Rezension: Expurgico

Vorbemerkung: Auch das neue Jahr bringt bei Ulisses wieder einiges an Produktvielfalt. Im Romanbereich macht Expurgico den Anfang, der DSA-Debütroman von Autor Aram Ziai. Dabei handelt es sich im Prinzip um ein Folgeprodukt von Rohals Erben, wobei der Roman dort ursprünglich mit eingeplant war. Dementsprechend liegt der Schwerpunkt auch im Bereich der Magie, steht doch mit Karjunon Silberbraue eine besonders illustre Figur unter den Gildenmagiern im Mittelpunkt. Vor allem handelt es sich dabei um einen Charakter mit einer langen Vorgeschichte, der schon im Rahmen der Kampagne um die 7 Gezeichneten einen wichtige Nebenrolle eingenommen hat. Die Besonderheit in seiner Biografie wird schon im Titel aufgenommen, indem er zwischenzeitlich aus dem Kreis der Gildenmagie ausgeschlossen wurde.

In Zahlen:

– 296 Seiten

– Preis: 19,95 Euro

– Erschienen am 23.2. 2023

I. Aufbau und Inhalt

Die Rahmenhandlung spielt im Jahr 1034 BF in der Akademie der Vier Türme zu Mirham. Der Karjunon, dem man hier begegnet, ist ein alter Mann, der unmittelbar an der Schwelle zu Borons Hallen zu stehen scheint. Der junge Magier Anselmo wird überraschend von seinen eigentlich anstehenden Prüfungsvorbereitungen abgezogen, um einen ungewöhnlichen Auftrag des sterbenden Erzmagiers zu erfüllen. Er soll die Lebensgeschichte Karjunons niederschreiben, die dieser ihm in den lichten Momenten seines Siechtums schildert.  

Ab diesem Moment ergibt sich eine schlaglichtartige Erzählweise, indem folgend unterschiedliche Etappen in Karjunons Vergangenheit aufgegriffen werden. Dies erfolgt chronologisch, aber eben nicht lückenlos. Eine erste Station ist unter anderem Karjunons ursprüngliche Aufnahme in die Halle der Metamorphosen in Kuslik, wo sich allerdings schnell Probleme ergeben, da der junge Adeptus zwar viel Talent aufweist, sich aber nicht den Regeln der Weißen Gilde unterwerfen will, vor allem was seine Beschäftigung mit dämonischen Entitäten angeht. Letztlich führt dies auch zur titelgebenden Expurgico, also dem unsanften und demütigenden Rauswurf aus der gildenmagischen Gemeinschaft. Dem schließen sich unter anderem einige Wanderjahre an, die Karjunon in Kontakt mit borbaradianischer Magie bringen. Diese Phase endet mit einer Aufnahme in die Schwarze Gilde an der Akademie in Mirham. Spätere Höhepunkte sind dann Karjunons Erfolge in der Entschlüsselung borbaradianischer Formeln und seine Teilnahme an der Schlacht an der Trollpforte.

Daneben ergeben sich einige weitere Handlungsstränge. Unter anderem entdeckt Anselmo einige Ungereimtheiten, die ihn vermuten lassen, dass Karjunons Zustand möglicherweise nicht rein altersbedingt ist, sondern von einer unbekannten Partei herbeigeführt wird. Zusammen mit einigen Mitschülern geht er diesem Verdacht auf den Grund.

II. Figuren

Über allem steht im Roman natürlich Karjunon selbst. Der alte Erzmagier ist in vielerlei Hinsicht eine schillernde Figur, wobei sein Charakter stets ausgesprochen düster beschrieben wird, was ihn zwar als sehr ehrgeizig und zielstrebig erscheinen lässt, gleichermaßen aber auch als mürrischen Einzelgänger. Sein Lebensweg sorgt dafür, dass er mit einer Reihe prominenter Magiewirker zusammentrifft, wobei vor allem Salpikon Savertin zu nennen ist, der ihn in die Schwarze Gilde aufnimmt und letztlich das ist, was einem Freund am nächsten kommt. Aber auch andere zentrale Personen der jüngeren Aventurischen Geschichte haben ihren Auftritt, wie z.B. Thomeg Atherion oder Lanzelind Heilenhorst.

In der Rahmenhandlung wichtig sind zudem einige Personen der Akademie zu Mirham, wozu neben Karjunons Assistentin Asmodea auch der junge Anselmo und dessen Freunde Rondrigo und Elendrea gehören.

III. Kritik

Karjunon gehört sicherlich zu den ungewöhnlichsten Romanprotagonisten, die man sich vorstellen kann. Ein mutmaßlicher Dämonenpaktierer, ein Ausgestoßener, der mit den Ideen Borbarads liebäugelt und auch im alltäglichen Umgang mit seinen Mitmenschen niemand, der auch nur ansatzweise einen Sympathiepreis gewinnt. Trotzdem ist es gerade dieses Sperrige, was Karjunon als Figur interessant werden lässt. Er beschwört quasi auf ein Fingerschnipsen mehrgehörnte Dämonen, geht mit einschüchternden und mächtigen Personen wie Savertin oder Thomeg Antherion auf direkten Konfrontationskurs und kämpft mit der Unbesiegbaren Legion von Yaq-Monnith. Seine Bedeutung als Ausnahmekönner und Genie wird immer wieder unterstrichen, weshalb er interessiert, auch wenn er keine Identifikationsfigur ist.

Die Erzählweise des Romans ist darauf ausgelegt, sich auf die Highlights seiner Biografie zu fokussieren. Somit sind immer wieder große Lücken in der Erzählung vorhanden. Das hat einerseits den Vorteil, dass wenig Langeweile aufkommt, weil der Fokus auf dem Wesentlichen liegt. Umgekehrt hat das für mich immer wieder auch etwas Oberflächliches, indem zwar gewisse Motive und Wesenszüge Karjunons immer wieder aufgegriffen werden, aber dafür wenig Stringenz und Kontinuität existiert, also auch kein klarer Spannungsbogen vorhanden ist (auch wenn durchaus spannende Ereignisse geschildert werden). Genauso verlieren sich aber manchmal auch gewisse Elemente, so dass auch Fragen offen bleiben, z.B. warum Karjunon so hartnäckige Gegner hat, denn gerade Beziehungen (Freundschaften wie Antagonismus) können in dieser Erzählstruktur nur eher oberflächlich aufgebaut werden. Manche Figuren scheinen Karjunon geradezu inbrünstig zu hassen und versuchen selbst, positive Leistungen ins Negative zu ziehen. Dabei ist zumindest für mich diese Intensität nicht immer nachvollziehbar.

Dafür hat die Rahmenhandlung einen interessanten Twist, indem mit Anselmo quasi ein zweiter Protagonist aufgebaut wird. Anders als bei den im Prinzip schon historischen Geschehnissen aus dem Leben Karjunons ist dieser Handlungsstrang ja auch ergebnisoffen und bietet tatsächlich einiges an Überraschungspotential. Gleichermaßen wird somit auch ein Brückenschlag in die aventurische Gegenwart nach 1034BF vollzogen, indem deutlich wird, dass die Geschichte noch nicht auserzählt ist, sondern Karjunons Wirken sich über die Romaninhalte hinaus erstreckt.      

Spannend ist dafür natürlich, dass durch die lange Lebensspanne des Magisters gleichermaßen auch viele Ereignisse der jüngeren aventurischen Geschichte aufgenommen werden. Besonders aufsehenerregend ist dabei natürlich Karjunons Beteiligung an der Abwehr der borbaradianischen Invasion. Beispielsweise ist ein Höhepunkt Karjunons Rede vor dem Allaventurischen Konvent, die 1:1 übernommen wurde aus der G7-Kampagne und hier in den größeren Kontext eingewoben wurde. Dazu kommen immer wieder nette Details, z.B. wenn ihm der Nachlass von Uribert von Kieselburg angeboten wird oder er Verhandlungen mit Persönlichkeiten wie Liscom von Fasar oder Thomeg Atherion führt. Das weist den Autor als jemanden aus, der mit der Hintergrundgeschichte von DSA sehr vertraut ist. Für die Leser*innen bedeutet dies aber natürlich auch, dass stellenweise dieses Wissen ebenso vorausgesetzt wird (denn Erklärungskontexte werden meist nur eingeschränkt geliefert) bzw. man die Lektüre ab und an unterbrechen muss, um entsprechende Fakten zu recherchieren. So ist vielleicht nicht jeder mit dem Bund der Schatten als Organisation vertraut oder mit den damit verbundenen tragischen Ereignissen der Seeschlacht von Andalkan. Sprich: Expurgico ist sicherlich nicht das, was man einen Einsteigerroman nennen würde. Allerdings ist er auch eindeutig nicht als solcher angedacht.

IV. Fazit

Expurgico ist eine hochinteressante Romanbiografie über eine schillernde Figur unter den aventurischen Gildenmagiern. Karjunon Silberbraues Lebensweg ist nicht arm an Höhepunkten, die auch mit Großereignissen der jüngeren aventurischen Geschichte verbunden sind. Auch wenn dabei durchaus Spannungshöhepunkte vorhanden sind, hat die schlaglichtartige Erzählweise allerdings auch den Nachteil, dass manchmal Kontinuitäten fehlen, besonders auf der Beziehungsebene der Figuren.     

5 Kommentare

  1. Danke für die Rezension! Was aber schon merkwürdig ist, wie das Ende des Romans mit der weiteren Verwendung der Figur vereinbar ist. Wie ist es nach dem Ende des Romans möglich, dass Karjunon 1041 BF den Titel des Erzmagiers erhält?

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    1. Rondrikus: Das wird dann ein Thema der Fortsetzung sein…
      Engor: Danke für die Rezension! Freue mich über das Lob und das Kunststück, über die Geschichte zu schreiben ohne zu spoilern. Vielleicht kurz zu einem Aspekt der Kritik: Die Hartnäckigkeit der Antagonistin erklärt sich einerseits durch ihr Gerechtigkeitsempfinden, andererseits aber auch durch ihre Hintergrundgeschichte (S. 150).

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  2. Ich halte die Inhalte der Sachen, die ich rezensiere, bewusst vage, vor allem bei Romanen, um da nicht die Spannung rauszunehmen. Deshalb habe ich gerade an der Stelle einiges diffus gelassen. Der Roman erklärt das, was du fragst, recht plausibel, das ergibt sich aus der Handlung.

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