegnungen beinhaltet. Dabei trifft man auf eine Reihe von Orklandbewohnern, von Echsenmenschen, über einen leibhaftigen Riesen bis hin zu einem Lindwurm.

Seinen zentralen Punkt erreicht das Abenteuer, wenn die Spielercharaktere in den titelgebenden Spinnenwald geraten. Auch dort gibt es eine Reihe von Zufallsbegegnungen und einige Orte, die man aufsuchen kann, zudem notwendige Ereignisse, die die Situation der Gruppe ändern. Am Ende ergibt sich dann ein Finale in Form eines Dungeoncrawls.

II. Figuren

Wie üblich sind NSC in älteren Abenteuern weit weniger handlungstragend, die Örtlichkeiten und Kämpfe sind damals eher im Vordergrund. Vor allem gibt es eben weniger kontinuierliche Handlung, als sie z.B. in einer Krimihandlung vorhanden ist, auch weil es hier ein Reiseabenteuer ist. Trotzdem gibt es NSC, die bestimmte Passagen mitgestalten. Dabei sind am Anfang Garhelt und Tronde als Auftraggeber zu nennen. Später sind bei den notwendigen Begegnungen auch Individuen vorgesehen, v.a. die seltene Begegnung mit einem Riesen ist natürlich etwas, was in Erinnerung bleiben dürfte. Eher humoristisch gestaltet sich ein Zusammentreffen mit einem Echsenmenschenstamm. Eine Sonderrolle nimmt der Zwerg Grisbart ein, der die Gruppe zwischenzeitlich begleitet und dabei auch von einer Person unter den Spieler*innen geführt werden soll.

III. Kritik

Natürlich muss ich einräumen, dass so einiges aus meiner eingangs erwähnten Erinnerung sehr nostalgisch geprägt ist. Mit einem heutigen Blick ist klar erkennbar, dass vieles an der Konstruktion von Im Spinnenwald nicht mehr zeitgemäß ist. Das gilt u.a. für die bereits angesprochenen NSC, Charaktere werden damals einfach noch sehr stiefmütterlich behandelt, die Beschreibungen sind oft sehr grob und nicht selten auch in reine Handlungstexte oder Ortsbeschreibungen eingewoben, gesonderte Charakterporträts sind die absolute Ausnahme (z.T. für Grisbart vorhanden).

Dem Abenteuer fehlt es für meinen Geschmack vor allem an einem echten Handlungshöhepunkt bzw. an einem klaren Antagonismus. Es gibt zwar am Ende in der Höhle der Spinnen eine klare Rettungsmission, die Auflösung ist aber eher eine simple Flucht, ohne dass man sich mit einer vertieften Bedrohung auseinandersetzen muss. Im Ganzen erinnert die Geschichte ohnehin ein wenig angelehnt an die Düsterwald-Episode aus Der kleine Hobbit. Dazu sind einige durchaus spannende, teils auch sehr skurrille Ideen vorhanden, z.B. die Begegnung mit dem Riesen Orkfresser oder dem Echsenmenschenstamm, wenn sich ein Mitglied der Gruppe plötzlich als auserkorener Ehemann für die Tochter des Stammeshäuptlings erweist (die besagte Häuptlingstochter Tili Tiki entwickelte sich damals in unserer Gruppe beispielsweise zu einer dauerhaften Begleiterin, die immer wieder für einige Verwicklungen sorgte). Auch die Auflösung des Finales hat eine sehr originelle Wendung, die für einen gewissen Überraschungsfaktor sorgt. Allerdings krankt das ein wenig daran, dass es wenig kontinuierliche Haupthandlung gibt, sondern eine Ansammlung von episodenhaften Ereignissen vorliegt, die nicht zusammenhängen.    

Was mir gefällt, ist die in Teilen verhältnismäßig freie Anlage, indem man sich auf den Kartenarealen oft recht ungelenkt bewegen kann (wobei natürlich geografische Flaschenhälse eingebaut sind). Die Rolle einer Kartographierexpedition ist zudem eine sehr originelle Idee und gibt der Gruppe eine zusätzlich Aufgabe, die nebenbei erledigt werden soll, zudem soll auch eine Art Chronik erstellt werden, hier nimmt man wirklich die Identität von Entdeckern ein. Das wird natürlich heute etwas unterlaufen durch den mittlerweile viel ausgeprägteren Hintergrund, in dem das Orkland ja auch schon zweimal beschreiben wurde, was somit weit mehr Trennung von Spieler- und Heldenwissen verlangt als früher, als es sich wirklich noch um einen weißen Fleck auf der Landkarte handelte. Wir hatten beispielsweise in klassischer Tolkien-Prägung eher die Erwartung, dass es sich her um einen Gang nach Mordor handeln würde, im Endeffekt gestaltet sich vieles in der Orkland-Kampagne als deutlich freundlicher (aber eben auch unspektakulärer). Allerdings findet sich aus meiner Sicht hier eben auch eine der Schwächen der gesamten Kampagne: Die Orks selbst spielen insgesamt eine eher untergeordnete Rolle.

Vorbildlich gestaltet sich die Ausstattung mit Kartenmaterial, gleich 6 Karten sorgen dafür, dass die Spielleitung mit mehr als genug Orientierungshilfen unterstützt wird. Was dafür aus heutiger Sicht auf jeden Fall fehlt, ist ein Handlungsüberblick über die Gesamtkampagne. Ich bin mir aber auch über die Entstehungsgeschichte nicht im Klaren, ob diese wirklich an einem Stück mit detailliertem Plan entwickelt wurde oder ob die Abenteuer nach und nach verfasst wurden und sich erst im Schreibprozess ergeben hat, wie die Entwicklung sich gestaltet. Eine echte Vernetzung gibt es aber auch ohnehin nicht, die Verbindung ist die Reise durch das Orkland, sonst bauen die beiden Folgeabenteuer nicht auf Im Spinnenwald auf. Genau das ist einer des Aspekte, die man heute wahrscheinlich überarbeiten würde, wenn man die Handlung modernisieren wollte, mehr übergreifende Elemente zu schaffen, z.B. in Form von durchgehend auftauchenden NSC oder gar Antagonisten, die sich als kontinuierliche Konkurrenz erweisen oder ein erweitertes Auftragselement, das mehr als nur die Kartografie beinhaltet (z.B. das Auffinden eines alten Artefakts, wobei man den Orkenhort des dritten Bandes ja direkt verwenden könnte).

IV. Fazit

Im Spinnenwald hat einige originelle Episoden und vor allem gefällt mir die Idee, eine echtes Entdeckungsabenteuer vorliegen zu haben, indem man den Weg wirklich kartografieren soll. Es fehlt aber an einer zusammenhängenden Handlung, sowohl in diesem Abenteuer als auch in der Verbindung zu den Folgeabenteuern. Damit einher geht auch ein grundsätzlicher Mangel an Dramatik, z.B. auch weil wiederkehrende Elemente z.B. in Form von Antagonisten fehlen. Trotzdem glaube ich, dass man auch abseits nostalgischer Gesichtspunkte heute durchaus noch Spaß mit dem Abenteuer haben kann, allerdings müsste man dazu sicher einiges hinzufügen.

Bewertung: 3 von 6 Punkten

7 Kommentare

    1. Genau aus dem Grund versuche ich ja auch immer möglichst transparent zu erklären, wie ich zu meiner Meinung komme und wo ich Stärken und Schwächen sehe. Dann kann sich hoffentlich jeder seine eigene Meinung bilden, ob man sich von den Inhalten angesprochen fühlt oder nicht. In der Hinsicht rate ich ohnehin immer, sich selbst eine eigene Meinung zu bilden, meine Eindrücken sind selbstverständlich völlig subjektiv.

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  1. Ahh… mein erstes offizielles Abenteuer außerhalb der Basisbox. Einfach schön. Jetzt habe ich Appetit auf Riesenlöffler und Bodir-Enten.

    Eine zusammenhängende Handlung darf man hier aber nicht erwarten, da gerade dieses erste Orklandabenteuer ein klassisches Hexcrawl-Szenario ist: das Entdecken und Bereisen der Landschaft *ist* die Handlung – die darin eingestreuten Szenarien gilt es zu überleben (letztlich ist ja auch der namensgebende Purpurturm im 2. Teil der Trilogie nur ein Gefängnis, in das die Helden unwillentlich gedrängt werden), um den eigentlichen Auftrag (die Reise bzw. Kartographierung) erfüllen zu können.
    Das ist schlicht ein anderes Abenteuergenre, dass es in DSA auch seitdem meines Wissens nach kaum oder sogar gar nicht mehr gab. Oder kennt noch jemand andere DSA-Hexcrawls?

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    1. „Durch das Tor der Welten“ und „Die Göttin der Amazonen“ haben jeweils einen Abschnitt drin, der als Hexcrawl ausgearbeitet ist. Ist aber nicht ganz so umfangreich.

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    2. Lieber RPGnosis,

      auch bei mir stand „Im Spinnenwald“ relativ am Anfang. Nach dem Basisspiel kamen bei mir vorher noch „Das Grabmal von Brig-Lo“ und die Anthologie „Tödlicher Wein“.
      Was das Erkunden von Hexfeld-Karten angeht: Witzigerweise gibt es sogar ein DSA5-Abenteuer, das zur Hälfte einen solchen Schwerpunkt hat. Der 4. Teil der Sternenträger-Kampagne „Das Sturmgeheul von Shiyadur“ lässt die Heldengruppe so das legendäre Totenmoor erkunden.

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  2. Das erste Freiland-Dungeon – ohne heroischen Hintergrund (entführte Prinzessin befreine oder bösen Magier töten), nein, nur einen Reiseweg nach Enqui (ohne Phexcaer) entlang des Orklandes zu finden – nicht durch.
    Das war damals was Neues.

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