Rezension: Der Sphärenschlüssel

Vorbemerkung: Die Rückkehr Borbarads ist nach wie vor das zentrale Großereignis in nun fast 40 Jahren des aventurischen Metaplots, dessen Auswirkungen auch die heutige Spielwelt noch nachhaltig beeinflussen. Der Sphärenschlüssel von Heike Kamaris und Jörg Raddatz beleuchtet einige der Hintergründe, die sich am Rande der damaligen Kampagne um die Sieben Gezeichneten abgespielt haben. An den Vorgänger Die Legende von Assarbad wird allerdings eher lose angeknüpft. Auch dieser Roman wurde im Zuge von Rohals Erben nun neu aufgelegt.

In Zahlen:

– 264 Seiten

– Preis: 14,95 Euro

– Erschienen: 2000 bzw. am 30.10, 2022 (Neuauflage)

I. Aufbau und Inhalt

Tarlisin von Borbra war in Die Legende von Assarbad nur eine Nebenfigur, die dort in der zweiten Romanhälfte kurze Auftritte hatte. In Der Sphärenschlüssel hingegen steht er eindeutig im Mittelpunkt des Geschehens. Im Prolog werden seine Erlebnisse als Teilnehmer einer Expedition der Golgariten in die Gorische Wüste geschildert, deren Zweck die Auffindung und Beerdigung von Verstorbenen der damaligen Auseinandersetzungen in den Magierkriegen ist. Tarlisin verfolgt allerdings andere Ziele als die Anhänger Borons, er ist auf der Suche nach dem sogenannten Desiderat, einem Artefakt, mit dessen Hilfe er eine Schwäche des zurückgekehrten Borbarads ausnutzen will. Allerdings scheitert die Expedition dramatisch, als sie von dem untoten Drachen Rhazzazor angegriffen wird und Tarlisin nur mit Mühe und Not als einziges Mitglied mit dem Leben davonkommt.

Nach seiner Rückkehr wird er allerdings nicht als Held gefeiert, sondern steht im Gegenteil im Fokus von Kontroversen zwischen der Weißen und der Grauen Gilde. Aufgrund vorheriger Vergehen wird er deshalb im Rahmen des Allaventurischen Konvents unter Anklage gestellt. Als Ankläger fungiert dabei der unnachgiebige Nostrianus Eisenkober, das Oberhaupt der Rohalswächter, eines Ordens, der dem Orden der Grauen Stäbe zu Perricum antagonistisch gegenübersteht, dessen aktueller Großmeister Tarlisin ist. Tatsächlich ist sein Prozess aber nicht das eigentliche Großereignis der Konvents, vielmehr soll der Bedrohung durch Borbarad ein Ende gesetzt werden, indem die Konventteilnehmer ihrerseits planen, nun auch dessen Gegenpart Rohal zurückzurufen. Dieses zentrale Handlungselement der G7-Kampagne wird allerdings nur am Rand thematisiert, der Fokus liegt auf Tarlisins Schicksal.

Dieser ist zwar frustriert über den schleppenden Verlauf seiner persönlichen Bemühungen, gegen den Dämonenmeister vorzugehen, was seinen Prozess betrifft, nimmt er diesen eher auf die leichte Schulter und ändert nichts an seiner leichtlebigen und oft sehr provokanten Art. Im Laufe der Handlung erweist sich diese Herangehensweise allerdings als fatal, indem nicht nur der Prozess ungünstige Wendungen nimmt, sondern parallel auch noch eine Intrige stattfindet, in deren Folge Tarlisin plötzlich zum Hauptverdächtigen einer Mordtat wird.  Somit liegt sein Überleben plötzlich nicht mehr in den eigenen Händen, sondern er muss sich auf seine wenigen Freunde wie seinen treuen Diener Halef verlassen, der wiederum an seine Grenzen stößt, wenn er unter den Mächtigen der Magierzunft Aventuriens Gehör für das Anliegen seines Dienstherrn finden will.

II. Figuren

Tarlisin ist eine schillernde Figur, selbst auf einer illustren Versammlung der mächtigsten Magier Aventuriens. Schon im Prolog kann er seine Fähigkeiten beweisen, wenn er ein Zusammentreffen mit Rhazzazor überlebt. Auch wenn er immer wieder ernsthafte Züge zeigt, vor allem was das Aufspüren des Desiderats betrifft, gibt er sich nach außen hin eher als Lebemann, mit einer Arroganz, die so groß ist, dass sogar der Prozess, in dem es um mehr als nur seine Karriere geht, ihn nicht nachhaltig zu verunsichern scheint. Dies ändert sich allerdings im Laufe der Handlung sichtlich, so dass er auch in Momenten großer Schwäche gezeigt wird.

Eine weitere Perspektivfigur in der zweiten Hälfte der Handlung wird sein Diener Halef Okharim. Dieser hat nicht den Rang seines Dienstherrn und muss vor allem mit seiner Gewitztheit vorgehen, zudem muss er damit leben, innerhalb seiner prominenten Familie wenig Achtung zu erfahren, da er nicht den ihm angedachten Lebensweg eingeschlagen hat.

Ein anfänglicher Antagonist Tarlisins ist der unnachgiebige Nostrianus Eisenkober, der stur und unnachgiebig gezeichnet wird und den ODL-Großmeister und dessen Großspurigkeit als lebende Provokation empfindet und ihn geradezu fanatisch hasst.

Neben diesen spielen noch eine Reihe anderer unter den mächtigen Magier*innen Aventuriens eine Rolle, u.a. Belizeth Dschelefsunni, Pryscha von Garlischgrötz, Olorand von Gareth-Rothenfels und Khadil Okharim.

III. Kritik

Es mag ein wenig überraschen, dass der Roman während des wichtigsten Magierkonvents überhaupt spielt (zumindest innerhalb des Zeitraums, der im Rollenspiel erlebbar ist), das damalige Highlight, die Rückkehr Rohals, aber lediglich in ein paar Nebensätzen vage erwähnt wird. Allerdings handelt es sich dabei eben um spielbaren Metaplot, während die Ereignisse um die Anklage Tarlisins wiederum dort nur eine Randepisode waren. Genauso sollten die NSC von DSA aus meiner Sicht auch in Szene gesetzt werden, indem solche Romane wie der vorliegende die Figuren mit all ihren Stärken und Schwächen lebendig werden lassen, ohne dass sie sämtliche Großtaten vollbringen und den Spieler*innen des Rollenspiels die Show stehlen.

Vor allem wird Tarlisin hier nicht zu einer Überfigur hochstilisiert, sondern im Gegenteil aufgezeigt, wie er zwar magische Großtaten vollbringt (immerhin steht er Rhazzazor allein gegenüber), später aber elendig und schwach im Kerker darbt und auf fremde Hilfe angewiesen ist, während er teilweise im Selbstmitleid zu ertrinken droht. Das ist dann der Moment, indem selbst eine scheinbar unbedeutende Figur wie Halef zu ihrer Hochform aufläuft und mit ihren ganz eigenen (eher bürokratischen) Mitteln die Situation zu retten versucht.

Sehr gut ist der Romane als Quelle über die beinhalteten Personen und Ereignisse (immerhin die Rückkehr Borbarads bzw. hier Rohals) geeignet, wenn auch die Ereignisgeschichte, wie oben angesprochen, eher grob behandelt wird. Dafür werden insbesondere die Konflikte der Gilden untereinander und insbesondere der Zwist zwischen dem ODL und den Rohalswächtern nachhaltig verdeutlicht. Im Prozess geht es sehr um formale Aspekte und die Ansprüche, die die Gilden an ihre Vertreter haben, von den gestrengen Weißmagiern bis hin zu den sinisteren Vertretern der Schwarzen Gilde. Tarlisin fungiert hier ein wenig als verbindendes Element, da aufgezeigt wird, wie die anderen Magiewirker sein Handeln einordnen, in einer Bandbreite von offenem Verständnis bis hin zu totaler Ablehnung.

Was die Handlungsentwicklung angeht, gibt es zwar einige Handlungsspitzen, z.B. magische Kämpfe mit mächtigen Wesen am Anfang und am Ende, den Mord und die Haftzeit Tarlisins, im Mittel werden aber gerade die Aktionen Tarlisins und Halefs eher ruhig geschildert. Somit ist Spannungskurve wie schon im Fall von Die Legende von Assarbad eher flach, allerdings kommt gerade Tarlisin den Leser*innen deutlich näher. Etwas schade ist, dass gerade die Kriminalhandlung, die eigentlich als Who-Dunnit angelegt werden könnte, leider im Keim erstickt wird, weil die Täterschaft direkt offengelegt wird. Genau das hätte ja eine hochinteressante Anlage sein können, da hier ja immerhin eigentlich sofort ein geständiger Täter vorliegt, der völlig überzeugt davon ist, den Mord begangen zu haben. Diese Situation hätte man viel stärker ausnutzen können, insofern ist mir der Roman an dieser Stelle zu unentschlossen, ob er eine Intrigen- oder eine Kriminalhandlung liefern soll. Das Intrigenspiel mag zwar aufschlussreich sein und viele Informationen über das Gildenwesen und die Protagonist*innen enthalten, dort fehlen aber Spannungselemente. Die Kriminalhandlung könnte diese zwar beisteuern, wird aber eben leider dazu überhaupt nicht genutzt.

IV. Fazit

Der Sphärenschlüssel ist ein sehr interessanter Roman, der den Allaventurischen Konvent als konfliktreiche Veranstaltung zwischen den Gildenvertreter*innen zeigt. Zudem verfügt er mit Tarlisin von Borbra über eine sehr ambivalente Hauptfigur, der hier sowohl in Momenten großer Stärke als auch fundamentaler Selbstzweifel gezeigt wird. Der Spannungsverlauf ist hingegen etwas zu flach, auch weil das Potential einer Kriminalhandlung nicht passend genutzt wird.                       

2 Kommentare

  1. Meiner Meinung nach die beste Figur im Roman ist hingegen Belizeth Dschelefsunni, die im weiteren Verlauf des Plots der G7 leider links liegen gelassen wurde, obwohl sie die Tochter eines wichtigen Verbündeten, Dsechelef ist, den sie im Duell vom Akademievorsitz verdrängt hatte.
    Ihre düsteren Machenschaften machen sie anfällig für Borbarad, ihr narzisstische Egoismus aber widerstandsfähig. Ich habe sie im Rahmen von Bastrabuns Bann zu einem zentralen NSC ausgebaut, den man gut im Tandem mit Tarlisin nach diesem Roman als Vorbild verwenden kann.

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  2. Die Leistung von Tarlisin in beiden Romanen wird in den Abenteuern eher am Rande wahrgenommen; dafür in den Boten 67 (u.a. seine verwirrte Rückkehr), 69, 71-72 und 76 wunderbar aus aventurischer Sicht begleitet.
    Es kam nur selten vor dasein Ereignis aus drei Blickwinkeln erzählt wird.
    (Der 2.Teil bot eine kleine -astrale- Überraschung. :))

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