Rezension: Zukunft im Sand

Vorbemerkung: Etwas überraschend unterschiedet sich Das Wüstenreich in der Auswahl an Begleitprodukten von bisherigen Regionalspielhilfen. Anders als sonst gibt es hier nicht nur ein Einzelabenteuer mit viel Metaplotbezug, sondern nun auch noch eine Abenteuer-Anthologie, die viele Aspekte aus der Spielhilfe aufnimmt. Zukunft im Sand enthält demzufolge drei Abenteuer, die sich mit unterschiedlichen Aspekten der Region auseinandersetzen, u.a. wird hier auch Thalusien als Schauplatz aufgenommen, während Königin der Tränen ja den Fokus auf die Novadi und Ereignisse in der Khom legte. 

In Zahlen:

– 98 Seiten

– 3 Abenteuer

– Preis: 29,95 Euro

– Erschienen am 28.6. 2023

I. Aufbau und Inhalt

Die drei Abenteuer der Anthologie sind sowohl von den Schauplätzen her als auch von der inhaltlichen Thematik unterschiedlich angelegt. Zukunft im Sand ist eng mit Königin der Tränen verbunden, während Zu Asche und Staub den neuen Metaplot Thalusiens aufgreift. Kind zweier Welten nimmt zuletzt weniger konkret politische oder religiöse Ereignisse auf, sondern beinhaltet märchenhafte Aspekte.

Zukunft im Sand

Anders als bei den beiden anderen Abenteuern handelt es sich hierbei nicht um ein neu entstandenes Abenteuer, sondern um eine neuaufgelegte und für DSA5 überarbeitete Variante der Version, die bereits 2015 im Aventurischen Jahrbuch 1037 BF erschienen ist. Das Abenteuer von Anni Dürr ist dabei thematisch sehr ungewöhnlich angelegt, indem es nicht um das Bezwingen finsterer Feinde geht, sondern man sich auf eine Visionsqueste begeben soll. Aus diesem Grund wird auch im Regelfall davon ausgegangen, dass die Heldengruppe eine novadische Themengruppe ist, die an Rastullah und seine Gebote glaubt (einschränkend wird aber auf die Möglichkeit hingewiesen, andere Charaktere z.B. als Beschützer anzuwerben).

Die konkrete Handlung beginnt in Keft, wo die Gruppe als Pilger anwesend ist. Dort erfahren sie eine Vision, die sich als Aufforderung deuten lässt, eine Reise von Brig-Lo ausgehend zu unternehmen, wo sich das Schlachtfeld der Zweiten Dämonenschlacht befindet. Die sich anschließende Reisepassage ist demzufolge auch nicht dergestalt aufgemacht, dass man sich den Weg dorthin durchkämpfen muss, sondern die eigentliche Anforderung besteht darin, sich unterwegs möglichst genau an die 99 Gesetze zu halten. Dies wird allein dadurch schon erschwert, als dass diese Gesetze nicht eindeutig definiert sind und es unterschiedliche Auslegungsarten gibt, z.B. in der Frage, was man essen kann oder wie man sich Andersgläubigen gegenüber verhalten soll. Erfolg und Misserfolg dieser sich ergebenden Episoden werden in einer Punktewertung ausgedrückt. Abhängig von diesem Punktewert ist auch, welche neue Vision man zuletzt nach der Ankunft in Brig-Lo erleben kann.  

Zu Asche und Staub

Das Abenteuer von Christian Nehling und Sebastian Kreppel weist eine direkte Verbindung zum neuen Metaplot Thalusiens auf und nutzt vor allem die aktuell herrschenden Konflikte zwischen der aufkommenden Rebellenbewegung und dem tyrannischen Herrscher Dolguruk als Ausgangssituation. Inhaltlich erhält die Heldengruppe von der bornischen Handelsfrau Vanjescha Roggenfeld den Auftrag, dem Verschwinden eines ihrer Mitarbeiters nachzugehen, der sich zu Verhandlungen in Bandur bei einem dortigen Bernsteinhändler befand.

Nach einer kurzen Reise- und Recherchepassage angekommen, müssen die Spielercharaktere feststellen, dass sich dort bereits Vertreter der beiden oben genannten Parteien befinden. Zudem geschehen merkwürdige Dinge, die offenbar mit temporalen Anomalien verbunden sind. Um dies aufzuklären, ist es notwendig, sich einer der beiden Fraktionen anzuschließen. Dazu werden die wichtigsten Vertreter beider Gruppierungen und deren Agenda beschrieben, sowie deren Kapazitäten (Kämpfer, Ausrüstung, magische Fähigkeiten). Letztendlich mündet dies in einen Dungeon-Part, in dem eine Art Wettlauf stattfindet, wer das angestrebte Ziel zuerst erreicht. Um dies darzustellen, gibt es eine regeltechnische Wertungstabelle, in der bestimmten Aktionen Konsequenzen zugewiesen werden.    

Kind zweier Welten     

Das letzte Abenteuer von Kilian Lieb wählt einen wahrhaft märchenhaften Ansatz. Auch hier sind die Spielercharaktere mit einer Karawane in der Khom unterwegs (für die Motivation dazu gibt es mehrere Vorschläge). Als ein Begleiter fungiert der Haimamud Latif, der die gesamte Gruppe jeden Abend mit einem Märchen unterhält, das er als sein Meisterstück immer mehr verfeinert und mit neuen Details anreichert. Im Zentrum dieser Geschichte steht der von ihm sogenannte Geist der langen Schatten. Was als reine Erzählung beginnt, wird nach und nach Realität. Geisterhafte Erscheinungen bedrohen die Karawane, insbesondere auf die junge Eshila Faridsunnu und ihre Tochter, die auf der Reise aufgelesen werden, scheint der Spuk es abgesehen zu haben. Somit kristallisiert sich heraus, dass das Märchen einen wahren Kern zu haben scheint. Eshila sucht eine geheimnisvolle Oase und bald ergibt sich auch die Hoffnung, dort das Rätsel lösen zu können. Das Finale führt dann tatsächlich eine Entscheidung herbei, mit der Besonderheit, dass der Fokus nicht allein auf kriegerischen Fähigkeiten beruht, sondern Märchen und Erzählungen auch ein Teil dieser Lösung sein können, wofür es einen Regelmechanismus gibt. Neben den Handlungsabschnitten gibt es viele weitere Hilfestellungen für die Spielleitung, wie eine längere Form des Märchens, Anmerkungen zum Alltag einer Karawane und dem Teil der 99 Gesetze, die für diese Handlung relevant sind, sowie Beschreibungen und Werte der wichtigsten NSC.   

II. Kritik

Zunächst muss man festhalten, dass die drei Abenteuer der Anthologie einen sehr abwechslungsreichen Mix an unterschiedlichen Handlungen bieten, indem sowohl die eher mystischen Aspekte des Settings hervorgehoben werden (sowohl in religiöser als auch märchenhafter Hinsicht), als auch politische Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Auch das Tempo variiert stark, indem man mal einen Wettstreit mit Verfolgern  bestehen muss, mal viel Zeit hat, Land und Leute ausgiebig kennenzulernen. Zudem sind unterschiedliche Fähigkeiten gefragt, kampf- und magiebegabte Figuren sind ebenso vonnöten, wie wildniserfahrene oder gesellschaftlich orientierte Charaktere.  

Zukunft im Sand – hier kann ich meine damalige Rezension nur wiederholen – ist in der langen DSA-Historie ein ziemlich einzigartiges Abenteuer durch den Schwerpunkt auf einer religiösen Visionsreise und die Empfehlung, dies mit einer novadischen Themengruppe anzugehen. Als Mittel werden dazu neben den Reiseetappen vor allem die 99 Gesetze gewählt, mit deren Auslegung man sehr intensiv vertraut gemacht wird. Vor dem Hintergrund, das Setting in mancherlei Hinsicht umzugestalten, kann ich das absolut nachvollziehen.

Allerdings muss ich einschränkend auch klar sagen, dass zumindest in meinem Fall der Spannungsfaktor dabei oft auf der Strecke bleibt, die starke Betonung von diskursiven Situationen nutzt sich für mich schnell ab. Das ist aber sicher auch eine Geschmacksfrage. Was ich aber tatsächlich eher ungünstig finde, ist die Botschaft, die stellenweise vermittelt wird. So fehlt mir eindeutig die Lösung von allzu strengen Vorgaben und dem eher engen religiösen Korsett, wie es die Regionalspielhilfe ja eigentlich andeutet. Hier ist es oft eher gegenteilig angeordnet, indem z.B. Verhaltensweisen wie die Ausgrenzung oder das Ignorieren von Andersgläubigen positiv in die Wertung eingehen oder sogar, wenn man sogar die freundlichen Absichten eines jungen Hirtenmädchens mit Ablehnung strafen soll. Das halte ich für etwas, worin ich weder ein richtiges Verhalten noch Spielspaß erkennen kann und das fördert eher das klassisch-reaktionäre Bild des Wüstenreichs, wo Glaube eher etwas negativ-trennendes und nicht positiv-verbindendes ist.

Zu Asche und Staub ist trotz der fantastischen Elemente fast schon das konventionellste Abenteuer der Anthologie, auch wenn die Zeitanomalien alles andere als gewöhnlicher Abenteuerstoff sind. Hier gefällt mir zunächst, dass der neue thalusische Metaplot mit konkretem Inhalt unterfüttert wird, indem Dolguruks Herrschaft nach langen Jahren der konstanten Unterdrückung durch die Rebellenbewegung von Vataz in Bedrängnis gebracht wird. Interessanterweise wird dabei trotzdem der Versuchung widerstanden, dies völlig einseitig zu fokussieren, stattdessen besteht die Option, sich für beide Seiten zu entscheiden und somit unterschiedliche Vorteile in Anspruch zu nehmen. Einschränkend muss man sagen, dass die Zeichnung von beiden Seiten schon recht eindeutig so konstruiert ist, dass das Rebellenlager im klassischen Heldenverständnis die naheliegendere Wahl ist.

Inhaltlich hat das Abenteuer einen durchaus epischen Charakter, indem man sich mit uralten Mysterien auseinandersetzen muss und am Ende auch ein sehr atmosphärisches Dungeon als Finalplatz wartet (das zudem gut beschrieben und mit einer Karte versehen wurde). Schön finde ich, dass mit magischen Gegenständen und Effekten alles andere als gegeizt wird, dafür muss man sich auch einigen Gefahren und potenten Gegnern stellen. Dazu passt auch der regeltechnisch darstellbare Wettstreit beider Fraktionen. Hinzu kommen interessante und fähige NSC, sowohl unter den Verbündeten als auch den Feinden (was ja auch völlig variabel angelegt ist).       

Kind zweier Welten hat zuletzt mit der Karawane einer sehr herkömmlichen Beginn, indem viel Wüstenreich-Atmosphäre erzeugt wird, mit der Reise durch die endlose Wüste und die abendliche Lagerfeuerromantik nebst der Untermalung durch die blumigen Erzählungen von Latif. Folgend allerdings ergibt sich dann zunächst ein gewisser Gruselfaktor, wenn die Inhalte des Märchens plötzlich wahr zu werden scheinen, in einer erkennbaren Klimax von eingangs eher merkwürdig-lästigen Störungen des normalen Alltags bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen (die auch tatsächlich Todesopfer fordern können).

An dieser Stelle verlässt das Abenteuer den konventionellen Pfad, vor allem, wenn sich die Geschichte der Wüstenelfen als wahrer Hintergrund entpuppt. Als extrem originelle Lösung empfinde ich die Konstruktion, dass das Erzählerische hier nicht nur Mittel zum Zweck ist, sondern sich am Ende sogar als ein entscheidendes Element erweist, um die Bedrohung zu bezwingen. Das ist ein sehr abwechslungsreicher Ansatz, den ich als sehr gelungen wahrnehme, anstatt immer nur auf Würfel bzw. Schwert zu setzen (es gibt aber auch regeltechnische Elemente als Vorschläge). Was mir allerdings fehlt, in ein Plan des Finalorts als Hilfestellung für die Spielleitung, das halte ich eigentlich für selbstverständlich und unbedingt notwendig.

III. Fazit

Zukunft im Sand ist eine sehr abwechslungsreiche Anthologie, die mehrfach unkonventionelle Elemente aufgreift. Das titelgebende Zukunft im Sand verfügt dabei über einen intensiven Bezug zum Setting, die gewählten Mittel können mich aber nicht immer überzeugen bzw. nehme ich nicht immer als attraktiv wahr. Zu Asche und Staub und Kind zweier Welten halte ich für zwei sehr starke Abenteuer mit überzeugenden Plotideen und vielen fantastischen Elementen. Wichtig ist aus meiner Sicht auch, dass hier nicht nur das Wüstensetting, sondern auch der thalusische Metaplot Impulse erhält.

Bewertung: 5 von 6 Punkten    

2 Kommentare

  1. Vielen Dank für die ausführlich Rezension und die tolle Bewertung! Es freut mich sehr, dass so ein Experiment wie „Kind zweier Welten“ für dich aufgegangen ist. 🙂

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  2. Danke für diese Rezension.
    Insbesondere das letzte Abenteuer klingt spannend und lohnt sicher einen Blick. Das erste Szenario scheint genau das zu sein, was ich persönlich nicht mit dem Wüstenreich machen möchte.

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