Rezension: In Stein gemeißelt

Vorbemerkung: Ein neues Heldenwerk-Jahr bricht an! Wie immer handelt es sich dank des Boten-Abonnements um die konstanteste DSA-Produktsparte und somit werden auch 2023 wieder 6 reguläre Abenteuerhefte und ein Convention-Sonderexemplar erscheinen. Den Auftakt für das aktuelle Jahr gestaltet In Stein gemeißelt von Kilian Lieb. Das Szenario spielt zwar an der Siebenwindküste, dort allerdings in den Windhagbergen, die bislang eher selten in offiziellen Publikationen besucht wurden. Schon der Klappentext verspricht eine eher ungewöhnliche Ausgangssituation, indem es um eine Expedition gehen soll, deren Ziel es ist, eine korrekte Rechtsauslegung für einen Todesfall in Erfahrung zu bringen.

In Zahlen:

– Heldenwerk Nr. 46

– 15 Seiten

– Erschienen am 24.1. 2023 (zusammen mit dem Aventurischen Boten Nr. 217)

I. Aufbau und Inhalt

Besonders relevant ist diesmal die Vorgeschichte, die in der sehr eigenen Welt der alten und traditionsbewussten Sippen des Windhags spielt: Obwohl der junge Heiler Pahgol anwesend war, starben während einer schweren Geburt sowohl die Mutter als auch das Kind. Die Sippe der Mutter wirft Pahgol daher vor, verantwortlich für den Tod der jungen Vea zu sein.     

Das eigentliche Abenteuer ist folgend im Wesentlichen in drei Teile eingeteilt. Zunächst steht dabei der sogenannte Allding der Sippen im Mittelpunkt. Dort findet unter anderem die Anklage gegen Pahgol statt. Schon im Vorfeld erweist sich, dass die Rechtssituation hier eine besondere ist. Eigentlich werden alle Streitigkeiten innerhalb einer Sippe nach dem sogenannten Kleinen Recht (jeweils sippenintern in mündlicher Tradition überliefert) abgeurteilt. Pahgol allerdings steht kurz vor einem Sippenwechsel (bedingt durch eine geplante Heirat) und somit ist unklar, welches Recht welcher Sippe angewandt werden soll. Besonders die Sippe der Verstorbenen drängt darauf, ihr Kleines Recht durchzusetzen, da es eine härtere Strafe bedingt, in diesem Fall nicht weniger als ein Todesurteil. Pahgol widerstrebt dies natürlich und auch die Stadthalterin des Windhags möchte allzu großen Unfrieden unter den Sippen vermeiden. Mehr und mehr kristallisiert sich heraus, dass eine besondere Lösung herbeigeführt werden muss. Diese liegt in einer Expedition auf den Berg Wetharstein, wo die Sippen eine Niederschrift des übergeordneten Großen Rechts vermuten, dessen Wortlaut in Vergessenheit geraten ist. Dieses soll dann Aufschluss darüber geben, wie mit Pahgol zu verfahren ist. Auserwählt, um diese Queste anzutreten, sind natürlich die Heldengruppe (dazu gibt es verschiedene Vorschläge), Pahgol und der junge Aghnot, ein Vertreter der Sippe der Verstorbenen.

Folgend ergibt sich ein Reiseabenteuer, in dem der Weg der Gruppe bis zum Berg skizziert wird. Dieser Weg ist einerseits mit einigen Begegnungen ausgestaltet, dazu sind die denkbaren Handlungen von Pahgol und Aghnot beschrieben, die natürlich jeweils eine völlig unterschiedliche Agenda verfolgen.

Sobald (bzw. falls) man den Berg erreicht, steht eine intensive Kletterpartie an, die sich durchaus kniffelig gestalten kann. Zudem offenbart sich erst dort, ob man auf dem Gipfel auch wirklich die erwünschte Antwort findet. Der Ausgang des Abenteuers ist dabei nicht klar vorgegeben, sondern es existieren verschiedene Vorschläge, die auch mit moralischen Entscheidungen verbunden sind.

II. Figuren

Eine erste Auftraggeberin kann (optional) die Statthalterin des Windhag, Rianod von Aichhain, sein. Diese ist sehr interessiert daran, unter den Sippen keine Konflikte ausarten zu lassen, hat als Außenstehende aber dort keinen direkten Einfluss.

Extrem intensiv ist der Kontakt zu Pahgol und Aghnot. Die beiden jungen Männer haben allerdings sehr unterschiedliche Voraussetzungen. Für Pahgol geht es bei der Reise um nicht weniger als das blanke Überleben, was ihn zunehmend mit tiefen Ängsten konfrontiert. Aghnot hingegen ist vor allem in einer Funktion als Interessenswahrer seiner Sippe anwesend, wobei er keinen Zweifel an Pahgols Schuld hegt.  Somit sind die Spielercharaktere mit zwei Reisgefährten unterwegs, die in einem klaren Antagonismus zueinander stehen.

III. Kritik

Direkt auffällig ist, dass es sich thematisch um ein sehr unkonventionelles Abenteuer handelt: Die Kombination aus einer Bergexpedition und der Suche nach einer uralten Rechtsgrundlage ist relativ einzigartig, ebenso ist das karge Gebirge bislang als Schauplatz kaum verwendet worden. Das Konstrukt aus Kleinem und Großen Recht ist auf Anhieb etwas komplex, ergibt aber eine reizvolle Kombination, die zu dem rauen Menschenschlag gut passt. Mündliche Überlieferung als Rechtsstruktur ergibt Sinn, das Alte Recht erhält zudem eine mystische Funktion. Dadurch wird die Queste der kleinen Reisegruppe zu weit mehr als nur der Schicksalsfindung für Pahgol, sondern alles folgt einem höheren Ziel, quasi der Wiederentdeckung einer der Lebensgrundlagen der alten Sippen. Gerade dieser originelle Aspekt gefällt mir, nachdem ich zugeben muss, dass ich nach der Lektüre der Zusammenfassung am Anfang die Befürchtung hatte, dass sich hier dröge und überkomplexe Diskurse entwickeln könnten, was sich dann zum Glück nicht bewahrheitet. Der Allting erlaubt im Einstieg, sich in dieses ungewöhnliche Konzept von Rechtsauffassung einzufühlen, Konflikte aufzubauen und die Protagonisten kennenzulernen.

Die Reise selbst ist eher gradlinig gestaltet. Der Ablauf ist nicht in jedem Detail ausgeführt, sondern eher in Form einiger Aktionen der Reisebegleiter und durch ein paar passende Begegnungen. Es gibt eine große Karte der betreffenden Region, allerdings kann man diese als Hilfsmittel eher weniger nutzen, hier wäre eine etwas detailliertere Karte des Reisewegs aus meiner Sicht wünschenswerter gewesen. Umgekehrt stört mich die Gradlinigkeit selbst nicht, da sie sich logisch ergibt, immerhin soll man zu einem festen Ziel vordringen, was den Weg recht deutlich vorgibt, somit halte ich es auch nicht für notwendig, allzu viele Alternativen anzubieten oder eine freie Reisegestaltung. Die Konzeption kommt natürlich dem begrenzten Raum eines Heldenwerks entgegen. Abseits davon wirkt alles sehr atmosphärisch und passend komponiert, wenn man einer Orksippe oder einem Verstoßenen in der felsigen Wildnis begegnen kann, während man sich zudem mit den beiden mitunter recht unwilligen Reisegefährten herumschlagen muss, von denen auch nie so ganz klar ist, ob man sie als Antagonisten oder reine Zweckverbündete betrachten muss, oder ob man im Gegenteil freundschaftliche Bindungen zu ihnen aufbauen will. Eine anstrengende Kletterpartie als Höhepunkt ist ebenso stimmig, hier stören mich auch nicht die Regelaspekte, da sie passend eingebaut wurden und nicht einfach spielerische Ansätze ersetzen sollen. Als gelungen betrachte ich dabei auch den Ansatz, dass vorherige Handlungen klaren Einfluss auf das Gelingen des Gipfelsturms haben können.

Das Finale zuletzt hat den eindeutigen Vorteil, dass es völlig ergebnisoffen aufgebaut ist, hier kann quasi alles passieren und die Spielercharaktere können mit ihren Handlungen Entscheidungen in alle Richtungen fällen. Gerade die moralische Frage hat hier aus meiner Sicht einen ungemeinen Reiz. Und auch hier liefert die Kulisse eines Showdowns auf dem Gipfel zusätzlich ein Höchstmaß an Atmosphäre.

IV. Fazit

Mit In Stein gemeißelt beginnt das Heldenwerkjahr 2023 meiner Meinung nach absolut stark. Das Abenteuer ist gut durchdacht und kann mit einigen sehr unverbrauchten Ideen aufwarten. Der Reiseteil bietet gerade wildnisaffinen Heldengruppen viele Herausforderungen und die karge Gebirgsatmosphäre leistet ebenfalls ihren Beitrag, was dann in ein sehr spannendes und variables Finale überleitet.

Bewertung: 5 von 6 Punkten                       

3 Kommentare

  1. Leider habe ich mit meiner Gruppe „Wächter der Feenpforte“ gerade zu Ende gespielt. Dieses Heldenwerk würde gut in den 3. Akte des Abenteuers einbauen lassen, wenn die Helden sowieso gerade im Windhaggebirge unterwegs sind. Eventuell könnte man es sogar noch enger verzahnen, wenn Finn und seine Gruppe in die Auseinandersetzung verwickelt werden oder die Helden durch dieses Abenteuer Finns Vertrauen gewinnen können.

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    1. Das ist natürlich vom Timing her Pech, dass das Heldenwerk für dich etwas zu spät erscheint.
      Generell ist das ja eine gute Möglichkeit, Heldenwerke einzusetzen, sie können genauso eigenständig gespielt werden als auch in größere Abenteuerkomplexe eingebaut werden.

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